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Kündigung eines Einzelvertrags – Einsatz von Mysteryshoppern

KONRADGRILLBERGER (SALZBURG)
  1. Ein Vertragsarzt, der Patienten ohne jeglichen Anhaltspunkt für eine Erkrankung die Arbeitsunfähigkeit bestätigt und dazu gar nicht erforderliche Untersuchungen vornimmt, die er in der Folge dem Krankenversicherungsträger verrechnet, begeht eine schwerwiegende Vertrags- und Berufspflichtverletzung, die zur Kündigung des kurativen Einzelvertrages und des Vorsorgeuntersuchungsvertrages berechtigt.

  2. Die Kündigung ist auch dann noch unverzüglich erklärt, wenn der Krankenversicherungsträger nach Kenntnis der unberechtigten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen noch die nächste Quartalsabrechnung abwartet und sechs Wochen später die Kündigung ausspricht.

  3. Gegen den Einsatz von eigenen Angestellten des Krankenversicherungsträgers als Testpatienten bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken.

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer (Bf) ist Arzt für Allgemeinmedizin in Wien. Sein mit der Wiener Gebietskrankenkasse (WGKK) abgeschlossener kurativer Einzelvertrag sowie sein Vorsorgeuntersuchungs- Einzelvertrag wurden mit Schreiben der WGKK vom 19.9.2011 zum 31.12.2011 mit der Begründung aufgekündigt, dass dem Bf „Verrechnungsmalversationen“, welche auch Gegenstand eines laufenden Strafverfahrens seien, vorzuwerfen seien. Weiters habe sich der Bf auch über die gesamtvertraglichen Bestimmungen über die Krankmeldung von Versicherten hinweggesetzt, indem er mehreren Personen eine Krankenbescheinigung ausgestellt habe, obwohl die Betroffenen zuvor dem Bf eröffnet hätten, dass tatsächlich keine Erkrankung vorliegen würde, vielmehr sei von den Patienten unverhohlen der Wunsch nach freien Tagen geäußert worden. Die Kündigung des Vorsorgeuntersuchungs- Einzelvertrages gründe sich darauf, dass der Bf der WGKK (im Zusammenhang mit unrechtmäßigen Krankenstandbestätigungen) Vorsorgeuntersuchungen in Rechnung gestellt habe, die nicht nur von den Betroffenen nicht gewünscht gewesen seien, sondern auch in wesentlichen Teilbereichen gar nicht erbracht worden seien. [...]

3. Die Bundesschiedskommission (BSK) wies mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 6.3.2013 den Einspruch des Bf gegen die Kündigung des kurativen Einzelvertrages und des Vorsorgeuntersuchungs- Einzelvertrages ab. Die BSK stellte folgenden Sachverhalt fest:

„Bei der Antragsgegnerin (‚WGKK‘) gingen anonyme Anzeigen ein, dass in der Ordination des Antragstellers einiges im Argen liege und man sehr leicht eine Krankschreibung bekommen könne. Da nicht zu erwarten war, dass sich Patienten selbst belasten, eine ungerechtfertigte Krankschreibung erhalten zu haben, erschien der WGKK eine Patientenbefragung nicht sinnvoll und die Mitarbeiter in der zuständigen Abteilung, darunter der Zeuge [F.S.], beschlossen, Testpatienten in die Ordination des Antragstellers zu schicken. Der Auftrag an die sieben Testpatienten, die alle in einem Naheverhältnis zur WGKK standen, bestand darin, ‚ergebnisoffen‘ zum Antragsteller zu gehen und zu verifizieren, ob die Vorwürfe betreffend die leichte Krankschreibung stimmen oder nicht [...].[N.F.], die seit [...] bei der WGKK beschäftigt ist, wurde vom Zeugen [S.] bereits vor ihrem Dienstantritt gebeten, in die Ordination des Antragstellers zu gehen und zu versuchen, eine Krankmeldung zu bekommen, ohne krank zu sein. Sie begab sich am 30.5.2011 in die Ordination und erklärte gegenüber der Ordinationshilfe und dem Antragsteller, mit dem Ausmalen nicht fertig geworden zu sein; am nächsten Tag werde ein Sofa geliefert, weshalb sie einen Krankenstand benötige. Sie brachte – wahrheitsgemäß – zum Ausdruck, nicht krank zu sein. Der Antragsteller drückte sein Verständnis aus und wies darauf hin, dass die Krankenkasse so intensiv kontrolliere. Er erstellte eine Familienanamnese, nahm einige Untersuchungen vor und sprach eine Laborzuweisung sowie eine Vorsorgeuntersuchung an. Weiters erkundigte er sich nach dem beim Arbeitgeber angegebenen Grund für das Fernbleiben. Zur Überraschung der Testpatientin schrieb er sie mit der Diagnose ‚Gastroduodenitis‘ für eine Woche krank [...]. Außer der Unterfertigung des e-Card-Ersatzbelegs wurde [F.] um die Leistung weiterer Unterschriften im Zusammenhang mit der Vorsorgeuntersuchung gebeten, die sie ‚blanko‘ leistete [...].Auf dem e-Card-Ersatzbeleg wurde als Diagnose angegeben: ‚Mehrmalige Fieberanfälle; Aliment. Blutzuckerzunahme; Degen. Schmerz AcHumeri- Bil; Diffuse Muskelverspannung; Urinae-virarumcalculi!; Fibrinös obliter. BroSH-Ez‘. Die Arbeitsunfähigkeit wurde von 30.5.2011 bis 6.6.2011 bestätigt [...].522[K.S.], ein langjähriger Angestellter der WGKK, begab sich am 22.6.2011 in die Ordination des Antragstellers. Auf die Frage des Antragstellers nach seinen Beschwerden antwortete er wahrheitsgemäß, keine Beschwerden zu haben und gesund zu sein; allerdings wäre er hinausgeschmissen worden, wenn er arbeiten gegangen wäre. Deshalb ersuchte er um eine Krankschreibung für den 22.6.2011. Der Antragsteller drückte sein Verständnis aus und meinte, dass das kein Problem sei; er müsse aber wegen der Glaubwürdigkeit gegenüber der Krankenkasse ein paar Untersuchungen machen. Er erstellte eine Familienanamnese und nahm diverse Untersuchungen vor, darunter eine Blutzuckeruntersuchung. Da der Wert leicht erhöht war, veranlasste er eine Laborüberweisung. Danach paraphierte er die Krankenstandsbestätigung und fragte, welchen Krankheitsgrund [K.S.] gegenüber seinem Arbeitgeber angegeben habe. Auf die Antwort ‚Gastritis‘ stellte er ein entsprechendes Rezept aus [...]. Ohne dass er zuvor einen entsprechenden Wunsch geäußert hätte, wurde [S.] schließlich noch gebeten, sechs Unterschriften auf Vorsorgeuntersuchungsformularen zu leisten; er leistete diese Unterschriften ‚blanko‘ [...]. Zum Vorsorgeuntersuchungsprogramm zählende Untersuchungen wurden vom Antragsteller nur ansatzweise und nicht vollständig verlangt und ausgeführt [...].Die Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit wurde für 22.6.2011 bestätigt; als Diagnose wurde auf dem e-Card-Ersatzbeleg ‚akute Gastroduodenitis‘ vermerkt [...].Weitere fünf Testpatienten – jeweils Angestellte der WGKK -suchten im Auftrag der WGKK die Ordination des Antragstellers auf: [A.A.] am 1.6.2011, [C.M.] am 7.6.2011, [S.J.] am 16.6.2011, [M.P.] am 20.6.2011 und [S.B.] am 29.6.2011 [...]. Auch bei [A.A.] veranlasste der Antragsteller, dass sie Vorsorgeuntersuchungsblätter ‚blanko‘ unterschreibt. Zum Vorsorgeuntersuchungsprogramm zählende Untersuchungen wurden vom Antragsteller nur ansatzweise und nicht vollständig verlangt und ausgeführt [...].Daraufhin wartete die WGKK auf das Einlangen der Abrechnung des Antragstellers für das 2. Quartal 2011; die entsprechenden Daten langten Ende Juli 2011 ein. Eine Ärztin nahm die Auswertung der Abrechnung vor. Etwa Mitte August 2011 lag ein Bericht vor, der an die Generaldirektion weitergeleitet wurde, die umgehend ‚grünes Licht‘ zu einer Kündigung der Vertragsverhältnisse mit dem Antragsteller gab. Da der zuständige Sachbearbeiter in der zweiten Augusthälfte auf Urlaub war, wurde der Kündigungsvorgang WGKK-intern Anfang September 2011 vorangetrieben und der Unterschriftenlauf in Gang gesetzt; es waren etwa sechs Personen in den Unterschriftenlauf eingebunden [...]. Die WGKK möchte grundsätzlich keine Vertragskündigungsverfahren einleiten, bei denen die Kündigungsgründe dann letztlich nicht unter Beweis gestellt werden können, weshalb die Voraussetzungen für eine Kündigung intern genau geprüft werden [...].Am 27.9.2011 lagen alle notwendigen Unterschriften für die Kündigung vor, worauf das schriftliche Kündigungsschreiben ausgefertigt und dem Antragsteller zugestellt wurde [...]. Die Kündigung der Einzelverträge mit dem Antragsteller wurde im Vorstand nicht beschlossen; sie wurde vom Vorstand auch nicht nachträglich genehmigt. Die Ausfertigung des – dem Antragsteller am 28.9.2011 zugestellten – Kündigungsschreibens vom 19.9.2011 ist von der Obfrau der WGKK und von ihrem Leitenden Angestellten unterfertigt [...].“

4. Zur rechtlichen Beurteilung führte die BSK im angefochtenen Bescheid aus:

„Es bedarf keiner weiteren Erläuterung, dass die Ausstellung von Arbeitsunfähigkeitsbestätigungen zugunsten der gesunden ‚Patienten‘ [N.F.] und [K.S.] sowie die Ausstellung eines Rezepts ohne gesundheitsbedingte Notwendigkeit eine Vertrags- und Berufspflichtverletzung darstellt.8.2.2. Der Antragsteller hat auch gegen die sich aus dem Vorsorgeuntersuchungs-Gesamtvertrag ergebenden Pflichten verstoßen, indem er die Vorsorgeuntersuchungen gleichsam ‚nebenbei‘ im Zusammenhang mit einer ‚Krankenbehandlung‘ aufgedrängt hat. Anders als § 8 des maßgeblichen Gesamtvertrags über Vorsorgeuntersuchungen ‚grundsätzlich‘ vorsieht, hat er mit den Patienten keinen eigenen, außerhalb der sonst üblichen Ordinationszeiten liegenden Termin für die Vorsorgeuntersuchung vereinbart; er hat sie nicht darüber aufgeklärt, was im Rahmen der Vorsorgeuntersuchung gemacht wird, sondern einfach ‚blanko‘ Formulare unterfertigen lassen und das Vorsorgeuntersuchungsprogramm nur in peripherer Weise umgesetzt, ohne dass dies durch das Verhalten der Patienten veranlasst gewesen wäre.8.3. Eine schwerwiegende Pflichtverletzung berechtigt schon bei der erstmaligen Verfehlung zur Kündigung des Einzelvertrags. Maßgeblich hiefür ist eine besondere Intensität der Pflichtverletzung. Dieses besondere Maß ist im vorliegenden Fall zu bejahen, hat doch der Antragsteller ohne jeglichen Anhaltspunkt für eine Erkrankung – die beiden Patienten haben ausdrücklich das Vorliegen einer Krankheit verneint und einen anderen Grund für den Wunsch nach einer Arbeitsunfähigkeitsbestätigung genannt – eine Krankschreibung vorgenommen und versucht, diesen Umstand gegenüber der Antragsgegnerin durch Erbringung von nicht notwendigen – und daher auch nicht verrechenbaren – Leistungen zu rechtfertigen bzw zu verschleiern. Die durchgeführten und der Antragsgegnerin verrechneten Untersuchungen dienten also nicht der Abklärung der Arbeitsunfähigkeit, sondern dazu, den zu Unrecht bestätigten Sachverhalt plausibel zu machen. Diese vorsätzliche Vorgangsweise muss als besonders verwerflich qualifiziert werden, wird doch dem Krankenversicherungsträger praktisch jede Kontrolle verunmöglicht. Selbst wenn man die Verfehlungen im Zusammenhang mit den aufgedrängten Vorsorgeuntersuchungen noch nicht als schwerwiegend qualifiziert, ergibt das Gesamtbild ein gravierendes Fehlverhalten des Antragstellers, das die im Einzelvertragsverhältnis notwendige Vertrauensbasis zur Antragsgegnerin generell in einer nicht tolerierbaren Weise erschüttert hat, weshalb die Antragsgegnerin zur523 Kündigung beider Einzelverträge berechtigt war. Angesichts der Qualifikation der vorliegenden Verstöße gegen Vertrags- und Berufspflichten als schwerwiegend bedurfte es keiner vorherigen Verwarnung bzw Kündigungsandrohung.8.4. Dass es sich bei den ‚Patienten‘ um – aus dem Nahebereich der Antragsgegnerin stammende – Testpatienten handelte, vermag das Kündigungsrecht nicht zu beseitigen. Dem Antragsteller schwebt in diesem Zusammenhang offenbar vor, dass ihm gegenüber keine wirklichen Patienten aufgetreten sind, sondern Personen nur zum Schein die Ordination aufgesucht haben, um ein rechtswidriges Verhalten zu provozieren. Ein ausdrückliches Verbot eines Einsatzes von Testpersonen ist weder dem Gesetzesrecht noch den geltenden gesamtvertraglichen Regelungen zu entnehmen. Der VwGH hat den Einsatz einer Testkäuferin in einer Apotheke, die mit falschen Angaben den Erwerb eines rezeptpflichtigen Medikaments ohne Rezept erreicht hat, nicht als unzulässig qualifiziert, wenn die Testkäuferin nicht anders vorgegangen ist als gewöhnliche Apothekenkunden (VwGH94/10/0019). Ähnlich wird in Strafsachen keine – nach § 5 Abs 3 StPO untersagte – Provokation durch einen Lockspitzel angenommen, wenn der Täter die strafbare Handlung ihrer Art nach auch ohne Intervention des verdeckten Ermittlers begangen hätte (OGH11 Os 126/04= JBl 2005, 531; [...]; vgl auch EGMR 29.9.2009, Bsw 23782/06und Bsw 46629/06, NL 2009, 282).Auch im vorliegenden Fall haben sich die beiden – von der WGKK auf der Grundlage entsprechender Verdachtsmomente ausgesandten – Testpatienten wie gewöhnliche Patienten mit ‚besonderen Wünschen‘ verhalten, ohne dass sie unerlaubte oder verwerfliche Mittel angewendet hätten, um den Antragsteller damit zum Verstoß gegen vertragliche und gesetzliche Vorschriften zu verleiten.8.5. Nach der Rsp der Bundesschiedskommission ist die Kündigung des Einzelvertrags unverzüglich auszusprechen; andernfalls erlischt das Kündigungsrecht (vgl BSK R4-BSK/00 = SSV-NF 14/A 2). Dieser ‚Unverzüglichkeitsgrundsatz‘ soll verhindern, dass lange zurückliegende Sachverhalte plötzlich zum Gegenstand einer Kündigung des Einzelvertrags gemacht werden, obwohl der Krankenversicherungsträger von diesen Vorkommnissen schon länger informiert war und sie offenkundig in Kauf genommen hat (Mosler in
Grillberger/Mosler
[Hrsg], Ärztliches Vertragspartnerrecht [2012] 182).
Der Unverzüglichkeitsgrundsatz darf aber nicht überzogen werden. Wie schon allein der Umstand zeigt, dass es bei der Kündigung – anders als im Arbeitsverhältnis, in dem bei einer sofortigen Auflösung jegliche weitere Fortsetzung als unzumutbar angesehen werden muss – um eine Auflösung des Vertragsverhältnisses zu einem zumindest drei Monate in der Zukunft liegenden Zeitraum geht, können bei der Kündigung deutlich längere Zeitspannen zwischen dem Entstehen des Kündigungsgrundes und dem Ausspruch der Kündigung als bei der sofortigen Auflösung eines Arbeitsverhältnisses liegen (näher Geist, Kündigungsschutz für freiberufliche Vertragsärzte in Österreich, in
Jabornegg/Resch/Seewald
[Hrsg], Der Vertragsarzt [1999] 195 [201]). Auch die nicht unkomplizierte Organisationsform der Krankenversicherungsträger ist zu bedenken. Der Krankenversicherungsträger soll keinesfalls gezwungen sein, vorschnell eine Kündigung auszusprechen, ohne den Sachverhalt so weit erhoben zu haben, dass eine Kündigung nach einem Einspruch voraussichtlich auch ‚halten‘ wird (vgl BSK R4-BSK/00, SSV-NF 14/A 2). So hat die Bundesschiedskommission in der zitierten Entscheidung R 4-BSK/00 (= SSV-NF 14/A 2) eine Kündigung etwa 2 1/2 Monate nach Kenntnisnahme von Verfehlungen (in diesem Zeitraum wurden Erhebungen durchgeführt) als rechtzeitig angesehen. Auch im vorliegenden Fall ist der bis zum Ausspruch der Kündigung vergangene Zeitraum noch nicht so lang, dass der Antragsteller auf einen Verzicht auf das Kündigungsrecht schließen hätte können. Immerhin war er es, der zur Verschleierung des maßgeblichen Sachverhalts dadurch beigetragen hat, dass er der Kasse nicht notwendige Leistungen verrechnet hat. Auch wenn die Ausstellung von unrichtigen Krankenstandsbestätigungen für sich allein bereits ausreichte, eine Kündigung zu rechtfertigen, war es für die Antragsgegnerin – im Hinblick auf das Erfordernis einer sehr genauen Prüfung – legitim, auch noch abzuwarten, welche Leistungen vom Antragsteller verrechnet werden. Überdies musste die Antragsgegnerin ins Kalkül ziehen, dass eine Kündigung unmittelbar nach der Aufnahme der letzten Niederschrift mit einer Testpatientin (am 4.7.2011) eine Kündigung erst auf das Ende des 4. Quartals 2011 ermöglicht hätte, so wie es im vorliegenden Fall auch geschehen ist.
8.6. Die Argumentation des Antragstellers, die ausgesprochene Kündigung sei mangels Genehmigung durch den Vorstand unwirksam, ist nicht nachvollziehbar. Nach dem am 31.3.2010 unter der Nr 31 amtlich verlautbarten Anhang zur Geschäftsordnung des Vorstandes der Wiener GKK werden ua folgende Angelegenheiten der Obfrau übertragen:‚2.3. a) Abschluss von Einzelverträgen mit Ärzten und Dentisten und Auflösung solcher Verträge gegen nachträgliche Berichterstattung an den Vorstand‘.9. Insgesamt hat daher die Antragsgegnerin die Kündigung des kurativen Einzelvertrags und des Voruntersuchungs-Einzelvertrags berechtigt ausgesprochen.“

4.1. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art 144 B-VG in der bis zum Ablauf des 31.12.2013 geltenden Fassung gestützte Beschwerde, in der die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird. Begründend wird dazu auf das Wesentliche zusammengefasst Folgendes ausgeführt:

4.1.1. Die Kündigung des Einzelvertrages sei ungerechtfertigt erfolgt. Eine wiederholte, nicht unerhebliche Vertrags- und Berufsverletzung iSd § 343524 Abs 4 Satz 2 ASVG seitens des Bf liege nicht vor. Nach den Gesetzesmaterialien könne eine im Einzelfall unerhebliche Pflichtverletzung nur durch eine beharrliche Wiederholung zu einer erheblichen Pflichtverletzung werden. Das zweimalige Ausstellen einer unrichtigen Krankenstandbestätigung reiche dazu nicht hin. Gleiches gelte für die drei nicht vollständig durchgeführten Vorsorgeuntersuchungen. Die Kündigung des Einzelvertrages sei auch nicht rechtzeitig erfolgt. Nach der bisherigen Rsp der belangten Behörde sei die Kündigung eines Einzelvertrages unverzüglich auszusprechen. Die Obfrau der WGKK habe nach dem am 31.3.2010 unter Nr 31 amtlich verlautbarten Anhang zur Geschäftsordnung des Vorstandes über eine Beschlussdelegation verfügt, nach der ihr „der Abschluss von Einzelverträgen [...] und Auflösung solcher Verträge gegen nachträgliche Berichterstattung an den Vorstand übertragen“ worden sei. Wenn sich die Obfrau nach dem Mitte August 2011 vorliegenden Bericht bis zum 28.9.2011 weitere sechs Wochen Zeit gelassen habe, um den Vertrag zu kündigen, dann sei die Kündigung verspätet erfolgt.

4.1.2. Die belangte Behörde verkenne die Rechtslage gehäuft und eklatant, wenn sie bezüglich der Kenntnis des Kündigungsgrundes und der Rechtzeitigkeit der Kündigung auf das Einlangen der Abrechnung abstelle. Bereits die erfolgte Krankmeldung vom 31.5.2011 hätte unter Zugrundelegung der Rechtsauffassung der belangten Behörde für sich alleine einen Kündigungsgrund verwirklicht, welcher jedoch jedenfalls verfristet sei. Die Rechtfertigung der belangten Behörde, warum die Kündigung nicht unverzüglich ausgesprochen worden sei, nämlich, dass es legitim gewesen sei, noch abzuwarten, welche Leistungen vom Bf verrechnet werden, erfolge auf Grund eines völligen Verkennens der Rechtslage. [...]

II. Rechtslage [...]

III. Erwägungen

1. Die – zulässige – Beschwerde ist nicht begründet.

2. Bedenken gegen die dem angefochtenen Bescheid zugrunde liegenden Rechtsvorschriften sind – aus der Sicht des Beschwerdefalles – nicht entstanden und vom Bf auch nicht behauptet worden:

3. Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz kann nach der stRsp des VfGH (zB VfSlg 10.413/1985, 14.842/1997, 15.326/1998 und 16.488/2002) nur vorliegen, wenn der angefochtene Bescheid auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn die Behörde der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn sie bei Erlassung des Bescheides Willkür geübt hat.

Angesichts der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsvorschriften und des Umstandes, dass kein Anhaltspunkt dafür besteht, dass die Behörde diesen Vorschriften fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt hat, könnte der Bf im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz nur verletzt worden sein, wenn die Behörde Willkür geübt hätte.

Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt ua in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insb iVm einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 8808/1980 mwN, 14.848/1997, 15.241/1998 mwN, 16.287/2001, 16.640/2002).

3.1. Keiner dieser Mängel liegt hier jedoch vor:

3.2. Die beteiligte GKK stützte ihr Kündigungsschreiben vom 19.9.2011 „neben den Rechnungsmalversationen“, zu denen das Strafverfahren mittlerweile eingestellt wurde, auf in „nicht zu tolerierender Weise“ erfolgte Verletzungen von Bestimmungen des Gesamtvertrages („der Bf schreibe jeden krank, der dies wolle“), und der in diesem Zusammenhang obwohl nicht notwendigen, gleichwohl aber veranlassten und auch verrechneten ärztlichen Diagnoseleistungen, die ihm als „strafrechtlich relevante Falschabrechnungen“ vorgeworfen wurden, darunter vier Vorsorgeuntersuchungen, die von den Patienten nicht intendiert und auch nicht zur Gänze erbracht worden seien.

3.3. Der Bf wendet unter dem Gesichtspunkt des Willkürvorwurfs dagegen auf das Wesentliche zusammengefasst ein, dass die strittigen Krankschreibungen nicht unverzüglich (ersichtlich gemeint: durch einen Kündigungsausspruch noch im Juni 2011 zum 30.9.2011) als Kündigungsgrund geltend gemacht worden und daher verfristet seien.

Damit ist der Bf nicht im Recht:

3.3.1. Entgegen der Ansicht des Bf liegen hier nicht zwei voneinander in sachlicher und auch zeitlicher Hinsicht zu unterscheidende Gruppen von Rechtsverletzungen vor. Denn nach den Feststellungen der belangten Behörde hat der Bf versucht, die grund- und anlasslosen Krankmeldungen jeweils dadurch vor Aufdeckung zu schützen, dass er (mangels Behauptung einer Erkrankung durch die Patienten gar nicht erforderliche) Untersuchungen vornahm und Rezepte ausstellte und diese demgemäß auch der GKK verrechnete. Insofern liegt somit in jedem dieser Fälle ein vom Vorsatz des Bf umfasstes, zwar mehraktiges, aber einheitliches Tatgeschehen vor, das erst mit der (versuchten) Verrechnung der Aktivitäten des Bf gegenüber der beteiligten Kasse durch Aufnahme in die Quartalsabrechnung als gleichsam letztem Akt sein Ende gefunden hat. Auf Grund dieses Zusammenhanges beider, zeitlich zwar auseinanderfallender, aber nach der zu unterstellenden Vorstellung des Bf voneinander nicht zu trennender, Komponenten der erhobenen Tatvorwürfe konnte der Lauf einer allfälligen Frist zur rechtzeitigen Geltendmachung des Kündigungsrechtes frühestens mit dem Einlangen der Quartalsabrechnung bei der beteiligten GKK ihren Anfang nehmen.525

3.3.2. Der Zeitraum von sechs Wochen zwischen dem Vorliegen des Berichts über die Malversationen des Bf und dem Ausspruch der Kündigung ist schon deshalb unschädlich, weil die GKK auch zum früheren Zeitpunkt Mitte August 2011 auf Grund der Fristregelung des § 343 Abs 4 ASVG das Vertragsverhältnis nur unter Einhaltung einer dreimonatigen Frist zum Quartalsende kündigen konnte, dh frühestens zum 31.12.2011. Im Hinblick auf die Dauer dieser selbst bei Vorliegen gravierender Gründe einzuhaltenden Frist begründet es keine Willkür, wenn die belangte Behörde den Ausspruch der Kündigung als rechtzeitig angesehen hat.

3.3.3. Die Zulässigkeit des von der belangten Behörde nicht beanstandeten Einsatzes von eigenen Angestellten des beteiligten Krankenversicherungsträgers als Testpatienten wird in der Beschwerde nicht begründet gerügt; der VfGH hegt nach dem von der belangten Behörde dazu festgestellten Sachverhalt auch insoweit keine verfassungsrechtlichen Bedenken (vgl dazu auch OGH 12.4.1983, 4 Ob 329/83, SZ 56/57 – Testkauf im Recht des unlauteren Wettbewerbs, OGH 20.8.2002, 4 Ob 70/02a= RdM 2003/29 – Scheinpatient, Eigenbluttherapie durch Heilpraktiker uva sowie VwGH 27.1.1997, 94/10/0019– Testkauf in Apotheken zur Überprüfung der Einhaltung der Bestimmungen über die Rezeptpflicht).

3.3.4. Der belangten Behörde kann aber auch insofern kein Vorwurf willkürlicher Vorgangsweise gemacht werden, als sie das Verhalten des Bf als für eine Kündigung des Einzelvertrages ausreichend beurteilt hat:

3.3.4.1. Das Vertragsverhältnis eines Vertragsarztes kann gem § 343 Abs 4 ASVG idF der 72. Novelle zum ASVG wegen wiederholter, nicht unerheblicher oder wegen schwerwiegender Vertrags- oder Berufspflichtenverletzungen unter Angabe der Gründe schriftlich gekündigt werden.

3.3.4.2. Gem § 55 ÄrzteG 1998 darf ein Arzt ärztliche Zeugnisse nur nach gewissenhafter Untersuchung und genauer Erhebung der im Zeugnis zu bestätigenden Tatsachen nach seinem besten Wissen und Gewissen ausstellen. Das Ausstellen von Gefälligkeitsattesten über eine angebliche Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit verstößt daher gegen § 55 ÄrzteG 1998 und damit gegen Berufspflichten des Vertragsarztes.

3.3.4.3. Dem Vertragsarzt ist aber auch gesamtvertraglich die Verpflichtung überbunden, mit Wirkung der Begründung einer Leistungsverpflichtung des Krankenversicherungsträgers gegenüber der versicherten Person deren Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit festzustellen (vgl VfSlg 15.787/2000). Nach der Rsp des VfGH begegnet eine Auslegung des § 343 Abs 4 ASVG, wonach eine Vertragsverletzung vor allem dann als besonders schwerwiegend anzusehen ist, wenn dadurch – zB wegen der fehlenden medizinischen Indikation zur Verschreibung (vgl VfSlg 15.857/2000 mwH) – nicht nur die finanziellen, sondern auch die Interessen des Krankenversicherungsträgers an einer einwandfreien ärztlichen Versorgung bzw das Vertrauen der hilfesuchenden Patienten in die Bereitstellung einer fachlich einwandfreien Behandlungsleistung in besonderer Weise beeinträchtigt werden, keinen verfassungsrechtlichen Bedenken (VfSlg 15.818/2000). Dies trifft auch für die Vornahme und Verrechnung von Untersuchungen zu, die ohne Vorliegen einer Erkrankung vorgenommen werden.

3.3.4.4. Wie der VfGH schon ausgesprochen hat, ist für eine Vertragsbeziehung, wie sie der Einzelvertrag darstellt, ein hohes Maß an Vertrauen erforderlich, wird doch durch die Verrechnung von ärztlichen Leistungen indirekt im eigenen wirtschaftlichen Interesse des Arztes über beträchtliche Mittel der Versichertengemeinschaft disponiert (vgl zu diesem Gesichtspunkt in einem vergleichbaren Zusammenhang VfSlg 15.804/2000). Krankschreiben „auf Bestellung“ ist daher auch geeignet, dieses Vertrauen des Krankenversicherungsträgers zu seinem Vertragsarzt nachhaltig zu zerstören.

3.3.4.5. Durch die Bestätigung einer Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit wird schließlich bei DN die arbeitsrechtliche Verpflichtung zur Erbringung der Arbeitsleistung sistiert, während für den DG im Allgemeinen eine Verpflichtung zur Entgeltfortzahlung besteht. Krankschreiben aus Gefälligkeit richtet daher auch materiellen Schaden beim DG an und beeinträchtigt auch dessen Vertrauen in eine ordnungsgemäße Gestion der gesetzlichen KV.

3.3.4.6. Es begegnet daher keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn die belangte Behörde im Verhalten des Bf (jederzeitige Bereitschaft zum „Krankschreiben aus Gefälligkeit“, Vornahme von Deckungshandlungen durch unbegründete Untersuchungen und Verrechnung dieser Untersuchungen an den Krankenversicherungsträger sowie durch Ausstellung von Rezepten über nicht indizierte Medikationen) schwerwiegende Vertragsund Berufspflichtenverletzungen erblickt hat, die den Krankenversicherungsträger zur Kündigung des Einzelvertrages berechtigten.

IV. Ergebnis [...]

ANMERKUNG

1. In diesem Erk des VfGH spielten drei Rechtsfragen eine Rolle: Hat – erstens – die BSK willkürlich entschieden, wenn sie das Verhalten des Vertragsarztes als Kündigungsgrund iSd § 343 Abs 4 ASVG bewertet hat? Zweitens war zu prüfen, ob die Kündigung durch die WGKK rechtzeitig ausgesprochen wurde. Schließlich spielte eine Rolle, ob der Einsatz von Testpatienten zum Nachweis der Pflichtverletzungen des Vertragsarztes rechtlich unbedenklich war. Alle Fragen hat die BSK iSd WGKK entschieden. Der VfGH sah keinen Grund, dieser Behörde zu widersprechen.

2. Was das Vorliegen eines Kündigungsgrundes betrifft, war die Sache völlig eindeutig. Die GKK hatte mit Hilfe von Testpatienten festgestellt, dass der beschwerdeführende Vertragsarzt in zwei Fällen das Vorliegen einer Arbeitsunfähigkeit bescheinigt hatte, obwohl beide Testpatienten wahrheitsgemäß erklärt hatten, gar nicht krank zu sein, sondern aus anderen Gründen nicht zur Arbeit erschei-526nen wollten. Um die unberechtigte Bescheinigung zu kaschieren, führte der Vertragsarzt außerdem Untersuchungen an den Patienten durch, stellte Rezepte aus und verrechnete diese Leistungen mit seiner nächsten Quartalsabrechnung der WGKK. Darüber hinaus veranlasste der Arzt auch noch vier Vorsorgeuntersuchungen bei weiteren Testpatienten, die von diesen nicht verlangt worden waren und vom Arzt auch nicht vollständig erbracht wurden.

Der VfGH hat in Übereinstimmung mit der BSK das Verhalten des Vertragsarztes als schwerwiegende Pflichtverletzung sowohl im Hinblick auf die Pflichten aus dem Gesamtvertrag als auch im Hinblick auf die Berufspflichten gem § 55 ÄrzteG 1998 qualifiziert. Der diesbezüglichen Begründung des VfGH ist nichts hinzuzufügen: „Krankschreiben auf Bestellung“ ist ein Kündigungsgrund und zwar auch ohne vorherige Verwarnung des Arztes durch den Krankenversicherungsträger.

3. Das Erfordernis der Unverzüglichkeit des Ausspruches einer Kündigung durch den Krankenversicherungsträger steht zwar nicht ausdrücklich im Gesetz, ist aber allgemein anerkannt. Die BSK hat im gegenständlichen Fall im Anschluss an entsprechende Äußerungen in der Literatur auch auf die Unterschiede zur vorzeitigen Auflösung eines Arbeitsverhältnisses hingewiesen. Insb hat der Krankenversicherungsträger eine Kündigungsfrist von mindestens drei Monaten einzuhalten, während die vorzeitige Auflösung eines Arbeitsverhältnisses sofort seine Beendigung bewirkt.

Ein längeres Zuwarten des AG kann – je nach Art des Entlassungsgrundes – den Schluss rechtfertigen, dass ihm die Fortsetzung des Vertrages nicht unzumutbar erscheint. Im Arbeitsrecht kann dieses Ergebnis auf unterschiedliche Weise begründet werden. Es kann ein – konkludenter – Verzicht auf das Recht zur Vertragsauflösung, also ein Rechtsgeschäft, vorliegen. Der Verlust dieses Rechts kann aber auch allein kraft objektiven Rechts eintreten: Das unnötige längere Zuwarten führt dazu, dass die Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Vertrags nicht mehr gegeben ist, also die Eigenschaft des wichtigen Grundes entfällt. Der Unterschied zum Verzicht würde sich dann deutlich zeigen, wenn der Berechtigte erklärt, er wolle auf das Recht zur Auflösung nicht verzichten, also eine Konkludenz iSd § 863 ABGB verhindert wird, aber die Arbeitsleistungen weiter entgegengenommen wird. Solange eine solche Erklärung nicht vorliegt, spielt es für die Praxis freilich keine Rolle, auf welche Weise der Verlust des Auflösungsrechts eintritt. Die Argumente für diese Rechtsfolge sind nämlich in beiden Varianten im Wesentlichen gleich. Im vorliegenden Fall hat die BSK mit einem Verzicht auf das Kündigungsrecht argumentiert und gemeint, auch wenn die unrichtigen Krankenstandbestätigungen bereits ausgereicht hätten, eine Kündigung zu rechtfertigen, sei es für die GKK doch legitim gewesen, mit dem Ausspruch der Kündigung noch die nächste Quartalsabrechnung abzuwarten, um zu sehen, welche Leistungen vom Arzt verrechnet werden. Der abgelaufene Zeitraum sei noch nicht so lang gewesen, dass der Vertragsarzt auf einen Verzicht hätte schließen dürfen. Ein konkludenter Verzicht wäre aber nicht mehr zu diskutieren, wenn die GKK dem Vertragsarzt nach Kenntnis der unberechtigten Bescheinigungen der Arbeitsunfähigkeit mitgeteilt hätte, dass sie von seinem pflichtwidrigen Verhalten Kenntnis habe und den Ausspruch einer Kündigung prüfe. Gleichwohl könnte eine derartige Erklärung das Kündigungsrecht nicht auf Dauer konservieren. Mit diesen Feinheiten brauchte sich aber weder die BSK noch der VfGH zu beschäftigen. Es hätte mE sogar genügt, wenn der VfGH einfach auf die Begründung des angefochtenen Bescheides verwiesen hätte. Denn es gab keinen Anhaltspunkt, warum man der Behörde ein willkürliches Verhalten iSd Judikatur des VfGH vorwerfen hätte können. Stattdessen hat der VfGH die Akzente in der Begründung seines Erkenntnisses aber etwas anders gesetzt. Er hat – anders als die BSK – im unrichtigen Krankschreiben und in der damit zusammenhängenden unberechtigten Abrechnung von Leistungen einen einheitlichen Kündigungsgrund gesehen. Ausgehend davon ist er auf einen Zeitraum von sechs Wochen zwischen Kenntnis des Grundes und Ausspruch der Kündigung gekommen. Im Hinblick auf die ohnehin einzuhaltende Kündigungsfrist von drei Monaten habe die Behörde keine Willkür geübt, wenn sie die Kündigung als rechtzeitig angesehen habe. Aus dieser Änderung in der Begründung wird man allerdings nicht ableiten dürfen, dass ein Zuwarten in der Dauer von nicht ganz drei Monaten zu lang gewesen wäre. Dieser Zeitraum ergibt sich nämlich, wenn man mit der BSK von getrennten Kündigungsgründen ausgeht. Denn der letzte Einsatz eines Testpatienten erfolgte Ende Juni und die entsprechende Niederschrift wurde am 4.7. abgefasst. Es gibt mE keinen Grund, warum man bei einer solchen Betrachtungsweise die Kündigung wegen der Krankschreibungen als verspätet anzusehen hätte und ein abweisender Bescheid als verfassungswidrige Willkür der Behörde zu qualifizieren wäre. Ein schutzwürdiges Vertrauen des Vertragsarztes auf den Fortbestand seiner Einzelverträge mit der GKK lag nämlich auf keinen Fall vor.

4. Über den Einzelfall hinaus geht die Bedeutung der Zulässigkeit des Einsatzes von Testpatienten zum Nachweis der Pflichtverletzungen des Vertragsarztes. Der VfGH konnte sich diesbezüglich sehr kurz fassen: Die Zulässigkeit des von der BSK nicht beanstandeten Einsatzes von eigenen Angestellten des Krankenversicherungsträgers als Testpersonen wurde vom Bf nicht begründet gerügt. Und außerdem: Der VfGH hegt nach dem dazu festgestellten Sachverhalt auch insoweit keine verfassungsrechtlichen Bedenken.

Man kann daher davon ausgehen, dass der Einsatz von Testpatienten für die Krankenversicherungsträger gegenüber ihren Vertragsärzten grundsätzlich zulässig ist. Wie die BSK zu Recht festgehalten hat, gibt es ein ausdrückliches Verbot weder im Gesetzesrecht noch in den geltenden gesamtvertraglichen Regelungen. Zur Bekräftigung ihrer Ansicht haben sowohl der VfGH als auch vorher die BSK auf verschiedene Entscheidungen verwiesen. Im Wettbewerbsrecht spielt der Einsatz von Testkäu-527

fern seit je eine erhebliche Rolle. Die Judikatur des OGH hält diese Vorgangsweise zum Nachweis von Wettbewerbsverstößen seit vielen Jahren grundsätzlich für zulässig. Auch die öffentlichrechtlichen Körperschaften, die nach dem UWG klageberechtigt sind, dürfen Testpersonen einsetzen. Davon machen auch Ärztekammern Gebrauch, etwa wenn es um Heilpraktiker geht, die gegen den Ärztevorbehalt verstoßen. Die Scheinpatientin im Falle der E OGH4 Ob 70/02aRdM 2003/29 war zudem auch eine Angestellte der Kammer. Der Einsatz von Testpersonen wird aber nicht nur zum Zwecke der Einhaltung von Wettbewerbsrecht für zulässig gehalten. Im Falle der E des VwGH 27.1.1997, 94/10/0019, ging es um ein Disziplinarverfahren gegen einen Apotheker, der die Rezeptpflicht für ein Medikament nicht eingehalten hatte. Die Testperson wurde freilich nicht von der Apothekerkammer, sondern von einem anderen Apotheker, also von einem Mitbewerber ausgesandt. Im vorliegenden Fall ging es offensichtlich nicht um den Schutz eines lauteren Wettbewerbs, sondern darum, dass sich der Krankenversicherungsträger verlässliche Beweismittel verschafft hat, um begangene Pflichtverletzungen seines Vertragspartners nachweisen zu können. Dieses Interesse des Krankenversicherungsträgers ist mindestens ebenso schützenswert wie das Interesse von Mitbewerbern an der Einhaltung eines lauteren Wettbewerbs. Der VfGH hat im Zusammenhang mit seiner Begründung zum Vorliegen des Kündigungsgrundes einige Argumente angeführt, die auch für die Zulässigkeit des Einsatzes von Testpatienten durch Krankenversicherungsträger ins Gewicht fallen: Es ist für die Vertragsbeziehung zwischen Krankenversicherungsträgern und Ärzten ein hohes Maß an Vertrauen erforderlich. Pflichtverletzungen durch unberechtigtes Krankschreiben sowie die unberechtigte Verrechnung von ärztlichen Leistungen beeinträchtigen die finanziellen Interessen des Krankenversicherungsträgers und damit die Interessen der Versichertengemeinschaft (= Beitragszahler). Auch das Vertrauen der versicherten Patienten in eine einwandfreie Versorgung wird beeinträchtigt. Es kommt hinzu, dass sich der Krankenversicherungsträger – beim Nachweis von Pflichtverletzungen – oft in einer schwierigen Beweissituation befindet, weil ja die versicherten Patienten nicht verpflichtet sind, entsprechende Auskünfte zu erteilen. Er ist also im Verdachtsfall auf freiwillige Auskünfte angewiesen. Sehr häufig werden freilich die Patienten nicht zu Lasten ihres Arztes aussagen wollen. All dies spricht für die grundsätzliche Zulässigkeit des Einsatzes von Testpatienten durch den Krankenversicherungsträger. Ein Vertragsarzt wird sich daher auch nicht auf sein „Hausrecht“ berufen dürfen und seinen Vertragspartner mit Erfolg auf Unterlassung klagen können.

Welche Grenzen der Einsatz von Testpatienten haben soll, war in diesem Verfahren nicht zu entscheiden. Es bestand ja schon vorher ein begründeter Verdacht gegen den Vertragsarzt, der sich durch anonyme Anzeigen ergab. Auch die konkrete Vorgangsweise der Testpatienten war im Hinblick auf die einschlägige Judikatur im Wettbewerbsrecht nicht zu beanstanden. Dass es Grenzen für den Einsatz von Testpatienten geben wird, lässt sich wohl kaum bestreiten. Darüber nachzusinnen sprengt aber den Rahmen einer E-Besprechung.

Angemerkt sei nur noch, dass die Gesamtverträge – soweit zu sehen – keine ausdrücklichen Regelungen über den Einsatz von Testpatienten enthalten. Eine Auslegung in Richtung eines Verbotes dürfte wohl kaum in Betracht kommen. Selbst wenn aber ein derartiges Verbot bestünde, wäre über eine Verwertung der so erlangten Beweise noch nichts ausgesagt.