LeibingerIndividualarbeitsrecht und UWG – Eine Schnittstellenanalyse unter besonderer Berücksichtigung der Art 4 lit c, Art 4a, Art 7 und Art 11 UWG

Stämpfli Verlag, Bern 2015 XXXI, 143 Seiten, broschiert, € 67,–

RUDOLFMOSLER (SALZBURG)

Die Züricher Dissertation von Sonja Leibinger behandelt ein spannendes Thema. Es geht im Wesentlichen um die Frage des Einflusses des Rechts des unlauteren Wettbewerbs auf das Individualarbeitsrecht. Ausgehend von einzelnen Rechtswidrigkeitstatbeständen des (schweizerischen) UWG (Verleitung zum Verrat von Betriebsgeheimnissen, Bestechung im Privatbereich) werden die arbeitsrechtlichen Folgen für AN und auch die der davon profitierenden AG analysiert. In einem eigenen Kapitel wird auf die Verantwortlichkeit von AG bei Nichteinhaltung verbindlich festgelegter Arbeitsbedingungen eingegangen. Das ist in der Schweiz ausdrücklich in Art 7 UWG als Form des unlauteren Wettbewerbs geregelt. Über das Individualarbeitsrecht hinaus geht der letzte Teil der Arbeit, der sich mit dem Wettbewerb zwischen Gewerkschaften im Licht des UWG beschäftigt.

Die Dissertation bietet einen sehr guten Überblick über die Thematik, ist gut geschrieben und auch für „Nicht-Insider“ des Schweizer Rechts verständlich. Geradezu schulmäßig wird am Anfang des Kapitels die zu beurteilende Norm dargestellt, anschließend auf die Tatbestandsvoraussetzungen eingegangen und am Ende jeweils eine Zusammenfassung und Würdigung geboten. Kritisch kann man – für eine Dissertation – anmerken, dass sich die Autorin in weiten Bereichen damit begnügt, die Rsp und hM darzustellen. Ein kritisches Hinterfragen findet nur selten statt.

Manchmal hätte auch eine etwas detailliertere Problembetrachtung nicht geschadet. Als Beispiel können die Ausführungen über eine Mitteilungspflicht bei erfolgloser Verleitung von AN zum Verrat von Betriebsgeheimnissen (Rz 55 ff) angeführt werden. Nach Art 321a OR hat der AN die berechtigten Interessen des AG „in guten Treuen“ zu wahren. Ebenso sieht die Bestimmung ein Verbot des AN zur Verwertung und Mitteilung von Betriebsgeheimnissen an Dritte vor. Die hM leitet aus der Treuepflicht eine weitgehende Meldepflicht von AN über relevante Vorkommnisse im Betrieb ab. Die von Leibinger offenbar im Einklang mit der hM vertretene Mitteilungspflicht der AN bei erfolgloser Verleitung zur Auskundschaftung oder zum Verrat von „Fabrikations- oder Geschäftsgeheimnissen“ (so der entsprechende Terminus in der Schweiz) wird damit begründet, dass dem AG ein wirtschaftlicher Schaden droht. Bei erfolgloser Vereitelung müsse nämlich damit gerechnet werden, dass ein anderer AN verleitet wird und sich wegen fehlender Kenntnis der Gefahr davor nicht schützen kann. Dieses Argument hat zweifellos Einiges für sich und wird idR eine Rechtfertigung für eine Mitteilungspflicht abgeben können. Freilich hätte man sich an dieser Stelle auch Ausführungen zu den Grenzen einer solchen Pflicht erwartet. Der allgemeine Hinweis, dass das konkrete Arbeitsverhältnis bzw die konkrete Stellung des AN eine Rolle spiele und bei leitenden Angestellten ein strengerer Maßstab anzulegen sei, ist bei einer Monografie doch etwas dürftig. Demgegenüber interessant und abwägend erfolgt die Diskussion darüber, inwieweit auch immaterielle Vorteile (Rz 118: zB Ehrungen, Beförderungen, Zusicherung von Wahlunterstützung, positive Medienberichterstattung; ob eine Beförderung immaterieller Natur ist, kann man allerdings in Zweifel ziehen) Schmiergelder sein können (Rz 143 ff).

Teil 5 der Arbeit bietet für den Nicht-Schweizer einen guten Überblick über eine privatrechtliche Alternative zum österreichischen Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz (die freilich weniger effektiv als dieses sein dürfte). Nach Art 7 UWG handelt unlauter, wer Arbeitsbedingungen (einschließlich Entgelt) nicht einhält, die durch Rechtssatz oder Vertrag auch dem Mitbewerber auferlegt, berufs- oder ortsüblich sind. Die Rechtsdurchsetzung erfolgt nicht219 über Strafbarkeit, sondern ein Klagerecht der Mitbewerber, des Bundes und der Berufs- und Wirtschaftsverbände. Die Verbandsklage kann daher auch von Gewerkschaften eingebracht werden, allerdings nur, wenn die Mehrzahl der Mitglieder von der unlauteren Wettbewerbshandlung betroffen ist (Rz 293 f). Auch bei diesem Kapitel steht der (sehr gute) Überblick über die Rechtslage im Vordergrund. Dabei zeigt sich, dass neben Rechtssätzen (Gesetze, Verordnungen, aber auch Richterrecht) nur Verträge relevant sind, die für Wettbewerbsteilnehmer in gleicher Weise verbindlich sind (daher keine Individualarbeitsverträge, Rz 261). Gesamtarbeitsverträge (das sind Kollektivverträge) gelten als Verträge und nicht als Rechtssatz. Sie sind nur dann nach Art 7 UWG zu beachten, wenn sie keine Firmenverträge sind. Das Schweizer Recht kennt, ähnlich wie das deutsche, die Allgemeinverbindlicherklärung durch behördliche Anordnung, wodurch der Gesamtarbeitsvertrag auf alle AG und AN eines Berufs- oder Wirtschaftszweigs ausgedehnt wird, die am Vertrag nicht beteiligt sind. Allgemeinverbindlich erklärte Gesamtarbeitsverträge enthalten jedenfalls einen verbindlichen Mindestlohn iSd Art 7 UWG, nicht allgemeinverbindlich erklärte nur dann, wenn der Mitbewerber sonst zur Einhaltung der Vertragsbestimmungen verpflichtet ist. Ist dies nicht der Fall, stellt sich die Frage, ob diese Gesamtarbeitsverträge bei der Ermittlung des orts- und berufsüblichen Lohns zu berücksichtigen sind, der ebenfalls unter die einzuhaltenden Arbeitsbedingungen fällt. Leibinger ist zuzustimmen, dass wegen der fehlenden Verbindlichkeit nicht allein auf die Regelung in den Gesamtarbeitsverträgen abzustellen ist. Dass diese aber für die Bestimmung des üblichen Lohns innerhalb eines Wettbewerbsprozesses generell ungeeignet sein sollen (Rz 289), überzeugt nicht. Eine Verbindlichkeit wird ja hier nicht durch den Gesamtarbeitsvertrag alleine hergestellt, dieser ist nur einer von mehreren Bestimmungsfaktoren (neben den auch angeführten statistischen Methoden und der Ad-hoc-Erhebung).

Interessant sind auch die Ausführungen zur Anwendbarkeit des Lauterkeitsrechts auf den Wettbewerb zwischen Gewerkschaften. Die maßgebliche Frage ist dabei, ob Gewerkschaften am wirtschaftlichen Wettbewerb teilnehmen und damit auch in ihren eigenen wirtschaftlichen Interessen beeinträchtigt werden können. Allein schon die Fragestellung erstaunt: Warum sollte interessenpolitische Tätigkeit, die gerade keine wirtschaftlichen auf materiellen Gewinn gerichtete Interessen verfolgt, am UWG zu messen sein? Die etwas überraschende Antwort, die sich offenkundig auf die hM und Rsp in der Schweiz stützen kann, lautet, dass Gewerkschaften ihren Mitgliedern ein Dienstleistungsangebot (zB unentgeltliche Rechtsberatung und -vertretung) bereitstellen, was als wirtschaftlicher Vorteil zu werten ist. Nun kann man zwar für diese Position ins Treffen führen, dass unlauterer Mitgliederwettbewerb und eine unlautere Vorgangsweise bei den angebotenen Dienstleistungen genauso wie im Wettbewerb zwischen marktorientierten Unternehmen sanktioniert werden sollten. Das ist aber wohl eine zu einfache Argumentation. Dass gewerkschaftliche Dienstleistungen auch unter den Schutz der Koalitionsfreiheit fallen, dürfte unbestritten sein (so auch Leibinger, Rz 328). Dann müsste man aber zumindest prüfen, ob nicht die (auch in der Schweiz verfassungsrechtlich geschützte) Koalitionsfreiheit eine Anwendbarkeit des UWG ausschließt. Immerhin besteht damit die Gefahr der „Schere im Kopf“: Wenn eine Gewerkschaft ständig darauf Bedacht nehmen muss, dass sie nicht die Rechte anderer Gewerkschaften verletzt, wird ihre eigene Tätigkeit uU von vornherein nicht mehr von freien Entschlüssen geprägt sein. Selbstverständlich wird es Grenzen gewerkschaftlicher Handlungen geben müssen, fraglich ist aber, ob das auf das Wirtschaftsleben ausgerichtete UWG die richtigen Maßstäbe dafür bereithält. Wenn im Übrigen bei der Rechtsberatung auch die schutzwürdigen Interessen anderer rechtsberatender Berufe für die Anwendbarkeit des UWG ins Treffen geführt werden (Rz 323), ist dem zu widersprechen. Mit dieser Sichtweise ist auch jede aus altruistischen Gründen erbrachte Leistung, die von anderen Personen entgeltlich am Markt angeboten wird, unter dem Gesichtspunkt des unlauteren Wettbewerbs zu prüfen. Muss sich dann etwa die Caritas an den Regeln des unlauteren Wettbewerbs messen lassen, weil sie Flüchtlingen Kleidung unentgeltlich zur Verfügung stellt? Immerhin kann man Kleidung auch am Markt kaufen. Unterwirft man staatliche Daseinsvorsorge, interessenpolitische, karitative und sonst nicht auf Gewinn gerichtete Tätigkeit generell den Maßstäben des Wirtschaftsrechts, führt das langfristig zur Kommerzialisierung aller Lebensbereiche. Dass diese Intention dem UWG innewohnt, ist zu bezweifeln. Bei interessenpolitischer Tätigkeit wäre hier wie erwähnt auch die Koalitionsfreiheit zu berücksichtigen.

Am Thema interessierte österreichische Leser werden aus der Arbeit deshalb einen (meist nicht-wirtschaftlichen) Gewinn ziehen, weil viele interessante Fragen aufgeworfen werden und ein sehr guter Überblick über die Rechtslage, die Literatur und Rsp geboten wird. Wer tiefschürfende und kritische Auseinandersetzungen mit den einzelnen Themen und weiterführende Hinweise erwartet, wird vermutlich nicht ganz zufrieden sein.