Aschauer/Kohlbacher (Hrsg)
Jahrbuch Sozialversicherungsrecht 2015

Neuer Wissenschaftlicher Verlag, Wien/Graz 2015 233 Seiten, broschiert, € 48,–

MONIKAWEISSENSTEINER (WIEN)

Das Jahrbuch Sozialversicherungsrecht 2015 gibt in bereits bekannter Weise einen Überblick über Rechtsänderungen und die Judikatur des Jahres 2014. Wie in jedem Jahrbuch findet man sehr unterschiedliche Beiträge, die zT praxisorientiert, zT wohl eher an wissenschaftlich interessierte LeserInnen gerichtet sind. Die Herausforderung, einerseits einen möglichst umfassenden Überblick über gesetzliche Änderungen und die wichtigsten höchstgerichtlichen Entscheidungen zu geben und andererseits aktuelle, sozialpolitisch spannende Themen zu behandeln, ist eine große.

Im ersten Kapitel bietet Lang zuerst eine Aufzählung der Gesetze, Verordnungen und Kundmachungen sowie von zwischenstaatlichen Abkommen auf dem Gebiet des Sozialversicherungsrechts. Im zweiten Teil ihres Beitrags werden OGH-, VwGH-, VfGH- und EuGH-Urteile mit kurzen Rechtssätzen dargestellt. Schade ist, dass nur ein VfGH-Erk (zu § 56 Abs 3 AlVG) aufgenommen wurde, nicht aber beispielsweise das Erk zur ReihungskriterienVO (V 54/2014) oder zum „Beamten-Pensionskorridor“ (VfGH 27.9.2014, B 113/2014). Bei den OGH-Entscheidungen wäre im Teil „Weitere Sozialleistungen“ eine Trennung der Urteile zum BPGG und KBGG wünschenswert. Teil B 1 der VwGH-Entscheidungen (SV allgemein, Verfahrensrecht) bietet einen guten Überblick zur Frage der Abgrenzung Dienstvertrag – freier Dienstvertrag – Neue Selbständige, der zur gewünschten Rechtssicherheit für Selbständige beitragen kann. Das EuGH-Urteil in der Rs Dano vom 11.11.2014 müsste der Vollständigkeit halber in einem EuGH-Judikatur-Überblick erfasst sein. In den227 beiden nachfolgenden Kapiteln von Eichenhofer und Karl wird diese viel diskutierte EuGH-E in unterschiedlichen Zusammenhängen dargestellt. Eichenhofer setzt sich vor allem mit dem Verhältnis von Koordinierungs- und Aufenthaltsrecht auseinander, Karl analysiert die Urteile Brey und Dano mit dem Ergebnis, dass zweiteres ein Schritt in die richtige Richtung sei, weil vom Postulat der Einzelfallprüfung abgegangen wird. Im Hinblick auf die derzeitigen politischen Entwicklungen und Diskussionen wird dieses Thema auch in Zukunft aktuell bleiben.

Eine juristische Aufarbeitung des politisch seit längerer Zeit diskutierten und umstrittenen Themas der Arbeitsunfähigkeit in der KV, der Teil-Arbeits(un)fähigkeit und der Wiedereingliederung nach langem Krankenstand findet man im Beitrag von Prinzinger. Zur Wiedereingliederung nach langem Krankenstand werden konkrete Modellvorschläge entwickelt, die als Grundlage für eine gesetzliche Umsetzung dienen können. Eine ausführlichere Auseinandersetzung mit der spannenden Idee einer Europäischen AlV im Beitrag von Kohlbacher wäre wünschenswert gewesen. Nach einer Darstellung der AlV in den USA wird eine mögliche Ausgestaltung einer Europäischen AlV mit dem Ziel einer zyklischen Stabilisierung für die Mitgliedstaaten des Euroraums releviert. Stadler bringt zuerst eine umfassende und gut gegliederte Darstellung der Judikatur zum KBGG, die zum Teil auch Urteile aus früheren Kalenderjahren umfasst. In einem zweiten kürzeren Teil werden Änderungsforderungen und -pläne erhoben; diese gehen zT über den Bereich des KBGG hinaus (Anrechnung von vier Jahren Kindererziehungszeit für jedes Kind in der PV), betreffen aber großteils arbeitsrechtliche Reformvorschläge, wie zB die Verlängerung der gleichzeitigen Karenzmöglichkeit für beide Elternteile auf zwei Monate. Mit dem Bereich des Pflegegeldes befassen sich Gleitsmann und Kircher. Kernstück des Beitrags ist die Novelle des BPGG 2014 (BGBl I 2015/12), mit der ua die Zugangskriterien zu den Pflegegeldstufen 1 und 2 neuerlich erschwert wurden, das Pflegegeld erhöht wurde und ua weitere Maßnahmen zur Qualitätssicherung getroffen wurden. Die Steigerung der absoluten Zahl der PflegegeldbezieherInnen und die Ausgaben von 2,6 Mrd € für das Pflegegeld im Jahr 2013 sind zwar korrekt, mA sollte man jedoch zusätzlich anführen, dass die Ausgaben mit 0,8 % des BIP stabil sind, weshalb Kostendämpfungsmaßnahmen nicht erforderlich scheinen. Enzelsberger beschreibt wichtige Änderungen im Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz, wobei sie in ihrer conclusio die legistische Umsetzung als teilweise überschießend bezeichnet, ohne allerdings konkrete Kritikpunkte näher auszuführen. In der Zwischenzeit gibt es einen Ministerialentwurf (189/ME 25. GP), mit dem das LSD-BG aus dem AVRAG herausgelöst wird und ein formal neues Gesetz geschaffen wird; gleichzeitig wird die Durchsetzungs-RL zur Entsende-RL umgesetzt.

Konkrete Reformschritte betreffend Sozialhilfe und Mindestsicherung schlägt Küberl nach einer kritischen Analyse des steirischen Sozialhilfegesetzes vor. Er fordert eine Trennung von Sozialhilfe und Pflegesicherung und die Schaffung eines bundesweit einheitlichen Gesetzesrahmens für Sozialhilfe und bedarfsorientierte Mindestsicherung. Gerade im Hinblick auf die derzeit laufende politische Diskussion ein empfehlenswerter Beitrag. Ebenfalls seit langem heftig diskutiert ist die Idee einer Schlichtungsstelle für die Abgrenzung zwischen selbständiger und unselbständiger Erwerbstätigkeit. Die von Neumann thematisierte Abgrenzungsproblematik stellt sich mA in vielen Fällen aber auf Grund einer seit Jahren gefestigten Judikatur des VwGH nicht. Neumann schlägt den Lösungsansatz „Rechtssicherheit“ vor, der im Wesentlichen in einer rechtsverbindlichen Vorabprüfung besteht, die bei „im Wesentlichen unveränderten Sachverhalt“ dazu führen soll, dass der später festgestellte DG keine Beiträge nachzahlen muss. Ob die wesentliche Änderung eines Sachverhalts so unstrittig sein wird, soll hier dahingestellt bleiben. Zwei weitere Kapitel befassen sich mit verfahrensrechtlichen Fragen. Pabel stellt in einem kurzen Beitrag die Neuerungen im sozialversicherungsrechtlichen Rechtsschutz nach der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 dar. Die Abwägung, ob iSd Verfahrensökonomie eine mündliche Verhandlung entfallen kann, wird allerdings gerade bei Fragen betreffend die Versicherungspflicht nicht so klar sein, besonders im Hinblick darauf, dass die Verwaltungsgerichte im Regelfall in der Sache selbst entscheiden (sollen). Der VwGH hat mittlerweile wiederholt hervorgehoben (vgl etwa VwGH 10. 9. 2014, Ra 2014/08/0005), dass selbst Bescheide, die in der Begründung dürftig sind, keine Zurückverweisung der Sache rechtfertigen, wenn brauchbare Ermittlungsergebnisse vorliegen, die im Zusammenhalt mit einer allenfalls durchzuführenden Verhandlung zu vervollständigen sind. Pacic versucht in einem (nicht nur auf Grund der zahlreichen Fußnoten) schwer zu lesenden Aufsatz eine Einführung in die Methodenlehre des Unionsrechts – offenbar ein Thema, das in einer Monographie besser aufgehoben wäre.228