Pfeil/Urnik (Hrsg)
Gesellschaftliche Verantwortung und Gemeinwohl als Unternehmensziele

Manz Verlag, Wien 2015 X, 136 Seiten, broschiert, € 28,80

HARUNPAČIĆ (WIEN)

Je größer eine Gemeinschaft von Menschen ist und je komplexer die ihr inhärenten Sozialstrukturen sind, desto eher handelt es sich bei dieser um eine Gesellschaft, in welcher das Gemeinwohl gegenüber dem Wohl der Einzelnen verstärkt an Bedeutung gewinnt und im Vordergrund steht. Sie nimmt dadurch (zunehmend) Züge eines sozialen Systems an. Bedingt durch ein Gefühl ethnischer, religiöser und kultureller Identität innerhalb einer Gruppe kommt es wohl aus deren Innerem oder auch von Seiten Fremder bisweilen zu Zuordnungen von Individuen zu Stämmen und Völkern; in neuerer Zeit ist aber viel eher jene zu Nationen oder anders ausgedrückt: zur bürgerlichen Gesellschaft, zum Staatsvolk, geläufig. Sie wird zwar in der Regel durch das Recht (und damit durch den Staat) vorgenommen,220 doch spiegelt dieses (dieser) ein wohl zunehmend wichtiger werdendes Kriterium für moderne Zuordnungen zu einer solchen bürgerlichen Gesellschaft wider: gemeinsame Grundwerte, die sich auf die grundlegenden, zumeist in der jeweiligen Verfassung verankerten, Regeln für das Zusammenleben beziehen. Wie dem auch sei: Real sind freilich nur die Individuen; Völker sind Abstraktionen. Verdeutlicht man sich das, sollte es einem relativ leicht fallen, menschlichen Individuen stets nur als Menschen und damit vorurteilsfrei zu begegnen; auf menschliche Art und Weise, dh wohlwollend. Wie aber kann man der Gesellschaft als solcher mit Wohlwollen gegenübertreten und sind es tatsächlich bloß die rechtlich verankerten Werte, die ihr Wohl reflektieren, dem sie sich schon durch ihre Etablierung und durch die Schaffung ihres Rechts verpflichtet hat und auf welches hin sie ausgerichtet ist?

Anders gewendet: Was ist das und worum geht es eigentlich beim Wohl der Gesellschaft, beim Gemeinwohl? Der Antwort auf diese Frage versucht sich Univ.-Prof. DDDr. Clemens Sedmak in seinem Beitrag „Gemeinwohl und Verwundbarkeit“ im von Univ.-Prof. Dr. Walter J. Pfeil und Univ.-Prof. Dr. Sabine Urnik herausgegebenen Sammelband „Gesellschaftliche Verantwortung und Gemeinwohl als Unternehmensziele“ zu nähern, indem er zunächst nach dem Grund für das Gemeinwohl fragt, sodann untersucht, um welches Wohl es dabei geht und schließlich darauf zu sprechen kommt, wessen Wohl im Fokus steht (S 1 bis 14). Er hebt dabei hervor, dass die Idee des Gemeinwohls zur Sicherung eines menschenwürdigen Lebens aller Menschen beitrage und dass es kein Selbstzweck sei, sondern (nur) jene Rahmenbedingungen bereitstelle, die es einer Person ermöglichen, ihr (wohl individuelles) Ziel zu erreichen. Das Gemeinwohl sei jene Dimension, die das Gelingen von Gemeinschaft auf Dauer sicherstelle, wobei es sich dabei um kein bestimmtes Gut handle, zumal es von verschiedenen Gütern konstituiert werde. Bedingt sei der Begriff des Gemeinwohls jedoch von einem Minimalkonsens über das Gemeinsame. Die Grundlage des Gemeinwohls ortet der Autor schließlich in der vertrauensvollen Anerkennung der Verwundbarkeit des Menschen: „Vertrauen bedeutet“, schreibt er, „anderen Menschen Gestaltungsspielräume in Bezug auf etwas, das uns wichtig ist, einzuräumen“ (S 12). Letztendlich sei das Gemeinwohl wie der Mensch selbst fragil und verletzlich.

Im daran anschließenden Beitrag von Mag. Christian Felber wird die Idee des Gemeinwohls mit der Verfassung in Verbindung gebracht („Verfassungen und Gemeinwohl“, S 15 bis 42). Der Autor beleuchtet die Voraussetzungen für eine Gemeinwohl-Ökonomie und zeigt auf, dass diese in weitem Maße verfassungsrechtlich verankert seien, ohne jedoch in der realen Wirtschaft auffallend wirksam zu sein, weil „die Wirtschaftsordnung im Allgemeinen und die ökonomischen Erfolgsmessinstrumente im Konkreten die verfassungsmäßigen Ziele und Werte der Wirtschaft nicht unterstützen und umsetzen“ (S 16). Wenngleich der Beitrag nicht auf den Ergebnissen des vorangegangenen aufbaut, weist er doch Parallelen auf, denn auch hier wird eine Brücke zur Menschenwürde und zum Wohl aller Menschen geschlagen: „Kraft der Menschenwürde sind alle Menschen gleich wertvoll und folglich zählt das Wohl aller Menschen gleich“ (S 20). Bemerkenswert ist, dass das Gemeinwohl darin nicht nur als Oberziel des Staatswesens, sondern auch als solches des Wirtschaftens identifiziert wird; in der Wirtschaft würden dieselben Ziele und Werte Gültigkeit haben wie in der gesamten Gesellschaft.

Sabine Urnik und Univ.-Ass. Elisabeth Steinhauser, LLM.oec, nehmen sich im nächsten Beitrag des Themas „Steuerliche Lenkungsmaßnahmen im Kontext gesellschaftlicher Verantwortung“ an (S 43 bis 85). Zunächst werden der verfassungsrechtliche Rahmen der Besteuerung und jener für Lenkungszwecknormen und steuertechnische Umsetzungsmöglichkeiten abgetastet. Sodann wird näher auf die geltende Rechtslage zu ausgewählten Lenkungszwecknormen im Steuerrecht eingegangen. Ungeachtet einiger weniger Punkte, die nach der letzten Steuerreform überholt sind, scheinen die Ausführungen zu den steuerlichen Begünstigungen für gemeinnützige Rechtsträger und zu einigen Lenkungsmaßnahmen im Einkommenssteuerrecht nicht nur von theoretischem Interesse, sondern eignen sich durchaus auch als Richtschnur für PraktikerInnen. Der Beitrag endet mit Überlegungen zur Rechtfertigung einiger Lenkungsmaßnahmen, im Zuge derer darauf aufmerksam gemacht wird, dass sich die Bedeutung einzelner Aspekte des Gemeinwohls im Laufe der Zeit verschiebt, weswegen die vom Gesetzgeber im und mit dem Steuerrecht verfolgten Ziele regelmäßig zu evaluieren, zu adaptieren, durch andere Ziele zu ersetzen oder auch ersatzlos aufzuheben seien (S 81).

Walter J. Pfeil stellt im darauf folgenden Beitrag „Überlegungen zum Verhältnis von Gemeinwohl(-Ökonomie) und Arbeitsrecht“ an (S 87 bis 107). Anhand ausgewählter Beispiele beleuchtet er die Frage, inwieweit sich arbeitsrechtliche Grundpositionen und solche des Gemeinwohls miteinander vertragen. Er geht dabei auf rechtsdogmatische wie auf rechtspolitische Fragen zur Arbeitszeit, zum Einkommen und zur innerbetrieblichen Demokratie ein. Der Autor hält fest, dass die Gemeinwohl-Matrix wertvolle Ansätze enthalte, die mit dem geltenden Arbeitsrecht kompatibel seien und sogar zu seiner Weiterentwicklung beitragen könnten, zB betriebliche Gesundheitsförderung, Forcierung von Diversity-Modellen oder mehr Einkommenstransparenz und geringere Spreizung der Einkommen (S 106). Dennoch ist der Grundton des Beitrags kritisch bis skeptisch. Davon zeugt endlich auch sein Schlusssatz zum Ansatz der Gemeinwohl-Ökonomie: „Allzu große Hoffnungen, dass von ihr wesentliche Impulse für eine Entwicklung in Richtung einer gerechten und solidarischen Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung ausgehen, scheinen aber derzeit nicht angebracht“ (S 106).

Im vorletzten Beitrag befasst sich MMag. Dr. Gisela Heindl mit „Rechtliche[n] Hürden alternativer Unternehmensfinanzierung“ (S 109 bis 120), weil die Aufbringung finanzieller Mittel von außen regelmäßig durch Banken erfolgt, Vertreter einer Gemeinwohl-Ökonomie aber offenbar die Abhängigkeit von ebendiesen und damit deren Einfluss zu begrenzen bestrebt sind, nicht zuletzt, weil es wohl für Unternehmer zunehmend schwieriger zu sein scheint, ihren Bedarf an finanziellen Mitteln über Banken zu decken (S 110). Eingegangen wird dabei auf den Begriff der Einlage221 nach dem BWG, auf gesetzliche Regelungen über die Prospektpflicht und auf im Zusammenhang mit Crowdinvesting stehende Rechtsfragen.

Zum Schluss schreibt Ass.-Prof. Dr. Silvia Traunwieser „Zur Ambivalenz von Corporate Social Responsibility“ (S 121 bis 134). Darin beschäftigt sich die Autorin mit den „relevanten Elementen von CSR wie der Verantwortung, der Freiwilligkeit, der Unternehmenssphäre und der Zuordnung diverser CSR-Maßnahmen (wie zB Spenden, Corporate Volunteering, CSR-Reporting) zu entsprechenden Handlungstypen“, wobei sie versucht, „den unklaren Begriff der CSR ansatzweise zu schärfen“ (S 121).

Mit Ausnahme des letzten Beitrags – so erschließt sich das jedenfalls aus dem Vorwort der HerausgeberInnen – spiegeln die Beiträge dieses Sammelbandes die Ergebnisse einer wissenschaftlichen Tagung, die an der Universität Salzburg am 28.5.2013 abgehalten wurde. Dabei ging es sichtlich um die Vereinbarkeit „alternativer“, stärker am Gemeinwohl orientierter, theoretischer Ansätze mit bestehenden wirtschaftlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen, wobei dieses Thema aus politisch-ethischer, verfassungsrechtlicher, steuerrechtlicher, arbeitsrechtlicher und kapitalmarktrechtlicher Sicht betrachtet wurde.

Nicht durchwegs ist der Konnex zu den „Unternehmenszielen“ erkennbar, auf die im Titel des Buches Bezug genommen wird, und nicht durchwegs sind die Beiträge vollends aufeinander abgestimmt oder knüpfen an erwähnte oder untersuchte Standpunkte an, vor allem fehlt eine übergreifende Betrachtung zum Thema, die sämtliche Teilergebnisse reflektiert. Das tut dem Wert des Bandes jedoch keinen Abbruch, denn es enthält zahlreiche interessante theoretische Ansätze wie auch nützliche praktische Hinweise und spricht zweifelsohne ein Thema an, das an Aktualität kaum abzunehmen geeignet ist – ganz im Gegenteil: In jeder Gesellschaft stellen sich (Rechts-)Fragen mit Bezug auf das Gemeinwohl und es obliegt allen verantwortungsbewussten Bürgerinnen und Bürgern, sich am Diskurs darüber zu beteiligen.