Flecker/Schultheis/Vogel
(Hrsg)Im Dienste öffentlicher Güter – Metamorphosen der Arbeit aus der Sicht der Beschäftigten

edition sigma, Berlin 2014 368 Seiten, kartoniert, € 25,90

HANNESSCHNELLER

Hier liegt eine sozialwissenschaftliche Analyse vor, die zu den Folgen der Privatisierung und Ökonomisierung ehemals staatlicher Infrastrukturen einen ganz gewichtigen Beitrag leistet. Im Dreiländervergleich Deutschland-Schweiz-Österreich werden zahlreiche Konsequenzen von Privatisierungen und Ökonomisierungen für das Gesundheitswesen, für Postdienstleistungen und für Kommunale Diens-293te aufgezeigt. Einige der 18 Beiträge zeigen die Folgen fortschreitenden „Cost-Cuttings“ sehr persönlich und individualistisch aus der Sicht betroffener Pflegedienst-MitarbeiterInnen (Tschernitz, Mein Tag als Schwester 77 ff; Pfeuffer/Gemperle, Die Kodierfachkräfte 89 ff) oder BriefzustellerInnen (Mau, „Die Jungen werden bei uns eigentlich nicht mehr alt“ 151 ff) auf.

Andere Beiträge wiederum lenken den Blick auf systematische und politische Hintergründe von „Privatisierungszwängen“ (zB Schultheis/Gemperle, Das Gesundheitswesen im Spannungsfeld von Gemeinwohlorientierung und betriebswirtschaftlichen Imperativen 23 ff; Mau et al, Transformationen der österreichischen, deutschen und schweizerischen Post 187 ff); sie abstrahieren die Sichtweise sozusagen von den Einzelschicksalen, aber nur, um durch die systemische Analyse das individuell Erfahrene zu bestätigen – und vice versa. Dieser Wechsel von induktiver und deduktiver Herangehensweise an das Phänomen der Infrastruktur-Privatisierung ist für die/den LeserIn kurzweilig. Aufgrund der methodischen Vielfalt erscheinen die Ableitungen und Forschungsergebnisse plausibler – und sie sind mit Sicherheit nicht nur lebendiger, sondern auch valider.

Der Untertitel des Buchs „Metamorphosen der Arbeit aus der Sicht der Beschäftigten“ trifft den von unterschiedlichsten Seiten beleuchteten Inhalt sehr genau. Hart ins Gericht der Empirie gehen sämtliche AutorInnen mit dem EU-Credo, wonach Liberalisierung Arbeitsplätze schaffe, und halten dem entgegen, dass beispielsweise allein in der Elektrizitätswirtschaft zwischen 1995 und 2004 gemeinschaftsweit 246.000 Arbeitsplätze in dieser relativ personalextensiven (!) Branche abgebaut wurden.

Sehr ähnliche Forschungsergebnisse wurden übrigens schon vor zirka vier Jahren durch das EU-Forschungsprojekt PIQUE (Privatisation of Public Services and the Impact on Quality, Employment and Productivity 2007 ff, Endbericht 2012), an dem einige der AutorInnen mitarbeiteten, bestätigt. Einen gewissen Überbau schafft im vorliegenden Buch der Beitrag „Rekrutierung der Staatsdiener von morgen – Die öffentliche Verwaltung als attraktiver Arbeitsplatz“ von Anja Riek (Deutschland), wo ua der Typus der/des „staatsnahen ManagerIn“ dargestellt wird.

Gemeinsamer Nenner aller Buchbeiträge ist der in den untersuchten Wirtschaftsbereichen vielleicht besonders drastisch zu Tage tretende, tiefgreifende Wandel in den Arbeitsbeziehungen, gekennzeichnet durch Dezentralisierung und Fragmentierung, durch rückläufige gewerkschaftliche Organisation und durch Phänomene wie Scheinselbstständigkeit und kollektivvertragsfreie Zonen (in Österreich betrifft das vor allem Teile der Paketzustellung bzw „alternative Postdienstleistungen“). Im vorletzten Buchteil stellt Manfred Krenn (FORBA, Wien) das Schwinden der sozialintegrativen Funktion des öffentlichen Dienstes für gering qualifizierte Menschen dar. Die Herausgeber schließen die umfassende Untersuchung mit folgenden Worten: „Die Demokratie kann auf die transparente und partizipative Herstellung öffentlicher Güter nicht verzichten. Diese Herstellung hängt an konkreten Personen, die diese Güter tragen, vertreten und sichern. Ihnen mehr Aufmerksamkeit zu widmen, ist auch eine Aufgabe gesellschaftswissenschaftlicher Forschung …