Pfeil/Prantner (Hrsg)Krankenversicherung zwischen Leistungsanspruch und Selbstbestimmung der Versicherten
Manz Verlag, Wien 2015, XII, 98 Seiten, broschiert, € 22,80
Pfeil/Prantner (Hrsg)Krankenversicherung zwischen Leistungsanspruch und Selbstbestimmung der Versicherten
Der vorliegende Sammelband ist das Ergebnis des achten wissenschaftlichen Symposiums des Bereichsteils Arbeitsrecht und Sozialrecht des Fachbereichs Arbeits-, Wirtschafts- und Europarecht sowie des (damaligen) Schwerpunkts (inzwischen WissensNetzwerk) Recht, Wirtschaft und Arbeitswelt der Universität Salzburg in Kooperation mit der SV-Wissenschaft – Forschung & Lehre der österreichischen Sozialversicherung zu aktuellen Fragen des Sozialversicherungsrechts. Im Mittelpunkt steht die sehr aktuelle Frage, welchen Stellenwert Selbstbestimmung und Gesundheitskompetenz des/der Einzelnen derzeit im Rahmen des Gesundheitssystems und der gesetzlichen KV haben und welchen Stellenwert sie in Zukunft haben sollen. Dieses Thema wird aus rechtlicher, gesundheitspolitischer sowie gesundheitsökonomischer Sicht abgehandelt und durch Einblicke in die Praxis der PatientInnenvertretungen, PatientInnen- und Pflegeanwaltschaft sowie der KV abgerundet.
Robert Rebhahn hat einen Beitrag zum Thema „Krankenversicherung zwischen Leistungsanspruch und Selbstbestimmung“ verfasst, der sowohl Aspekte des Verfassungsrechts, des Unionsrechts und der Ethik enthält (S 1-25). Er widmet sich dabei fünf Problemfeldern: den Grenzen der Selbstbestimmung bei der Wahl der Leistungserbringer und Behandlungsmethoden, den Wahlmöglichkeiten beim Leistungsprogramm und damit den Wahltarifen, der informationellen Selbstbestimmung der Versicherten sowie den finanziellen Folgen für die Versicherten bei individueller Risikoerhöhung und generell bei der Inanspruchnahme von Leistungen. Dabei gelangt der Autor zum Ergebnis, dass die Konfrontation von Selbstbestimmung und sozialer KV in zwei Richtungen führen kann: Zum einen zu mehr Wahlrechten der Versicherten und zum anderen zu mehr Verantwortung für die Folgen eines selbstgefährdenden Verhaltens. Bezüglich der Verstärkung der Selbstbestimmung zeigt er auf, dass der Gesetzgeber über einen gewissen Gestaltungsspielraum verfügt, dem allerdings Grenzen gesetzt sind. Bei den Wahlrechten sieht Rebhahn diese Grenzen vor allem im Unionsrecht, konkret im Wettbewerbsrecht und den Freiheiten, weil zu wenig Einheitlichkeit und Kollektivismus hier leicht dazu führen könnten, dass die marktfördernden Vorschriften voll zur Anwendung gelangen. Maßvolle Erweiterungen der Wahlrechte hält er jedoch für möglich.
Mit der „Gesundheitskompetenz zur Erreichung der Gesundheitsziele“ setzt sich Stephan Fousek auseinander (S 27-32). Die Gesundheitskompetenz stellt für ihn eine entscheidende Voraussetzung für selbstbestimmtes und gesundheitsbewusstes Handeln in vielen Gesundheitsfragen dar. Erörtert werden die Gesundheitskompetenz als Gesundheitsdeterminante, das konzeptuelle Modell von Gesundheitskompetenz und die Gesundheitskompetenz im gesellschaftlichen Kontext. Darüber hinaus geht der Autor darauf ein, dass „Die Gesundheitskompetenz der Bevölkerung stärken“ eines der zehn bereits beschlossenen Rahmen-Gesundheitsziele ist und gibt auch einen Ausblick auf die geplante Umsetzung der erarbeiteten Maßnahmen.
Der anschließende Beitrag von Susanne Auer-Mayer ist den Grenzen der Mitwirkungspflicht der Versicherten gewidmet (S 33-56). Dabei geht es um die Frage, auf Basis welcher Rechtsgrundlagen und in welchem Ausmaß Versicherte (unmittelbar oder mittelbar) zur Vornahme oder Duldung bestimmter Maßnahmen im Zusammenhang mit ihrer Gesundheit verpflichtet sind. Zu Beginn werden die ausdrücklich gesetzlich geregelten Fälle von Mitwirkungsobliegenheiten erörtert, wobei eine Differenzierung zwischen Untersuchungspflichten, Verpflichtungen zur Durchführung bzw Duldung medizinischer Behandlungen und sonstigen „gesundheitsbezogenen“ Verpflichtungen vorgenommen wird. Anschließend wird der Frage nachgegangen, ob und auf welcher Grundlage auch über diese ausdrücklich geregelten Fälle hinaus eine Mitwirkungspflicht angenommen bzw unterlassene Mitwirkung der Versicherten durch die Sozialversicherungsträger sanktioniert werden kann. Schließlich wird auch darauf eingegangen, welche Maßnahmen im Einzelfall unter welchen Voraussetzungen in Anspruch genommen bzw geduldet werden müssen.
Der Beitrag von Guido Offermanns hat den Titel „Neue Steuerungsinstrumente im Gesundheitssystem unter Berücksichtigung von Primary Care“ (S 57-77). Erörtert werden die neuen Herausforderungen im Kontext der Steuerungsproblematik, das Prozessmanagement als Schlüssel zur Umsetzung der neuen Konzepte sowie die Leistungserbringung in Ärztenetzen und Gruppenpraxen mit Fallpauschalen. Am Beispiel von sogenannten Ärztenetzen in Kombination mit Gruppenpraxen zur Stärkung der hausärztlichen bzw ambulanten Versorgung (Primary Care) wird gezeigt, dass es möglich ist, die Qualität und Effektivität der Leistungen durch abgestimmte Versorgung zu verbessern und gleichzeitig durch Hebung von Effizienzpotenzialen die Kosten zu senken. Dabei erachtet es der Autor für entscheidend, ein funktionierendes Honorarmodell mit den vorgestellten Versorgungsstrukturen zu verbinden.
Mit ihrem Beitrag „Rechte von Patienten und Patientinnen. Selbstbestimmung/Vertretungsbefugnisse“ geben Sigrid Pilz und Renate Griebl einen all-572gemeinen Überblick über die wichtigsten PatientInnenrechte (S 79-85). Es geht dabei um das Recht auf Behandlung nach dem aktuellen Stand der Medizin, die Behandlungspflicht in Akutsituationen, das Recht auf PatientInnenaufklärung, das Recht, die Krankenanstalt bzw den Arzt frei zu wählen, das Recht auf Einsicht in die Krankengeschichte, das Recht auf Ausstellung eines PatientInnenbriefes bei Entlassung, das Recht auf vorzeitige Entlassung, das Recht auf ausreichende Wahrung der Privatsphäre sowie auf Besuchs- und Kontaktmöglichkeiten, das Recht auf seelsorgerische und psychologische Unterstützung sowie das Recht, einer Organentnahme zu widersprechen. Darüber hinaus wird die Rolle der PatientInnenvertretungen und PatientInnen- und Pflegeanwaltschaften in den Bundesländern – etwa im Falle einer vermuteten Fehlbehandlung – erörtert und auf die PatientInnenverfügung und die Vertretungsbefugnisse eingegangen.
Der Titel des abschließenden, von Thomas Neumann verfassten Beitrags lautet „Modelle der Sozialversicherung zur Stützung der Eigenverantwortung“ (S 87-97). Der Autor zeigt Modelle der SV auf, die auf das Verhalten des Einzelnen abstellen. Anhand dieser Modelle wird dargelegt, dass Anreize das Verhalten der Versicherten beeinflussen können. Dazu verweist Neumann auf das Bonusprogramm der Techniker Krankenkasse sowie auf das von der Sozialversicherungsanstalt im Jänner 2012 bundesweit eingeführte Vorsorgeprogramm „Selbständig gesund“. Das Programm „Selbständig gesund“ trage als Präventionsprogramm dazu bei, das Verantwortungsgefühl für die eigene Gesundheit zu stärken, die Gesundheit dadurch zu verbessern und länger zu erhalten. Zusammenfassend hält der Autor fest, dass sich gezeigt hat, dass Anreizmodelle in der SV wesentlich zur Stützung der Eigenverantwortung für die Gesundheit beitragen können, indem die durch diese bewirkte Teilnahme an gesundheitsfördernden Programmen starke Zuwächse ausweist. Anreizmodelle seien innovative Möglichkeiten, Verhaltensänderungen innerhalb von Solidarsystemen zu bewirken, ohne an den Grundfesten der sozialen Sicherheit zu rütteln.