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Vertragsarzt in anderem Fach Wahlarzt?

MARKUSKLETTER (SALZBURG)
§§ 131 Abs 1 und 2, 338 Abs 1, 342 Abs 1, 2, 2a, 343 Abs 1, 345 (aufgehoben durch BGBl I 2013/130BGBl I 2013/130) ASVG; § 31 Abs 1 und 2 ÄrzteG
VfGH 20.2.2015 B 495/2013LBK Stmk2/2012 18.12.2012PSK Stmk1/2012 9.5.2012

Die (vorfrageweise) Auslegung des Gesamtvertrages durch die Landesberufungskommission, einem Vertragsarzt für Allgemeinmedizin sei es nicht verboten, außerhalb der im Einzelvertrag festgelegten Ordinationszeiten Versicherte in seinem Zweitfach Gynäkologie gegen Privathonorar zu behandeln, verletzt keine verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte.

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Die beteiligte Partei ist seit 1.2.1998 als Arzt für Allgemeinmedizin und seit 1.10.2002 als Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe ordnungsgemäß in der Liste der Österreichischen Ärztekammer eingetragen und hat seine ärztliche Tätigkeit zunächst als Wahlarzt ausgeübt. Mit Wirksamkeit ab 1.7.2011 schloss die beteiligte Partei mit der beschwerdeführenden Partei, der Steiermärkischen Gebietskrankenkasse (GKK), einen Einzelvertrag für eine Kassenplanstelle als Arzt für Allgemeinmedizin ab. In diesem Einzelvertrag ist festgehalten, dass der Vertrag auf der Grundlage der Bestimmungen des Gesamtvertrages vom 1.7.1993 abgeschlossen wurde und die beteiligte Partei den Inhalt des Gesamtvertrages samt der geltenden Sonder- und Zusatzvereinbarungen zur Kenntnis genommen habe. Die Tätigkeit als Wahlarzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe übte die beteiligte Partei weiterhin aus und stellte Honorarnoten an ihre Patientinnen. Diese reichten die Honorarnoten bei der beschwerdeführenden Partei zur Refundierung ein.

2. Mit Antrag vom 11.1.2012 an die Paritätische Schiedskommission für das Land Steiermark begehrte die beschwerdeführende Partei die Feststellung, dass

„1) die Privathonorarforderung des Antragsgegners einen Vertragsverstoß darstelle und2) der Antragsgegner es künftig zu unterlassen hat, für Leistungen der Krankenbehandlung Privathonorare an Versicherte zu stellen“.

Die beschwerdeführende GKK legte ihrem Antrag folgenden Sachverhalt zugrunde:

[...] Insgesamt hätten 21 Versicherte die von ihnen bezahlten Honorarnoten bei der beschwerdeführenden Partei zur Kostenerstattung gem § 131 Abs 1 ASVG mit der Begründung eingereicht, den Beteiligten als Wahlfacharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe in Anspruch genommen zu haben. Von den auf den Honorarnoten angegebenen Leistungen sei laut der Honorarordnung für Vertragsärzte lediglich die Position 340 (Kolposkopie) und Position 353 (Gynäkologischer Ultraschall) den Fachärzten für Frauenheilkunde und Geburtshilfe vorbehalten, die anderen Leistungspositionen (Ordination, Blutentnahme aus der Vene, Therapeutische Aussprache, Abstrich zur zytologischen Untersuchung [Einsendung], Probeexcision in der Frauenheilkunde und Kürettage) stünden auch den Vertragsärzten für Allgemeinmedizin zur Verrechnung mit der Beschwerdeführerin offen. Fünf der 21 Versicherten hätten im selben Abrechnungszeitraum den Beteiligten als Vertragsarzt für Allgemeinmedizin in Anspruch genommen und in diesem Zusammenhang ihre E-card vorgelegt,

3. Mit Bescheid vom 9.5.2012 gab die Paritätische Schiedskommission für das Land Steiermark diesem Antrag statt. [...]

4. Gegen diesen Bescheid [...] erhob die beteiligte Partei Berufung an die Landesberufungskommission für das Land Steiermark, in der sie vorbrachte, dass weder der Einzel- noch der Gesamtvertrag eine Tätigkeit in einem zweiten, nicht den Kassenvertrag betreffenden Fachgebiet verbiete. Eine Einschränkung der ärztlichen Tätigkeit auf Allgemeinmedizin widerspreche dem Grundsatz der Erwerbsfreiheit und verletze das Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz. Die Landesberufungskommission gab der Berufung Folge und änderte den Bescheid der Paritätischen Schiedskommission dahingehend ab, dass der Antrag der beschwerdeführenden Partei abgewiesen wurde. Begründend führte die Landesberufungskommission aus:

„Das gegenständliche Verfahren reduziert sich im Wesentlichen auf die Frage, ob ein Vertragsarzt für Allgemeinmedizin neben dieser Tätigkeit im Rahmen seines Vertrages mit der Gebietskrankenkasse außerhalb der vereinbarten Ordinationszeiten auch als Wahlarzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe tätig werden darf und diese ärztlichen Leistungen gegenüber seinen Patientinnen auch verrechnen darf. Dazu ist vorweg festzuhalten, dass weder der zwischen den Streitteilen [abgeschlossene] Einzelvertrag noch der Gesamtvertrag, der durch Vereinbarung Gegenstand des Einzelvertrages wurde, dazu eine konkrete Aussage trifft. Im Einzelvertrag ist lediglich unter § 4 geregelt, dass sich die Rechte und Pflichten des Einzelvertrages aus dem Gesamtvertrag, aus den in Hinkunft abgeschlossenen Zusatzvereinbarungen und aus dem Einzelvertrag ergeben. In § 2 wird vereinbart, dass die vertragsärztliche Tätigkeit in der Eigenschaft als Arzt für Allgemeinmedizin ausgeübt wird. Wie die vertragsärztliche515 Tätigkeit ausgestaltet wird ergibt sich aus § 10 des Gesamtvertrages [...].Die Landesberufungskommission folgt der Rechtsansicht der Paritätischen Schiedskommission für das Land Steiermark, dass ein Vertragsarzt nicht zugleich auch von den Versicherten als Wahlarzt in Anspruch genommen werden kann. Diese Rechtsansicht wird in der Literatur und Judikatur überwiegend anerkannt und in zahlreichen Entscheidungen zitiert (vgl dazu die bekämpfte Entscheidung). Im Anlassfall lässt sich aber aus dieser Rechtsansicht insofern [nichts] gewinnen, weil – soweit überblickbar – sowohl in der Literatur und als auch in der Judikatur lediglich der Fall behandelt worden ist, dass der betreffende Vertragspartner in derselben Fachrichtung tätig geworden ist und nicht wie der Berufungswerber in einem anderen Fachgebiet. Voraussetzung dafür, dass die Antragstellerin mit ihrem Begehren durchdringen kann, ist aber, dass der Berufungswerber gegen den Vertrag verstößt, wenn er Wahlarztrechnungen ausstellt. Im Sinne der obigen Ausführungen würde er jedenfalls gegen den Vertrag verstoßen, wenn er Wahlarztrechnungen im Fachgebiet der Allgemeinmedizin ausstellen würde. Der Berufungswerber hat aber lediglich Honorarnoten für Leistungen als Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe gelegt, weshalb ein Vertragsverstoß nicht festgestellt werden konnte.Wie die Antragstellerin aber richtig ausführt und von den Parteien auch als unstrittig angesehen wurde, erbringen Allgemeinmediziner und Fachärzte für Frauenheilkunde und Geburtshilfe aber Leistungen, die von beiden Fachgebieten verrechnet werden können. Dies betrifft z.B. die Pos. 015 Ordination, Pos. 101 Blutabnahme aus der Vene usw. Der Berufungswerber hat als Wahlarzt z.B. auch die Pos. 340 Kolposkopie verzeichnet, welche ausschließlich die Fachärzte für Frauenheilkunde und Geburtshilfe verzeichnen können. Die Antragstellerin hat in diesem Zusammenhang die Behauptung aufgestellt, der Berufungswerber dürfe zwar in der Ausübung seines Berufes als Facharzt nicht eingeschränkt werden, dürfe auch die im Rahmen der Facharztbehandlung erbrachten Leistungen als Vertragsarzt direkt verrechnen, dürfe aber jene Positionen, die ausschließlich den Fachärzten für Gynäkologie vorbehalten wären, nicht verzeichnen. Das würde zu dem Ergebnis führen, dass der Berufungswerber zwar als Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe ordinieren dürfe, er aber nicht seine gesamten Leistungen abgegolten bekommen würde. Diese Ansicht würde zu dem Ergebnis führen, dass der Berufungswerber entweder für eine Kolposkopie seine Patientin zu einem Vertragsarzt überweisen müsste, oder die Leistung ohne Abgeltung selber erbringen könnte. Dazu hat der Senat erwogen:Ärztliche Leistungen werden zwar nach einzelnen Verrechnungspositionen abgerechnet, sind aber nicht aus ihrer Gesamtheit herauszulösen. Das heißt, wird ein Vertragspartner z.B. als Allgemeinmediziner in Anspruch genommen, dann ist seine Leistung als Gesamtheit zu betrachten. Je nach Umfang der Leistung werden mit der Antragstellerin dann direkt die einzelnen Leistungsbestandteile in Positionen abgerechnet. In der Gesamtheit wird aber immer ein einzelner Arztbesuch (wenn auch quartalsmäßig) mit der Antragstellerin abgerechnet. Dabei liegt es schon in der Natur der Leistung, dass auch ein Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe überschneidende Leistungen (z.B. Blutabnahme) zu einem Allgemeinmediziner erbringt. Trotzdem hat dabei der Facharzt nicht eine Leistung als Allgemeinmediziner erbracht, sondern im Rahmen seiner Facharztordination eine Leistung erbracht, die zumindest teilweise auch ein Allgemeinmediziner abrechnen darf. Eine Aufsplittung der Leistung des Facharztes in jenen überschneidenden Fällen ist nicht vorgesehen und auch nicht zielführend. Die ärztliche Leistung ist immer als Gesamtheit zu sehen.Wenn der Antragsteller als Facharzt konsultiert wird, dann hat er auch jene Leistungen zu erbringen, die er im Rahmen seiner Facharzttätigkeit auch ausüben darf und die sich unter Umständen mit dem Fachgebiet des Allgemeinmediziners überschneiden. Trotzdem erbringt er diese Leistungen als Wahlarzt außerhalb der Vertragsverpflichtung zur Antragstellerin. Jene Positionen, die sich bei dieser Tätigkeit überschneiden, nun in den Kassenvertrag hinein zu loben, ist daher unzulässig. Weil der Berufungswerber diese Leistungen außerhalb seiner Vertragsverpflichtung zur Antragstellerin in Übereinstimmung mit dem Ärztegesetz als Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe erbringt und, wie oben ausgeführt, kein Vertragsverstoß vorliegt, ist er auch berechtigt, diese Leistungen direkt mit seinen Patientinnen abzurechnen. In welcher Form die Patientinnen des Antragstellers berechtigt sind, diese Honorarnoten bei der Antragstellerin geltend zu machen, ist nicht Gegenstand dieses Verfahrens.“

5. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art 144 B-VG in der bis zum Ablauf des 31.12.2013 geltenden Fassung gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, insb auf Freiheit der Erwerbsbetätigung, auf Gleichheit vor dem Gesetz sowie im Recht auf ein faires Verfahren gem Art 6 EMRK behauptet wird. Auf das Wesentliche zusammengefasst argumentiert die beschwerdeführende GKK, dass sich der Vertragsarzt durch die Akzeptanz des Gesamtvertrages den in den Sozialversicherungsgesetzen vorgesehenen Steuerungsmechanismen unterworfen habe, welche notwendig seien, um eine flächendeckende, qualitativ hochwertige und wirtschaftliche Leistungserbringung sicherzustellen. Der Beteiligte dürfe als Allgemeinmediziner auf Grund vertraglicher Verrechnungsbeschränkungen keine Leistungen, zu deren Verrechnung er im Rahmen des Kassenvertrages berechtigt wäre, als Wahlarzt im Fachgebiet Frauenheilkunde und Geburtshilfe verrechnen und schon gar nicht Leistungen, die außerhalb des Vertragsbereiches lägen, erbringen oder verrechnen, da damit die Ziele des Gesamtvertrages unterlaufen würden und das Sachleistungsprinzip ernstlich gefährdet wäre. Unter Hinweis auf die E des OGH zu 10 ObS 403/98g (ein516 Facharzt für Urologie, der Vertragsarzt war, erstellte als Wahlarzt eine PSA-Wertbestimmung, die den Fachärzten für medizinisch-chemische Laboration vorbehalten sei) führt die beschwerdeführende Partei aus, dass es keinen Unterschied mache, ob ein Vertragsarzt im vom Kassenvertrag erfassten Fachgebiet oder in einem Zweitfach als Wahlarzt tätig werde und private Honorarforderungen stelle. Beide Fälle stellten einen Vertragsverstoß dar. Zu berücksichtigen sei auch der Schutz und das Wohl der Patienten. Der Vertragsarzt dürfe keinesfalls die Möglichkeit bekommen, den Versicherten durch eine „irreführende Herabsetzung der Kassenleistungen“ möglichst in die Rolle eines Privatpatienten zu drängen.

II. Rechtslage

1. (§ 131 Abs 1 und 2, § 135 Abs 1, § 338 Abs 1, § 342 Abs 1 Z 2-4, Abs 2 und 2a, § 343 Abs 1, § 345 ASVG; § 31 Abs 1 und 2 ÄrzteG) [...]

2. (§ 31 Abs 1 und 2 ÄrzteG) [...]

3. § 10 des Gesamtvertrages über kurative Leistungen, abgeschlossen zwischen der Ärztekammer für Steiermark einerseits und dem Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger für die Steiermärkische GKK und weitere Versicherungsträger, in der hier maßgeblichen Fassung lautet auszugsweise:

„§ 10Ärztliche Behandlung(1) Die vertragsärztliche Behandlung der Anspruchsberechtigten obliegt dem Vertragsarzt nach den Bestimmungen dieses Gesamtvertrages und des Einzelvertrages. Diese ärztliche Tätigkeit ist grundsätzlich durch den Vertragsarzt selbst auszuüben.Abs 2 gültig für Einzelvertragsabschlüsse bis 30.09.2013:(2) Die Krankenbehandlung muss ausreichend und zweckmäßig sein, sie darf jedoch das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Die vertragsärztliche Behandlung hat in diesem Rahmen alle Leistungen zu umfassen, die aufgrund der ärztlichen Ausbildung und der dem Vertragsarzt zu Gebote stehenden Hilfsmittel sowie zweckmäßigerweise außerhalb einer stationären Krankenhausbehandlung durchgeführt werden können. Muss ärztliche Hilfe in einem besonderen Ausmaß geleistet werden, so ist dies auf Verlangen des Versicherungsträgers vom Arzt zu begründen. [...](5) Der Anspruchsberechtigte darf während desselben Krankheitsfalles innerhalb des Abrechnungszeitraumes einen Arztwechsel nur mit Zustimmung des Versicherungsträgers, welcher den behandelnden Arzt vorher anzuhören hat, vornehmen. [...]“

4. Gem § 4 des zwischen der beschwerdeführenden GKK und der beteiligten Partei am 10.5.2011 abgeschlossenen Einzelvertrages ergeben sich die Rechte und Pflichten dieses Vertrages aus dem Gesamtvertrag, aus den in Hinkunft abgeschlossenen Zusatzvereinbarungen und aus eben diesem Einzelvertrag.

III. Erwägungen

1. Die – zulässige – Beschwerde ist nicht begründet.

2. Bedenken gegen die dem angefochtenen Bescheid zugrunde liegenden Rechtsvorschriften sind – aus der Sicht des Beschwerdefalles – nicht entstanden. [...]

3. Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz kann nach der stRsp des VfGH (zB VfSlg 10.413/1985, 14.842/1997, 15.326/1998 und 16.488/2002) nur vorliegen, wenn die angefochtene E auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn die Behörde der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn sie bei Erlassung der E Willkür geübt hat.

Angesichts der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsvorschriften und des Umstandes, dass kein Anhaltspunkt dafür besteht, dass die Behörde diesen Vorschriften fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt hat, könnte die beschwerdeführende Partei im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz nur verletzt worden sein, wenn die Behörde Willkür geübt hätte. Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt ua in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insb iVm einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 8808/1980 mwN, 14.848/1997, 15.241/1998 mwN, 16.287/2001, 16.640/2002).

3.1. Die beschwerdeführende Partei begehrte bei der Paritätischen Schiedskommission ausschließlich die allgemein gehaltene Feststellung, dass die Privathonorarforderung der beteiligten Partei einen Vertragsverstoß darstelle und die beteiligte Partei es künftig zu unterlassen habe, für Leistungen der Krankenbehandlung „Privathonorare an Versicherte“ zu stellen. Dazu hat sie der Paritätischen Schiedskommission bzw der Landesberufungskommission zur rechtlichen Beurteilung einen Sachverhalt vorgelegt, wonach der Beteiligte in 21 Fällen seiner Inanspruchnahme als Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe wahlärztliche Honorarnoten über Leistungen gelegt hätte, die zum größeren Teil auch von Allgemeinmedizinern erbracht werden dürften. Die belangte Behörde geht in diesem Zusammenhang schließlich noch davon aus, dass der Beteiligte außerhalb der mit der beschwerdeführenden Partei vereinbarten Ordinationszeiten als Facharzt tätig geworden sei.

3.2. Es wurde im Verfahren weder behauptet, dass der Beteiligte in unzulässiger Weise eine Mischpraxis führe, in der gleichzeitig sowohl Kassenals auch Privatleistungen angeboten und erbracht werden, noch, dass er die Praxis sonst auf eine Weise führe, die für Kassenpatientinnen im überschneidenden Befugnisbereich von Allgemeinmedizinern und Fachärzten für Frauenheilkunde und Geburtshilfe nicht erkennen lasse, ob der Beteiligte jeweils als Vertragsarzt für Allgemeinmedizin oder als honorarpflichtiger Wahlfacharzt für Frauenheil-517kunde und Geburtshilfe tätig werde (vgl etwa zu einem solchen Sachverhalt VwSlg 15.860A/2002).

3.3. Auf Grund der durch die Anträge der beschwerdeführenden Partei solcherart klar abgesteckten Sache (siehe oben Pkt I.3.) war von der belangten Behörde nur die Frage zu beantworten, ob ein Vertragsarzt für Allgemeinmedizin berechtigt sei, außerhalb der mit der beschwerdeführenden Partei vereinbarten Ordinationszeiten, also zeitlich getrennt von seiner Tätigkeit als Vertragsarzt, im Rahmen einer weiteren Berufsbefugnis, eine Wahlarztpraxis als Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe zu führen. Mit der Bejahung dieser Frage ergebe sich die Befugnis zur Abrechnung der erbrachten Leistungen mit den die Wahlarztpraxis aufsuchenden Patientinnen von selbst.

3.4. Nimmt eine in der gesetzlichen KV anspruchsberechtigte Person nicht die Vertragspartner (§ 338 ASVG) oder die eigenen Einrichtungen (Vertragseinrichtungen) des Versicherungsträgers in Anspruch, sondern einen freiberuflich tätigen Arzt, der zum Krankenversicherungsträger in keinem Vertragsverhältnis steht und der vom Gesetzgeber als „Wahlarzt“ bezeichnet wird, sind die Kosten der wahlärztlichen Hilfe zunächst vom Versicherten selbst zu begleichen; diesem steht sodann gegenüber dem Krankenversicherungsträger ein Anspruch auf Kostenerstattung in der Höhe des Betrages zu, der bei Inanspruchnahme eines Vertragspartners des Versicherungsträgers von diesem aufzuwenden gewesen wäre (§ 131 Abs 1 ASVG).

3.4.1. Diesen gesetzlichen Anordnungen liegt die offenkundige Absicht des Gesetzgebers zugrunde, unter Wahrung der freien Arztwahl einerseits den Versicherten jedenfalls die Inanspruchnahme der Versicherungsleistungen zu ermöglichen, ohne selbst zur Honorierung des Arztes herangezogen zu werden, ihn dadurch also zu schützen, und andererseits – auch – das Funktionieren des für diesen Zweck notwendigen Vertragsarztsystems zu gewährleisten. Daraus folgt aber, dass ein „Vertragsarzt“ nicht gleichzeitig auch als „Wahlarzt“ iSd ASVG in Anspruch genommen werden kann (VfSlg 13.286/1992).

3.4.2. Diese Auffassung hat der VfGH in VfSlg 15.787/2000 bestätigt: Nach dem Wortlaut und der systematischen Stellung des § 131 ASVG, vor allem aber nach seinem offenkundigen Zweck kann dieser E zufolge ein niedergelassener Arzt nur entweder ein Vertragsarzt (Kassenarzt) oder Wahlarzt sein. Eine Vertragsfachärztin, deren Einzelvertrag in Berücksichtigung der Anordnung des § 338 Abs 2a ASVG die Durchführung einer bestimmten Untersuchung durch diese Fachärztin nicht vorsieht, kann daher von einem Versicherten dieser GKK nicht als Wahlarzt in Anspruch genommen werden (VfSlg 13.286/1992; SSV-NF 6/41; sowie OGH 1.6.1999, 10 ObS 365/98). Der VfGH hält an dieser Rsp fest.

3.5. Die in der eingangs referierten Rsp berücksichtigten Normzwecke gebieten die Übertragung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall allerdings nicht in dieser Allgemeinheit. Denn der hier zu beurteilende Fall unterscheidet sich von den bisher entschiedenen Fällen dadurch, dass ein und derselbe Arzt zwar am selben Standort, nach den Annahmen der belangten Behörde aber zu verschiedenen Ordinationszeiten, einerseits als Allgemeinmediziner mit Einzelvertrag und andererseits (und insoweit getrennt von der vertragsärztlichen Tätigkeit als Allgemeinmediziner) als (Wahl-)Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe niedergelassen ist.

3.5.1. Die von der GKK aufgezeigte Problematik ergibt sich nämlich ganz allgemein aus dem Umstand, dass Allgemeinmediziner (vgl § 31 Abs 1 ÄrzteG) anders als Fachärzte (vgl § 31 Abs 2 ÄrzteG) nicht auf bestimmte ärztliche Tätigkeiten beschränkt sind und daher mit Fachärzten beträchtliche Überschneidungen in der Berufsbefugnis aufweisen können. Die GKK vermochte angesichts dessen aber im Verfahren nicht darzutun, dass der Gesamtvertrag oder der Einzelvertrag eine ausdrückliche Verpflichtung des Vertragsarztes enthalten, sich einer ärztlichen Tätigkeit in jedem anderen Fach, in dem er keinen Kassenvertrag besitzt, in Bezug auf sozialversicherte Personen zu enthalten.

3.5.2. Es bedeutet daher keine gehäufte Verkennung der Rechtslage, wenn die belangte Behörde aus § 10 Abs 2 des Gesamtvertrages, auf den sich die beschwerdeführende GKK ausschließlich beruft, einen so weitreichenden Eingriff in die Berufsbefugnisse des Beteiligten iSd Verbotes einer wahlärztlichen Tätigkeit in einem vertragsfremden Fach nicht zu entnehmen vermochte. [...]

ANMMERKUNG
1.
Vorgeschichte und Problemdarstellung

1.1. Als 1955 das ASVG und 1956 die kurativen Gesamtverträge entstanden, galt das ÄrzteG 1949. Danach durfte die ärztliche Tätigkeit – egal ob als Vertragsarzt oder Wahlarzt – grundsätzlich nur in einem Fach und an einem Ordinationssitz ausgeübt werden. Ausnahmen bedurften einer Bewilligung durch die Ärztekammer und waren nur möglich, wenn anders die Versorgung der Bevölkerung nicht sichergestellt war. Diese Regelung wurde ins ÄrzteG 1984 übernommen. Der VfGH hob diese (auch inkonsistenten) Beschränkungen für Fachärzte auf (1992/VfSlg 13.184; 1993/VfSlg 13.555). Die Neuregelung durch BGBl 1994/100 gilt auch für Allgemeinmediziner (VfGH 1994/VfSlg 13.826 und 1995/VfSlg 14.167 sprachen auch diesbezüglich die Verfassungswidrigkeit der außer Kraft getretenen Regelungen aus). VfSlg 13.184 verwies darauf, dass die Versorgung nicht durch das ÄrzteG, sondern durch Verträge iSd § 338 ff ASVG sicherzustellen ist. Außerdem zwinge die Fachgebietsbeschränkung die Patienten unnötigerweise (besäße doch der konsultierte Arzt die Qualifikation) zur Behandlung bei weiteren Ärzten (VfSlg 13.555).

1.2. Der VfGH erkennt in der E der Landesberufungskommission (LBK) Stmk (= SSV-NF 26/B3), dass ein Vertragsarzt in einem zweiten Fach, auf das sich sein Einzelvertrag nicht bezieht, gegen518 Privathonorar tätig sein darf, keine gehäufte Verkennung der Rechtslage. Er verwendet zwar den Terminus „Wahlarzt“, doch war die leistungsrechtliche Komponente explizit nicht Verfahrensgegenstand. Die den beiden Entscheidungen denknotwendig zugrunde liegenden Prämissen zu Umfang und Grenzen der vertragsärztlichen Tätigkeit sind mE unzutreffend und stellen, selbst wenn man nur die ganz naheliegenden Konsequenzen bedenkt, das Sachleistungssystem und die vom Gesetzgeber gewollte Trennung von Vertrags- und Wahlärzten in Frage.

1.3. Dem Rechtssetzungsakt liegt eine Interessensbewertung zugrunde, deren inhaltliche Sinnbestimmung grundsätzlich zu diesem Zeitpunkt zu fixieren ist (Schäffer, Kriterien juristischer Auslegung, in FS Rill [1995] 610). Das trifft mE ganz besonders bei der normativen Ordnung verteilungs- und interessenspolitischer Gegensätze zu. Die objektiv entstehungszeitliche Interpretation erfordert die Einbeziehung des Rechtszustandes zur Zeit der Gesetzgebung und deren Vorgeschichte, um daraus mögliche Schlüsse auf die Vorstellungen, Wertungen und Zwecke zu gewinnen (Schäffer in FS Rill 614). Sobald der Wortlaut einer Bestimmung mit der deutlichen historischen Absicht übereinstimmt, darf sich der Rechtsanwender darüber nicht hinwegsetzen (Kerschner, Wissenschaftliche Arbeitstechnik und Methodenlehre für Juristen [2014] 46 f). „Gesellschaftlicher Wertewandel“ allein rechtfertigt kein Abgehen davon, weil dies primär Aufgabe des (demokratisch legitimierten) Normsetzers und nicht des Rechtsanwenders ist.

Die verfahrensgegenständliche Auslegung des Gesamtvertrages (zu Umfang der Leistungspflicht und Honorierung der Vertragsärzte) sowie die Unterscheidung zwischen Vertrags- und Wahlärzten erfordern somit die Einbeziehung jenes Systemverständnisses, das den noch geltenden ASVG-Regelungen zugrunde lag. Wo der Gesetzgeber davon abgehen wollte, hat er dies in den Materialien auch ausgeführt (zB zum Kündigungsrecht); wo solche Hinweise fehlen, ist davon auszugehen, dass er keine Änderungen wollte, vor allem dann, wenn die grammatikalische und systematische Interpretation dem voll entspricht. Die Einbeziehung des historischen Kontextes ist im Leistungserbringungsrecht auch deshalb besonders wichtig, weil das Normenmaterial (zB im Vergleich zur BRD) eine geringe Dichte aufweist. Sich dieser Mühe nicht unterziehen zu wollen, öffnet der unzulässigen Verwirklichung subjektiver gesellschaftspolitischer Motive einzelner Rechtsanwender Tür und Tor (zu missbräuchlicher „objektiv-teleologischer Interpretation“ treffend die Anm von Kerschner in JBl 2015, 269).

1.4. Der Gesetzgeber hatte folgenden Interessenskonflikt zu lösen:

Die Ärztekammer strebt(e) die Öffnung des Zuganges zu einem Einzelvertrag für alle niedergelassenen Ärzte an, außerdem eine sowohl für den einzelnen Vertragsarzt als auch insgesamt nicht beschränkte (limitierte, gedeckelte) Honorierung nach einem taxativen Einzelleistungskatalog. Die Leistungspflicht der Vertragsärzte sollte zugleich hinaus wäre auch Vertragsärzten eine Privathonorierung erlaubt. Dem gegenüber streb(t)en die Krankenversicherungsträger eine umfassende Abdeckung der Leistungsansprüche der Versicherten durch Gesamt- und Einzelvertrag an, sowie zur Sicherung ihrer Finanzierbarkeit (Eindämmung angebotsinduzierter Nachfrage) eine Zugangsbeschränkung für Vertragsärzte und ein insgesamt gedeckeltes Honorierungssystem.

Das ASVG trifft folgende Regelungen:

a) Der Zugang wird durch Stellenpläne beschränkt. In EB und AB ausdrücklich als Ausgleich dafür vorgesehen, wird jenen Ärzten, die keinen Einzelvertrag erhalten, ein indirekter Zugang als „Wahlarzt“ zur Betreuung von Versicherten durch die Schaffung eines Kostenerstattungsanspruchs (§ 131 Abs 1) eröffnet. Einen solchen Anspruch gab es weder nach dem österreichischen Vorkriegsrecht des GSVG 1935 noch nach der deutschen Reichsversicherungsordnung (RVO), die 1939 „eingeführt“ worden war und (durch das SV-ÜG 1947 modifiziert) bis zum ASVG weiter galt. Dass ein Arzt mit Einzelvertrag auch als Wahlarzt tätig sein könnte, war daher vom Gesetzgeber sicher nicht gewollt!

b) Der leistungsrechtliche Anspruch der Versicherten soll umfassend durch die Verträge abgedeckt werden (§ 338 Abs 2); indirekt (mit Relevanz für eine systematische Interpretation) ergibt sich dies auch aus dem Fehlen leistungsrechtlicher Bestimmungen für den Fall eines bloß unvollständigen Gesamtvertrages. Dem entsprechend definiert § 10 Abs 2 des Gesamtvertrages die Leistungspflicht der Vertragsärzte umfassend.

c) Der Gesetzgeber wollte vom pauschalierten RVO-Honorierungssystem, das auf die Anzahl und Intensität der Arztkontakte nicht Rücksicht nahm, zu einer leistungsgerechteren Honorierung grundsätzlich nach Einzelleistungen übergehen (ein solches System gab es im österreichischen Vorkriegsrecht; siehe Kletter, Die Honorierung im Vertragsarztrecht, DRdA 2011, 18). Auch weil ein solches Honorierungssystem stärkere Kostensteigerungen zur Folge hat, sollen die Gesamtverträge eine Gesamtausgabenbegrenzung vorsehen, die nicht nur die Aufwendungen für Vertragsärzte, sondern auch für Kostenerstattungen umfasst (§ 342 Abs 2).

d) Festzuhalten ist (siehe mN Kletter, DRdA 2011, 19), dass sowohl im österreichischen Vorkriegsrecht als auch im RVO-System die vertragsärztliche Behandlungspflicht umfassend festgelegt und eine Privathonorierung nur dann und insoweit zulässig war, als dies durch den Gesamtvertrag bzw gemeinsame Richtlinien ausdrücklich erlaubt wurde. Die Verteilung der insgesamt zur Verfügung stehenden Honorarsumme erfolgte in den Vorgängersystemen entweder (RVO:) orientiert an Fallpauschalen oder (GSVG 1935:) entsprechend dem Anteil jedes Vertragsarztes an der Gesamtpunktezahl für Einzelleistungen, wobei der Punktwert ex post durch Teilung der Gesamthonorarsumme durch die Gesamtpunktesumme ermittelt wurde. In keinem dieser, dem ASVG vorangegangenen519 Systeme war der Umfang der vertragsärztlichen Behandlungspflicht durch die Honorarordnung begrenzt, vielmehr war Letztere nur ein Instrument zur möglichst gerechten Verteilung insgesamt begrenzter Honorarsummen auf Fachgruppen und Vertragsärzte. Nachdem die Materialien zu dieser Frage keine anderen Absichten erkennen lassen, mehr noch: Damit der umfassende Versorgungsauftrag, die Gesamtausgabenbegrenzung und die leistungsrechtlichen Bestimmungen im Einklang stehen, ist davon auszugehen, dass auch das ASVG ein solches System schaffen will.

e) Der in der Stammfassung enthaltene Auftrag zur grundsätzlich an Einzelleistungen orientierten Honorierung wurde von Schrammel zur Behauptung benützt, alles was von einem Vertragsarzt nicht als Einzelleistung mit dem Krankenversicherungsträger abgerechnet werden kann (sei es, weil dafür keine Einzelleistungsposition besteht, sei es, weil die Leistung nicht von ihm, sondern nur von anderen Vertragsärzten verrechenbar ist), dürfe gegen Privathonorar erbracht werden, wofür den Versicherten dann auch ein Kostenersatzanspruch zustünde. Die dafür vorgebrachen Argumente erweisen sich schon bei erster Prüfung als haltlos (Kletter, DRdA 2011, 20; Kletter in Pfeil, Sozialversicherungsrecht in der neuen Verwaltungsgerichtsbarkeit [in Druck] mwN), fielen aber dennoch in der Judikatur (RS0089219, RS0083858) auf fruchtbaren Boden. Dass dem spätestens mit BGBl I 2010/61 die einzige argumentative Grundlage entzogen wurde, indem der vorrangige Grundsatz einer Einzelleistungshonorierung durch gleichberechtigte Ergänzung von Pauschalmodellen in § 342 Abs 2 beseitigt wird, ist sichtlich noch nicht „angekommen“, obwohl es dazu durchaus Literatur gäbe, die die LBK Stmk offenbar nicht finden konnte (Kletter in Sonntag, ASVG3 [2012] § 342 Rz 121 ff mwN und zu Zweitfächern Rz 86 f).

Eine objektiv-entstehungszeitliche Interpretation hat somit davon auszugehen, dass die Honorarordnung nicht der Begrenzung des Umfangs der vertragsärztlichen Krankenbehandlung dient (idS nunmehr BVwG 2.12.2014, W178 2005755-1), Ärzte mit Einzelvertrag nicht auch Wahlärzte sein können und der Zweck des Sachleistungsprinzips Vertragsärzten ohne ausdrückliche Ermächtigung verbietet, von Versicherten für Krankenbehandlung ein Privathonorar zu verlangen.

2.
Zur Begründung des VfGH-Erkenntnisses

Der VfGH stützt sich zuerst auf zwei Argumente: Die wahlärztliche Tätigkeit des Vertragsarztes für Allgemeinmedizin auf dem Gebiet der Gynäkologie erfolge zwar am selben Ordinationsstandort, aber für die Patientinnen erkennbar getrennt von den im Einzelvertrag festgelegten Ordinationszeiten und die StGKK habe kein vertragliches Verbot der Tätigkeit in einem weiteren Fach nachweisen können.

Die im Einzelvertrag festgelegen Ordinationszeiten (in der Regel lediglich 20 Wochenstunden) sind allerdings nur als Mindestordinationszeiten zu verstehen, zu denen der Vertragsarzt jedenfalls in der Ordination für die Versicherten zur Verfügung stehen muss; bestimmte vertragliche Tätigkeiten (zB Vorsorgeuntersuchungen, Visiten) sollen sogar ausdrücklich außerhalb dieser Zeiten erbracht werden. Reduzierte man das Ausmaß der Leistungspflicht von Vertragsärzten nur auf diese Zeiten, wäre nicht einzusehen, warum nicht auch eine Behandlung von Versicherten im selben Fach außerhalb dieser Ordinationszeiten gegen Privathonorar zulässig sein sollte. Selbst wenn dafür im selben Fach keine Kostenerstattung gebührte, wäre damit einem Splitting – Arme-Leute-Betreuung zu den „Kassenzeiten“ und außerhalb derselben bevorzugte Betreuung gegen Privathonorar – Tür und Tor geöffnet. Dies war bereits ein Hauptthema auf dem Gmundner Medizinrechts-Kongress 2015, mit dem erklärten Ziel „mehr Geld ins System“, sprich in die Brieftaschen der Vertragsärzte zu bekommen und wäre mE der Untergang des solidarischen Sachleistungsprinzips. Daher können die (Mindest-)Ordinationszeiten des Einzelvertrages kein systemkonformes Abgrenzungskriterium von Vertrags- und „Wahl“-Leistungen sein.

Zum fehlenden Verbot: Vorweg ist es methodisch unzulässig (siehe Kerschner/Kehrer in Klang-Kommentar3, §§ 6, 7 ABGB Rz 38), wenn der VfGH dem Krankenversicherungsträger entgegenhält, er habe eine – durch seine Judikatur oder eine berufsrechtliche Änderung – erst nach Abschluss des Gesamtvertrages entstandene Möglichkeit im Gesamtvertrag nicht verboten (analog VfGHB 1295/09SozSi 2011, 94 [krit Kletter]). Bekanntlich brauchen solche Änderungen/Ergänzungen des Gesamtvertrages die Zustimmung der Ärztekammer, worin sich der Normenvertrag insb von einer Verordnung unterscheidet, mit der eine Behörde selbst zB auf eine spätere Gesetzesänderung reagieren kann. Die Ärztekammer ist aber an einer solchen Änderung nicht, sondern vielmehr an der Auflösung der Grenze zwischen Vertrags- und Wahlärzten und an Privathonorierungsmöglichkeiten für Vertragsärzte interessiert, selbst wenn dies dem vom Gesetzgeber gewollten Modell widerspricht. Letzterem läuft daher schon grundsätzlich die Eröffnung von Privathonorierungen für Krankenbehandlung im Nahbereich vertragsärztlicher Leistungserbringung zuwider. Allerdings gibt es auch kein ausdrückliches gesetzliches Verbot, im Gesamtvertrag den Vertragsärzten auch für Krankenbehandlung Privathonorierungsbereiche einzuräumen, doch kann ohne eine solche Bestimmung weder dem Gesetz noch dem Gesamtvertrag unterstellt werden, dies sei immer dann erlaubt, wenn es nicht ausdrücklich verboten wurde. Es fehlt daher nicht das Verbot, sondern die Erlaubnis!

§ 10 Abs 2 des Gesamtvertrages umschreibt den Umfang der vertragsärztlichen Leistungspflicht als jene Krankenbehandlung, die vom Vertragsarzt zweckmäßigerweise außerhalb einer stationären Behandlung aufgrund der ärztlichen Ausbildung mit den ihm zu Gebote stehenden Hilfsmitteln erbracht werden kann. Diese Bestimmung stellt nicht auf bestimmte Fachgebiete ab. Das war zur Zeit ihrer Entstehung auch kein potentieller Streitpunkt, weil sich jeder Arzt, auch wenn er520 mehrere Fächer erlernt hatte, bei der Eintragung in die Ärzteliste für eines entscheiden musste. Auch damals war es dem Arzt in aller Regel (vor allem bei Überschneidungen von eingetragenem und sonst erlerntem Fach) damit nicht verboten, Leistungen zu erbringen, die nicht vom eingetragenen Fach, wohl aber vom sonst erlernten Fach mit dem Krankenversicherungsträger als Einzelleistung abgerechnet werden konnten. Die Aufhebung der berufsrechtlichen Bestimmungen bewirkt somit nicht zwangsläufig eine Änderung der Gesamtvertragsbestimmung zum Umfang der Leistungspflicht von Vertragsärzten, weil die Gesamtvertragsbestimmung damit ja noch nicht gesetzwidrig geworden ist. § 10 Abs 2 des Gesamtvertrages gilt daher unverändert!

Man könnte mE höchstens darüber diskutieren, inwieweit diese Gesamtvertragsbestimmung gilt, wenn die Fächer so gut wie nichts miteinander zu tun haben, zB ein Facharzt für Augenheilkunde zugleich Gynäkologe ist. Völlig verfehlt ist dies aber bei sich stark überschneidenden Fächern: Wie der VwGH in 2002/10/0026 vom 27.6.2002(ebenso zu den gegenständlichen Fächern Allgemeinmedizin und Gynäkologie) richtig ausführte, ist der Allgemeinmediziner berechtigt, seine Berufstätigkeit auf allen Fachgebieten der medizinischen Wissenschaft auszuüben, also auch auf jenem der Gynäkologie (die sich insoweit zur Allgemeinmedizin als Teilmenge darstellt, in die fast sein halbes Patientengut fällt). Diese Überschneidung springt im gegenständlichen Fall auch schon dadurch ins Auge, als der Vertragsarzt für Allgemeinmedizin einige Einzelleistungen, die er mit dem Krankenversicherungsträger hätte abrechnen können, den Patientinnen privat als Gynäkologe in Rechnung stellte. Die Trennung der Leistungen nach Positionen der Honorarordnung sei nach Ansicht der LBK Stmk „nicht zielführend“, vielmehr komme es da rauf an, bei welchem Arztkontakt (als Allgemeinmediziner oder Gynäkologe) sie erbracht werden. (Zu den „Zielen“ der LBK Stmk und ihrer Vereinbarkeit mit den gesetzlichen Zielen der Verträge fehlt jeder Hinweis.) Mit dieser Argumentation könnte man jede normale Schwangerschaft, jede banale Pilzerkrankung udgl, die in den Kernbereich auch einer allgemeinmedizinischen Betreuung fallen, aus dem Vertrag hinaus ins „Wahlfach“ verschieben. Dies bedenkt die LBK mit keinem Wort, im Gegenteil: Sie spricht sich energisch dagegen aus, überschneidende Leistungen „in den Vertrag hinein zu loben“ – womit sie ihren (mE gesetzwidrigen) ordnungspolitischen Gestaltungswillen offenbart. Nicht minder drastisch wäre dies in der Kombination Allgemeinmedizin und Innere Medizin (wo die allermeisten Volkskrankheiten angesiedelt sind), könnte der Vertragsarzt für Allgemeinmedizin dem Patienten anbieten, ihn außerhalb der Mindestordinationszeiten als Internist weit besser gegen Privathonorar zu behandeln. Eine Kombination Allgemeinmedizin mit Kinderheilkunde würde es erlauben, alle Minderjährigen „aus dem Vertrag hinaus zu loben“.

Schon die Erwägung dieser ganz naheliegenden, mE für das Vertragsarztsystem fatalen Konsequenzen (eine solche Folgenberücksichtigung ist ein wichtiges methodisches Instrument rationaler Begründung!, siehe Schäffer in FS Rill 620) hätte beim VfGH den dringenden Verdacht einer gehäuften Verkennung der Rechtslage durch die LBK Stmk hervorrufen müssen, zumindest aber nachvollziehbare eigene Ausführungen verlangt. Pkt 3.5.1. bleibt aber zur Problematik überschneidender Fachgebiete unerhört nichtssagend. Pkt 3.5.2. ist wohl – vom Kopf auf die Füße gestellt – so zu verstehen, dass die Annahme der LBK Stmk nicht unvertretbar sei, die Vertragsbestimmung des § 10 Abs 2 des Gesamtvertrages greife zu weit in die Berufsbefugnis des Vertragsarztes ein, würde man seine Vertragspflicht als Allgemeinmediziner auch auf Leistungen erstrecken, die (auch) ins Fach Gynäkologie fallen. Damit geht es um die Frage, ob – wie vom Vertragsarzt im Verfahren vorgebacht – § 10 Abs 2 des Gesamtvertrages einen unverhältnismäßigen Eingriff in seine Erwerbsausübungsfreiheit darstellt:

Wie zB VfGH 1999/VfSlg 15.456 hervorhob, orientiert sich das sozialversicherungsrechtliche Leistungssystem in erster Linie am Sachleistung- und nicht am Kostenerstattungsprinzip. Der Schutz des Sachleistungssystems rechtfertigt auch den grundsätzlichen Ausschluss von Kostenerstattungen für Leistungen durch Ärzte mit Einzelvertrag (VfGH 1992/VfSlg 13.286). Die umfassende Leistungspflicht des Vertragsarztes gem § 10 Abs 2 ist zweifelsohne zur möglichst vollständigen Sachleistungsversorgung geeignet, iS und mit der Wirkung des Ausschlusses einer Verlagerung von Krankenbehandlung in den Kostenerstattungsbereich auch (siehe die dargestellte drohende Erosion des Sachleistungssystems) erforderlich und angesichts der den Vertragsärzten dafür gewährten Vorteile auch nicht unverhältnismäßig: Der Einzelvertrag verschafft ein gesichertes, regelmäßiges, keineswegs armseliges Einkommen, einen Kündigungsschutz und durch den Stellenplan einen Schutz vor konkurrenzierender Beeinträchtigung durch andere Vertragsärzte. Auch deshalb geht es nicht an, dass Vertragsärzte ihrerseits in Zweitfächern andere Vertragsärzte konkurrenzieren! Wer sich dem nicht unterwerfen will, braucht den Einzelvertrag nicht abschließen; er kann, wie dies auch der mitbeteiligte Arzt vor Abschluss seines Einzelvertrages tat und mittlerweile die Mehrheit der Ärzte tut, als Wahlarzt tätig sein. Als Vertragsarzt für Allgemeinmedizin ist er nicht verpflichtet, auch investitionsintensive Leistungen (hier gegenständlich die Sonographie) anzubieten, die er nicht abrechnen kann, sondern nur andere Vertragsärzte abrechnen können. Er ist damit aber nicht berechtigt, solche Leistungen gegen Privathonorar zu erbringen, sondern allenfalls verpflichtet, die Patientinnen abrechnungsbefugten Vertragspartnern zuzuweisen (R 5-BSK/98, SSV-NF 12/A7).

3.
Keine Bindungswirkung

Vielleicht hat sich der VfGH mit diesen grundsätzlichen Fragen einfach nur im Hinblick auf ein unzulängliches Beschwerdevorbringen oder seinen521 eingeschränkten Prüfumfang nicht auseinandergesetzt (wenngleich ihn Letzterer in anderen Fällen nicht hinderte, selbst vertretbare Rechtsansichten der Behörde ohne erkennbaren Grundrechtseingriff umzustoßen: siehe VfGHB 390/2012DRdA 2015, 168 [krit Mosler]).

Die LBK war im Rahmen eines Einzelvertragsstreites nur zur vorfrageweisen Auslegung des Gesamtvertrages, nicht aber zu seiner allgemein verbindlichen Auslegung zuständig (VfGH 1999/VfSlg 15.698; siehe Kletter in Sonntag, ASVG6 [2015] § 344 Rz 2 mwN). Ihre Entscheidung, und somit auch dieses VfGH-Erk, entfalten daher keine über den Einzelfall hinausgehende Bindungswirkung. Zur Auslegung des Gesamtvertrages und zur Prüfung seiner Gesetzmäßigkeit sind Landesschiedskommissionen, das BVwG und allenfalls der VwGH zuständig. Die aufgeworfenen Rechtsfragen werden daher auf diesem Weg einer abschließenden Klärung zuzuführen sein.