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Einhaltung des Mindestlohns bei öffentlicher Auftragsvergabe

ALICEWAGNER
RL 96/71/EG
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RL 2004/18/EG

Eine gesetzliche Regelung, welche vorsieht, dass Bieter und deren Sub-Unternehmer im Rahmen der Angebotsabgabe eine Mindestlohnerklärung vorzulegen haben, ist mit dem Unionsrecht vereinbar. Der Auftraggeber darf Bieter, die sich weigern, eine solche Mindestlohnerklärung abzugeben, vom Vergabeverfahren ausschließen.

SACHVERHALT

Die Stadt Landau schrieb im Jahr 2013 einen Auftrag über Postdienstleistungen (Abholung, Beförderung und Zustellung von Briefen, Päckchen und Paketen) aus. Die Vergabeunterlagen enthielten eine Mustererklärung, welche von den Bietern und ihren Sub-Unternehmen gleichzeitig mit ihrem Angebot vorzulegen war. Diese enthielt ua die Verpflichtung, den Beschäftigten zumindest den Mindestlohn gemäß des rheinland-pfälzischen Landesgesetzes zur Gewährleistung von Tariftreue und Mindestentgelt bei öffentlichen Auftragsvergaben (idF: LTTG) zu bezahlen. Aufgrund dieser Festlegung betrug der Mindestlohn zum Zeitpunkt des Ausgangsverfahrens € 8,70 (brutto) pro Stunde. Das Unternehmen RegioPost verweigert die Vorlage der geforderten Bietererklärung und wurde daher vom Vergabeverfahren ausgeschlossen.

VERFAHREN UND ENTSCHEIDUNG

In der Folge reichte RegioPost einen Nachprüfungsantrag ein. Diesen wies die Vergabekammer Rheinland-Pfalz zurück. Gegen diesen Beschluss erhob RegioPost Beschwerde. Das zuständige Oberlandesgericht (OLG) war der Ansicht, dass die Entscheidung des Rechtsstreits davon abhänge, ob die Verpflichtung zur Abgabe einer Mindestlohnerklärung nach dem LTTG mit dem Unionsrecht vereinbar sei. Das OLG setzte daher das Verfahren aus und legte dem EuGH die Frage vor, ob der Festlegung eines Mindestlohnes nach dem LTTG die Allgemeine Vergabe-RL 2004/18/EG bzw die Entsende-RL 96/71/EG entgegenstehe.

Der EuGH hat entschieden, dass eine regionale, gesetzliche Regelung, welche vorsieht, dass Bieter und deren Sub-Unternehmer im Rahmen der Angebotsabgabe eine Mindestlohnerklärung vorzulegen haben, zulässig ist. Demnach ist es auch zulässig, Bieter, die sich weigern, eine solche Erklärung abzugeben, vom Vergabeverfahren auszuschließen. Für den EuGH war es wesentlich, dass es zum Zeitpunkt des Ausgangsfalles keinen – im Vergleich zum LTTG – niedrigeren gesetzlichen Mindestlohn und auch keinen Tarifvertrag für die Postdienstleistungsbranche gab.

ORIGINALZITATE AUS DER ENTSCHEIDUNG

„Im vorliegenden Fall wirft das vorlegende Gericht die Frage nach den Auswirkungen der im Ausgangsverfahren fraglichen nationalen Maßnahme auf außerhalb Deutschlands ansässige Unternehmen auf, die an einer Beteiligung am Verfahren zur Vergabe des betreffenden öffentlichen Auftrags interessiert gewesen sein und die Entsendung ihrer Arbeitnehmer nach Deutschland in Betracht gezogen haben können, weil diese Unternehmen wegen des Erfordernisses, sich zur Einhaltung des nach dem LTTG vorgeschriebenen Mindestentgelts zu verpflichten, möglicherweise von einer solchen Beteiligung abgesehen haben. Daher ist diese nationale Maßnahme anhand von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 96/71 zu prüfen. [Rn. 61] Insoweit ist festzustellen, dass eine Vorschrift wie § 3 LTTG als ‚Rechtsvorschrift‘ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 erster Gedankenstrich der Richtlinie 96/71 einzustufen ist, die einen ‚Mindestlohnsatz‘ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. c dieser Richtlinie vorsieht. Denn zum einen wird, anders als beim Niedersächsischen Landesvergabegesetz, um das es in der Rechtssache ging, in der das Urteil Rüffert (C‑346/06, EU:C:2008:189) ergangen ist, dieser Mindestlohnsatz in § 3 LTTG selbst festgelegt. Zum anderen sahen in dem im Ausgangsverfahren maßgebenden Zeitraum weder das AEntG noch eine andere nationale Regelung einen niedrigeren Lohn für die Branche der Postdienstleistungen vor. [Rn. 62] […] Überdies kann, da sich die im Ausgangsverfahren fragliche Maßnahme in den Rahmen von Art. 26 der Richtlinie 2004/18 einfügt, der unter bestimmten Voraussetzungen die Vorgabe eines Mindestlohns bei öffentlichen Aufträgen gestattet, nicht gefordert werden, dass sich die Maßnahme über diesen speziellen Bereich hinaus erstreckt und allgemein für alle Aufträge einschließlich privater Aufträge gilt. [Rn. 64] […] Nach 6alledem ist auf die zweite Frage zu antworten, dass Art. 26 der Richtlinie 2004/18 dahin auszulegen ist, dass er Rechtsvorschriften einer regionalen Einheit eines Mitgliedstaats wie den im Ausgangsverfahren fraglichen nicht entgegensteht, die vorsehen, dass Bieter und deren Nachunternehmer von der Beteiligung an einem Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags ausgeschlossen werden, wenn sie sich weigern, sich durch eine schriftliche, ihrem Angebot beizufügende Erklärung zu verpflichten, den Beschäftigten, die zur Ausführung von Leistungen, die Gegenstand des öffentlichen Auftrags sind, eingesetzt werden sollen, einen in den betreffenden Rechtsvorschriften festgelegten Mindestlohn zu zahlen. [Rn 88]“

ERLÄUTERUNG

Im Jahr 2008 hatte der EuGH in der ähnlich gelagerten und viel kritisierten Rs Rüffert (3.4.2008, C‑346/06) die damalige Vorgangsweise als europarechtswidrig eingestuft: Bei der Auftragsvergabe von Rohbauarbeiten für eine Justizvollzugsanstalt hatte das Land Niedersachsen die Einhaltung des KollV für das Baugewerbe verlangt. Aus Sicht des EuGH war dies unzulässig, da dieser Tarifvertrag nicht für allgemein verbindlich erklärt worden war. Der – durchaus formalistische, aber aus Sicht des EuGH entscheidende – Unterschied zur aktuellen Rs RegioPost: Der von den Bietern in diesem Fall zu bezahlende Mindestlohn basiert auf dem Landesvergabegesetz und somit einer gesetzlichen Grundlage. Dabei war es aus Sicht des EuGH zulässig, dass eine solche gesetzliche Bestimmung nur für gesetzliche Aufträge gilt, und nicht erforderlich, dass diese auch auf private Aufträge erstreckt wird.

Mit dem Urteil RegioPost hat der EuGH somit einen möglichen Weg aufgezeigt, Mindestlöhne bei der öffentlichen Auftragsvergabe zu verankern und Bieter, die dieser Aufforderung nicht nachkommen, vom Vergabeverfahren auszuschließen. Auswirkungen hat das Urteil unmittelbar für Staaten/Bundesländer, die über keinen gesetzlichen Mindestlohn oder allgemeinverbindliche Kollektivverträge verfügen. Mit der Einführung des gesetzlichen, allgemeinen Mindestlohnes in Deutschland, welcher derzeit bei € 8,50 liegt, hat sich nunmehr auch die Rechtslage im Land des Ausgangsrechtsfalls geändert. Die meisten deutschen Bundesländer verfügen wie Rheinland-Pfalz über Mindestlohnvorgaben in Landesvergabegesetzen, die teils über dem allgemeinen Mindestlohn von € 8,50 hinausgehen (vgl dazu etwa Schulten, Warum landesspezifische Mindestlohnvorgaben im Vergabegesetz trotz allgemeinem Mindestlohn eine Zukunft haben könnten, in: Euroforum-Newsletter, Ausgabe 2/2014). In Folge des RegioPost-Urteils ergibt sich daher die spannende – und auch für Österreich äußerst relevante – Rechtsfrage, ob im Rahmen der Auftragsvergabe von den Bietern auch ein höherer als der gesetzliche oder kollektivvertragliche Mindestlohn verlangt werden kann. Diese Frage war nicht Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits. Jedoch verweist der EuGH in mehreren Passagen des aktuellen Urteils auf das Nicht-Vorhandensein eines niedrigeren gesetzlichen Mindestlohnes bzw Branchen-KollV für die Postdienstleistungsbranche (vgl Rn 62 und 76). Bedauerlicherweise lässt dies eher darauf schließen, dass der EuGH wohl keinen Handlungsspielraum für öffentliche Auftraggeber sieht, von Bietern im Rahmen von Vergabegesetzen höhere als die bestehenden gesetzlichen oder kollektivvertraglichen Mindestlöhne zu verlangen. Letztlich wird diese Rechtsfrage wohl erst in einem Folgeurteil endgültig geklärt werden.

Auch in der aktuellen E prüft der EuGH, ob das deutsche LTTG eine Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit bewirkt. Das bejaht der EuGH zwar dem Grunde nach, hält aber die Beschränkung für gerechtfertigt (Rn 70 ff). Anders hatte der EuGH in der Rs Bundesdruckerei (18.9.2004, C‑549/13) entschieden, in welchem der Auftraggeber die Einhaltung der Mindestlöhne nicht verlangen konnte, da die Leistung vom Bieter oder Sub-Unternehmer in einem anderen Mitgliedstaat erbracht wurde und als „zusätzliche wirtschaftliche Belastung“ einzustufen wäre, „die geeignet ist, die Erbringung ihrer Leistungen im Aufnahmemitgliedstaat zu unterbinden, zu behindern oder weniger attraktiv zu machen“ (vgl Rn 69, welche auf das Urteil Bundesdruckerei, EuGHC‑549/13, Rn 30 verweist).

Der EuGH hat es im Urteil RegioPost für zulässig erachtet hat, von Bietern und ihren Sub-Unternehmen zu verlangen, mit der Angebotsabgabe eine vorformulierte Erklärung über die Einhaltung des Mindestlohnes (und weitere Bereiche) abzugeben bzw bei Nicht-Abgabe der Erklärung den Bieter vom Verfahren auszuschließen. Die im Urteil wiedergegebene Mustererklärung (vgl Rn 23) kann daher auch als Schablone für künftige Auftragsvergaben nützlich sein.7