FischerDie fristlose Kündigung bei Vertrauensstellung (§ 627 BGB)

Nomos Verlag, Baden-Baden 2015 220 Seiten, broschiert, € 29,–

VERENAVINZENZ (INNSBRUCK)

Die vorliegende deutsche Dissertation, welche als dritter Band der Schriftenreihe „Theorie und Praxis des Arbeitsrechts“ erschienen ist, widmet sich einem kuriosen Phänomen des deutschen Arbeitsrechts, nämlich einer Möglichkeit der Auflösung von Dienstverhältnissen der rechts-, steuer- und wirtschaftsberatenden Berufe. Als eine Beendigungsart sui generis räumt § 627 BGB beiden Vertragsparteien bei Bestehen eines „besonderen Vertrauensverhältnisses“ die Möglichkeit zur fristlosen Auflösung des freien Dienstverhältnisses ein.

Diese Norm gewährt den Vertragsparteien die Möglichkeit, einen Beratervertrag ohne Vorliegen eines wichtigen Grundes sowie ohne Einhaltung von Kündigungsfristen und -terminen zu lösen. Diese Sonderstellung wird mit der besonderen Vertrauensstellung zwischen Mandant und Berater begründet. Christopher Fischer sucht im Rahmen der Arbeit eine Rechtfertigung für diese besondere Vorkehrung des Gesetzes, die zusätzlich zu den auch in Österreich bekannten Beendigungsarten von Arbeits- und freien Dienstverträgen – nämlich der Kündigung unter Einhaltung von Kündigungsfristen und -terminen zum einen und der, um die deutsche Terminologie zu bemühen, „außerordentlichen Kündigung“, also der fristlosen Auflösung des Dienstverhältnisses aus besonderem Grund zum anderen – besteht.

Die Arbeit ist in zwei Teile gegliedert, wobei sich der erste dieser Teile mit den Tatbestandsmerkmalen des § 627 BGB und der zweite Teil mit dessen Rechtsfolgen beschäftigt. Nach einem einleitenden Abschnitt wird in Kapitel 2 der Begriff des Beratervertrags analysiert. So beschäftigt sich Fischer mit elementaren Abgrenzungsfragen, wie bspw dem Problem, ob es sich bei allen Arten von Beratungsverträgen um freie Dienstverträge handelt bzw ob das Element des Dauerschuldverhältnisses in allen Fallkonstellationen zu bejahen ist. Dabei kommt er zum mE richtigen Schluss, dass es sich bspw bei der Erstellung von Rechtsgutachten typischerweise um Werkverträge handelt, die deshalb nicht von § 627 BGB, sondern von den Rücktrittsvorschriften des allgemeinen Schuldrechts erfasst werden. Die Anwendung des § 627 BGB kann deshalb nicht pauschal für alle Beraterverträge angenommen werden, sondern nur nach einer sorgfältigen Prüfung des Einzelfalls erfolgen.

Das dritte Kapitel beleuchtet die Voraussetzung eines besonderen Vertrauensverhältnisses zwischen Mandant und Berater: Demnach wird durch den Einblick des Beraters in die private und geschäftliche Sphäre des Mandanten ein „besonderes“ Vertrauen begründet, welches über das normalerweise geschuldete Vertrauen zweier Vertragspartner hinausgeht und daher die Möglichkeit der fristlosen und grundlosen Beendigung des Beratervertrags rechtfertigt. In Kapitel 4 widmet sich Fischer der Anwendbarkeit des § 627 BGB nicht nur zwischen natürlichen Personen, sondern auch auf Unternehmen. Diese systematische Fortentwicklung des Gesetzeswortlauts durch Lehre und Rsp ist dem Wandel zur modernen Dienstleistungsgesellschaft geschuldet, in der Beratungsleistungen häufig auch von institutionalisierten Vertragspartnern erbracht werden. Fischer wendet sich in weiterer Folge im fünften Kapitel der Arbeit den gesetzlich normierten Ausnahmen für dieses freie Kündigungsrecht zu: Zum einen ist die freie Kündigung bei Arbeitsverhältnissen ausgeschlossen, zum anderen bei dauernden Dienstverhältnissen mit festen Bezügen. Besonderes Augenmerk liegt hier auf dem zweiten Ausschlussgrund, da dieser von der in Deutschland hL und Rsp scheinbar gegen den Wortlaut des Gesetzes weiterentwickelt wurde.

Den Kern des Buches bildet die Frage, ob das freie Kündigungsrecht des § 627 BGB im Wege der Vertragsgestaltung ausgeschaltet werden kann. Dabei wird vor allem die Möglichkeit der Abdingung des § 627 BGB im Wege einer Vereinbarung der Parteien bzw durch AGB thematisiert. Wenig überraschend kommt Fischer zum Schluss, dass die Abbedingung des freien Kündigungsrechts bzw des daraus folgenden Teilvergütungsanspruchs des Mandanten im Rahmen einer Individualvereinbarung möglich sein muss, da es sich um eine Rechtsnorm dispositiven Charakters handelt. Vor allem der Vergleich mit einseitig zwingenden Normen, zB jenen des Verbraucherschutzrechts, führt eindrücklich vor Augen, dass die Gefahren nicht vergleichbar sind bzw der Schutzzweck ein vollkommen anderer ist. Schwieriger zu beantworten ist im deutschen Recht die Frage der Zulässigkeit einer Abbedingung im Rahmen von AGB. Hier vertritt Fischer, dass das fristlose Kündigungsrecht des Mandanten nur dann zugunsten eines fristgebundenen Kündigungsrechts abdingbar ist, wenn erhebliche wirtschaftliche Interessen des Beraters bestehen, etwa wenn der Berater Betriebseinrichtungen und Personal in erheblichem Umfang für die vereinbarte Dienstleistung abzustellen hat. Außerhalb dieser Fälle ist jede Einschränkung des freien Kündigungsrechts des Mandanten als eine unangemessene Benachteiligung anzusehen. Die Abbedingung des freien Kündigungsrechts des Beraters wurde in Deutschland bislang nicht thematisiert. In seiner Betrachtung geht Fischer davon aus, dass es möglich sein sollte, das Kündigungsrecht sowohl individual- als auch formularvertraglich vollständig abzubedingen.225

Kapitel 7 widmet sich als letzter Abschnitt des ersten Teils der Arbeit mit dem Verhältnis von § 627 BGB zu anderen Beendigungsarten, die im deutschen Recht verankert sind, wie bspw der ordentlichen und außerordentlichen Kündigung, dem Widerruf sowie der Möglichkeit der Anfechtung des Vertrag wegen Irrtums. Von besonderem Interesse auch für den österreichischen Leser könnte hier das Verhältnis zwischen dem freien Kündigungsrecht nach § 627 BGB und der „außerordentlichen Kündigung“ sein. Fischer zeigt nämlich im Rahmen seiner Ausführungen, dass das Vorliegen des besonderen Vertrauensverhältnisses zwischen Mandant und Berater in der deutschen Rsp dazu geführt hat, die Erheblichkeitsschwelle für das Vorliegen eines wichtigen Grundes im Rahmen der außerordentlichen Kündigung zu senken. Daher können Umstände, die zu einer nachhaltigen und objektiv nachvollziehbaren Erschütterung des Vertrauensverhältnisses führen, ebenfalls als wichtiger Grund angesehen werden.

Der zweite Teil der vorliegenden Arbeit beschäftigt sich mit den vergütungsrechtlichen Folgen. Diese sind in § 628 BGB geregelt und sehen einen Teilvergütungsanspruch des Beraters im Fall der Ausübung des freien Kündigungsrechts durch den Mandanten vor. Das Gesetz beschränkt den Vergütungsanspruch auf den den bisherigen Leistungen entsprechenden Teil der vertraglich geschuldeten Gesamtvergütung.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Publikation eine durchaus interessante Rechtsfrage behandelt und den deutschen Meinungsstand in übersichtlicher Form aufarbeitet. Aus österreichischer Sicht lohnt sich die Lektüre dieser Arbeit wegen der mangelnden Möglichkeit der Umlegung auf die geltende österreichische Rechtslage wohl nur für rechtsvergleichend tätige Juristen.