175Entlassung wegen Vorlage von Urkunden mit dem Bankgeheimnis unterliegenden Daten im arbeitsgerichtlichen Verfahren und Sachverhaltsdarstellung an die Finanzmarktaufsicht (FMA) nicht gerechtfertigt
Entlassung wegen Vorlage von Urkunden mit dem Bankgeheimnis unterliegenden Daten im arbeitsgerichtlichen Verfahren und Sachverhaltsdarstellung an die Finanzmarktaufsicht (FMA) nicht gerechtfertigt
Kann durch Antrag auf Ausschluss der Öffentlichkeit die Gefahr der Aufdeckung von dem Bankgeheimnis unterliegenden Daten noch hintangehalten werden, so bewirkt die Vorlage dieser Urkunden vor Gericht zum Zeitpunkt der Entlassung (vor der ersten mündlichen Verhandlung) keine entlassungsbegründende Gefährdung der Interessen des AG.
Die Übermittlung einer Sachverhaltsdarstellung an die FMA bildet, soweit nicht nur haltlos und subjektiv unbegründete Anschuldigungen enthalten sind, nicht den Entlassungsgrund der Vertrauensunwürdigkeit.
Der Kl war seit 1973 Angestellter und seit 1988 Geschäftsleiter und Vorstandsvorsitzender einer Genossenschaftsbank. Er gehörte seit 2012 dem Kreis der begünstigten Behinderten an. Zwischen dem Kl und einem zweiten Vorstandsmitglied kam es zu diversen Streitigkeiten und Auffassungsunterschieden hinsichtlich geschäftlicher Entscheidungen, der Kl warf dem zweiten Vorstandsmitglied bei einer Reihe von Kreditvergaben Unregelmäßigkeiten vor. Die Vorwürfe waren auch Gegenstand von Aufsichtsratssitzungen, der Kl informierte den Präsidenten des Genossenschaftsverbandes von den jahrelangen Problemen, wobei dieser meinte, wenn der Kl beim Aufsichtsrat kein Gehör finde, stehe ihm auch eine Anzeige an die FMA offen. Im Zusammenhang mit einer bevorstehenden Fusion wurde der Kl gekündigt. Er erhob daraufhin eine Feststellungsklage auf Fortbestand des Dienstverhältnisses einerseits wegen Sittenwidrigkeit der Kündigung, andererseits wegen seines Schutzes als begünstigter Behinderter. In diesem Verfahren legte der Kl zum Beweis für Unregelmäßigkeiten und Verfehlungen seines Vorstandskollegen bei Kreditvergaben Urkunden mit namentlich genannten Kreditnehmern vor. Noch vor der ersten mündlichen Streitverhandlung wur-236de der Kl fristlos entlassen. Im weiteren Verfahren stellte der Kl den Antrag auf Ausschluss der Öffentlichkeit, der vom Erstgericht abgewiesen wurde.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab, da es in der Urkundenvorlage einen Verstoß des Kl gegen die ihn treffenden Verschwiegenheitspflichten und die Entlassung daher als berechtigt sah. Das Berufungsgericht gab der Berufung des Kl Folge und gab der Klage statt, so dass der Fortbestand des aufrechten Dienstverhältnisses festgestellt wurde. Die dagegen von der Bekl erhobene Revision wurde vom OGH als unzulässig zurückgewiesen. Auch das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen stimmte der Kündigung des Kl nicht zu.
„Erst kürzlich war die Frage, ob und inwieweit das Bankgeheimnis nach § 38 BWG der Klagsführung eines Kreditinstituts gegen ihre vormaligen Aktionäre und Organwalter auf Schadenersatz entgegenstehen kann, Gegenstand einer Entscheidung des Obersten Gerichtshofs (6 Ob 157/14b). Darin wurde ausgesprochen, dass das Bankgeheimnis der Klagsführung des Kreditinstituts nicht entgegensteht, weil es diesem wie jedem anderen Rechtssubjekt möglich sein muss, unter den sonstigen Anspruchsvoraussetzungen Schadenersatz von Schädigern zu verlangen und gerichtlich durchzusetzen. Der Senat schloss sich erkennbar der Ansicht an, dass die Durchbrechung aber nur im unbedingt notwendigen Ausmaß zu erfolgen habe und dass die Personen, denen gegenüber das Bankgeheimnis offenbart werden müsse, zur Verschwiegenheit verpflichtet seien. Da dies auf die Volksöffentlichkeit nicht zutrifft, kam er unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EGMR zu den Ausnahmen des Art 6 Abs 1 EMRK zum Ergebnis, dass in der betroffenen Verhandlungsphase die Volksöffentlichkeit auszuschließen ist. […]
Die Vorlage der Urkunden als solche war dem Kläger zur Darlegung der von ihm behaupteten Sittenwidrigkeit der Kündigung nicht prinzipiell zu verwehren. Sie erfolgte zunächst nur gegenüber dem Gericht. Richtig ist, dass der Kläger im Schriftsatz ON 6 den Ausschluss der Öffentlichkeit noch nicht beantragt hatte. Allerdings bestand zu jenem Zeitpunkt auch noch nicht die Gefahr der Aufdeckung von dem Bankgeheimnis unterliegenden Daten gegenüber Personen, die nicht ihrerseits einem Geheimnisschutz unterlagen. Die Entlassung des Klägers erfolgte einen Tag vor der vorbereitenden Tagsatzung vom 30. April 2013, sohin zu einem Zeitpunkt, als der Kläger noch einen Antrag auf Ausschluss der Öffentlichkeit stellen und damit der Realisierung der Gefahr vorbeugen konnte. Ungeachtet dessen, dass diese und die folgenden Tagsatzungen ohne verfahrensfremde Personen stattfanden, kam es in der Folge zu keiner formellen Verlesung der Urkunden, sodass die Urkundeninhalte tatsächlich niemandem, der nicht der Verschwiegenheitspflicht unterlag, zur Kenntnis gelangten. Danach ist es aber vertretbar, wenn das Berufungsgericht für den Zeitpunkt des Entlassungsausspruchs keine ausreichenden Anhaltspunkte für eine entlassungsbegründende Gefährdung der Interessen der Beklagten sah. […]
Die Beklagte beruft sich auch darauf, dass der Kläger mit der Offenbarung von Bankgeheimnissen den Tatbestand des § 101 Abs 1 BWG erfüllt habe, weil es ihm auf die Verschaffung eines Vermögensvorteils, nämlich die Stärkung seiner Verhandlungsposition im Zuge der einvernehmlichen Auflösung seines Dienstverhältnisses zur Beklagten, angekommen sei. Dieses Vorbringen ist nicht nachvollziehbar, weil der Kläger im Zuge der Verhandlungen gerade keine Bankgeheimnisse offenbarte, um – so die erstgerichtlichen Feststellungen – die Verhandlungen und einen möglichen Generalvergleich nicht zu gefährden. Die Vorlage der Urkunden erfolgte vielmehr zu einem Zeitpunkt, als ein solcher Vermögensvorteil für den Kläger nicht mehr zu erzielen war. Folgt man dem Standpunkt der Beklagten, dass die Bekanntgabe von Kundendaten für das Rechtsschutzziel des Klägers nicht erforderlich war, ist auch nicht ersichtlich, welchen konkreten Vermögensvorteil er sich durch die Bekanntgabe der Daten hätte verschaffen können. […]
Die Beklagte sieht die Entlassung auch in der Sachverhaltsdarstellung an die Finanzmarktaufsicht (FMA) begründet, die aus ihrer Sicht nicht notwendig gewesen sei.
Nach der Rechtsprechung zu § 27 Z 1 AngG trifft den Dienstnehmer bei strafrechtswidrigen Umtrieben des Dienstgebers keine Verschwiegenheitspflicht. Unlautere Geschäftspraktiken oder gesetzwidriges Verhalten zählen nicht zu den Umständen, an deren Geheimhaltung der Arbeitgeber ein objektiv berechtigtes Interesse hat. Wenn es um die Aufdeckung strafrechtlich relevanter Umstände geht, ist ein Dienstnehmer im Interesse der Allgemeinheit auch zur Erstattung einer Strafanzeige berechtigt, wobei er allerdings in einer für den Dienstgeber möglichst schonenden Form vorzugehen hat. Nur haltlose und subjektiv unbegründete Anschuldigungen bilden den Entlassungsgrund der Vertrauensunwürdigkeit (RIS-Justiz RS0113682). Diese Grundsätze können auch bei in die Zuständigkeit der Finanzmarktaufsicht als Aufsichtsbehörde fallenden Angelegenheiten herangezogen werden.“
Der OGH sieht die Vorlage von geheimhaltungspflichtigen Unterlagen im Rahmen eines arbeitsgerichtlichen Verfahrens grundsätzlich als Verletzung der Geheimhaltungspflicht an, knüpft die Frage der Berechtigung der Entlassung letztlich aber an eine Interessenabwägung einerseits inwieweit die Urkunden vom AN zur Beweisführung benötigt werden,237 andererseits ob die Durchbrechung der Geheimhaltungspflicht nur im unbedingt notwendigen Ausmaß erfolgt bzw ob die Offenlegung gegenüber nicht zur Geheimhaltung verpflichteten Personen durch andere Mittel (Ausschluss der Öffentlichkeit im Verfahren) hintangehalten werden kann. Im Rahmen solcher Verfahren empfiehlt es sich daher, einerseits Unterlagen mit geheimhaltungsrelevanten Daten zu schwärzen, soweit dies für die Verfahrensführung nicht erforderliche Inhalte, insb personenbezogene Daten betrifft, andererseits vor Vorlage solcher Urkunden den Antrag auf Ausschluss der Öffentlichkeit zu stellen. Der OGH stellt im vorliegenden Zusammenhang auch darauf ab, dass die Entlassung bereits erfolgt war, bevor die erste vorbereitende Tagsatzung stattgefunden hatte und der Kl daher zum Entlassungszeitpunkt noch die Möglichkeit hatte, einen Antrag auf Ausschluss der Öffentlichkeit zu stellen – einen solchen hatte er mit dem Schriftsatz, mit dem er die Urkunden vorlegte, nämlich noch nicht gestellt. Es empfiehlt sich jedenfalls in der Praxis, bereits mit Vorlage der Urkunden einen solchen Antrag zu stellen.
Bemerkenswert ist, dass der OGH dem Vorbringen der Bekl, wonach der Tatbestand des § 101 Abs 1 BWG (Verschaffung eines Vermögensvorteils durch Verrat eines Bankgeheimnisses) erfüllt sei, nicht folgte. Der OGH führt dazu aus, dass die Vorlage der Urkunden während des Prozesses zu einem Zeitpunkt erfolgte, als ein Vermögensvorteil (etwa im Zuge von Verhandlungen über eine außergerichtliche einvernehmliche Auflösung) gar nicht mehr zu erzielen war. Daraus geht implizit hervor, dass der OGH in der bloßen Durchsetzung des Anspruches auf aufrechten Bestand des Dienstverhältnisses jedenfalls keine Verschaffung eines Vermögensvorteils iSd § 101 BWG erblickt.
Die Ausführungen des OGH zur Zulässigkeit der Sachverhaltsdarstellung an die FMA folgen den Grundsätzen der Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte zur Meinungsfreiheit. Der OGH setzt seine Rsp fort, wonach den AN bei strafrechtswidrigen Umtrieben des AG keine Verschwiegenheitspflicht trifft. Unlautere Geschäftspraktiken oder gesetzwidriges Verhalten zählen nicht zu den Umständen, an deren Geheimhaltung der AG ein objektiv berechtigtes Interesse hat. Der AN ist daher im Interesse der Allgemeinheit auch zur Erstattung von Strafanzeigen berechtigt, wobei er allerdings in einer für den AG möglichst schonenden Form vorzugehen hat. Wesentlich ist in solchen Zusammenhängen, dass nach Möglichkeit vorab der Versuch der Abhilfe unternehmensintern gesucht werden soll (Meldung von Missständen an Vorgesetzte oder sonstige kompetente Stellen). Weiters muss eine Abwägung des Interesses der Öffentlichkeit an der Offenlegung von Informationen im Verhältnis zu den vom AG dadurch erlittenen Schäden erfolgen. Für den AN bedeutet dies, dass vor der Erstattung von Strafanzeigen oder Sachverhaltsdarstellungen an zuständige Behörden alle erforderlichen Abwägungsschritte unter Beiziehung rechtlicher Beratung unbedingt zu empfehlen sind.