198Internationale Zuständigkeit für eine Klage des Arbeitgebers auf gerichtliche Zustimmung zur Entlassung
Internationale Zuständigkeit für eine Klage des Arbeitgebers auf gerichtliche Zustimmung zur Entlassung
Eine Klage auf gerichtliche Zustimmung zur Kündigung oder Entlassung im Rahmen des besonderen Kündigungs- oder Entlassungsschutzes fällt ebenso wie die Anfechtungsklage im Rahmen des allgemeinen Kündigungsschutzes unter die Zuständigkeitstatbestände der Art 18 bis 21 EuGVVO (idF VO 44/2001/EG). Der klagende AG kann somit die Klage gem Art 20 EuGVVO nur vor den Gerichten des Wohnsitzstaates des bekl AN einbringen.
Mit ihrer Klage begehrte die AG vor dem LG Linz als Arbeits- und Sozialgericht die gerichtliche Zustimmung zur Entlassung des in Elternteilzeit befindlichen AN mit Wohnsitz in der Tschechischen Republik gem den §§ 8f und 7 Abs 3 VKG iVm § 12 MSchG. In der Klagebeantwortung erhob der Bekl die Einrede der fehlenden internationalen Zuständigkeit.
Das Erstgericht wies die Klage mangels internationaler Zuständigkeit zurück. Diese E wurde sowohl vom Rekursgericht als auch vom OGH bestätigt.
„1. Im Anlassfall gelangt unstrittig noch die EuGVVO (VO 44/2001/EG) zur Anwendung. Angemerkt wird, dass der korrespondiere Abschnitt 5 der EuGVVO neu (VO 1215/2012/EU) keine hier relevanten Abweichungen enthält.
Abschnitt 5 der EuGVVO (Art 18 bis 21) trägt die Überschrift ‚Zuständigkeit für individuelle Arbeitsverträge‘. Art 18 Abs 1 EuGVVO nimmt eine Präzisierung zu den davon erfassten Streitigkeiten vor. Danach müssen den Gegenstand des Verfahrens ein individueller Arbeitsvertrag oder Ansprüche aus einem individuellen Arbeitsvertrag bilden. Art 20 Abs 1 EuGVVO betrifft innerhalb dieses Rahmens die Klage eines AG gegen den AN. […]
2.4 Der OGH hat in der Entscheidung 9 ObA 144/08d ausgesprochen, dass individuelle Ansprüche, die sich aus dem kollektiven Arbeitsrecht ergeben, von Art 18 bis 21 EuGVVO erfasst werden. Dies gilt auch für die Kündigungsanfechtung nach § 105 ArbVG. Dazu wurde darauf hingewiesen, dass der allgemeine Kündigungsschutz im Rahmen der Betriebsverfassung geregelt und in die Mitwirkungsbefugnisse der Belegschaft eingebunden ist. Es handelt sich somit um einen kollektivvertraglich geprägten Kündigungsschutz mit dem vorrangigen Ziel der Wahrnehmung der Gesamtinteressen der Arbeitnehmerschaft. Der allgemeine Kündigungsschutz weist aber auch starke individualrechtliche Komponenten auf. Er befindet sich daher an der Schnittstelle zwischen kollektiv- und individualvertraglichen Ansprüchen. Sowohl Kündigungsschutz als auch EuGVVO dienen dem gesteigerten Schutzbedürfnis des einzelnen AN.
2.5 Sowohl nach der Rsp als auch nach der Literatur fällt somit jedenfalls der allgemeine Kündigungsschutz in den Anwendungsbereich der besonderen arbeitsvertragsrechtlichen Zuständigkeitstatbestände der EuGVVO. […] Darüber hinaus ist gesichert, dass Streitigkeiten über die Auflösung des Dienstverhältnisses, etwa auch im Zusammenhang mit einem Feststellungsbegehren, von den Zuständigkeitstatbeständen der Art 18 bis 21 erfasst sind. Aus diesen Gründen ist der Ansicht zuzustimmen, dass auch der Kündigungsschutz etwa für Betriebsratsmitglieder (Mankowski in Rauscher, Europäisches Zivilprozessrecht2 Art 18 Brüssel I-VO Rz 7a) und generell der besondere Kündigungsschutz von den arbeitsvertraglichen Zuständigkeitsbestimmungen der EuGVVO erfasst sind. Bei dem im Anlassverfahren vorgesehenen Zustimmungsverfahren steht die individualarbeitsrechliche Komponente sogar im Vordergrund, weil der Streit in jedem Fall zwischen den Parteien des Arbeitsvertrags zu führen ist. Dies gilt für eine begehrte Zustimmung zur Entlassung in besonderem Maße, zumal nach § 12 MSchG – anders als bei einer Zustimmung zur Kündigung nach § 10 Abs 3 MSchG – eine Verständigung des BR von der Klagseinbringung nicht vorgesehen ist. […]
5.2 Unrichtig ist der Hinweis des Rekursgerichts, wonach das Erstgericht die Klage ‚a limine‘ zurückgewiesen habe. In diesem Fall würde sich die Frage stellen, ob die arbeitsvertragliche Zuständigkeitsnorm der EuGVVO für eine Klage gegen den AN eine ausschließliche Zuständigkeit begründet (vgl Mankowski, aaO Art 18 Rz 1 und 2a), oder aber ob eine Zuständigkeitsbegründung auch durch rügelose Verfahrenseinlassung im Sinn des Art 24 EuGVVO in Betracht kommt […]. Im Anlassfall hat das Erstgericht allerdings die Klage dem Bekl zugestellt, der in seinem Einlassungsschriftsatz (ON 3) die Einrede der fehlenden internationalen Zuständigkeit erhoben hat.“
In Fällen mit grenzüberschreitendem Sachverhalt sind zwei unabhängig voneinander zu klärende Grundfragen von entscheidender Bedeutung, und zwar einerseits die Frage nach dem anzuwendenden Recht (vgl dazu zuletzt etwa 8 ObA 34/14dDRdA-infas 2015/52), andererseits die im vorliegenden Fall relevante Frage nach der internationalen Zuständigkeit.
Innerhalb der Mitgliedstaaten der EU richtet sich die internationale Entscheidungszuständigkeit nach der EuGVVO, die mit Wirkung ab 10.1.2015 in der VO EU/1215/2012 neu gefasst worden ist („Brüssel Ia-258VO“). Im Anlassfall war noch die Vorgängerversion, VO EG/44/2001 („Brüssel I-VO“) anwendbar, wobei aber die hier maßgeblichen Regelungen auch nach der Neufassung zum selben Ergebnis führen.
Die Sonderregelungen der EuGVVO für arbeitsrechtliche Streitigkeiten sollen einen angemessenen Schutz für den AN als den typischerweise schwächeren Vertragsteil bewirken. Insofern bestehen zugunsten des AN zahlreiche Vergünstigungen; so stehen dem klagenden AN insb mehrere Wahlgerichtsstände zur Verfügung. Die Klage gegen den AN kann dagegen nur vor den Gerichten jenes Mitgliedstaates eingebracht werden, in dem der AN seinen Wohnsitz hat. Eine abweichende Vereinbarung lässt die EuGVVO ausschließlich nach Entstehung der Streitigkeit zu, so dass eine Übervorteilung des AN nicht zu befürchten ist.
Fraglich erscheint auf ersten Blick, ob die – nicht für Streitigkeiten aus dem kollektiven Arbeitsrecht geltenden! – Regelungen der EuGVVO auch im Zusammenhang mit dem allgemeinen Kündigungsund Entlassungsschutz zur Anwendung kommen, da der österreichische allgemeine Kündigungsschutz ja als Mitbestimmungsrecht der Belegschaft im ArbVG konzipiert ist. Wie der OGH umfassend ausführt, sind allerdings auch individuelle Ansprüche der AN und AG, die sich aus dem kollektiven Arbeitsrecht ergeben, von den Regelungen der EuGVVO erfasst. Wenn nun aber schon der im Rahmen der Betriebsverfassung geregelte allgemeine Kündigungs- und Entlassungsschutz dem Regime der EuGVVO unterworfen ist, muss das umso mehr für einen etwaigen besonderen Kündigungsschutz gelten, sind doch die kollektivrechtlichen Bezüge hier wesentlich schwächer ausgeprägt. Die internationale Zuständigkeit richtet sich damit bei allfälligen gerichtlichen Zustimmungsverfahren nach den einschlägigen Regelungen der EuGVVO; der klagende AG muss eine solche Klage stets im Wohnsitzstaat des AN einbringen.
Die Ausführungen des OGH am Ende des Urteils beziehen sich darauf, dass die internationale Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts nach Art 24 EuGVVO (bzw Art 26 EuGVVO neu) grundsätzlich heilt, wenn sich der Bekl auf das Verfahren einlässt, ohne den Mangel der internationalen Zuständigkeit zu rügen. Deshalb darf das österreichische Gericht diesen Mangel im Anwendungsbereich der EuGVVO nicht von Amts wegen aufgreifen und die Klage a limine (also ohne Verhandlung mit Beschluss) zurückweisen, sondern hat dem Bekl die Möglichkeit zu geben, sich auf das Verfahren einzulassen.