Rehbinder/StöckliDer Arbeitsvertrag, Art 331-335 und Art 361-362 OR – Berner Kommentar

2. Auflage, Stämpfli Verlag, Bern 2014 XXXVII, 821 Seiten, gebunden, € 326,–

ROBERTREBHAHN (WIEN)

In der Schweiz finden sich die wesentlichen Normen zum Individual- wie Kollektivarbeitsrecht im Gesetz „Obligationenrecht“ (OR). Der Berner Kommentar ist der führende Kommentar dazu. Die Kommentierung der arbeitsrechtlichen Bestimmungen des OR erfolgt in drei Bänden. Der Band (aus 2010) zu den Art 319-330b OR betrifft die grundlegenden Vorschriften zum Einzelarbeitsvertrag, wie Begriff, Arbeits- und Treuepflicht, Entgeltpflicht, Entgeltfortzahlung, Fürsorgepflicht, Urlaub und Haftung. Der dritte Band zu den Art 356-360 OR (aus 1999 mit Ergänzungen) betrifft Gesamtarbeitsvertrag und Normalarbeitsvertrag, also insb Kollektivverträge. Hier zu besprechen ist der (mittlere) Band, der weitere Vorschriften zum Individualarbeitsrecht betrifft und in der zweiten Auflage von Prof. Joan-Fritz Stoeckli allein bearbeitet wurde. In der Reihenfolge des Gesetzes geht es um Berufliche Vorsorge (Betriebspensionen), Wohnungseigentumsförderung, Betriebsübergang (die Schweiz hat die Betriebsübergangs-RL nachvollzogen), Beendigung des Arbeitsverhältnisses, Konkurrenzklausel, Unverzichtbarkeit, Sonderbestimmungen für drei Sonderformen des Arbeitsvertrages (Lehrvertrag, Handelsreisendenvertrag und Heimarbeitsvertrag) sowie die Anordnung, welche Bestimmungen zwingend sind (Art 361 f).

Die Kommentierungen sind in aller Regel beispielhaft klar und präzise. Man wird rasch über das Wesentliche und die Details informiert. Als Beispiel sei Art 341 OR zu Unverzichtbarkeit und Verjährung genannt, der aus österreichischer Sicht auch vergleichend interessant ist. Schon Art 341 Abs 1 sagt: „Während der Dauer des Arbeitsverhältnisses und eines Monats nach dessen Beendigung kann der Arbeitnehmer auf Forderungen, die sich aus unabdingbaren Vorschriften des Gesetzes oder aus unabdingbaren Bestimmungen eines Gesamtarbeitsvertrages ergeben, nicht verzichten.“ Bei diesen Verzichtserklärungen fehle nämlich das für Rechtsgeschäfte erforderliche Machtgleichgewicht und damit die Richtigkeitsgewähr (Rn 1). Die Ein-Monatsfrist wird mit dem weiterhin möglichen Abhängigkeitsverhältnis erklärt (Rn 19). Auf die Unschärfen der österreichischen „Drucktheorie“ kommt es also nicht an. Konzis eingegangen wird ua auf den Anwendungsbereich des Verzichtsverbots, insb auf die häufigen „Saldoklauseln“ bei Beendigung (das Verbot gilt für diese), das Erfordernis einer ausdrücklichen Erklärung der AN, den beiderseitigen Verzicht (angemessener Vergleich ist zulässig), Umgehung, den Einwand einer rechtsmissbräuchlichen Berufung auf das Verzichtsverbot (sehr selten begründet), und auf die Auswirkungen des Verzichts auf die AlV. Nach Art 341 Abs 2 sind „die allgemeinen Vorschriften über die Verjährung auf Forderungen aus dem Arbeitsverhältnis anwendbar“. Zu der – in Österreich immer wieder diskutierten – Frage einer Verkürzung der (idR fünfjährigen) Verjährungsfrist liest man nur (Rn 33): „Die Verjährungsfristen (OR 341 II) sind durch Parteienvereinbarung ohnehin nicht abänderbar.

Mehr als ein Drittel des Bandes (S 123-430) behandelt die Vorschriften zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Hier gibt es bedeutende Unterschiede zum österreichischen Recht: das schweizerische ist für die AN meist nachteiliger. Die Kündigungsfrist beträgt einheitlich zwischen einem und drei Monaten, die Kündigungsfristen sind für beide Parteien zwingend gleich lang (Art 335c); soweit zu sehen wird nicht gesagt, was bei fristwidriger Kündigung gilt. Bei Massenkündigungen sieht das Gesetz seit einigen Jahren die Pflicht des AG vor, über einen Sozialplan zu verhandeln, bei Nichteinigung Zwangsschlichtung. Das Gesetz sieht als Inhalt des Sozialplans „Maßnahmen“ vor, „mit denen Kündigungen vermieden, deren Zahl beschränkt sowie deren Folgen gemindert werden“ (Art 335h). Es gibt aber keine näheren Vorgaben dazu. Stoeckli kritisiert die Regelung scharf, insb weil sie Rechtsunsicherheit schaffe (Rn 6 ff). Der größte Unterschied zu Österreich findet sich beim (allgemeinen) Kündigungsschutz. Das schweizerische Recht schützt die AN nur gegen eine missbräuchliche Kündigung (Art 336), worunter im Wesentlichen die Kündigung aus einem missbilligten Motiv (ähnlich § 105 Abs 3 Z 1 ArbVG) fällt, sowie gegen Kündigung „zur Unzeit“ (Art 336c), insb – befristet – während Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit. Es gibt also keine Kontrolle einer „sozialwidrigen“ Kündigung und keine Vorgaben zur „Sozialauswahl“. Stoeckli sagt denn auch (Art 336 Rn 2): „Das schweizerische Arbeitsrecht unterscheidet sich [beim Kündigungsschutz] von den meisten kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen.“ Es wird sogar bezweifelt, ob der Kündigungsschutz durch Einzel- oder Gesamtvertrag verbessert werden darf; Stoeckli bejaht die Zulässigkeit (Art 336 Rn 63). Interessant ist in der Folge die Lage zur wiederholten Befristung von Arbeitsverhältnissen, die das Gesetz nicht regelt. Obwohl der Kündigungsschutz deutlich geringer ist (und die Schweiz die Befristungs-RL nicht nachvollzogen hat), kommt Stoeckli zu ähnlichen Ergebnissen wie die österreichische Doktrin (Art 334 Rn 13).

Der vorliegende Band informiert nicht nur jene verlässlich, die über das darin behandelte schweizerische Recht Auskunft benötigen, das Lesen in ihm gibt auch223 Anlass, über das eine oder andere im österreichischen Recht nachzudenken.