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Verbindlichkeit unzulässiger Betriebsvereinbarung

HELMUTZIEHENSACK
§ 29 ArbVG; § 52 Abs 8 Tiroler LandesbedienstetenG; § 24 Abs 9 VBG
OGH 28.10.2015, 9 ObA 109/15t

Selbst eine gesetzlich unzulässige Betriebsvereinbarung kann Ansprüche (auf Wiedereinstellung nach Antritt einer befristeten Berufsunfähigkeitspension) begründen, wenn sie Eingang in die Einzelverträge der AN gefunden hat.

SACHVERHALT

Im vorliegenden Fall ging es um ein Vertragsbedienstetenverhältnis nach dem Tiroler LandesbedienstetenG. Der Kl war als Pflegehelfer in einem Landes-Krankenhaus tätig. In diesem Betrieb gab es eine BV, die vorsah, dass der AG zur Wiedereinstellung aller Bediensteten nach Inanspruchnahme einer bloß befristeten Berufsunfähigkeitspension verpflichtet sei. Das Dienstverhältnis des Kl endete infolge eines mehr als einjährigen Krankenstandes ex lege gem § 51 Abs 8 Tiroler LandesbedienstetenG (für Vertragsbedienstete des Bundes findet sich eine vergleichbare Regelung in § 24 Abs 9 VBG).

Zuvor hatte der Kl bereits einen Antrag auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitspension gestellt. Dieser war mit Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt vom 21.3.2012 abgewiesen worden. In einem darauf folgenden vom Kl eingeleiteten sozialgerichtlichen Verfahren wurde jedoch ein Vergleich (und zwar datierend vom 10.1.2013) abgeschlossen, mit welchem dem Kl rückwirkend eine Berufsunfähigkeitspension befristet zuerkannt worden war. Diese bezog der Kl dann auch bis 31.10.2013. Nach Auslaufen der bloß befristet zuerkannten Berufsunfähigkeitspension wollte der Kl beim seinerzeitigen AG wieder aufgenommen werden. Der AG stimmte dem nicht zu. Der Kl klagte daraufhin auf Schadenersatz wegen Nichteinhaltung der in der BV enthaltenen Wiedereinstellungszusage.

VERFAHREN UND ENTSCHEIDUNG

Das Berufungsgericht gab der Klage im zweiten Rechtsgang zum Großteil (nämlich über € 25.158,89 brutto) statt und wies das restliche Mehrbegehren (von € 8.647,50 brutto) ab. Es ging davon aus, dass es sich zwar bei der gegenständlichen BV mangels gesetzlicher Regelungsermächtigung um eine unzulässige BV handelte. Die darin enthaltene Wiedereinstellungszusage sei dennoch verbindlich, da von einer schlüssigen, einzelvertraglichen Unterwerfung der Streitteile unter die getroffenen Vereinbarungen laut BV auszugehen sei. Das vom Kl durch die Annahme des in der BV enthaltenen Angebots auf Wiedereinstellung nach Ablauf der befristeten Berufsunfähigkeitspension neu begründete Dienstverhältnis sei vom AG (mit Schreiben vom 6.2.2014) unberechtigt aufgelöst worden. Dem Kl stehe daher gem § 45 Abs 3 Satz 1, § 74 Abs 1 und 2 Tir LBedG das Entgelt von 1.11.2013 bis 6.2.2014 und eine Kündigungsentschädigung bis 31.7.2014 unter Abzug des vom Kl in diesem Zeitraum bezogenen Arbeitslosengeldes sowie Verdienstes zu. Nicht berechtigt seien hingegen die vom Kl geltend gemachten Schadenersatzansprüche für die Zeit ab August 2014. Die ordentliche Revision sei nicht zulässig.

Der OGH erachtete die dagegen erhobene außerordentliche Revision sowohl der Klags- wie auch der Bekl-Seite mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage für unzulässig. Er hielt insb die Rechtsansicht des Berufungsgerichts zur einzelvertraglichen Bindungswirkung der in der BV enthaltenen Wiedereinstellungszusage für vertretbar.

ORIGINALZITATE AUS DER ENTSCHEIDUNG

„Inhalt einer Betriebsvereinbarung kann nur sein, was durch Gesetz oder Kollektivvertrag der Regelung durch Betriebsvereinbarung überantwortet wurde. […] Selbst wenn mit einer zwischen den Betriebsparteien abgeschlossenen Vereinbarung die betriebsverfassungsrechtlichen Regelungskompetenzen überschritten wurden und diese Vereinbarung daher insoweit keine normative Wirkung iSd ArbVG entfaltet hat, kann diese ‚freie Betriebsvereinbarung‘ Eingang in die jeweiligen Einzelarbeitsverträge gefunden haben. […]

Gibt nicht nur der Arbeitgeber, sondern auch die Gesamtheit der Arbeitnehmer durch ihr Verhalten eindeutig zu erkennen, dass sie sich an die Bestimmung einer unzulässigen Betriebsvereinbarung halten wollen, dann besteht kein Grund, an ihrer schlüssigen Unterwerfung unter die dort getroffenen Vereinbarungen und damit an einer entsprechenden Ergänzung der Einzelarbeitsverträge zu zweifeln. Der beim Abschluss der Betriebsvereinbarung existent vorhandene Arbeitgeberwille kann in ein an die bereits vor Abschluss der Betriebsvereinbarung beschäftigten Arbeitnehmer gerichtetes, auf Ergänzung der Einzelarbeitsverträge abzielendes Arbeitgeberoffert umgedeutet werden. […]

Für die Arbeitnehmerseite kann bei Betriebsvereinbarungen, die der Belegschaft nur Vorteile bringen, eine schlüssige Unterwerfung ohne weiteres angenommen werden. Auf langjährige Übung kommt es dann nicht an.“

ERLÄUTERUNG

Interessant erscheint bei der vorliegenden E, dass der OGH von der Anwendbarkeit der BV auch für den Fall ausgegangen ist, dass ein Dienstverhältnis nicht aufgrund von DN-Kündigung (also Eigenkündigung des AN bspw wegen Dienstunfähigkeit und des bekannt gegebenen Wunsches des Antritts einer befristeten Berufsunfähigkeitspension) oder der AG-Kündigung wegen Dienstunfähigkeit, sondern wegen eines Langzeitkrankenstandes beendet wur-10de (einem Spezifikum des öffentlichen Dienstrechtes, vgl hierzu etwa auch § 24 Abs 9 VBG).

Der OGH knüpfte dabei entscheidend an das Motiv für den Abschluss der BV an. Dieses lag nach dem festgestellten Sachverhalt darin begründet, „dass es nach Einführung der Regelungen über die Befristung von Pensionen wegen geminderter Arbeitsfähigkeit häufig dazu kam, dass Mitarbeiter die Möglichkeit, eine befristete Pension zu beziehen, nicht in Anspruch nahmen, weil sie hierfür ihr Dienstverhältnis hätten beenden müssen und nach Ablauf der Pension keinen Anspruch auf Weiterbeschäftigung gehabt hätten. Da es aber auch im Interesse der Beklagten lag […], dass die Dienstnehmer nicht bloß Langzeitkrankenstände, sondern eine allenfalls mögliche Pensionsleistung in Anspruch nahmen, wurde den Dienstnehmern von Arbeitgeberseite das Recht auf Weiterbeschäftigung im Betrieb nach Auslaufen der befristet gewährten Pension eingeräumt. Ausgehend von diesem Zweck der Betriebsvereinbarung vom 7.10.1992 fällt auch die gegenständliche Sachverhaltskonstellation einer im aufrechten Dienstverhältnis beantragten, aber befristeten Pension darunter. Die Betriebsvereinbarung lässt auch nicht erkennen, dass der Dienstnehmer bereits ‚bei‘ Zuerkennung der befristeten Berufsunfähigkeit im Einzelfall mit dem DG eine Wiederherstellung aushandeln müsste, um zu seinem in der Betriebsvereinbarung verbrieften Recht auf Weiterbeschäftigung nach Ende der befristet gewährten Berufsunfähigkeitspension zu kommen.

Die Rückschlüsse aus dieser Begründung bestehen nun darin, dass die Betriebsvereinbarungsregelung auch im Fall einer ex-lege-Beendigung des Arbeitsverhältnisses (etwa auf Grund eines Einjahreskrankenstandes nach § 24 Abs 9 VBG des Bundes bzw dahin gehender vergleichbarer Regelungen in den Landesvertragsbedienstetenrechten) gilt. Diese extensive Interpretation bzw Erweiterung des Anwendungsbereiches der BV erscheint durchaus bemerkenswert. Rsp und Lehre haben der Möglichkeit einen Riegel vorgeschoben, dass sich der AG durch die Behauptung der Unzulässigkeit der BV der sich daraus ergebenden Verpflichtungen entzieht. Im Fall des Einganges der BV in die Einzelarbeitsverträge bleiben dann nämlich die Wirkungen der BV erhalten. Dass aber der Inhalt der BV auch im Fall einer ex-lege-Beendigung des Arbeitsverhältnisses gelten soll, überrascht doch, da die vom OGH gebotene Begründung gerade diese Konstellation nicht umfasst: Es steht nämlich nicht in der Disposition („im Belieben“) des langzeiterkrankten AN, die befristete Pension zu beziehen oder das Dienstverhältnis fortzusetzen. Die fortwährende Krankheit führt zur ex-lege-Beendigung des Dienstverhältnisses und zur Bezugsmöglichkeit einer befristeten oder unbefristeten Pension. Ein Interesse des AG erscheint in einer derartigen Konstellation entweder nicht oder nur vermindert gegeben. Es könnte allenfalls darin bestehen, eine Wiedergenesung des AN durch die Inanspruchnahme der befristeten Pension zu erhoffen, um dann von der Rückkehr der Arbeitskraft zu profitieren. Da der AG aber ohnedies stets die Möglichkeit zur freiwilligen Wiederaufnahme eines ausgeschiedenen AN hat, erscheint ein derartiger Mehrwert eher weniger gut argumentierbar. Gleichzeitig kann aber der Wunsch des OGH, bei Auslegung einer „Wiederein-stellungszusagen-Betriebsvereinbarung im Fall befristeten Berufsunfähigkeitspensionsbezugs“ eine sozial-adäquate Lösung („nach Billigkeit“) zu erzielen, durchaus nachvollzogen werden.