8KollV Arbeitskräfteüberlassung: Anspruch auf Zulagen nach dem Beschäftiger-KollV besteht neben dem Grundlohn nach dem KVAÜ
KollV Arbeitskräfteüberlassung: Anspruch auf Zulagen nach dem Beschäftiger-KollV besteht neben dem Grundlohn nach dem KVAÜ
Überlassene Arbeitskräfte haben neben dem – im Günstigkeitsvergleich höheren – Grundlohn nach dem Beschäftiger-KollV Arbeitskräfteüberlassung Anspruch auf Zulagen aus dem Beschäftiger-KollV. Der Günstigkeitsvergleich ist somit unter Ausschluss von Zulagen, Zuschlägen und sonstigen Entgelten durchzuführen. Zu derartigen Zulagen und Nebengebühren zählen außer kollektivvertraglichen Regelungen auch die durch Gesetz, Verordnung oder behördlich festgesetzten, überbetrieblichen Regelungen des Beschäftigers.12
Von einem gewerblichen Arbeitskräfteüberlasser werden über 100 Arbeiter und Arbeiterinnen als AbteilungshelferInnen an ein Krankenhaus überlassen.
Im Beschäftigerbetrieb (dem Krankenhaus) gelten die Vertragsbedienstetenordnung 1995 (VBO 1995), die Besoldungsordnung 1994 (BO 1994) sowie der vom Wiener Stadtsenat beschlossene Nebengebührenkatalog. Die Einstufung der direkt im Beschäftigerbetrieb beschäftigten AbteilungshelferInnen in das Schema III, Verwendungsgruppe 4 der Anlage 1 der BO 1994 ist unstrittig. Ebenso unstrittig ist auf die überlassenen AbteilungshelferInnen der KollV für das Gewerbe der Arbeitskräfteüberlassung (KVAÜ) anzuwenden, nach dem die AbteilungshelferInnen mindestens in die Beschäftigungsgruppe B einzustufen sind. Dieser einsatzunabhängige Mindestlohn der Beschäftigungsgruppe B des KVAÜ liegt über jenem nach der Einstufung in die BO 1994 und steht den überlassenen AbteilungshelferInnen daher (ebenfalls unstrittig) nach dem Günstigkeitsprinzip des Abschnitt IX/2 KVAÜ zu.
Der Stammbelegschaft im Krankenhaus hat darüber hinaus gemäß dem Nebengebührenkatalog bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen Anspruch auf eine Gefahren-(Infektions-, Desinfektions-)zulage sowie eine Schmutzzulage. Den überlassenen AbteilungshelferInnen wurden diese Zulagen jedoch nicht oder nur teilweise ausbezahlt, da die Zulagen in den bezahlten Mindestlohn eingerechnet wurden.
Es handelt sich bei der gegenständlichen E des OGH um eine Beschluss anlässlich eines Antrags auf Feststellung gem § 54 Abs 2 ASGG. Dh, der E durch den OGH ging kein unterinstanzliches Verfahren vor.
Der Antragsteller beantragte festzustellen, dass die überlassenen AbteilungshelferInnen neben dem Grundlohn nach dem KVAÜ Anspruch auf Bezahlung von Zulagen nach dem Nebengebührenkatalog des Beschäftigers haben.
Der Antragsgegner brachte hingegen vor, dass beim Günstigkeitsvergleich zwischen dem einsatzunabhängigen Mindestlohn nach dem KVAÜ und den beim Beschäftiger geltenden Entgeltvorschriften sämtliche Zulagen miteinzubeziehen seien. Es solle nach § 10 Abs 1 AÜG nur zu einer Gleichstellung, nicht aber zu einer Besserstellung der überlassenen Arbeitskräfte kommen, was auch die EU-Leiharbeitsrichtlinie verlange (RL 2008/104/EG). Ein Anspruch auf die der vergleichbaren Stammbelegschaft beim Beschäftigerbetrieb gebührenden Zulagen bestehe also nicht zusätzlich zum Grundlohn nach dem KVAÜ, sondern nur in Höhe der Differenz zwischen dem Grundlohn nach KVAÜ und der Summe von Grundlohn und den genannten Zulagen beim Beschäftiger.
Im Ergebnis gab der OGH dem Feststellungantrag statt. Er hielt fest, dass den überlassenen AbteilungshelferInnn schon nach dem KVAÜ der Mindestlohn/Grundlohn nach Abschnitt IX KVAÜ für 40 Wochenstunden Normalarbeitszeit ohne Anrechnung der Gefahren-(Infektions-, Desinfektions-)zulage und der Schmutzzulage nach dem Nebengebührenkatalog des Magistrats der Stadt Wien zustehe. Diese Zulagen sind in der monatlichen Lohnabrechnung gesondert auszuweisen.
„[…] Der in Abschnitt IX/1 KVAÜ geregelte einsatzunabhängige Mindestlohn sichert den überlassenen Arbeitskräften ein Mindesteinkommen und schützt sie so vor zu starken Einkommensschwankungen. […] Abschnitt IX KVAÜ regelt nicht die Entgeltansprüche sondern – so schon die Überschrift – lediglich die Mindestlöhne (Schindler, Arbeitskräfteüberlassungs-KV² IX Erl 1).
Abschnitt IX/3 KVAÜ regelt den Überlassungslohn. Nach dessen Satz 1 hat eine überlassene Arbeitskraft für die Dauer der Überlassung Anspruch auf den im Beschäftigerbetrieb vergleichbaren AN für vergleichbare Tätigkeiten zu zahlenden kollektivvertraglichen Lohn (ggf Satzung, Mindestlohntarif, Gesetz, Verordnung usw), wenn dieser höher ist, als der in den Punkten 1 und 2 des Abschnitts IX geregelte Mindestlohn/Grundlohn.
Den Anspruch der überlassenen Arbeitskraft auf sämtliche variablen Entgelte regelt hingegen grundsätzlich Abschnitt VII KVAÜ. Nach Abschnitt VII/1 Satz 1 KVAÜ gelten – mit Ausnahme variabler Entgelte, die mit Regelungen zur Arbeitszeit oder dem Urlaub in Verbindung stehen (Abschnitt VI und XVI), der Sonderzahlungen (Abschnitte XVI, XII) und der Leistungslöhne (Abschnitt XII) – alle diesbezüglichen Regelungen des im Beschäftigerbetrieb auf vergleichbare Arbeitnehmer anzuwendenden Kollektivvertrags (Zulässigkeit, Entlohnung, usw) – neben den gesetzlichen Vorschriften – auch für überlassene Arbeitnehmer (Schindler, Arbeitskräfteüberlassungs-KV² VII Erl 1). […]
Abschnitt VII/4 KVAÜ bestimmt, dass hinsichtlich der Zulagen und Nebengebühren außer kollektivvertraglichen Regelungen auch die durch Gesetz, Verordnung oder behördlich festgesetzten, überbetrieblichen Regelungen des Beschäftigers für überlassene Arbeitskräfte gelten. […] Dass der Nebengebührenkatalog der Stadt Wien eine solche behördlich festgesetzte, überbetriebliche Regelung und daher auch auf die überlassenen Arbeitskräfte anwendbar ist, wird vom Antragsgegner zu Recht nicht in Frage gestellt. […]
Zulagen, Zuschläge, Überstundenentgelte usw sind entsprechend den Abschnitten VI und VII KVAÜ über den Überlassungslohn hinaus zu bezahlen (Schindler, Arbeitskräfteüberlassungs-KV² IX 13Erl 15). Entgegen der Rechtsansicht des Antragsgegners wird nur in Abschnitt IX/5 KVAÜ der Entgeltbegriff zugrunde gelegt, weil der in § 10 Abs 1 AÜG normierte Anspruch auf ortsübliches und angemessenes Entgelt nur dann erfüllt ist, wenn neben dem Grundlohn bzw Überlassungslohn auch die zustehenden Zulagen, Zuschläge, Überstundenentgelte bezahlt wurden (Schindler, Arbeitskräfteüberlassungs-KV² IX/1-2). Bei dem Lohn nach Abschnitt IX/1 KVAÜ handelt es sich hingegen um einen Mindestlohn, sodass der vom Antragsgegner angesprochene Günstigkeitsvergleich zwischen dem in Abschnitt IX KVAÜ geregelten Mindestlohn und dem Anspruch der überlassenen Arbeitskraft auf den Überlassungslohn unter Ausschluss von Zulagen, Zuschlägen und sonstigen Entgelten durchzuführen ist. […]
Zusammengefasst steht den überlassenen Abteilungshelfern am ***** schon nach dem KVAÜ der Mindestlohn/Grundlohn nach Abschnitt IX KVAÜ für 40 Wochenstunden Normalarbeitszeit ohne Anrechnung der Gefahren-(Infektions-, Desinfektions-)zulage und der Schmutzzulage nach dem Nebengebührenkatalog des Magistrats der Stadt Wien zu.“
§ 10 Abs 1 AÜG legt die Entgeltansprüche überlassener Arbeitskräfte fest und verweist diesbezüglich auf ein angemessenes, ortsübliches Entgelt. Maßstab hierfür ist das im Beschäftigerbetrieb vergleichbaren AN für vergleichbare Tätigkeiten zu zahlende kollektivvertraglich oder gesetzlich bzw per VO festgelegte Entgelt. Zu seiner Rechtsansicht im gegenständlichen Fall kommt der OGH freilich nur in Zusammenschau dieser Regelung des AÜG mit den einschlägigen Bestimmungen des KVAÜ.
Der Kern der Feststellungen des OGH widmete sich der Frage, ob die Zulagen, die vergleichbaren AN der Stammbelegschaft zustehen, in den Günstigkeitsvergleich zwischen dem Grundlohn nach dem KVAÜ und den Ansprüchen bei der Gemeinde Wien miteinzubeziehen sind. Dieser Rechtsansicht hat der OGH eine klare Absage erteilt.
Der OGH geht ausführlich darauf ein, wie sich das Entgelt der überlassenen Arbeitskraft nach dem KVAÜ zusammensetzt:
Zunächst legt Abschnitt IX Punkt 1 den einsatzunabhängigen Mindestlohn fest, der sowohl den Schutz der überlassenen Arbeitskräfte vor zu hohen Einkommensschwankungen, als auch den Schutz der Stammbelegschaft vor Lohndumping bewirken soll. Der OGH weist ausdrücklich darauf hin, dass Abschnitt IX/1 lediglich den Mindestlohn regelt, und nicht bereits die gesamten Entgeltansprüche überlassener Arbeitskräfte gem § 10 Abs 1 AÜG.
Abschnitt IX/3 regelt den Überlassungslohn – den Lohn während der Dauer der Überlassung – und legt gleichzeitig den angesprochenen Günstigkeitsvergleich zwischen dem einsatzunabhängigen Mindestlohn des KVAÜ (IX/1+2) und dem nach dem Beschäftiger-KV (Gesetz, VO) vergleichbaren AN gebührenden Lohn fest. Der höhere Lohn ist zu bezahlen.
Dementgegen werden die Ansprüche auf variable Entgeltbestandteile, wie Zulagen und Zuschläge in den Abschnitten VI und VII geregelt. Hinsichtlich der Zulagen wird in Abschnitt VII/1 festgelegt, dass sämtliche diesbezüglichen im Beschäftigerbetrieb auf vergleichbare AN anzuwendenden kollektivvertraglichen Regelungen auch für überlassene Arbeitskräfte anzuwenden sind. 2005 wurden auch Überlassungen in den öffentlichen Dienst in den Geltungsbereich des AÜG miteinbezogen. Als Folge dieser Änderung wurde im KVAÜ in Abschnitt VII ein neuer Punkt 4 eingefügt, der klarstellt, dass hinsichtlich der Zulagen und Nebengebühren neben kollektivvertraglichen Regelungen auch die durch Gesetz, VO oder behördlich festgesetzten, überbetrieblichen Regelungen des Beschäftigers gelten. Hierzu zählt auch der Nebengebührenkatalog der Stadt Wien.
Der OGH stellt ausdrücklich klar, dass der Günstigkeitsvergleich zwischen dem im KVAÜ geregelten Mindestlohn und dem Überlassungslohn unter Ausschluss von Zulagen, Zuschlägen und sonstigen Entgelten durchzuführen ist. Eine Einrechnung der Zulagen in den Grundlohn ist unzulässig. Überlassene Arbeitskräfte haben daher neben dem – im Günstigkeitsvergleich höheren – Grundlohn nach dem KVAÜ zusätzlich einen Anspruch auf die vergleichbaren AN der Stammbelegschaft zustehenden Zulagen aus dem Beschäftiger-KV.
Auch der Argumentation, dass die Leiharbeits-RL einer Besserstellung von Leiharbeitskräften entgegenstehe, da sie nur eine Gleichstellung bewirken wolle, wird vom OGH eine Absage erteilt. Er führt aus, dass die Leiharbeits-RL – wie es der EU-Gesetzgebung in Arbeitsrechtsmaterien entspricht – lediglich Mindeststandards festlegt. Eine Besserstellung der überlassenen Arbeitskräfte im Vergleich zu jenen Mindeststandards können sowohl der Gesetzgeber als auch die Kollektivvertragsparteien vornehmen.14