16

Elternteilzeit: Tragen eines rosafarbenen Haarbandes durch Busfahrer stellt keinen Kündigungsgrund dar

BIRGITSCHRATTBAUER

Mit der Weisung, im Dienst kein auffälliges Kleidungsstück zu tragen, greift der AG in die Persönlichkeitsrechte des AN nach § 16 ABGB und Art 8 EMRK, sein persönliches Erscheinungsbild nach eigenem Ermessen festzulegen, ein. Dieser Eingriff braucht gute Gründe, um gerechtfertigt zu sein.

Die Weisung an einen im öffentlichen Linienverkehr eingesetzten AN, im Dienst kein rosafarbenes Haarband zu verwenden, ist nicht durch ein die Persönlichkeitsrechte des AN überwiegendes betriebliches Interesse gerechtfertigt. Weigert sich der AN, einer solchen Weisung Folge zu leisten, so verletzt er dadurch nicht seine arbeitsvertraglichen Pflichten.

SACHVERHALT

Der Bekl ist bei der kl AG als Kraftfahrer im Linienverkehr beschäftigt und befindet sich in Elternteilzeit. Für die Mitarbeiter des Fahrbetriebs gelten durch Richtlinien festgelegte Bekleidungsvorschriften, die den Auftritt nach außen in einem einheitlichen Erscheinungsbild gewährleisten sollen; diese enthalten kein Verbot der Verwendung von Haarbändern. Der Bekl trug seine langen Haare zunächst immer mit einem schwarzen Haarband zusammengebunden. Als er zu einem rosafarbenen Haarband wechselte, wurde er seitens der Kl dazu aufgefordert, das Haarband abzunehmen. Der Bekl leistete dieser Weisung aber mit den Worten „Sicher net!“ keine Folge und wurde daraufhin vom Dienst suspendiert.

Mit der Klage begehrte die AG die gerichtliche Zustimmung zur Kündigung des Bekl und stützte sich dabei auf den auch für Väter in Elternteilzeit maßgeblichen Kündigungsgrund des § 10 Abs 4 MSchG. Diese Bestimmung sieht die gerichtliche Zustimmung zur Kündigung ab dem zweiten Lebensjahr des Kindes ua auch dann vor, wenn Umstände, die in der Person des/der AN liegen und die betrieblichen Interessen nachteilig berühren, einer Weiterbeschäftigung entgegenstehen und die Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses dem AG unzumutbar ist.

VERFAHREN UND ENTSCHEIDUNG

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt, das Berufungsgericht bestätigte diese E. Beide Unterinstanzen hielten die Weisung an den Bekl, im Dienst kein rosafarbenes Haarband zu tragen, für sachlich gerechtfertigt, wobei das Berufungsgericht das betriebliche Interesse der Kl daran hervorhob, dass das Vertrauen der Fahrgäste in die Professionalität und Seriosität der Buslenker erhalten bleibe und das einheitliche Erscheinungsbild nicht durch auffällige Accessoires gestört werde, die dem Verständnis der Bevölkerung vom Erscheinungsbild von Buslenkern im öffentlichen Linienverkehr massiv widersprechen würden.

Der OGH gab der gegen diese E gerichteten Revision des Bekl Folge und wies das Klagebegehren ab.

ORIGINALZITATE AUS DER ENTSCHEIDUNG

„Aus dem Persönlichkeitsschutz (§§ 16 und 17 ABGB, Art 8 EMRK) wird ein Recht der einzelnen natürlichen Person auf eine Privatsphäre abgeleitet. Auch im dienstlichen Bereich hat der Arbeitnehmer eine Privatsphäre, die es ihm gestattet, zB seine Kleidung und seinen Schmuck frei zu wählen (Rauch, Sind Vorschriften des Arbeitgebers zu Bekleidung, Schmuck, Tätowierungen und Piercings zulässig?ASoK 2006, 327 mwN). Ebenso unterfallen die Wahl der Haartracht (insbesondere Haarlänge), Piercings oder Tätowierungen dem Persönlichkeitsrecht. Nach Kreil (Haar- und Barttracht: Persönlichkeitsschutz 23contra Weisungsrecht, RdW 2006/655, 704) werden die Persönlichkeitsrechte des Arbeitnehmers durch Vorschriften bezüglich Haartracht, Piercings und Tätowierungen stärker eingeschränkt als durch Vorgaben bei der Dienstkleidung, weil erstere auch in die Freizeit nachwirken. Grenzen der Persönlichkeitsrechte ergeben sich nach Ansicht von Kreil aber auch hier, wenn das Äußere des Arbeitnehmers von weiten Bevölkerungskreisen als unkorrekt oder unseriös wahrgenommen wird und somit erwarten lässt, dass der Arbeitnehmer bei der Dienstausübung nicht ernst genommen wird oder ihm das erforderliche Vertrauen nicht entgegengebracht wird. Einschränkungen der in Rede stehenden Persönlichkeitsrechte des Arbeitnehmers können ihre Grundlage im Gesetz, dem Kollektivvertrag, einer erzwingbaren Betriebsvereinbarung (§ 97 Abs 1 Z 1 ArbVG) oder dem Arbeitsvertrag haben. […]

Im Anlassfall leitet die Klägerin ihr Weisungsrecht aus dem Arbeitsvertrag ab. Sie stellt nicht in Abrede, dass im Betrieb kein generelles Trageverbot von Haarbändern oder Kopfbedeckungen besteht, zumal auch Kraftfahrerinnen genehmigt wird, ein Haarband, einen Haarreifen oder ein Gummiband zu tragen, sofern diese unauffällig und dezent sind. […] Nicht weiter strittig ist zwischen den Parteien, dass der Kläger [richtig: der Beklagte] aufgrund seiner langen, dichten und buschigen Haare ein Haarband, einen Haargummi, einen Haarreifen oder Ähnliches tragen muss. Die Beklagte [richtig: Die Klägerin] will aber mit ihrer an den Kläger [richtig: der Beklagte] gerichteten Anordnung erreichen, dass der Kläger [richtig: der Beklagte] im Dienst kein rosafarbenes Haarband trägt. Mit dieser Einzelweisung greift sie aber in die Persönlichkeitsrechte des Klägers [richtig: der Beklagte] nach § 16 ABGB und Art 8 EMRK, sein persönliches Erscheinungsbild nach eigenem Ermessen festzulegen, ein.

Die nun von der Klägerin und den Vorinstanzen zur Begründung der betrieblichen Erforderlichkeit dieser Weisung vorgetragenen Argumente lassen ein Überwiegen der betrieblichen Interessen der Klägerin gegenüber den durch die Weisung beeinträchtigten Persönlichkeitsrechten des Beklagten nicht erkennen. Die Klägerin sieht ihre betrieblichen Interessen letztlich nur durch die Farbauswahl des zwar funktionellen, ihrer Meinung nach zu auffallenden Haarbandes des Beklagten beeinträchtigt. Weshalb aber Fahrgäste an der Professionalität und Seriosität eines im öffentlichen Verkehr tätigen Buslenkers zweifeln sollten, nur weil dieser ein farblich auffallendes Haarband trägt, wurde von der Klägerin nicht nachvollziehbar dargelegt. […] Der Klägerin ist durchaus zuzugestehen, dass sie ein berechtigtes Interesse an einem möglichst einheitlichen äußeren Erscheinungsbild ihrer im Fahrdienst beschäftigten Mitarbeiter hat. Dieses wird hier aber ohnehin durch die von ihr vorgegebenen Bekleidungsvorschriften (Uniform), an die sich auch der Beklagte unstrittig hält, gewährleistet. Den von der Klägerin vorgetragenen Sicherheitsaspekten, wonach gerade im Gefahrenfall erkennbar sein soll, wer der Fahrer ist, wird schon durch die Uniform ausreichend Rechnung getragen. Eine relevante Steigerung der Sicherheit durch das Tragen eines nach Meinung der Klägerin dezenterfarbigen Haarbandes ist im Verfahren nicht hervorgekommen.

Die Vorstellungen der Gesellschaft von der ‚angemessenen Bekleidung‘ und Ausstattung einzelner Berufsgruppen und damit dem Erscheinungsbild nach außen unterliegen naturgemäß dem Wandel der Zeit und sind selbst zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht in allen Bevölkerungsschichten gleich. Allgemein gültige Aussagen, die über den Einzelfall hinaus von Bedeutung sind, sind daher kaum möglich. Fest steht aber, dass der Eingriff des Arbeitgebers in die Persönlichkeitsrechte des Arbeitnehmers sehr gute Gründe braucht, um gerechtfertigt zu sein. Diese liegen hier nicht vor.“

ERLÄUTERUNG

In der E 8 ObA 195/98d (

[Firlei])
hat sich der OGH bereits einmal ausführlich mit der Frage der Zulässigkeit von Weisungen beschäftigt, die das äußere Erscheinungsbild des/der AN betreffen. Dort ging es um die Weisung an einen (nicht unmittelbar im Kassenraum mit Kundenkontakt) eingesetzten Bankangestellten, eine auffallende Goldkette nicht sichtbar über dem Hemd zu tragen. Mit der Begründung, dass das Tragen einer solchen Kette massiv dem Verständnis der Bevölkerung vom Erscheinungsbild eines männlichen Bankbeamten widerspreche, hat der OGH im gegebenen Fall diese Weisung als gerechtfertigt angesehen und deshalb die Zulässigkeit der Entlassung des AN als Reaktion auf seine Weigerung, die Kette abzulegen, grundsätzlich bejaht. Wohl vor dem Hintergrund dieser E sind die Unterinstanzen auch im gegebenen Fall zum Ergebnis gekommen, dass die Weisung an den Bekl, das auffällige rosafarbene Haarband abzunehmen, gerechtfertigt und somit die wegen der Elternteilzeit erforderliche gerichtliche Zustimmung zur Kündigung aufgrund der beharrlichen Verweigerung der Weisungsbefolgung zu erteilen sei.

Die Anknüpfung an diffuse gesellschaftliche Vorstellungen über die angemessene Bekleidung verschiedener Berufsgruppen wirft freilich viele Fragen auf: Wessen Vorstellungen genau sollen hier relevant sein und wem kommt die Definitionsmacht darüber zu, was als den gesellschaftlichen Erwartungen konform zu beurteilen ist und was nicht? Zu Recht weist der OGH in der vorliegenden E außerdem darauf hin, dass gesellschaftliche Vorstellungen dem Wandel der Zeit unterworfen sind und deshalb eine allgemeingültige Festlegung, welches Erscheinungsbild als angemessen anzusehen ist, gar nicht möglich ist.

Im vorliegenden Urteil stellt der OGH nun klar, dass eine allgemein gehaltene Berufung des/der AG auf (behauptete) abweichende Bekleidungserwartungen der Kunden zur Rechtfertigung von Weisun-24gen, die in Persönlichkeitsrechte des/der AN eingreifen, nicht ausreicht. In diesen Fällen sind vielmehr erhöhte Anforderungen an die Abwägung zwischen dem Interesse des/der AN an der Wahrung seiner/ihrer Privatsphäre und etwaigen entgegenstehenden betrieblichen Interessen zu stellen. Es obliegt dem/der AG nach Ansicht des OGH nachzuweisen, welche konkreten, die Persönlichkeitsrechte des/der AN überwiegenden betrieblichen Interessen einen solchen Eingriff in die (prinzipiell auch im dienstlichen Bereich zu respektierende) Privatsphäre des/der AN rechtfertigen. Überwiegende betriebliche Interessen könnten nach den Ausführungen des OGH beispielsweise dann vorliegen, wenn das Verhalten des/der AN nachweislich dazu führt, dass dem/der AG Kunden verloren gehen, oder wenn plausibel argumentiert werden kann, dass die per Weisung angeordneten Bekleidungsvorschriften der Erhöhung der Sicherheit in Gefahrensituationen dienen. Liegen derartige besondere Gründe aber nicht vor, so verletzt der/die AN mit der Verweigerung der Weisungsbefolgung seine/ihre arbeitsvertraglichen Pflichten nicht. Außerhalb von Sonderkonstellationen eines besonderen Kündigungs- und Entlassungsschutzes wie im vorliegenden Fall bedeutet das vor allem, dass eine Entlassung nicht mit einer solchen Weigerung begründet werden kann.