BertkeZur Zulässigkeit von Sympathiestreiks – Eine rechtsdogmatische Betrachtung

Nomos Verlag, Baden-Baden 2014 308 Seiten, broschiert, € 79,–

ELISABETHKOHLBACHER (WIEN)

Beim vorliegenden Buch handelt es sich um die Publikation der von Anne-Kathrin Bertke an der Bucerius Law School – Hochschule für Rechtswissenschaft – im Sommertrimester 2013 in Hamburg vorgelegten Dissertation. Ziel ist die Untersuchung der Argumentationslinie des BAG, in der das Gericht die in der Bundesrepublik Deutschland zulässigen Arbeitskampfmittel um den Sympathiestreik erweitert hat, in Hinblick auf ihre Überzeugungskraft sowie ihre verfassungsmäßige Tragfähigkeit. Gleich vorweg sei festgehalten, dass Bertke zwar den grundsätzlichen abwehrrechtlichen Schutz von Sympathiestreiks als vom weiten Schutzbereich der Koalitionsfreiheit erfasst sieht und damit für zulässig erachtet. Werden Sympathiestreiks durch staatliche Maßnahmen beschränkt, bedürfe dieser Eingriff daher einer Rechtfertigung. Werden hingegen privatautonom eingegangene Beschränkungen des Rechts zum Sympathiestreik und tarif- und arbeitsvertragliches Leistungsstörungsrecht gerichtlich durchgesetzt, soll dies keinen Eingriff in die Koalitionsfreiheit darstellen; dies selbst dann, wenn hierdurch Sympathiestreiks im Privatrechtsverhältnis sanktioniert werden. Eine Absage wird der Ansicht des BAG erteilt, wonach Sympathiestreiks mit der tarifvertraglichen relativen Friedenspflicht vereinbar sein sollen. MaW: Nach Bertke begründen Sympathiestreiks aufgrund der relativen Friedenspflicht einen Vertragsverstoß, der Unterlassungs- und Schadenersatzansprüche mit sich bringt. Aus arbeitsvertraglicher 567Sicht soll dennoch ein gewisser Schutz von Sympathiestreiks bestehen, und zwar durch „Grundrechtsausgestaltung“ zur Umsetzung der aus der Koalitionsfreiheit entspringenden verfassungsrechtlichen Schutzpflicht in Hinblick auf den Sympathiestreik. Diese „Grundrechtsausgestaltung“ soll in Grenzen einerseits durch die Rsp, andererseits durch die Legislative zulässig bzw sogar geboten sein.

Bereits diese Zusammenfassung der Ergebnisse macht deutlich, in welcher Detailliertheit sich Rsp und Lehre in der Bundesrepublik Deutschland im Vergleich zu ihren österreichischen Pendants mit dem Arbeitskampfrecht sowohl im Allgemeinen als auch im Detail auseinandersetzen. Dies mag zwar auch an der weitaus höheren Anzahl an Streiktagen pro Jahr (2013: 149.584 Tage in Deutschland, bei rund 29,3 Mio unselbständig Beschäftigten; 3.277 Tage in Österreich, bei rund 3,5 Mio unselbständig Beschäftigten) liegen. Durch die weitgehend fehlende Befassung mit grundsätzlichen Fragen des Arbeitskampfrechts entsteht jedoch ein massives Rechtssicherheitsdefizit (siehe dazu nur die in den Medien vorgebrachten unterschiedlichen Meinungen iZm den Streikmaßnahmen bei der KBA Mödling im Februar 2014, http://diepresse.com/home/wirtschaft/ recht/1559761/KBAModling_Darf-man-streikende-Mitarbeiter-fristlos-entlassen 8.7.2015). Umso erfreulicher ist es, dass etwa mit Werken wie jenem von Krejci (Recht auf Streik – Ein Paradigmenwechsel mit Folgen im Arbeitskampfrecht Österreichs [2015]) Bewegung in die Debatte kommt.

Aber zurück zu Bertke: Der Autorin gelingt es zunächst, sowohl Judikatur als auch Literatur zum Sympathiestreik in Deutschland übersichtlich darzustellen. Dies ist vor allem für den nicht im Detail mit der Debatte in der Bundesrepublik Deutschland Vertrauten gewinnbringend, mag auch eine Auseinandersetzung mit dem Gehalt von Art 28 GRC fehlen (ausführlich hierzu etwa Sagan, Das Gemeinschaftsgrundrecht auf Kollektivmaßnahmen [2007] 168 ff). Auch die detaillierte Befassung mit dem Urteil des BAG vom 19.6.2007, 1 AZR 396/06, mit dem das BAG erstmals und in Abkehr von seiner bisherigen Judikatur die grundsätzliche Zulässigkeit von Sympathiestreiks anerkannt hat, ist hervorzuheben. Von Interesse ist dabei insb das Zusammenspiel der Judikatur von BAG und BVerfG. (Erst) durch den klarstellenden Beschluss des BVerfG „Mitgliederwerbung im Betrieb II“ (1 BvR 601/92), in dem der Schutzbereich des Art 9 Abs 3 GG als umfassend qualifiziert wurde, konnte auch das BAG eine Änderung in seiner Rsp vollziehen. Hierdurch haben sowohl BVerfG als auch BAG die jüngste EGMR-Judikatur bereits vorweggenommen. Im Urteil in der Rs RMT/VK (8.4.2014, Bsw Nr 31045/10) hat der EGMR den Sympathiestreik als grundsätzlich von Art 11 EMRK geschützt anerkannt, mag auch in concreto das britische Verbot von Sympathiestreiks zulässig, weil in einer demokratischen Gesellschaft zum Schutz der Freiheiten anderer und im Interesse der Aufrechterhaltung der Ordnung erforderlich und verhältnismäßig gewesen sein.

Die weiteren Ausführungen Bertkes unterstreichen die große Bedeutung der Grundrechte und die Notwendigkeit der eingehenden Befassung mit den diesbezüglichen grundlegenden Theorien (Stichwort Abwehrrecht, staatliche Schutzpflichten) im Arbeitsrecht. Wenn sich Bertke für eine gesetzliche Regelung des Sympathiestreiks lediglich in Ausnahmefällen ausspricht, wird hierdurch zumindest implizit auch die generelle Frage der Konstitutionalisierung von Arbeitsbeziehungen (siehe hierzu etwa Arthurs, The Constitutionalization of Employment Relations: Multiple Models, Pernicious Problems, Social & Legal Studies 19 [4] 2010, 403-422) angesprochen. Klargestellt wird jedenfalls, dass durch die Koalitionsfreiheit Verhandlungen zwischen den Koalitionen über angemessene Arbeitsbedingungen frei von staatlicher Beeinflussung geschützt werden, der Staat also insofern zu Neutralität verpflichtet ist. Lediglich bei einer offensichtlichen Paritätsstörung soll Bertke zufolge eine staatliche Intervention in den Arbeitskampf zulässig sein.

Zusammengefasst kann das vorliegende Buch all jenen wärmstens empfohlen werden, die ihren Horizont über die österreichische Arbeitskampfrechtsdoktrin hinaus zu erweitern gedenken; dies kann für den akademischen Diskurs nur belebend sein.