Verfahrensrechtliche Behandlung falscher Lohnsteuerabrechnungen durch den Arbeitgeber und die Wirkungen von § 60 ASVG bei der Umstellung von Werkvertrag auf Arbeitsvertrag
Verfahrensrechtliche Behandlung falscher Lohnsteuerabrechnungen durch den Arbeitgeber und die Wirkungen von § 60 ASVG bei der Umstellung von Werkvertrag auf Arbeitsvertrag
Gem § 47 Einkommensteuergesetz (EStG) wird die Einkommensteuer bei Einkünften aus nichtselbstständiger Tätigkeit durch Abzug vom Arbeitslohn erhoben (Lohnsteuer). Der AG begleicht somit die Steuerschuld seiner AN, indem er vom vereinbarten Bruttoentgelt (neben den Sozialversicherungsbeiträgen) die Lohnsteuer abzieht und an das Finanzamt abführt, wodurch die Steuerschuld des AN bedient wird.
Obwohl der AN Steuerschuldner ist, haften AG und AN für die Steuerverbindlichkeit gemeinsam als Gesamtschuldner iSd § 891 Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch (ABGB). Der AN kann jedoch grundsätzlich vom Finanzamt nicht unmittelbar in Anspruch genommen werden (Ausnahmen siehe Pkt 2). Trotzdem hat eine Falschberechnung der Lohnsteuer durch den AG und eine spätere Nachzahlung des AG im Zuge einer Lohnsteuerprüfung für ihn gravierende Auswirkungen, da sein Veranlagungsverfahren neu aufgenommen wird und daneben auch eine zivilrechtliche Haftung gegenüber dem AG entstehen kann.
Die Lohnsteuerprüfung ist ein Teil der „gemeinsamen Prüfung aller lohnabhängigen Abgaben“ (GPLA) und wird vom Finanzamt der Betriebsstätte durchgeführt.
Ergibt sich bei der Lohnsteuerprüfung, dass die genaue Ermittlung der auf den einzelnen AN entfallenden Lohnsteuer mit unverhältnismäßigen Schwierigkeiten verbunden ist, kann die Nachforderung in einem Pauschalbetrag erfolgen (zB wenn der AG den AN nicht ordnungsgemäß versteuerte Vorteile gewährt, der Abgabenbehörde aber nicht die Möglichkeit gibt, die betreffenden AN festzustellen*), in allen anderen Fällen erfolgt die Festsetzung der Lohnsteuer pro einzelnem AN.287
Die Höhe der Abgabe ist durch Haftungsbescheid festzusetzen. Dieser kann binnen einem Monat vom AG mittels Beschwerde angefochten werden. Der AN kann dem Rechtsmittel des AG beitreten (soweit er davon überhaupt Kenntnis erlangt); wird vom AG kein Rechtsmittel erhoben, hat der AN keine Möglichkeit, gegen den Bescheid vorzugehen.
Nach Rechtskraft des Bescheides ist der AG verpflichtet, den Jahreslohnzettel des AN entsprechend zu korrigieren. Dadurch ändert sich die Höhe der steuerpflichtigen Bezüge (zB wenn vom AG Sachbezüge nicht berücksichtigt oder einzelne Lohnbestandteile fälschlicherweise steuerfrei abgerechnet wurden). Die anrechenbare Lohnsteuer darf jedoch nur dann verändert (erhöht) werden, wenn die Lohnsteuer, die im Haftungsweg beim AG nachgefordert wurde, in der Zwischenzeit vom AN ersetzt wurde (§ 46 Abs 1 Z 3 EStG). Ist dies nicht der Fall, verändert sich die anrechenbare Lohnsteuer nicht, obwohl sie vom AG nachbezahlt wurde,* dh der AN kann trotz Zahlung durch den AG vom Finanzamt in Anspruch genommen werden!
Der AG kann immer zur Haftung herangezogen werden. Unter bestimmten Voraussetzungen kann das Finanzamt auch den AN in Anspruch nehmen. Diese Inanspruchnahme liegt immer im Ermessen der Behörde und kommt dann in Frage, wenn die einbehaltene Lohnsteuer zu gering war. Entscheidend ist also nicht die Höhe der abgeführten, sondern die Höhe der einbehaltenen Lohnsteuer. Kann der AN glaubhaft machen (zB durch die monatlichen Abrechnungen), dass die Lohnsteuer in richtiger Höhe einbehalten wurde, kann er nicht zur Haftung herangezogen werden. Das gleiche gilt, wenn er die nachzuzahlende Lohnsteuer dem AG bereits ersetzt hat.
Wurde vom AN eine Veranlagung durchgeführt, wird das (rechtskräftig abgeschlossene) Verfahren amtswegig wiederaufgenommen und der fehlerhafte Lohnsteuerabzug im Rahmen der Veranlagung korrigiert.* Da die steuerpflichtigen Bezüge in den meisten Fällen höher wurden, die anrechenbare Lohnsteuer aber unverändert blieb, führt die Wiederaufnahme ab einem Jahreseinkommen von über € 11.000,- zu einer Steuernachforderung (im seltenen Fall, dass der AG zu viel Lohnsteuer abgeführt hat, zu einer Gutschrift). Dem AN bleibt es natürlich unbenommen, gegen den neuen Bescheid Beschwerde zu erheben. Im Fall der (freiwilligen) Antragsveranlagung kann der AN seinen Antrag mittels Beschwerde zurückziehen.*
Wurde noch keine Veranlagung durchgeführt, liegen jedoch die Voraussetzungen für eine Pflichtveranlagung gem § 41 EStG vor, kann der AN zur Abgabe aufgefordert werden. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn der AN andere Einkünfte über € 730,- bezog, mehrere Dienstverhältnisse gleichzeitig hatte, Krankengeld von der Krankenkasse oder Bezüge von der BUAK bzw dem Insolvenz-Fonds erhielt.
Hat der AN mit dem AG vorsätzlich zusammengewirkt, um sich einen gesetzwidrigen Vorteil zu verschaffen, der eine Verkürzung der Lohnsteuer bewirkt, kann der AN jedenfalls unmittelbar in Anspruch genommen werden (das bloße Wissen, dass der AG keine Lohnsteuer abführt, schadet jedoch nicht).*
Der AG hat durch Nachzahlung der zunächst zu wenig abgeführten Lohnsteuer eine fremde Schuld beglichen (§ 1358 ABGB) und tritt insoweit in die Rechte des Gläubigers ein. Aus dem öffentlich-rechtlichen Schuldverhältnis wird ein privatrechtliches Schuldverhältnis, das im ordentlichen Rechtsweg durchgesetzt werden kann.* Der Anspruch auf Ersatz entsteht im Zeitpunkt der Zahlung.*
Diese Haftung besteht auch dann, wenn der AN bereits vom Finanzamt in Anspruch genommen wurde (siehe Pkt 2)! Im Falle der (nochmaligen) Bezahlung der Schuld an den AG hat der AN die Möglichkeit, einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens gem § 303 Bundesabgabenordnung (BAO) zu stellen. Ein Antrag auf Rückzahlung des zu Unrecht einbehaltenen Betrages gem § 240 BAO ist seit der Novellierung durch das BGBl I 2000/142nicht mehr möglich, da Abs 3 leg cit einen entsprechenden Antrag ausschließt, wenn ein Ausgleich im Wege der Veranlagung zu erfolgen hat oder im Fall eines Antrages zu erfolgen hätte.
Bei aufrechtem Dienstverhältnis kann eine Aufrechnung mit dem laufenden Gehalt (unter Berücksichtigung der Lohnpfändungsgrenzen) vorgenommen werden. Hat der AN nach Beendigung des Dienstverhältnisses Ansprüche gegenüber dem AG (zB Betriebspension), kann ebenfalls durch außergerichtliche Kompensation aufgerechnet werden.* Bestreitet der AN die Gegenforderung, hat er seine Ansprüche im ordentlichen Rechtsweg geltend zu machen.
Im Zivilverfahren ist dem Gericht jedoch eine inhaltliche Prüfung der verwaltungsbehördlichen Entscheidung verwehrt.* Hat der AN am Steuer-288prüfungsverfahren teilgenommen oder von der angebotenen Teilnahme keinen Gebrauch gemacht, ist der Klage des AG im Ausmaß der bezahlten Schuld stattzugeben.* Wurde dem AN jedoch nicht die Möglichkeit gegeben, der Beschwerde beizutreten, kann er im Gerichtsverfahren alle Einwendungen erheben, die er im Verwaltungsverfahren gehabt hätte. Der AG kann mit seinem Regressanspruch nur dann durchdringen, wenn er die Interessen des mithaftenden AN während des Steuerprüfungsverfahrens entsprechend gewahrt hat.*
Ein gutgläubiger Verbrauch des zu viel Erhaltenen kann nicht eingewendet werden, da es sich nicht um die Rückforderung von Arbeitsentgelt handelt, sondern um die Forderung auf Ersatz einer für den AN bezahlten Steuerschuld.
Gemeinsam mit der Lohnsteuerprüfung nach § 86 EStG wird die Sozialversicherungsprüfung nach § 41a Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG) durchgeführt. Stellt sich dabei heraus, dass das Unternehmen „Werkverträge“ abgeschlossen hat, obwohl die Voraussetzungen nach § 4 Abs 2 ASVG vorliegen (persönliche und wirtschaftliche Abhängigkeit), werden diese in ASVG-pflichtige Dienstverhältnisse umgewandelt; die Verjährungsfrist beträgt bei Verschulden des DG fünf Jahre.
Der AG hat sowohl die DG- als auch DN-Beiträge zu entrichten.* Der AN kann von den Sozialversicherungsträgern nicht in Anspruch genommen werden. Ein Regress des AG beim AN ist nur sehr eingeschränkt möglich: § 60 ASVG bestimmt, dass der Beitrag vom Entgelt in Barem abzuziehen ist und bei sonstigem Verlust spätestens bei der auf die Fälligkeit des Beitrages nächstfolgenden Entgeltzahlung ausgeübt werden muss. Nach Ende des Vertragsverhältnisses ist somit ein Regress nicht mehr möglich (soweit noch offene Forderungen seitens des AN bestehen, können jedoch die entsprechenden Sozialversicherungsbeiträge einbehalten werden.*
Hat der AN bereits Beiträge nach dem Gewerblichen Sozialversicherungsgesetz (GSVG) geleistet, ist die Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft verpflichtet, auf Antrag des AN diese für höchstens fünf Jahre nach deren Zahlung zurückzuzahlen.* Nach § 41 Abs 2 GSVG gilt dies für Krankenversicherungsbeiträge nur dann, wenn keine Leistungen aus der KV in Anspruch genommen wurden.
Durch die Bestimmungen des § 60 ASVG (sehr eingeschränkte Regressmöglichkeit des AG) und § 41 GSVG (Regressanspruch des AN gegenüber dem Sozialversicherungsträger wegen zu Ungebühr entrichteter Beiträge) nimmt der Gesetzgeber eine Bereicherung des AN bewusst in Kauf. Sie stellen Sondernormen zum Bereicherungsrecht dar und lassen somit die Anwendung des Bereicherungsrechts nach dem ABGB nicht zu, so dass der AG aus diesem Titel nicht gegen den AN in Höhe der geleisteten AN-Beiträge vorgehen kann.
Bei Rückzahlung dieser Pflichtbeiträge ist vom Sozialversicherungsträger ein Lohnzettel auszustellen. Beim AN führen diese lohnsteuerpflichtigen Einkünfte im Jahr der Erstattung zu einer Pflichtveranlagung gem § 41 EStG.
Entscheidend ist, ob der AN bereits eine Veranlagung gemacht hat. Wurde der im Haftungsweg der Lohnsteuer unterworfene Betrag bereits im Rahmen der Veranlagung beim Steuerpflichtigen der Einkommensteuer unterworfen, kann der AG dafür nicht mehr in Anspruch genommen werden.* Ist dies nicht der Fall, haftet der AG und kann sich, wie oben dargestellt, beim AN regressieren.
Der AG hat einen Lohnzettel auszustellen. Da weder Sozialversicherungsbeiträge noch steuerlich begünstigte Sonderzahlungen ausbezahlt wurden, entsprechen die Bruttobezüge den steuerpflichtigen Bezügen. Bei der Wiederaufnahme des Veranlagungsverfahrens durch das Finanzamt führt dies dazu, dass der AN, der aufgrund der selbstständigen Einkünfte eine Einkommensteuererklärung abgegeben hat, den Anspruch auf Betriebsausgabenpauschale und Gewinnfreibetrag verliert. Er verliert somit die Vorteile aus der selbstständigen Tätigkeit, kann aber die steuerlichen Vorteile aus dem Dienstverhältnis (Sonderzahlungen, Zulagen, Zuschläge ua) mangels tatsächlicher Zahlung nicht mehr geltend machen. Ein derartiger Steuerschaden kann gegen den rechtswidrig und schuldhaft handelnden AG nach allgemeinen schadenersatzrechtlichen Grundlagen geltend gemacht werden.*
Lohnsteuer, die im Haftungsweg nachgefordert wird, hat vor allem für den AN unangenehme Konsequenzen. Er sieht sich zwei Gläubigern gegenüber, die ihn, in der „richtigen“ Reihenfolge, beide in Anspruch nehmen können.
Im Übrigen beträgt die Verjährungsfrist für Regressansprüche des AG nach herrschender Judikatur 30 Jahre,* die Frist für den Antrag auf Wiederaufnahme im verwaltungsbehördlichen Verfahren nur fünf Jahre. Es gibt bis dato keine gerichtliche Entscheidung dazu, welche rechtlichen Möglichkeiten der AN hat, wenn der AG die Regressansprüche erst zu einem Zeitpunkt geltend macht, zu dem dem AN die Wiederaufnahme des Verwaltungsverfahrens bereits versagt ist.
Im beiderseitigen Interesse sollte der AG den AN von einer Lohnsteuernachforderung in Kenntnis setzen, um ihm die Möglichkeit zu geben, einer Beschwerde nach § 257 BAO beizutreten. Wird die Beschwerde rechtskräftig abgewiesen, sollte der AG den Regressanspruch unverzüglich geltend machen. Wird die Forderung vom AN anerkannt und beglichen, ist der Jahreslohnzettel dergestalt zu korrigieren, dass auch die einbehaltene Lohnsteuer entsprechend korrigiert wird, was zur Folge hat, dass diese vom Finanzamt auf die Einkommensteuerschuld des AN angerechnet werden muss und dieser nicht noch einmal in Anspruch genommen werden kann.
Ein Zivilprozess macht für den AN nur dann Sinn, wenn er nicht die Möglichkeit erhielt, dem Verwaltungsverfahren beizutreten. Dann kann der AN dem Regressanspruch des AG die Verletzung der Gemeinschaftsinteressen entgegenhalten,* indem er beweist, in welchem Ausmaß die Vorlage weiterer Prüfungsunterlagen sowie überhaupt seine Beiziehung zum Lohnsteuerprüfungsverfahren und eine allfällige Anfechtung des Haftungsbescheides zu einem für ihn günstigeren Ergebnis und damit zu einer geringeren Steuernachforderung des Finanzamtes geführt hätte.290