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Keine Verbandsklage im Arbeitsrecht

CHRISTOPHKIETAIBL (KLAGENFURT)

Die Bestimmungen über die Verbandsklage nach §§ 28-30 KSchG sind zu weit gefasst. Sie sind teleologisch dahin zu reduzieren, dass sie auf Arbeitsverhältnisse keine Anwendung finden.

Die klagende Bundesarbeitskammer ist eine nach § 29 Abs 1 KSchG klageberechtigte Interessenvertretung. Mit der vorliegenden Verbandsklage nach den §§ 28-30 KSchG begehrt sie, die Bekl, ein Unternehmen, das zahlreiche AN beschäftigt, schuldig zu erkennen, die Verwendung – im Klagebegehren näher – bestimmter Klauseln in Vertragsformblättern für AN zu unterlassen und sich auf diese Klauseln, soweit diese den mit AN bereits geschlossenen Verträgen zugrunde gelegt worden seien, nicht zu berufen. [...]

Das Erstgericht wies [...] sowohl das Unterlassungs- als auch das Veröffentlichungsbegehren der Kl ab. Verbandsklagen gem §§ 28-30 KSchG seien im Bereich des Arbeitsrechts nicht zulässig.

Das Berufungsgericht [...] gab es der Berufung der Kl Folge [...]. Eine Verbandsklage nach den §§ 28-30 KSchG sei auch in Arbeitsrechtssachen zulässig, weil § 1 Abs 4 KSchG Arbeitsverhältnisse nur vom Anwendungsbereich des I. Hauptstücks des KSchG (§§ 1-27) ausnehme. [...]

Gegen den Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts richtet sich die „Revision“ der Bekl [...].

3.1. Das Konsumentenschutzgesetz (KSchG) [...] enthält in seinem I. Hauptstück (§§ 1-27a KSchG) besondere Bestimmungen für Verträge zwischen Unternehmern und Verbrauchern [...]. Die Verbandsklage ist im II. Hauptstück in den §§ 28-30 KSchG normiert. [...]

3.2. Nach § 1 Abs 4 KSchG gilt [...] das I. Hauptstück nicht für Verträge, die jemand als AN oder arbeitnehmerähnliche Person (§ 51 Abs 3 ASGG) mit dem AG schließt. In den Gesetzesmaterialien wird diese Ausnahmeregelung damit begründet, dass für Arbeitsverträge spezielle, viel eingehendere Schutzbestimmungen bestehen (RV 744 BlgNR 14. GP 17). Die Anwendung des § 28 KSchG ist zwar nicht auf bedenkliche Bestimmungen beschränkt, die einem Verbrauchergeschäft iSd § 1 KSchG zugrunde gelegt wurden; § 28 KSchG dient aber doch in erster Linie der Unterbindung gewisser, für Verbrauchergeschäfte als ebenso typisch wie nachteilig angesehener Praktiken (RIS-Justiz RS0065713). Für die im II. Hauptstück des KSchG normierte Verbandsklage scheint somit nach dem reinen Gesetzeswortlaut die Ausnahmeregelung des § 1 Abs 4 KSchG nicht zu gelten. In der Folge wird aber dargelegt werden, dass Arbeitsverträge auch nicht dem Anwendungsbereich des II. Hauptstücks des KSchG unterfallen:

4.1. Nach herrschender Rsp und Lehre steht der Unterlassungsanspruch jedem Verband (§ 29 Abs 1 und 2 KSchG) als eigener materiell-rechtlicher Anspruch zu (2 Ob 215/10x mwN; RIS-Justiz RS0110990; Krejci in

Rummel
, ABGB3 II/4 §§ 28-30 KSchG Rz 4). Die Verbandsaktivitäten erfolgen [...] zur Förderung eines „öffentlichen Interesses“, das darin besteht, gesetz- und sittenwidrige Vertragsbestimmungen aus dem geschäftlichen Verkehr zu ziehen und die gesetzlichen Bestimmungen in der Geschäftspraxis effektiv durchzusetzen (2 Ob 215/10x mwN; RIS-Justiz RS0110990; Kathrein/Schoditsch, KBB4 § 28 KSchG Rz 1). [...].

4.3. Zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des KSchG am 1.10.1979 (§ 38 KSchG) bestand für den Gesetzgeber keine Veranlassung, Arbeitsverträge ausdrücklich auch vom Anwendungsbereich des II. Hauptstücks des KSchG auszunehmen. Zum damaligen Zeitpunkt wurden Arbeitsverträge zwischen AG und AN vorwiegend noch mündlich abgeschlossen (vgl Kodek, aaO 356 f). Erst die Entwicklung neuer Arbeitsformen und der daraus resultierenden Vielfalt der Arten von Arbeitsverhältnissen erforderten etwa Maßnahmen in Richtung einer gewissen Formbindung. [...].

4.4. Der materiell-rechtliche Unterlassungsanspruch nach § 28 Abs 1 KSchG lässt sich aber auch unter keinen sachlichen Zuständigkeitstatbestand der Arbeitsrechtssachen iSd §§ 50-52 ASGG subsumieren (so auch Kodek, aaO 361 f). Unzweifelhaft wollte aber der Gesetzgeber mit der Einführung des Arbeits- und Sozialgerichtsgesetzes, BGBl 1985/104, die kaum noch durchschaubaren Kompetenzzersplitterungen auf dem Gebiet des Arbeits- und Sozialrechts beseitigen und damit ua546 (alle) Arbeitsrechtssachen beim Arbeits- und Sozialgericht vereinigt wissen (vgl Kuderna, ASGG2 11). Dem Gesetzgeber kann daher keinesfalls unterstellt werden, dass gerade eine in arbeitsrechtlichen Angelegenheiten nicht vom Arbeits- und Sozialgericht, sondern vom Handelsgericht entschieden werden sollte. Davon geht auch Kodek aus, der versucht, mit teleologischer Reduktion des § 30 Abs 1 KSchG und Schließung der dadurch hervorgerufenen nachträglichen (wertungsmäßigen) Lücke durch analoge Anwendung des § 50 Abs 1 ASGG bzw § 51 Abs 1 Z 10 JN, dem seinerzeit mit dem ASGG verfolgten klaren Ziel der Konzentration aller Verfahren mit arbeitsrechtlichem Bezug bei den Arbeits- und Sozialgerichten Rechnung zu tragen (Kodek, aaO 363 f).

5.1. Das Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz regelt in § 54 ASGG selbst zwei Möglichkeiten, besondere Feststellungsverfahren in Arbeitsrechtssachen zu führen. [...]

5.2. Diesen besonderen Feststellungsverfahren nach § 54 Abs 1 und 2 ASGG liegt der Gedanke des „kollektiven Klagerechts“ zu Grunde. Dieses beruht auf der Überlegung, dass es den parteifähigen Organen der Arbeitnehmerschaft und den kollektivvertragsfähigen Körperschaften möglich sein soll, Verfahren selbst führen zu können, die im Interesse einzelner oder mehrerer AG oder AN gelegen sind (vgl 8 ObA 14/13m ua; Neumayr in ZellKomm2 § 54 ASGG Rz 1), von diesen aber nicht geführt werden, weil sie Nachteile – insb die Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses – fürchten (8 ObA 31/09f; Kuderna, ASGG2 § 54 Anm 1; Neumayr in ZellKomm2 § 54 ASGG Rz 4). Mit diesen besonderen Feststellungsverfahren wollte der Gesetzgeber somit zwei – miteinander eng verknüpfte – Wirkungen erzielen: eine Schutzwirkung für AN, die es (abgesichert durch eine besondere Verjährungshemmung) vorziehen, den Ausgang des Feststellungsverfahrens abzuwarten, bevor sie selbst die Klage einbringen, und eine streitvermindernde Wirkung der Testverfahren auf die Ansprüche der Betroffenen, die von der entschiedenen Streitfrage abhängen (Neumayr in ZellKomm2 § 54 ASGG Rz 2 mwN). [...]

5.3. Auch wenn das über eine besondere Feststellungsklage nach § 54 Abs 1 ASGG ergehende Urteil nur zwischen den Prozessparteien wirkt, also zwischen den parteifähigen Organen der Arbeitnehmerschaft und dem AG, hat es für die berechtigten AN insofern faktische Wirkung, als der AG in aller Regel das Urteil in Bezug auf die berechtigten AN beachten wird (RIS-Justiz RS0085545; 8 ObA 31/09f mwN; 8 ObA 14/13m). [...] Damit wird dem im Arbeitsleben bestehenden besonderen Rechtsschutzbedürfnis von AN (und AG) ausreichend Rechnung getragen. Dass der Rechtsschutz auf Feststellung und nicht auf Unterlassung/Veröffentlichung gerichtet ist, fiel bisher in der arbeitsrechtlichen Praxis nicht entscheidend ins Gewicht.

5.4. Wäre der Gesetzgeber bei Einführung des ASGG zum 1.1.1987 davon ausgegangen, dass bereits den in § 29 Abs 1 KSchG genannten Verbänden auch in Bezug auf Arbeitsverträge ein Klagerecht nach § 28 KSchG zugekommen wäre, dann wäre zwingend zu erwarten gewesen, dass er auch für dieses Verbandsklagerecht eine ausdrückliche Zuständigkeitsbestimmung im ASGG normiert und zum Verhältnis der Verbandsklage nach dem KSchG zu den neu eingeführten besonderen Feststellungsverfahren nach § 54 Abs 1 und 2 ASGG Stellung bezieht. [...]

6.Graf-Schimek (aaO 222, 225) sieht zu Recht bei Anwendung der Verbandsklage des § 28 KSchG das „sensible Machtgefüge“ zwischen den parteifähigen Organen der Arbeitnehmerschaft und dem jeweiligen AG bzw zwischen den kollektivvertragsfähigen Körperschaften bedroht. Auch folgender Aspekt bestätigt, dass der Gesetzgeber nie die Absicht hatte, der Verbandsklage nach dem KSchG Arbeitsrecht Geltung zu verschaffen: § 54 Abs 2 ASGG stellt auf die „kollektivvertragsfähigen“ Körperschaften im Rahmen ihres „Wirkungsbereiches“ iSd §§ 4-7 ArbVG ab. § 6 ArbVG statuiert den Vorrang freiwilliger Berufsvereinigungen [...] vor gesetzlichen Interessenvertretungen [...] in der Kollektivvertragspolitik (Reissner in ZellKomm2 § 6 ArbVG Rz 1). [...] Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber mit dem Unterlassungsanspruch nach § 28 KSchG der gesetzlichen Interessenvertretung einen Rechtsschutzvorrang gegenüber den freiwilligen Berufsvereinigungen einräumen wollte, deren Rolle durch das Grundrecht der Koalitionsfreiheit (Art 12 StGG, Art 11 EMRK) besonders definiert wird (vgl Reissner in ZellKomm2 § 6 ArbVG Rz 2), bestehen nirgends.

7. Zusammengefasst sind also nicht die Zuständigkeitsbestimmungen des ASGG lückenhaft, sondern die Bestimmungen der Verbandsklage nach §§ 28-30 KSchG zu weit gefasst. Sie sind daher teleologisch dahin zu reduzieren, dass sie auf Arbeitsverhältnisse keine Anwendung finden. [...]

ANMERKUNG

1. Die E des OGH ist in mehrfacher Hinsicht überraschend. Zum einen verwundert, dass der Gerichtshof eine nach Wortlaut (und Zweck) anwendbare Norm gewalthaft teleologisch reduziert und auf diese Weise eine Rechtsschutzlücke bewirkt. Zum anderen überrascht die beschränkte Literaturauswertung. Der OGH stützt seine E im Wesentlichen auf die Ausführungen von Graf-Schimek (KSchG-Verbandsklage im Arbeitsrecht, ZAS 2011/7), er würdigt aber die danach vom Rezensenten in seiner Habilitationsschrift vorgebrachten Gegenargumente (Kietaibl, Allgemeine Arbeitsbedingungen [2011] 42) mit keinem Wort. Angesichts der wenigen Stellungnahmen zur entscheidungsgegenständlichen Frage ist diese Selbstbeschränkung in der Literaturauswahl bemerkenswert.

2. Im Folgenden seien daher zunächst nochmals die wesentlichen Argumente gegen die Sichtweise von Graf-Schimek zusammengefasst: Soweit vorgebracht wird, dass Arbeitsverträge idR ohnedies individuell ausgehandelt würden und daher der Tatbestand der §§ 28-30 KSchG (AGB-Verwendung bzw AAB-Verwendung) nicht erfüllt wäre, entspricht dies kaum der tatsächlichen Vertragspraxis547 im Arbeitsrecht (was im Übrigen auch der Sachverhalt der vorliegenden E zeigt). Aber selbst, wenn man dies hypothetisch unterstellte, spricht dies nicht gegen die Verbandsklage im Fall der AAB-Verwendung, sondern kommt es allenfalls zu einem (im Vergleich zum Verbraucherrecht) eingeschränkten (faktischen) Anwendungsbereich der Verbandsklage im Arbeitsrecht. Auch das besondere Rechtsschutzziel der Verbandsklage (also die abstrakte Klauselprüfung zwecks vorbeugender Entlastung des Rechtsverkehrs von gesetzwidrigen Klauseln) spricht nicht gegen die Anwendbarkeit im Arbeitsrecht, sondern dafür: Tragen doch diesem Rechtsschutzziel weder das Individualverfahren noch das Feststellungsverfahren nach § 54 ASGG Rechnung. Es ist daher auch kein Grund ersichtlich, warum § 54 ASGG die auf Unterlassung gerichtete Verbandsklage des KSchG im Arbeitsrecht als lex specialis verdrängen sollte.

Auch die Annahme, der AN wäre durch die zwingenden arbeitsrechtlichen Schutzvorschriften ohnedies ausreichend geschützt, trägt keine Freistellung des Arbeitsrechts vom Verbandsverfahren. Zum einen schützen die spezifischen arbeitsrechtlichen Mindeststandards nicht vor der tatsächlichen Verwendung rechtswidriger AAB-Klauseln. Zum anderen würde dieses Argument auch gegen die Anwendbarkeit der Verbandsklage im Verbraucherrecht sprechen – hält doch das KSchG in seinem ersten Hauptstück ebenfalls eine Unzahl zwingender Verbraucherschutzvorschriften bereit. Gleiches gilt zB auch im Bereich des zwingend geregelten Bestandrechts: Trotz der zwingenden Mindeststandards des MRG bestehen hier ausreichend Anlassfälle für die Verbandsklage und wird die Zulässigkeit dieser Klage trotz des MRG-Schutzes zu Recht nicht bezweifelt.

Schließlich spricht gegen die Anwendbarkeit der Verbandsklage im Arbeitsrecht auch nicht eine allfällige Unvereinbarkeit der Judikatur zur geltungserhaltenden Reduktion nichtiger Arbeitsvertragsklauseln mit dem Verbot geltungserhaltender Reduktion im Verbandsverfahren. Die Judikatur zur geltungserhaltenden Reduktion betrifft auch im Arbeitsrecht bloß das Individualverfahren und steht daher nicht im Widerspruch zum gänzlichen Klauselwegfall im Verbandsverfahren. Auch im allgemeinen AGB-Recht bejaht die hM die geltungserhaltende Reduktion im Individualverfahren und verneint diese Vorgangsweise zugleich im Verbandsverfahren. Dies ist kein Widerspruch, sondern erklärt sich aus den unterschiedlichen Zielsetzungen dieser beiden Verfahren. Das Verbandsverfahren ist im Gegensatz zum Individualverfahren gerade nicht auf die (gänzliche oder teilweise) Nichtigerklärung von Vertragsklauseln gerichtet, sondern auf Unterlassung der Klauselverwendung in der Zukunft. Insofern stellt sich im Verbandsverfahren die Frage der geltungserhaltenden Reduktion nicht, sodass auch kein Widerspruch zum Individualverfahren bestehen kann. So kommt zB im Individualverfahren die Reduktion einer in gesetzwidriger Weise (§ 36 AngG) für die Dauer von zwei Jahren vereinbarten Konkurrenzklausel auf das höchstzulässige Ausmaß von einem Jahr in Betracht. Hingegen ist der Unterlassungsanspruch nach den §§ 28-30 KSchG allein darauf gerichtet, dass der AG in der Zukunft die Verwendung von gesetzwidrigen Konkurrenzklauseln unterlässt, die eine unzulässige Bindungsdauer von zwei Jahren enthalten; darauf ist weder das Individualverfahren noch das Verfahren nach § 54 ASGG gerichtet.

3. Auch die vom OGH in der vorliegenden E zusätzlich vorgebrachten Argumente vermögen nicht zu überzeugen. So meint der OGH, dass bei Inkrafttreten des KSchG im Jahr 1979 für den Gesetzgeber kein Grund zur ausdrücklichen Ausnahme von Arbeitsverträgen aus dem Anwendungsbereich des II. Hauptstücks des KSchG bestanden hätte, weil damals Arbeitsverträge noch überwiegend mündlich geschlossen wurden. Beide Annahmen erscheinen zweifelhaft. Zwar war der flächen decken de Einsatz schriftlicher Arbeitsvertragsformulare wesentlich durch die Nachweis-RL aus dem Jahr 1991 veranlasst. Dass davor (insb auch noch Ende der 1970er-Jahre) Arbeitsverträge aber ganz generell nur mündlich geschlossen wurden, kann ohne empirischen Beleg wohl nicht ohne Weiteres unterstellt werden. Außerdem hätte dann auch kein Grund für den Gesetzgeber zur ausdrücklichen Ausnahme der Arbeitsverträge vom I. Hauptstück des KSchG in § 1 Abs 4 leg cit bestanden.

Aber selbst, wenn man eine solche Vertragspraxis unterstellt, ist die vom Gerichtshof darauf gestützte Folgerung nicht recht einsichtig. Auch wenn zum Inkrafttretenszeitpunkt für das Rechtsschutzinstrument der Verbandsklage im Arbeitsrecht mangels AGB-Verwendung kaum ein tatsächlicher Anwendungsbereich bestanden hat, so folgt daraus doch nicht der gesetzgeberische Wille auf Nichtanwendung der Verbandsklage auch dann, wenn sich später wegen geänderter Vertragspraxis ein tatsächlicher Anwendungsbereich und Rechtsschutzbedarf eröffnet. Vielmehr liegt eher der umgekehrte Schluss nahe, der auch durch die Gesetzessystematik gestützt wird: Wenn der Gesetzgeber den Anwendungsbereich des in drei Hauptstücke untergliederten KSchG detailliert regelt und die Ausnahme von Arbeitsverträgen ausdrücklich nur für das I. Hauptstück anordnet, dann hat er deutlich kundgetan, dass nur dieses Hauptstück von der Ausnahme erfasst sein soll und nicht auch die im II. Hauptstück angesiedelten Regelungen zur Verbandsklage. Diese gesetzgeberische E mag man begrüßen oder nicht, ihre Revidierung sollte aber dem Gesetzgeber überlassen bleiben.

4. Ähnliches gilt für das Argument des OGH, dass eine Anwendung der Verbandsklage im Arbeitsrecht das „sensible Machtgefüge“ zwischen den kollektivvertragsfähigen Körperschaften bedrohen würde. Selbst wenn diese Befürchtung begründet wäre, berechtigt sie nicht zur Rechtsanwendung contra legem, sondern liegt darin ein rechtspolitisches Argument zur Änderung des Gesetzes. Im Übrigen hat die Vergangenheit gezeigt, dass diese Befürchtung ohnedies unbegründet ist. Bislang kam das Instrument der Verbandsklage im Arbeitsrecht äußerst behutsam und bloß vereinzelt zum Einsatz, und es bestanden keine Anzeichen für eine Kräfteverschiebung zwischen den kollektivvertragsfähigen Körperschaften.548

5. Wenig nachvollziehbar erscheint auch der Verweis des OGH auf die Antragslegitimation des § 54 Abs 2 ASGG sowie den Vorrang freiwilliger Berufsvereinigungen zum Kollektivvertragsabschluss nach § 6 ArbVG. Insb hat der Vorrang freiwilliger Berufsvereinigungen zum Kollektivvertragsabschluss bei konkurrierender Kollektivvertragsfähigkeit nichts mit der Befugnis einer Interessenvertretung zur kollektiven Klageführung im Rechtsschutzinteresse ihrer Mitglieder zu tun. Dies gilt sowohl für das Verfahren nach § 54 Abs 2 ASGG als auch für jenes nach §§ 28-30 KSchG. Zwar beachtet der OGH den Vorrang freiwilliger Interessenvertretungen nach § 6 ArbVG auch bei Prüfung der Antragsbefugnis nach § 54 Abs 2 ASGG (stRsp seit OGH 13.9.1989, 9 ObA 502/89). Allerdings wird diese Sichtweise im Schrifttum zu Recht heftig kritisiert: Es besteht kein Sachgrund dafür, die Befugnis einer kollektivvertragsfähigen gesetzlichen Interessenvertretung zur Überwachung der Einhaltung der Rechtslage im Interesse ihrer Mitglieder davon abhängig zu machen, ob die Interessenvertretung im konkreten Fall einen KollV schließen könnte oder wegen § 6 ArbVG davon ausgeschlossen ist (treffend Jabornegg,

; Klein, ZAS 1990, 169 f; Neumayr in ZellKomm, ASGG § 54 Rz 22). Es besteht daher auch kein Anlass dafür, aus einer verfehlten Judikatur zu § 54 ASGG noch weiter reichende Folgen für die Verbandsklage abzuleiten, nämlich das Fehlen jedweder Klagebefugnis nach §§ 28-30 KSchG im Arbeitsrecht.

Schließlich sagt der OGH in diesem Zusammenhang auch noch, dass kein Anhaltspunkt dafür bestehe, dass der Gesetzgeber mit dem Unterlassungsanspruch nach § 28 KSchG der gesetzlichen Interessenvertretung einen Rechtsschutzvorrang gegenüber den freiwilligen Berufsvereinigungen einräumen wollte. Das ist zwar insofern richtig, als nach § 29 KSchG sowohl die Arbeiterkammer als auch die Gewerkschaft gleichermaßen klageberechtigt sind. Der Gesetzgeber des KSchG hat somit keine Vorrangregel geschaffen, und es kann ihm daher eine solche Regel auch nicht unterstellt werden. Warum dies allerdings gegen die Anwendung der Verbandsklage im Arbeitsrecht sprechen soll, ist nicht ersichtlich. Möglicherweise meint der OGH, dem Gesetzgeber des § 29 KSchG könne nicht unterstellt werden, den vom OGH zu § 54 ASGG judizierten Antragsvorrang der freiwilligen Interessenvertretung unterlaufen zu wollen. Dies kann dem Gesetzgeber angesichts der klaren Regel des § 29 KSchG allerdings sehr wohl unterstellt werden – dieser Umstand spricht aber ebenfalls nicht gegen die Verbandsklagemöglichkeit im Arbeitsrecht.

6. Die E ist nicht nur in ihrer Begründung fragwürdig, sondern auch im Ergebnis. Zum einen ignoriert sie das unterschiedliche Rechtsschutzziel von Feststellungsklagen nach § 54 ASGG und Unterlassungsklagen nach §§ 28-30 KSchG (vgl oben Pkt 2). Zum anderen steht sie auch in gewissem Widerspruch zur Entwicklung des Rechtsschutzes im Mindestentgeltbereich. Nach § 7i AVRAG erfolgt die Durchsetzung der Mindestentgeltansprüche amtswegig und bestehen hohe Verwaltungsstrafdrohungen; insoweit ist das Prinzip der Anspruchsdurchsetzung durch den Einzelnen der amtswegigen Anspruchsverfolgung gewichen und das Arbeitsvertragsrecht von der Rechtsdurchsetzung her stark dem öffentlichen Recht angenähert. Zugleich soll aber nach der vorliegenden E in Bezug auf andere Arbeitsbedingungen nicht einmal das für den Privatrechtsverkehr zugeschnittene Rechtsschutzinstrument der Verbandsklage zur Verfügung stehen.549