ScholzMarktzugang im ambulanten Gesundheitswesen

Verlag Österreich, Wien 2014, 290 Seiten, broschiert, € 75,–

CHARLOTTEREIFF (WIEN)

Die Allokation im Gesundheitswesen ist vor dem Hintergrund möglicher Qualitätseinbußen aufgrund von Mittelknappheit bei der medizinischen Versorgung höchst aktuell und relevant. Dabei ergeben sich Fragestellungen in Zusammenhang mit legitimen Ansprüchen, fairer Verteilung und staatlicher Verteilungsverwaltung, die eine Diskussion um die Grenzen einer solidarischen Finanzierung bzw letztlich sozialer Gerechtigkeit unumgänglich machen. Während die Thematik hinsichtlich einiger Aspekte von Literatur und Rsp bereits aufgegriffen wurde – etwa die Zulässigkeit nationaler Bedarfsprüfungsvorschriften in Zusammenhang mit dem Hartlauer-Urteil, EuGH 10.3.2009, C-169/07 –, will dieses Buch einen juristischen Beitrag zu den speziellen Fragen des Marktzugangs im ambulanten Gesundheitswesen liefern.

Das Werk von Sebastian Scholz wurde an der Wirtschaftsuniversität Wien als Dissertation approbiert und ist 2014 in den Schriften zum österreichischen und europäischen öffentlichen Recht erschienen. Ziel des Autors war es, eine umfassende monografische Untersuchung von marktzugangsbezogenen Verknappungsund Verteilungsentscheidungen im österreichischen ambulanten Gesundheitswesen vorzunehmen und aus verwaltungs-, verfassungs- und EU-rechtlicher Perspektive zu analysieren. Der Fokus liegt dabei auf Verknappung und Verteilung in den Bereichen niedergelassener ÄrztInnen, Gruppenpraxen und Ambulatorien, wobei die Erwerbsantrittsrechte und der Zugang zum Kassenvertragssystem im Vordergrund stehen. Diese Schwerpunktsetzung ergibt sich vor allem durch die grundlegende Novellierung der Rechtslage durch das „Bundesgesetz zur Stärkung der ambulanten öffentlichen Gesundheitsversorgung“ (BGBl I 2010/61), die im Bereich des ambulanten Gesundheitssektors zu Bedarfsprüfungen und Festlegung von Bedarfsermittlungskriterien geführt hat.

Nach einer Einführung, in der der Autor Probleme in Zusammenhang mit Güterknappheit, staatlicher Verteilungsverwaltung und die Rahmenbedingungen von Marktzugangsbeschränkungen aufzeigt, widmet er sich den „Grundlagen der ambulanten ärztlichen Gesundheitsversorgung“. Dieses Kapitel bietet einen Überblick über die Rechtslage, Begriffe und Strukturen und enthält beispielsweise auch einen Abschnitt über die praxisrelevante Frage nach der Abgrenzung zwischen Ambulatorien und Gruppenpraxen. In den folgenden zwei großen Kapiteln werden dann die eigentlichen Rechtsfragen behandelt, betreffend den Marktzugang von niedergelassenen ÄrztInnen, Ambulatorien und Gruppenpraxen.

Scholz wendet sich zuerst den wesentlichen Charakteristika der Verknappung und Verteilung von Erwerbsantrittsrechten zu. Er stellt die Voraussetzungen und das Verfahren für die bedarfsabhängige Zulassung dar und weist auf Probleme des derzeitigen Regimes hin. Ein Beispiel, das in der Lehre als umstritten gilt, ist etwa die Frage nach der Bedarfsprüfung im Falle einer wesentlichen Änderung des Leistungsangebots einer Gruppenpraxis. Hier ergibt sich durch eine Übergangsbestimmung (§ 230 Abs 3 ÄrzteG, § 71a Abs 3 ZÄG) eine Spannung zwischen bereits am Markt etablierter Gesundheitsdienstleister und neuen MarktteilnehmerInnen, wenn man annimmt, dass eine „Alt- Gruppenpraxis“ freie Umgestaltungsmöglichkeiten in ihrem Leistungsangebot hat, während neu geschaffene Gruppenpraxen sich einem Zulassungsregime unterwerfen müssen. Scholz spricht sich an dieser Stelle für die Bedarfsprüfung auch bei „Alt-Gruppenpraxen“ aus, sofern sie eine wesentliche Änderung des Leistungsangebots vornehmen und fügt der bisher bestehenden Argumentation auch eine verfassungsrechtliche Begründung hinzu (S 66).

Neben dem Marktzugang betrachtet der Autor auch mögliche Arten von Konkurrenzverhältnissen und Verteilungskonflikte. In diesem Bereich – beispielsweise bei Konflikten zwischen BewerberInnen um dieselbe oder verschiedenartige Konzessionen – gibt es kaum explizite Vorschriften und Scholz arbeitet Verteilungskri-573terien aus, die sich aus der Judikatur und bestehenden Vorschriften im Auslegungsweg ergeben (S 100 ff).

Einen großen Teil nimmt die verfassungs- und EU-rechtliche Bewertung ein, bei der Scholz die im Verwaltungsrecht einfachgesetzlich vorgenommenen Verknappungs- und Verteilungsentscheidungen ausführlich prüft. Als relevante Problemfelder diskutiert der Autor dabei ua die Zulässigkeit der Begrenzung der Zahl der GesundheitsdienstleisterInnen, die Zulässigkeit des Konkurrenzschutzes bestehender GesundheitsdienstleisterInnen, die Zulässigkeit der Verteilungskriterien sowie das Fehlen expliziter Vorschriften über die Verteilung knapper Erwerbsantrittsrechte. Interessant sind in diesem Zusammenhang etwa die Frage nach der Zulässigkeit des mit der Bedarfsprüfung einhergehenden Konkurrenzschutzes zugunsten von Wahlärzten und -einrichtungen und die Übereinstimmung der Reglementierung mit Verfassungs- und EU-rechtsvorgaben. Die erhebliche Erweiterung des Kreises der durch die Bedarfsprüfung geschützten ÄrztInnen und Einrichtungen, die in Reaktion auf das Hartlauer-Urteil 2010 mit der Novelle BGBl I 2010/61 eingeführt wurde, sieht der Autor kritisch. Denn während ihm der Konkurrenzschutz für bestehende Kassenvertragspartner und kasseneigene Einrichtungen zulässig erscheint, befindet er den Konkurrenzschutz zugunsten bestehender Wahlleistungserbringer als unzulässig, sowohl wegen Verstoßes gegen die Erwerbsfreiheit und den Gleichheitssatz als auch wegen Unionsrechtswidrigkeit (S 157).

Im vierten Teil des Buches wird die Verknappung und Verteilung des Zugangs zum Kassenvertragssystem behandelt. Thematisch konzentriert sich Scholz auf das sozialversicherungsrechtliche Verteilungsregime und die Rolle des Vergaberechts in diesem Zusammenhang. Hervorzuheben sind seine Ausführungen zur inhaltlichen Bewertung der im Rahmen der Kassenvertragsvergabe vom Krankenversicherungsträger zu berücksichtigen Auswahlkriterien aus grundrechtlicher und unionsrechtlicher Perspektive. So qualifiziert er solche Kriterien als problematisch, die nicht mit der fachlichen Qualifikation der BewerberInnen in Zusammenhang stehen – etwa die Berücksichtigung von Wartezeiten auf einen Kassenvertrag oder die aus unionsrechtlicher Perspektive fragwürdige Zulässigkeit der Altersgrenze für VertragsärztInnen (S 198 ff, 209 ff).

Im Rahmen der verfassungs- und EU-rechtlichen Bewertung geht der Autor schließlich auch auf die Frage nach der Vereinbarkeit des Kassenvertragssystems mit dem EU-Beihilfenrecht ein. Neben der Darstellung des beihilfenrechtlichen Rahmens wird ua auch die Unternehmereigenschaft von Kassenvertragspartnern iSd Beihilfenrechts diskutiert. Scholz legt die Argumentationsweisen der Lehre, der Rsp und auch der Kommission gründlich dar und bejaht mit nachvollziehbarer Begründung die Unternehmereigenschaft von Kassenvertragspartnern – auch in Bezug auf ihre kassenärztlichen Leistungen (S 225 f). In den „zusammenführenden Überlegungen“ findet sich zum Abschluss ein kompakter Überblick über wichtige Thesen und Erkenntnisse der Arbeit.

Das Werk richtet sich vornehmlich an WissenschaftlerInnen und PraktikerInnen aus dem Medizinrecht und öffentlichen Recht – sozialpolitisch interessierte ArbeitsrechtlerInnen können jedoch einen ausführlichen Einblick in Fragestellungen rund um das ambulante Gesundheitswesen erlangen. Es lässt sich abschließend festhalten, dass diese umfassende Untersuchung von marktzugangsbezogenen Verknappungs- und Verteilungsentscheidungen im österreichischen ambulanten Gesundheitswesen die Diskussion zu bereichern vermag.