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Kürzung des Kinderbetreuungsgeldes trotz Furcht vor Ansteckung

MARTINATHOMASBERGER

Die Furcht vor Ansteckung im Wartezimmer eines Kinderarztes während einer Grippewelle rechtfertigt nicht die verspätete Vornahme einer Mutter-Kind-Pass-Untersuchung.

SACHVERHALT

Die Kl und Revisionswerberin hatte die zweite Mutter-Kind-Pass-Untersuchung nicht fristgerecht vorgenommen, weil der erforderliche Zeitraum mit einer Grippewelle zusammengefallen war und sie ihr Kind nicht der Gefahr einer Ansteckung im Wartezimmer des Arztes aussetzen wollte. Daraufhin wurde ihr das Kinderbetreuungsgeld gekürzt.

VERFAHREN UND ENTSCHEIDUNG

Die Kl machte in ihrer Klage geltend, dass die Reduktion des Kinderbetreuungsgeldes zu Unrecht erfolgt sei. Sie habe die zweite Mutter-Kind-Pass-Untersuchung nur deshalb nicht fristgerecht vorgenommen, weil sie ihr Kind nicht der Gefahr einer Ansteckung im Wartezimmer des Arztes habe aussetzen wollen, was als ein nicht von ihr zu vertretender Grund gem § 7 Abs 4 KBGG anzusehen sei.

Die Klage blieb in erster und in zweiter Instanz ohne Erfolg. Das Berufungsgericht urteilte, dass die Befürchtung der Kl, es bestehe während einer Grip-269pewelle im Wartezimmer eines Arztes erhöhte Ansteckungsgefahr, keine Rechtfertigung iSd § 7 Abs 4 KBGG darstellt. Der OGH wies die außerordentliche Revision ab.

ORIGINALZITATE AUS DER ENTSCHEIDUNG

„Das Erstgericht stellte fest, die Klägerin sei bis zum 12.3.2015 nicht zu einem Kinderarzt gegangen, weil sie befürchtet hatte, das Kind würde sich in der Winterzeit im Warteraum eines Kinderarztes, in dem sich allenfalls kranke Kinder und Erwachsene aufhielten, anstecken. Die Beurteilung des Berufungsgerichts dass diese Befürchtung der Klägerin die Nichtvornahme der zweiten Untersuchung in den dafür von der MuKiPassV vorgesehenen Lebenswochen des Kindes nicht rechtfertigt, bedarf keiner Korrektur. Die Gefahr, sich mit dem Influenzavirus zu infizieren, besteht nicht nur in Ordinationen von (Kinder-)Ärzten. Trotz des Ansteckungsrisikos flieht nach alltäglicher Erfahrung die ganz überwiegende Mehrheit der Menschen aber auch während einer Grippewelle nicht in die Selbstisolation in der eigenen Wohnung. So suchten die Klägerin und ihr Ehemann mit ihrer Tochter in den Wochen nach der Geburt den Feststellungen des Erstgerichts zufolge Woche für Woche das Sanatorium, in dem das Kind geboren worden war, zur Nachbetreuung auf.“

ERLÄUTERUNG

Der Mutter-Kind-Pass ist ein wichtiges Instrument der öffentlichen Gesundheit, mit dem die gesundheitliche Vorsorge und die Früherkennung von Risiken, Erkrankungen und Entwicklungsstörungen für Schwangere und Kleinkinder sichergestellt werden. Bereits bei seiner Einführung im Jahr 1974 war die Einhaltung der Untersuchungstermine und die Vorlage der Bestätigungen an das Finanzamt Voraussetzung für die ungekürzte Auszahlung eines Teils der Familienbeihilfe. Diese Regelungstechnik wurde in das KBGG übernommen. In der vorliegenden E stellt der OGH klar, dass es zur sachlichen Rechtfertigung der verspäteten Vornahme der vorgeschriebenen Untersuchungen iSd § 7 Abs 4 Z 1 und damit zum Entfall der Kürzung des Bezugs um 50 % gem §§ 3 Abs 2, 5a Abs 2, 5b Abs 2, 5c Abs 2 besonders wichtiger Gründe bedarf (zB Adoption eines Kindes, für das nur die nach der Adoption liegenden Untersuchungstermine wahrgenommen werden können). Die vielleicht verständliche Sorge einer fürsorglichen Mutter um die Gesundheit ihres Kleinkindes stellt allerdings keine ausreichende Begründung für eine Ausnahme vom Grundsatz der vollständigen und rechtzeitigen Vornahme der Mutter- Kind-Pass-Untersuchungen dar.