Der Kampf der Gewerkschaften gegen den Trinkzwang des Freibieres bei den Brauereiarbeitern

SABINELICHTENBERGER (WIEN)

„Wir schreiben das Jahr 1870. In Wien und der nahen Umgebung bestehen zweiundzwanzig Brauereien, in denen viertausend gelernte Brauergehilfen beschäftigt sind. Die Arbeitsverhältnisse sind unerträglich und trostlos, obwohl die Brauereibetriebe in dieser Zeit Millionenprofite abwarfen. Die Arbeitszeit war unbegrenzt, man konnte kaum unterscheiden, wann sie begann und endete. Das Jahr hatte 365 Arbeitstage, es gab keinen Sonntag, keinen Feiertag, keinen Urlaub. Neben einem erbärmlich niederen Lohn wurde eine Schlafstelle gewährt, meistens Pritschen in zwei und drei Etagen übereinander. Die Arbeit war schwer, die Behandlung brutal und Schläge an der Tagesordnung. Aber Bier war genug da, und es war gut und stark,* so beschreibt Stefan Huppert (1871- 1937),* der Obmann des Brauereiarbeiterverbandes die Arbeitsverhältnisse der Brauereiarbeiter ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die Löhne der Brauereiarbeiter bewegten sich zwischen 28 und 38 Gulden monatlich neben Schlafstelle und Freibier. Die Schlafräume waren mit sogenannten „Himmelbetten“ (Etagebetten) versehen, Ungeziefer, Mäuse und Ratten gehörten ebenso dazu, wie auch die Tatsache, dass die Betten von schwer alkoholisierten Mitbenützern oftmals verunreinigt wurden. Mit zu diesen sozialen Missständen trug bei, dass den Brauereiarbeitern neben der Wohnungsmöglichkeit auch das sogenannte „Freibier“ zur Verfügung gestellt wurde.* Die überlangen Arbeitszeiten, die sanitätswidrigen Schlafstellen, mangelhafte Ernährung und der hohe Alkoholkonsum trugen aber auch zu einer hohen Sterblichkeitsrate der Bierbrauer bei. Untersuchungen etwa in den Niederlanden zeigten, dass die Sterblichkeitsrate bei Bierbrauern und Schnapsbrennern weit über dem Durchschnitt lag.*

1.
Das Recht auf „Freibier“

Allen Widrigkeiten zum Trotz waren die Brauer ein Berufsstand, die auch von einem hohen Maß an zünftlerischen Vorstellungen geprägt waren und wie dies sowohl Stefan Huppert,* der bereits erwähnte Obmann des Brauereiarbeiterverbandes als auch der Gewerkschaftshistoriker Julius Deutsch*(1884-1968) kritisch festgestellt haben. Das sogenannte „Freibier“ wurde nach altem Brauch im Ausmaß von etwa 4 bis 5 Liter pro Tag (!) ausnahmslos all jenen zugestanden, die in einer Brauerei beschäftigt waren. Auf unternehmerischer Seite hieß es, mit dem Freibier sollte der in der Brauerei Beschäftigte „... gegen alle Lockungen und Versuchungen des unerlaubten Biergenusses, zu welchem er tagsüber so oft Gelegenheit hat, gefeit werden. Es soll in seinem Belieben stehen, wann immer ihn nach Bier dürstet, dieses Verlangen auf legale Weise befriedigen zu können“.* Zu diesem Zweck erhielten die Brauereiarbeiter sogenannte Biermarken, „... welche ihm den täglichen Genuß von bis 5 Liter Bieres im Tage erlauben, also ungefähr das Maximum dessen, was ein Mann von normaler Beanlagung trinken kann ohne sich zu berauschen“.*

Sowohl die Unternehmer als auch viele Brauereiarbeiter betrachteten das Freibier fälschlicherweise als Geschenk und bewerteten ihre soziale Stellung im Betrieb oftmals nach dem Quantum des Bieres, das ihnen zur Verfügung gestellt wurde und waren zum Trinken im Betrieb gezwungen, zumal bei Nichtkonsumation die verteilten Biermarken verfielen. Zum anderen brachte der hohe Alkoholgenuss eine gewisse Lethargie der Brauereiarbeiter mit sich, was in politischer Hinsicht für die AG den Vorteil hatte, dass sich die Arbeiter nicht politisch betätigten. Sie waren, so beschreibt Huppert den lethargischen Zustand der Brauereiarbeiter, „... aus dem Betriebe überhaupt nicht herauszubringen, denn es war bequemer, in den Massenquartieren, die die Brauerei beistellte, in feuchtfröhlicher Gesellschaft die ohnehin knapp bemessene freie Zeit zuzubringen, als in eine Versammlung zu gehen und dort das Bier bezahlen zu müssen, während dem man es zu Hause unentgeltlich bekam. Wenn in einer Brauerei ein organisierter215Arbeiter die Behauptung aufstellte, das Freibier sei ein Teil des Lohnes, so wurde er von seinen Kollegen verlacht und vom Unternehmer als Hetzer entlassen“.*

2.
„Ohne Bier keine Gemütlichkeit!“

Nachdem der übermäßige Alkoholkonsum von AN in nahezu allen Branchen sowohl ein gesundheitliches als auch ein politisches Problem darstellte, trat Victor Adler (1852-1918), der Begründer der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei, unter dem Motto „Nieder mit der Gemütlichkeit“ vehement gegen den übermäßigen Alkoholkonsum auf, denn „der gewerkschaftliche Kampf erforderte klar denkende, wahrhafte, aufrechte Männer“.* Seitens der Unternehmer wurde die Forderung nach der Aufhebung des Trinkzwanges durchaus auch positiv aufgenommen. Julius Deutsch etwa zitiert eine Studie des Geschäftsführers des Verbandes rheinischwestfählischer Brauereien, Dr. August Creutzbauer, der es als ein Verdienst der Arbeiterorganisationen ansah „... dass sie schon seit Jahren gegen das viele und unnötige Trinken der Brauereiarbeiter zu Felde gezogen sind und unter Hinweis auf die durch den übermäßigen Biergenuss hervorgerufene Gesundheitsschädigung – so mancher Brauer trank das ihm zustehende Quantum Haustrunk nur, um seinem Arbeitgeber nichts zu schenken – dessen Ablösung gefordert haben“.* Andere wiederum argumentierten, dass die Arbeiter die Ablöse des Bierdeputats zwar in Kauf nehmen würden, „... ihr gewohntes Bier aber doch trinken würden, was bei dem Umstande, dass ein grosser Theil der Arbeiter mit dem fertigen Producte zu schaffen hat, nicht zu verhindern wäre“.* Der Kampf gegen das Freibier wurde, wie dargestellt, auf mehreren Ebenen geführt, selbst in den eigenen Reihen gab es nicht nur Gegner des Alkoholgenusses, sondern auch Befürworter des mäßigen Alkoholgenusses, wie etwa Karl Kautsky (1854-1938).*

3.
Anfänge der gewerkschaftlichen Organisation der Brauereiarbeiter

In Wien wurde nach der Aufhebung des Koalitionsverbotes 1870 ein „Fachverein der Brauereigehilfen“ gegründet. Dieser forderte in einem Memorandum an die Brauherren die Festsetzung der Arbeitszeit auf zwölf Stunden, die Abschaffung der körperlichen Züchtigung, die Abschaffung der „Himmelbetten“, Beistellung reiner Betten und Leintücher und die Errichtung einer Krankenkasse. Bezüglich des Freibieres war die Forderung allerdings bescheidener. Zwar wurde gefordert, dass das „Mutterbier“ genießbar sein sollte, von der Ablöse oder gar der Abschaffung des Freibieres war keine Rede. Wie auch viele andere Fachvereine litt auch der Fachverein der Brauereiarbeiter trotz der Aufhebung des Koalitionsverbotes weiterhin unter behördlicher Verfolgung und wurde am 9.1.1872 aufgelöst.* Nachdem sich die Brauherren von diesen Forderungen unbeeindruckt zeigten, sind am 3.1.1872 in sämtlichen Brauereien die Brauer, in Schwechat auch die Fassbinder in den Streik getreten. Die Brauherren ihrerseits ließen als Antwort darauf, zunächst den Mutterbierkeller schließen, in der Hoffnung, dass sich die Brauereiarbeiter davon einschüchtern lassen, was aber nicht passierte. Vielmehr weitete sich der Streik aus und schließlich waren die die Brauherren bereit, auf die Forderungen des Streikkomitees und der Streikenden einzugehen, jedoch nicht auf die Festsetzung der zwölfstündigen Arbeitszeit, und es sollte sich bald auch zeigen, dass in der Folge der Repressalien der Brauherren und der Behörden die gewerkschaftliche Organisierung stark zurückging.

Mit ein Grund dafür war auch die Tatsache, dass gerade im Brauereiwesen die Unternehmergewerkschaften eine große Rolle spielten. Arbeiter etwa, die sich nicht am Streik der Brauereiarbeiter beteiligt hatten, bekamen finanzielle „Anerkennung“, so etwa bezahlte der Inhaber der Schwechater Brauerei Dreher all jenen, die sich nicht am Streik beteiligt hatten „... zur Erinnerung jedes Jahr am 3. Jänner fünf Dukaten“, wofür „diese Ehrenmänner den Spitznamen ‚Dukatenbrauer‘“ bekamen.* Auch der 1873 gegründete Brauherren-Verein für Wien auf Unternehmerseite sah es angesichts der Tatsache, „... daß die sozialdemokratische Bewegung unter den Brauern immer mehr um sich greift“, als seine besondere Aufgabe, „... dieser Bewegung so energisch als möglich entgegenzutreten“, um den „... Kampf gegen die sozialdemokratischen Elemente erfolgreich führen“ zu können.*

4.
„Sehen Sie, das muß ich, der arme Arbeiter, dem reichen Brauherrn schenken!“

Erst ab Mitte der 1890er-Jahre nahm die gewerkschaftliche Organisierung sowohl der Brauer als auch der Binder einen neuen Aufschwung.* Ab 1899 wurden von den Betriebsvertrauensmännern erstmals Ansuchen um Reluierung, dh Ausbezahlung des Wertes oder eines Teiles des Wertes des Freibieres an die Brauherren, gerichtet. Allen voran ging das Ansuchen der Arbeiter der Brauerei in Simmering im September 1899 um Reluierung des216Freibieres. Der damalige Betriebsvertrauensmann Stefan Huppert, der sich im Besonderen für die Aufhebung des Trinkzwanges des Freibieres eingesetzt hat, schildert folgende Anekdote: „... ich schränkte aber das Trinken ein und ersparte mir in zehn Tagen zwanzig bis dreißig Marken und ging damit zum Direktor. Ich, der junge Arbeiter, hielt ihm einen Vortrag über die Schädlichkeit des Trinkzwanges, zog zum Schluß die verfallenen Biermarken aus der Tasche und sagte: ‚Sehen Sie, das muß ich, der arme Arbeiter, dem reichen Brauherrn schenken!‘ Der Direktor lächelte verlegen und ich ging dann fort. Und da geschah das für die damaligen Zeiten Unerhörte: der Direktor ließ mich rufen, lud mich zum Sitzen ein und sprach mit mir über die Abschaffung des Trinkzwanges. Und das war auch der Anfang vom Ende dieses Zwanges“.* Ergebnis dieser Unterredung war, dass sich die Arbeiter für das nicht getrunkene Bier den Geldbetrag von 20 Heller für jeden Liter auszahlen lassen konnten, dh das der Trinkzwang in dieser Brauerei aufgehoben wurde. Darüber aber waren nicht alle Arbeiter erfreut. Noch einige später Jahre wurde Stefan Huppert von einigen Brauereiarbeitern vorgeworfen, „... er hätte in Simmering das Mutterbier abgebracht“.*

Der Widerstand der Brauereiarbeiter gegen die von den Vertrauensmännern geforderte Abschaffung des Freibieres und deren Umwandlung in einen Lohnbestandteil hatte zur Folge, dass letzlich nicht in allen Betrieben das Freibier abgeschafft wurde. Doch zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatte sich nicht nur in der Gewerkschaft, sondern auch bei den Unternehmern die Ansicht durchgesetzt, dass das „Freibier“ gesundheitliche Schäden bei der Arbeiterschaft verursacht. Im August 1902 richtete die monarchische Administration an die Brauereibesitzer ein Rundschreiben mit der Frage, „... auf welche Art man den Biergenuß bei den Brauereiarbeitern einschränken kann?* In seiner Stellungnahme an die Niederösterreichische Statthalterin vom 11.8.1902 führte Stefan Huppert aus: „Das von den Brauereiarbeitern verabfolgte Bier ist ein Teil des Lohnes und würden die Brauherren nicht nur beim vollkommenen Einstellen, sondern auch bei einer teilweisen Reduzierung des Bierbezuges auf einen Widerstand unsererseits stoßen. In den meisten Brauereien besteht ein Trinkzwang, da das verabfolgte Bier weder verkauft noch hinausgetragen werden darf, so daß verheiratete Arbeiter das Deputatbier ihren Familien nicht zukommen lassen können. In einigen Brauereien sind die Biermarken unübertragbar oder haben nur einen Tag Gültigkeit, infolgedessen muß jeder Arbeiter das ihm zugemessene Quantum Bier trinken, will er seine Biermarken nicht verfallen lassen.*

Huppert argumentiert weiter, dass das Verbot des Verkaufens oder Hinaustragens des Bieres zwar berechtigt sei, der „Trinkzwang kann nur dann aufgehoben werden, wenn es jedem Brauereiarbeiter freisteht, einen Teil (den er selbst bestimmt) des ihm zugemessenen Bieres in natura, den Rest, eventuell das ganze Bier, in reluto beziehen zu können“. Und zeigt auf, dass dies bereits seit drei Jahren in der Simmeringer Brauerei praktiziert wird.* Weiters weist er darauf hin, „... daß in einer Wiener Brauerei an Stelle des bisher üblich gewesenen Deputatbieres, als eines Teiles des Lohnes, eine Ablösung in barem Geld getreten sei, was sich als gut bewährt habe und zur allgemeinen Einführung empfohlen werden müsse“.* Nicht dieser Meinung waren allerdings die Brauereiarbeiter der Brauerei in Ottakring. Im November des Jahres 1902 machte die Brauerei Ottakring ihren Arbeitern ebenfalls den Vorschlag einer Art von Abgeltung, „... es sollte einem jedem Arbeiter das Relutum für zwei Liter Bier täglich auf ein Sparkassenbuch eingelegt werden“.* Die Arbeiter waren damit aber nicht einverstanden, worauf die Direktion der Brauerei den Vorschlag wieder zurückgezogen hat. Die Gewerkschaften sahen den richtigen Zeitpunkt noch nicht gekommen: „Das Bestreben der Brauereiarbeiter, den Trinkzwang zu beseitigen, eine geradezu kulturelle Forderung, bedurfte eines kräftigeren Nachdruckes, als wir in der Lage waren, ihn damals auszuüben“.*

1905 erfolgte die Umwandlung der „Gewerkschaft der Brauer, Faßbinder und deren Hilfsarbeiter Österreichs“ in den „Verband der Brauereiarbeiter, Faßbinder und verwandter Berufe Österreichs“. Ab 1.7.1905 wurde das „Verbandsblatt“, Organ der Brauereiarbeiter für Österreich, herausgegeben.* In der Folge konnte sich der Verband rasch entwickeln: Hatte er Ende des Jahres 1905 4.550 Mitglieder, davon 2.500 in Wien und Umgebung, so hatte der Verband bereits mit Ende des Jahres 1906 10.000 Mitglieder.*

5.
Tarifverträge ab 1904

Ab dem Jahr 1904 wurde es allgemein üblich, Lohnverhandlungen mit dem Abschluss von Tarifverträgen zu beenden. Gab es vor 1904 in ganz Österreich noch 37 Tarifverträge, an denen 24.656 Arbeiter beteiligt waren, so stieg die Zahl ab 1904 auf 75 und die Zahl der beteiligten Arbeiter auf 75.441 und erhöhte sich bis 1907 auf 727 Verträge für 183.664 Arbeiter.* Am 19.7.1905 wurde seitens217des Verbandes der Brauereiarbeiter, Faßbinder und verwandter Berufe Österreichs mit der Brauerei Ottakring der erste Tarifvertrag abgeschlossen, der nicht nur dem Verband einen ersten großen Erfolg brachte, sondern auch den folgenden Verträgen als Vorlage dienen sollte, wie etwa den Tarifverträgen mit den Brauereien in Währing, Simmering und Schellendorf, bei denen es sich durchwegs um Firmenverträge in größeren Betrieben handelte.* Das „Bierrelutum“, also die beschriebene Ablöse des Freibieres durch einen bestimmten Geldbetrag, war 1905 vertraglicher Bestandteil eines Tarifvertrages, an dem 224 Arbeiter beteiligt waren. An den 14 im Jahr 1906 abgeschlossenen Tarifverträgen waren 2.611 Arbeiter, an den 13 im Jahr 1907 abgeschlossenen 6.039 Arbeiter und an den zehn im Jahr 1908 waren 1.153 Arbeiter beteiligt.* In allen diesen Verträgen sind Bestimmungen enthalten, wonach den Arbeitern das Recht zusteht, sich einen Teil des Bieres in Geld auszahlen zu lassen, die Brauereien in Hütteldorf und in Simmering den ganzen Anteil.*

6.
Der „Wiener Kollektivvertrag“ 1907

Von besonderer Bedeutung war in der Folge der KollV des Jahres 1907, der auch unter dem Namen „Wiener Kollektivvertrag“ bekannt wurde. Er galt für die Brauereien von Wien und Umgebung, bei dem es sich um einen Ergänzungsvertrag der Firmenverträge handeln sollte, dh dass die Bestimmungen der bereits abgeschlossenen Verträge bestehen blieben, aber „in ihren Lücken durch die kollektiven Vereinbarungen“ ausgefüllt wurden.* In diesem, zwischen dem Schutzverband niederösterreichischer Brauereien und dem Verband der Brauereiarbeiter, Fassbinder und verwandter Berufe Österreichs, gültig für 13 Brauereien Wiens und Umgebung wurden folgende Vereinbarungen getroffen: Die Arbeitszeit bewegt sich zwischen 9 1/2 und 11 Stunden, in den Wintermonaten neun Stunden. Die Minimalwochenlöhne waren für Brauer und Binder 27 bis 37 K, Hilfsarbeiter 21 bis 25 K, Frauen 9,60 bis 20 K, Mälzer und Darrer 14 bis 28 K, Darrheizer 17 bis 21 K, Taglöhner 14,40 bis 15 K, Arbeiter anderer Gewerbe (Tischler, Schlosser etc), die in Brauereien beschäftigt sind, 22 bis 32 K.* Unter Pkt 3. des Tarifvertrages betreffend das Thema Freibier findet sich folgende Vereinbarung: „Das Freibier, wo solches eingeführt ist, kann mit 16 h (Land), respektive 20 h (Stadt) per Liter reluiert werden. Das Bierholen während der Arbeitszeit ist nicht gestattet. Es werden in den Brauereien Einrichtungen getroffen, damit das Bierholen nicht zu lange Zeit in Anspruch nimmt und die Arbeiter nicht den grössten Teil ihrer Pausen damit verbringen. Wer anders als gegen Marken und an den zur Abgabe bestimmten Stellen Bier an sich nimmt, kann sofort entlassen werden. Das abzugebende Bier muss dem zum Verkauf an die Kundschaft gelangenden Abzugbier an Qualität entsprechen“.*

Ein besonderer Schutz wurde in den vereinbarten Tarifverträgen den mit der Vorbereitung des Rohstoffes beschäftigten Mälzereiarbeitern gewährt.* Die Mehrzahl der Tarifverträge enthielt 1907 die Bestimmung, dass die Brauereiarbeiter das Quantum Freibier reluiert bekommen, dh gegen Geld ablösen konnten, falls sie es wünschten.* Weiters wurden genaue Vereinbarungen über einen jährlich zu gewährenden Urlaub, der Aufzahlung des Unternehmers auf das Krankengeld bei Erkrankungen der Arbeiter, der Zuschüsse während der Waffenübung der Ersatzreservisten und des Ersatzruhetages getroffen. In manchen Verträgen wurde der Unternehmer auch verpflichtet, für die Arbeiter sanitäre Anlagen zu errichten.* In den einzelnen Tarifverträgen des Jahres 1908, so etwa ist in den Verträgen der Brauerei Kuffner in Wien und in dem der Simmeringer Brauerei vom Trinkzwang des Freibieres keine Rede mehr.*Julius Deutsch schließt in seiner Studie über den „Tarifvertrag in den österreichischen Brauereien und Fassbindereien“ mit den Worten: „Die Bedeutung des Erfolges im Kampfe gegen das Freibier liegt nicht nur in einer erreichten wirtschaftlichen Besserstellung der Arbeiter, sondern auch darin, dass die Arbeiter, des chronischen Alkoholgenusses entwöhnt, in den Stand gesetzt werden, ein höheres kulturelles Leben zu führen“.* Mit der Einführung des Bierrelutums ist es zwar gelungen, das der Arbeiter nicht mehr gezwungen war, einen Teil seines Lohnes anstatt in Geld in Bier zu beziehen, der logische weitere Schritt war die Forderung, das Freibier nicht nur abzulösen, sondern auch die Reluierung abzuschaffen.* Die Brauereiarbeiter sollten, so wie auch alle anderen gewerblichen Arbeiter, ihren Lohn in Geld beziehen und von jeder Form von „Trucksystem ein für allemal befreit sein“.*

7.
Der Haustrunk

Vermutlich ging man in der Esten Republik dazu über, den Brauereimitarbeitern in Anlehnung an die Tradition des „Freibieres“ in Form des „Haustrunkes“ eine genau definierte Menge an Bier für den „Hausgebrauch“, also für den Genuss außerhalb des Betriebes steuerfrei, dh ohne Biersteuer, abzugeben. Es gab also eine Entwicklung weg218vom „Freibier“ als Lohnanteil für den Brauereiarbeiter, hin zu einem kollektivvertraglich festgelegten Nutzungsrecht für die Brauereiarbeiter und ihre Familienmitglieder, was nicht zuletzt auch mit den Bestrebungen den Alkoholgenuss gänzlich aus den Betrieben zu verbannen, Hand in Hand ging. Da der „Haustrunk“ steuerfrei abgegeben wurde, wurde besonderes Augenmerk darauf gelegt, dass dieser Haustrunk nicht verkauft werden durfte, was eine Steuerhinterziehung bedeuten würde. Eine Missachtung des Verkaufsverbotes sollte mit Disziplinarmaßnahmen geahndet werden. „Der große Vorteil, den hier die Arbeiter der Brauereien genießen, kann und darf nicht durch den Egoismus einzelner gefährdet werden“.* Die Höhe des Anspruches auf den Haustrunk entsprach in etwa dem Lohngefüge und ist bis dato kollektivvertraglich festgelegt. Im Branchenanhang zum Rahmen-KollV der Nahrungs- und Genussmittelindustrie für die Brauindustrie mit Stand 1.1.2016 hieß es zuletzt: „An Beschäftigte werden als Haustrunk 3 Liter Lager-/Märzenbier pro Kalendertag bzw. 90 Liter pro Monat zum Preis von € 0,214844 je 0,5 Literflasche, zuzüglich aller Steuern in der jeweiligen Höhe (z.B. Biersteuer u. Mehrwertsteuer) abgegeben. Dieser Nettopreis erhöht sich jeweils mit dem auf eine kollektivvertragliche Lohnerhöhung folgenden Jahresbeginn um 50 % des Prozentsatzes dieser Lohn erhöhung. ... Missbräuchliche Verwendung des Haustrunkes ist verboten und wird mit strengen Disziplinarmaßnahmen geahndet.*