Der Betriebsrat: Interessenvertretung versus Geheimhaltungspflichten

ELIASFELTEN (SALZBURG)

Die Mitglieder und Ersatzmitglieder des BR sind gem § 115 Abs 4 ArbVG verpflichtet, über alle in Ausübung ihres Amtes bekanntgewordenen Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse Verschwiegenheit zu bewahren. Nach dem Wortlaut der Bestimmung bestehen keinerlei Ausnahmen von dieser betriebsverfassungsrechtlichen Geheimhaltungspflicht. Daraus ergibt sich ein Spannungsverhältnis zum gesetzlichen Interessenvertretungsauftrag des BR. Denn zu dessen Erfüllung reicht es zumeist nicht aus, dass der BR Zugang zu betriebsinternen Informationen erhält. Vielmehr ist er darauf angewiesen, sich mit anderen über die erhaltenen Informationen auch austauschen zu können. Das setzt ein Recht auf Weitergabe betriebsinterner Informationen voraus. Ziel des vorliegenden Beitrages* ist es daher, die Reichweite der betriebsverfassungsrechtlichen Verschwiegenheitspflicht vor dem Hintergrund des Interessenvertretungsauftrages des BR auszuloten.

1.
Einleitung

„Wissen ist Macht“! Dieses geflügelte Wort umschreibt kurz und prägnant den Kern des interessengeleiteten Konflikts zwischen Betriebsinhaber und BR um den Zugang zu betriebsinternen Informationen und ihre Weitergabe. „Macht“ im wirtschaftlichen Kontext bedeutet die Möglichkeit, strategische Entscheidungen zu treffen. Diese kommt dem Betriebsinhaber als Verfügungsberechtigten über die Produktionsmittel zu; sei es, ob es um eine wirtschaftliche Expansion, den Ankauf neuer Maschinen oder die Schließung eines Betriebsteils geht. Solche Entscheidungen werden auf Grundlage von Informationen über ihre Ursachen und Auswirkungen gefällt. Diese Informationen sind daher von immensem, wirtschaftlichem Interesse; nicht nur für die Konkurrenz, sondern auch für die im Betrieb Beschäftigten. Denn wer über diese Informationen verfügt, kann die Richtigkeit einer getroffenen Entscheidung überprüfen und ihre Notwendigkeit hinterfragen. Gibt der Betriebsinhaber diese Informationen aus der Hand, bedeutet dies unweigerlich eine Beschränkung seiner Macht. Hinzu kommt, dass der Zugang zu Informationen und vor allem ihre Weitergabe noch nie so leicht waren wie heute. Durch die modernen Telekommunikationsmedien und Social-Media-Dienste lassen sich Informationen in kürzester Zeit an einen nahezu beliebig großen Empfängerkreis verbreiten. Diese Kommunikationswege haben deshalb auch ein erhebliches Mobilisierungspotential.

Es überrascht daher nur wenig, dass der Betriebsinhaber ein vitales Interesse daran hat, Betriebsinterna möglichst geheim und den Kreis der Informierten möglichst klein zu halten. Dies geschieht, indem solche Informationen zu Betriebs- bzw Geschäftsgeheimnissen erklärt werden. Für die AN im Betrieb ist der Zugang zu solchen Informationen hingegen die Grundlage, um überhaupt an Unternehmensentscheidungen partizipieren und aktiv darauf reagieren zu können. Ohne Informationen über Betriebsinterna ist es kaum denkbar, auf das169 Management bei Unternehmensentscheidungen derart einzuwirken, dass auch die Interessen der im Betrieb Beschäftigten berücksichtigt werden. Nicht von ungefähr enthält die EGRC nunmehr ein ausdrückliches Grundrecht auf Unterrichtung und Anhörung der AN im Unternehmen.*

Vor allem aber kann die gezielte Weitergabe von Informationen ein wichtiges und vor allem effektives Instrument der Interessenvertretung sein. Das beginnt bei der Einholung von Expertisen, um die erlangten Daten verstehen oder interpretieren zu können, geht über die bewusste Verbreitung von Informationen innerhalb des Betriebs, um in einer bestimmten Angelegenheit ein Stimmungsbild einzuholen, bis zur Mobilisierung der überbetrieblichen Interessenvertretung oder gar der Öffentlichkeit, um der eigenen Stimme mehr Nachdruck zu verleihen. MaW: In der Weitergabe betriebsinterner Informationen kulminieren die entgegengesetzten Interessen von Betriebsinhaber und BR.

Besonders virulent wird dieser Interessengegensatz in Krisenzeiten. Die Geheimhaltung von Liquiditätsengpässen kann für ein Unternehmen existenziell sein. Erlangen Kunden, Gläubiger oder Konkurrenten davon Information, kann das schlimmstenfalls in der Insolvenz enden. Von der wirtschaftlichen Lage des Unternehmens hängen aber auch die Arbeitsplätze ab. Deshalb ist es für die Belegschaft ebenso zentral zu wissen, wie es um die Liquidität des AG bestellt ist. Danach richtet sich letztlich auch die Strategie, die der BR gegenüber dem Betriebsinhaber verfolgt. Ohne Kenntnis der betriebswirtschaftlichen Kennzahlen lassen sich bspw Sozialplanverhandlungen nicht führen. Dabei ist der BR nicht nur auf den Rückhalt der eigenen Belegschaft angewiesen, sondern oftmals auch auf die fachliche Unterstützung der Gewerkschaft. Auch die Einschaltung der Politik oder der Öffentlichkeit im Wege der Medien kann die Verhandlungsposition des BR, gerade bei Sozialplanverhandlungen, stärken. Ohne Weitergabe von Informationen ist das freilich nicht möglich.

2.
Geheimhaltungsinteresse vs Interessenvertretung
2.1.
Vorrang des Geheimhaltungsinteresses des Betriebsinhabers?

Die Antwort des Gesetzgebers scheint auf den ersten Blick eindeutig. Gem § 115 Abs 4 ArbVG sind die Mitglieder und Ersatzmitglieder des BR verpflichtet, „über alle in Ausübung ihres Amtes bekanntgewordenen Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse, insb über die ihnen als geheim bezeichneten technischen Einrichtungen, Verfahren und Eigentümlichkeiten des Betriebes Verschwiegenheit zu bewahren“. Dasselbe gilt in Bezug auf persönliche Verhältnisse oder Angelegenheiten der AN, die den Mitgliedern des BR im Zuge der Mitwirkung in personellen Angelegenheiten bekannt geworden sind, soweit diese ihrer Bedeutung oder ihrem Inhalt nach einer vertraulichen Behandlung bedürfen. Diese gesetzliche Verschwiegenheitspflicht der Betriebsratsmitglieder ist doppelt abgesichert.* Zum einen begründet ein Verstoß gegen die Anordnung des § 115 Abs 4 einen Verwaltungsstraftatbestand, der von der Bezirksverwaltungsbehörde gem § 160 Abs 1 ArbVG mit einer Geldstrafe von bis zu € 2.180,– zu ahnden ist. Zum anderen setzt ein Betriebsratsmitglied gem § 122 Z 4 ArbVG einen Entlassungsgrund, wenn er/sie ein Geschäfts- oder Betriebsgeheimnis verrät. Diese zweifache Sanktionierung scheint eine klare Antwort auf die Frage zu geben, welche Interessen im Konfliktfall schwerer wiegen. In diese Richtung weist auch der Umstand, dass die Pflicht zur Geheimhaltung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen im Gegensatz zu den persönlichen Verhältnissen der AN zumindest dem Wortlaut nach keiner Relativierung zugänglich ist.*

Darüber hinaus genießen Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse auch außerhalb des Anwendungsbereichs des ArbVG umfassenden rechtlichen Schutz. So stellt die Offenbarung und Verwertung von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen, die in Durchführung einer durch Gesetz oder behördlichen Auftrag vorgeschriebenen Aufsicht, Überprüfung oder Erhebung anvertraut oder zugänglich geworden sind, gem § 122 StGB einen Straftatbestand dar. Auch das Auskundschaften solcher Geheimnisse mit dem Vorsatz, sie zu verwerten, sie einem anderen zur Verwertung zu überlassen oder der Öffentlichkeit preiszugeben, ist gem § 123 StGB gerichtlich strafbar. Sollte dies zu Gunsten des Auslands geschehen, ist der Strafrahmen gem § 124 StGB sogar noch ein höherer.* Daneben macht sich gem § 11 Abs 1 UWG gerichtlich strafbar, wer als Bediensteter eines Unternehmens Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisse, die ihm vermöge des Dienstverhältnisses anvertraut oder sonst zugänglich geworden sind, während der Geltungsdauer des Dienstverhältnisses unbefugt anderen zu Zwecken des Wettbewerbes mitteilt. Darüber hinaus findet sich in einer Vielzahl an Sondergesetzen ausdrücklich an AN adressierte Verschwiegenheitspflichten, deren Verletzung neben Schadenersatzansprüchen primär dienstrechtliche, also beendigungsrechtliche, Konsequenzen nach sich ziehen.*

Mit der Verankerung einfachgesetzlicher Verschwiegenheitspflichten und ihrer Absicherung durch das gerichtliche Strafrecht gibt der Gesetzgeber unmissverständlich zu erkennen, dass er Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse als hohes Schutzgut ansieht. Tatsächlich bilden Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse einen vermögensrechtlichen Wert. Ihr Schutz dient damit letztlich dem Schutz des Eigentums.170 Dieser ist gem Art 5 StGG und Art 1 1. ZPMRK grundrechtlich abgesichert. Die Verankerung einfachgesetzlicher Verschwiegenheitspflichten bezüglich Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen kann also als Erfüllung einer positiven Schutzpflicht des Staates gegenüber dem Eigentumsschutz interpretiert werden.

Daraus ließe sich ein dogmatischer Anhaltspunkt dafür gewinnen, dass im Falle eines Interessenkonflikts zwischen Betriebsinhaber und BR über die Weitergabe von Betriebsinterna, den Geheimhaltungsinteressen des Betriebsinhabers, der Vorrang einzuräumen ist. Diese Schlussfolgerung ist freilich vorschnell.

Das legt bereits die sogenannte „Mandatsschutzklausel“ des § 120 Abs 1 ArbVG nahe. Nach dieser Bestimmung hat das Gericht im Falle eines Geheimnisverrats durch ein Betriebsratsmitglied die Klage auf Zustimmung zur Entlassung abzuweisen, wenn sie sich auf ein Verhalten des Betriebsratsmitgliedes stützt, das von diesem in Ausübung des Mandates gesetzt wurde und unter Abwägung aller Umstände entschuldbar war. Dh, auch wenn das Betriebsratsmitglied rechtswidrig gehandelt hat, berechtigt es dennoch nicht zur Entlassung, wenn der Geheimnisverrat „in Ausübung des Mandates“ gesetzt wurde; oder anders ausgedrückt, wenn der Geheimnisverrat als Mittel der Interessenvertretung eingesetzt wurde. Daraus ergibt sich, dass der Gesetzgeber die Sicherstellung einer effektiven Interessenvertretung ebenfalls als besonders schützenswert ansieht. Sogar rechtswidrige Handlungen, wie ein Geheimnisverrat, können dann, wenn sie aus dem lauteren Motiv der Interessenvertretung gesetzt werden, entschuldbar sein.* Damit relativiert der Gesetzgeber selbst die vermeintliche Vorrangstellung des Geheimhaltungsinteresses des Betriebsinhabers.

2.2.
Informations- und Kooperationsinteresse des BR
2.2.1.
Informationsrechte

Das zeigt sich auch daran, dass der BR nach dem ArbVG über einen umfassenden Informationsanspruch verfügt, der zweifelsfrei auch solche Daten erfasst, an denen der Betriebsinhaber ein Geheimhaltungsinteresse hat. Oder anders ausgedrückt, der Informationsanspruch des BR, insb nach § 108 Abs 1 ArbVG, macht nicht vor Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen halt.* Dieser erleichterte Zugang wird in der Literatur zumeist sogar als Rechtfertigung dafür gesehen, dass Betriebsratsmitglieder überhaupt einer ausdrücklichen gesetzlichen Verschwiegenheitspflicht unterliegen.* Der Grund, weshalb der Gesetzgeber dem BR diese Informationen zugänglich gemacht hat, liegt augenscheinlich darin, dass diese notwendig sind, um dem gesetzlichen Interessenvertretungsauftrag des § 38 nachkommen zu können. Der bloße Zugang zur Information reicht freilich nicht aus. Die Betriebsratsmitglieder müssen vielmehr die Möglichkeit haben, diese auch weitergeben zu können. Denn nicht in allen Fällen wird immer das gesamte Betriebsratskollegium Kenntnis von den fraglichen Geschäfts- oder Betriebsgeheimnissen erhalten, oftmals werden es einzelne Betriebsratsmitglieder sein, die im Rahmen ihrer Tätigkeit Zugang zu solchen Informationen haben. Wenn nun aber die einzelnen Betriebsratsmitglieder gem § 115 Abs 4 einer absoluten Verschwiegenheitspflicht unterlägen, so würde das in letzter Konsequenz bedeuten, dass sie derartige Informationen nicht an ihre Kollegen weiterleiten dürften. Dass eine solch strenge Lesart des § 115 Abs 4 das Ende für jede sinnvolle Interessenvertretung im Betrieb bedeuten würde, liegt auf der Hand.* Aber selbst mit einem beschränkten Recht auf Weitergabe innerhalb des Betriebsratskollegiums ist nicht viel geholfen. Denn dem BR wird als basisdemokratisches Organ der Belegschaft zumeist das fachliche Knowhow fehlen, um die erhaltenen Informationen verstehen und richtig interpretieren zu können, insb dann, wenn es sich um komplexe wirtschaftliche Daten bzw Zusammenhänge handelt. Das ist auch dem Gesetzgeber bewusst. Deshalb hat er den BR mit umfangreichen Beratungsrechten ausgestattet.

2.2.2.
Beratungsrechte

Gem § 39 Abs 4 ArbVG können die Organe der Arbeitnehmerschaft im Betrieb zu ihrer Beratung in allen Angelegenheiten die zuständigen freiwilligen Berufsvereinigungen, sprich Gewerkschaften, oder gesetzlichen Interessenvertretungen der AN, also die Arbeiterkammern, zu ihrer Beratung beiziehen. Dieses Beiziehungs- und Beratungsrecht unterliegt ausdrücklich keinerlei Beschränkungen. Dh, dass grundsätzlich alle zur Verfügung stehenden Informationen Gegenstand der Beratungen mit den überbetrieblichen Interessenvertretungen sein können.* Eine absolute Verschwiegenheitspflicht, die sich auf alle Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse bezieht, steht dazu in einem augenscheinlichen Spannungsverhältnis. Der Gesetzgeber hat es ausdrücklich ins Ermessen des BR gestellt, in welchen Fällen er Unterstützung von außen anfordert, und nimmt es in Kauf, dass im Zuge dessen auch Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse weitergegeben werden. Andernfalls wäre es nicht notwendig, ausdrücklich anzuordnen, dass die Verschwiegenheitspflicht des § 115 Abs 4 ArbVG sinngemäß auch für die überbetrieblichen Interessenvertretungen gilt.

Das Recht zur Weitergabe betriebsinterner Informationen ist freilich nicht nur im Interesse des BR.171 Auch die überbetriebliche Interessenvertretung hat ein starkes Interesse daran. Tatsächlich stellt dieser wechselseitige Informationsaustausch nach der Konzeption des ArbVG das Bindeglied zwischen der betrieblichen und der überbetrieblichen Interessenvertretung dar.* Das bringt die Programmnorm des § 39 Abs 2 ArbVG klar zum Ausdruck. Nach dieser Bestimmung sollen die Organe der Arbeitnehmerschaft des Betriebes bei der Verwirklichung ihrer Interessenvertretungsaufgabe im Einvernehmen mit den zuständigen kollektivvertragsfähigen Körperschaften der AN vorgehen. Ein solches Einvernehmen lässt sich allerdings nur dann erzielen, wenn die jeweiligen Strategien aufeinander ausgerichtet werden. Das setzt einen Informationsaustausch zwingend voraus.* Das stellt auch der OGH nicht in Abrede.* Damit wird ex lege das Interesse der überbetrieblichen Interessenvertretungen an Informationen aus den Betrieben anerkannt. Denn wie soll gewerkschaftliche Arbeit funktionieren, wenn keinerlei Verbindung zu den Betrieben besteht, in denen die Mitglieder beschäftigt sind? Kollektivvertragliche Lohnverhandlungen können nur dann sinnvoll geführt werden, wenn auch die Gewerkschaft Kenntnis vom Lohngefüge und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit innerhalb der Branche hat. Auch für einen Streikbeschluss ist eine ausreichende Informationsbasis unumgänglich. Dh zwar nicht zwingend, dass Betriebsratsmitglieder einen Freistellungsanspruch gegenüber dem Betriebsinhaber haben müssen, wenn sie an Veranstaltungen teilnehmen, die einen solchen Informationsaustausch ermöglichen sollen. Der OGH verneint einen solchen Freistellungsanspruch immer dann, wenn die Teilnahme nicht den spezifischen Interessen der im jeweiligen Betrieb Beschäftigten dient, sondern allgemeinen, betriebsübergreifenden Interessen der Arbeitnehmerschaft. Deren Wahrnehmung und Förderung sei nicht Aufgabe des BR, sondern jene der Gewerkschaft.* Zieht man die Interessenvertretungsaufgabe des BR tatsächlich so eng – und dafür spricht der Wortlaut des § 32 BR-GO* –, so ist es durchaus konsequent, einen Freistellungsanspruch zu verneinen. Es ist in der Tat nicht Aufgabe des Betriebsinhabers, rein gewerkschaftliche Aktivitäten zu finanzieren. Damit ist freilich nichts über die Zulässigkeit des Informationsaustausches an sich gesagt. Dazu hat sich der OGH bis dato noch nicht geäußert. Klar ist allerdings: Bestünde eine absolute Verschwiegenheitspflicht, die auch die Kommunikation des BR mit der Gewerkschaft umfasste, so würde das die Gewerkschaften in ihrer Betätigungsfreiheit zweifelsfrei beschränken. Das ist problematisch, da die Betätigungsfreiheit der Gewerkschaft gem Art 11 EMRK grundrechtlich abgesichert ist.* Eine absolut verstandene Verschwiegenheitspflicht des BR stößt damit an grundrechtliche Grenzen, da sie einen Eingriff in die Koalitionsfreiheit gem Art 11 EMRK darstellen würde.

2.2.2.
Interventionsrechte

Der Kooperationsbedarf des BR beschränkt sich aber keineswegs bloß auf die überbetrieblichen Interessenvertretungen. Der Gesetzgeber anerkennt allgemein die Notwendigkeit der Zusammenarbeit mit externen Stellen im Interesse der Gewährleistung einer effektiven Interessenvertretung. Gem § 90 Abs 1 ArbVG hat der BR das Recht, in allen Angelegenheiten, die die Interessen der AN berühren, erforderlichenfalls bei den zuständigen Stellen außerhalb des Betriebes zu intervenieren. Welche Einrichtungen konkret als „zuständige Stellen außerhalb des Betriebes“ zu qualifizieren sind, hat der Gesetzgeber – bewusst – offengelassen. Das lässt sich nur aus dem Zusammenhang ermitteln. Es muss sich um Stellen handeln, welche die Befugnis haben, Maßnahmen vorzuschreiben und Mängel zu beheben. Das trifft vorrangig auf öffentliche Behörden wie die Arbeitsinspektorate oder Gewerbe- und Baubehörden zu.* Auch die Sozialversicherungsträger fallen darunter, ebenso die Gleichbehandlungskommission.*

Letzteres ergibt sich unmittelbar aus der Regelung des § 11a Abs 4 GlBG. Hierbei handelt es sich um eine Bestimmung, die eine spezifische Verschwiegenheitspflicht für den Inhalt der betrieblichen Einkommensberichte anordnet. Diese Regelung ist deshalb im gegebenen Zusammenhang von Interesse, da sie eine Durchbrechung der Verschwiegenheitspflicht generell für den Fall erlaubt, dass der Adressat der Information seinerseits einer Verschwiegenheitspflicht unterliegt. Es stellt demnach ausdrücklich keine Verletzung des § 11a Abs 4 GlBG dar, wenn zB Rechtsanwälte oder Steuerberater wegen des Inhalts des Einkommensberichts kontaktiert werden. Zwar ist der eigentliche Normadressat dieser Regelung der einzelne AN und nicht das Betriebsratsmitglied. Dies liegt aber augenscheinlich daran, dass der Gesetzgeber in Anbetracht des § 115 Abs 4 ArbVG für Betriebsratsmitglieder keinen gesonderten Regelungsbedarf gesehen hat.* Daraus ist der Schluss zu ziehen, dass nicht nur die Verschwiegenheitspflicht, sondern auch die Ausnahmen davon in gleicher Weise für den BR und seine Mitglieder gelten.*

2.3.
Zwischenbilanz

Zusammengefasst lässt sich also festhalten, dass der Gesetzgeber sowohl den Informations- als auch den Kooperationsbedarf des BR ausdrücklich anerkennt. Das ArbVG eröffnet bewusst Kommunikationswege nach außen. Eine absolute Verschwiegenheitspflicht172 lässt sich mit diesem Befund nur schwer vereinbaren. Die These, dass den wirtschaftlichen Interessen des Betriebsinhabers in dieser Frage jedenfalls Vorrang zukommen soll, erweist sich damit als falsch. Das zwingt zu einer relativierenden Lesart des § 115 Abs 4 ArbVG. Darüber besteht grundsätzlich Einvernehmen in Lehre und Rsp.

2.4.
Auflösung des Interessengegensatzes: Interessenabwägung im Einzelfall?

Es steht weitgehend außer Streit, dass das Interesse des BR an einer effektiven Ausübung der betriebsverfassungsrechtlichen Befugnisse im Rahmen der Auslegung des § 115 Abs 4 ArbVG zu berücksichtigen ist. Nach der hA soll dies im Rahmen einer umfassenden Interessenabwägung erfolgen.

Zum einen wird schon die Frage, was konkret unter einem Betriebs- und Geschäftsgeheimnis iSd § 115 Abs 4 ArbVG zu verstehen ist, im Wege einer Interessenabwägung beantwortet. Nach ganz einhelliger Auffassung handelt es sich bei Betriebs- bzw Geschäftsgeheimnissen um unternehmensbezogene Tatsachen, die bloß einer bestimmten und begrenzten Anzahl von Personen bekannt und anderen nicht oder nur schwer zugänglich sind und die nach dem Willen des Berechtigten nicht über den Kreis der Eingeweihten hinausdringen sollen, wobei der Betriebsinhaber an der Nichtoffenbarung dieser Tatsachen ein wirtschaftliches Interesse haben muss.* Handelt es sich eher um wirtschaftlich-kaufmännische Daten, wie zB Kundenlisten, Gehaltsdaten ganzer Abteilungen, betriebswirtschaftliche Kennzahlen, etc, so spricht man von Geschäftsgeheimnissen.* Sind die Informationen hingegen technischer Natur, wie zB Produktionsverfahren, Musterkollektionen, Produktzusammensetzung, Patente, etc, so liegt ein Betriebsgeheimnis vor.* Maßgebend für beide Begriffe ist jedoch die Kombination aus einer subjektiven und objektiven Interpretation.* Zum einen ist sowohl ein Geheimhaltungswille, dh das subjektive Interesse an der Geheimhaltung, erforderlich. Zum anderen muss auch tatsächlich ein objektives Interesse an der Geheimhaltung – sprich eine sachliche Rechtfertigung – bestehen.* In der Regel muss also die Weitergabe der Information potentielle Auswirkungen auf das Vermögen oder die Wettbewerbsstellung des Betriebsinhabers haben.* MaW: Die bloße Erklärung einer bestimmten Information zu einem Geheimnis macht diese noch nicht zu einem solchen.* Dadurch soll sichergestellt werden, dass der Betriebsinhaber nicht willkürlich Daten zu Geheimnissen erklärt, an denen auch der BR ein Interesse hat, um auf diese Weise nicht die Ausübung der betriebsverfassungsrechtlichen Befugnisse zu erschweren oder unmöglich zu machen. Diese Objektivierung des Geheimnisbegriffes erfolgt demnach über die Durchführung einer Interessenabwägung.*

Zweck dieser Interessenabwägung ist es, festzustellen, ob überhaupt ein Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis iSd § 115 Abs 4 ArbVG vorliegt. Ist dies zu bejahen, da sowohl ein subjektives als auch ein objektives Geheimhaltungsinteresse des Betriebsinhabers besteht, heißt das allerdings noch nicht, dass der BR jedenfalls zur Verschwiegenheit verpflichtet ist. Vielmehr ist nach der hL und Rsp noch eine weitere Interessenabwägung vorzunehmen. Es ist für den jeweiligen Einzelfall zu prüfen, ob das festgestellte Geheimhaltungsinteresse des Betriebsinhabers oder das Interesse des BR an einer Weitergabe der Informationen zur Sicherstellung des Interessenvertretungsauftrags schwerer wiegen.* Als Rechtfertigung für diese nachgeschaltete Interessenabwägung wird zumeist auf den historischen Willen des Gesetzgebers verwiesen.* In den Materialien zum ArbVG findet sich der Hinweis, dass die Grenzziehung zwischen Verschwiegenheitspflicht und Interessenvertretungsaufgabe bewusst offengelassen wurde, weil man diese der Rechtsanwendung im Einzelfall überlassen wollte, wobei davon auszugehen sei, dass die widerstreitenden Interessen abzuwägen sein werden.* Welchem Interesse im Rahmen dieser Abwägung mehr Gewicht zukommt, ist letztlich eine interessenpolitische Frage, die wenig überraschend im Schrifttum kontrovers diskutiert wird. Dennoch hat sich inzwischen in Judikatur und Lehre die Formel etabliert, dass die Geheimhaltungspflicht nach § 115 Abs 4 ArbVG dann nicht verletzt wird, wenn ihre Einhaltung mit der Interessenvertretungsaufgabe des BR derart kollidieren würde, dass der Nachteil für die Belegschaft schwerwiegender wäre als der Nachteil für den von der Nichteinhaltung der Geheimhaltungspflicht Betroffenen.*173

3.
Normenkollision anstatt Interessenkollision
3.1.
Die beschränkende Wirkung der Interessenabwägung

Diese umfassende Berücksichtigung der beidseitigen, widerstreitenden Interessen im Wege einer Abwägung im Einzelfall scheint auf den ersten Blick ausgewogen und plausibel. Darüber hinaus kann sie sich auf die Gesetzesmaterialien berufen. Der einzige Vorwurf, den man ihr machen kann, ist allenfalls, dass sie für die Praxis nur schwer zu handhaben ist, weil sich kaum eindeutige Ergebnisse prognostizieren lassen.* Diesen Makel hat freilich jede Einzelfallprüfung.

Allerdings darf dieser im gegebenen Zusammenhang nicht unterschätzt werden. Denn die Rechtsfolgen für den Fall, dass die Interessenabwägung zu Gunsten des Betriebsinhabers ausschlägt, sind drastisch. Nicht nur, dass das Betriebsratsmitglied eine mit Geldstrafe sanktionierte Verwaltungsübertretung begeht, es drohen auch beendigungs- und schadenersatzrechtliche Konsequenzen.* Dies ist im Rahmen der Interessenabwägung zu berücksichtigen. Denn das Risiko einer Fehleinschätzung und damit auch die Haftung dafür trägt das einzelne Betriebsratsmitglied. Ein gewisses Maß an Abhilfe leistet zwar die Mandatsschutzklausel des § 120 Abs 1 ArbVG. Diese ist nach ihrem Wortlaut aber auf die Entlassungssanktion beschränkt. Es ist daher fraglich, ob sie auch auf das Haftungsrecht ausstrahlt. Zwar stünde mangelndes „Verschulden“ einem Schadenersatzanspruch entgegen. § 120 Abs 1 spricht aber lediglich davon, dass das Verhalten „entschuldbar“ ist. Das legt nahe, dass zwar grundsätzlich Verschulden vorliegt, das Verhalten aber auf Grund der Erfüllung des betriebsverfassungsrechtlichen Interessenvertretungsauftrages die Weiterbeschäftigung nicht unzumutbar macht; sondern eben „entschuldbar“ ist. Es ist damit keineswegs gesagt, dass es sich bei der Mandatsschutzklausel auch um einen Entschuldigungsgrund iSd Schadenersatzrechts handelt.

Tatsächlich verfolgen Entlassungsrecht und Schadenersatzrecht unterschiedliche Zwecke. Während es beim Schadenersatzrecht primär um einen Schadens- und damit Vermögensausgleich geht, steht bei der Entlassung die Frage nach der Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung im Mittelpunkt. Das muss nicht zwingend Hand in Hand gehen. Dasselbe gilt für die Strafnorm des § 160 Abs 1 ArbVG. Eine Bestrafung nach § 160 hat nicht automatisch die Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung zur Folge. Dies spricht vor dem Hintergrund des Wortlauts des § 120 Abs 1 grundsätzlich dafür, dass die Mandatsschutzklausel weder auf allfällige Schadenersatzansprüche des Betriebsinhabers noch auf die Strafsanktion des § 160 Abs 1 Anwendung findet. Eine Fehleinschätzung der Situation würde hier also zu Lasten des Betriebsratsmitgliedes gehen.

Es liegt auf der Hand, dass diese Risikoverteilung Auswirkungen auf die Ausübung der Interessenvertretungsaufgabe hat. Genau aus diesem Grund hat der Gesetzgeber davon Abstand genommen, Mitglieder des BR für Entscheidungen, die es im Rahmen seines Mandats getroffen hat, persönlich haftbar zu machen. Das Betriebsratsmandat ist aus gutem Grund ein rein politisches Mandat.* Das könnte wiederum als Argument dafür dienen, dass die Mandatsschutzklausel des § 120 Abs 1 doch auch bei einer Schadenersatzklage des Betriebsinhabers greift. Denn ihr Zweck besteht offenkundig darin, den Interessenvertretungsauftrag des BR zu schützen, indem sie das einzelne Mitglied vom Risiko diffiziler Abwägungsfragen befreit. Findet die Mandatsschutzklausel nur auf die Entlassungssanktion und nicht auch auf allfällige Schadenersatzansprüche Anwendung, so verfehlt sie freilich ihren Zweck. Denn in der Praxis können die nachteiligen Folgen eines Schadenersatzanspruches für das betreffende Betriebsratsmitglied ungleich gravierender sein als die ökonomischen Auswirkungen einer Entlassung. Aus teleologischen Gesichtspunkten spricht daher einiges dafür, dass die Erfüllung des Interessenvertretungsauftrages auch im Zusammenhang mit allfälligen Schadenersatzansprüchen einen Entschuldigungsgrund darstellt.

Unabhängig davon, wie weit man den Anwendungsbereich der Mandatsschutzklausel zieht, ist aber klar, dass die Frage, ob das Verhalten des Betriebsratsmitgliedes entschuldbar ist oder nicht, von einer Interessenabwägung abhängt. Daran bestehen in Anbetracht des Wortlauts des § 120 Abs 1 ArbVG keine Zweifel. Gewichtige ökonomische Interessen des Betriebsinhabers können demnach dazu führen, dass die Weitergabe von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen die Entlassung des betreffenden Betriebsratsmitgliedes sowie allfällige Schadenersatzansprüche zur Konsequenz hat, selbst wenn das Verhalten zur Erfüllung des Interessenvertretungsauftrags notwendig war. Ab wann derart gewichtige ökonomische Interessen vorliegen, lässt sich abschließend kaum sagen. Der Rechtsordnung sind diesbezüglich keine konkreten Anhaltspunkte zu entnehmen. Reicht es schon aus, wenn bspw die Kostenvorteile einer geplanten Betriebsverlegung ins Ausland dadurch neutralisiert werden, weil der BR die betriebswirtschaftlichen Kennzahlen des Betriebes an die Gewerkschaft weitergibt und mit ihrer Hilfe den Abschluss eines Sozialplans erzwingt? Oder schlägt die Interessenabwägung (erst) dann zu Gunsten des Betriebsinhabers aus, wenn der mit Hilfe der Gewerkschaft und unter Preisgabe von Geschäftsgeheimnissen erzwungene Sozialplan die Zahlungsunfähigkeit des Betriebsinhabers bewirken würde? Die Antwort bleibt im Dunklen. Diese Beispiele zeigen deutlich, dass die mit der Durchführung einer Interessenabwägung verbundene Rechtsunsicherheit erheblich ist, wenn es um die Klärung der Frage geht, ob die Betriebsratsmitglieder zur Verschwiegenheit verpflichtet sind.174

3.2.
Kritik an der Interessenabwägung

Deshalb stellt die angesprochene Interessenabwägung auch einen Fremdkörper dar. Das ArbVG basiert auf dem Grundkonzept, dass der Gesetzgeber den BR mit gerichtlich gegenüber dem Betriebsinhaber durchsetzbaren Rechtsansprüchen ausgestattet hat, die gerade keiner Interessenabwägung im Einzelfall zugänglich sind.* Es steht außer Streit, dass der Informationsanspruch des BR gem § 108 nicht zur Disposition steht, mag das Geheimhaltungsinteresse des Betriebsinhabers auch noch so virulent sein.* Daran ändert auch der Umstand nichts, dass der Gesetzgeber den BR gem § 39 Abs 1 zur Beachtung des Betriebswohls verpflichtet und der BR gem § 39 Abs 3 seine Tätigkeit „tunlichst“ ohne Störung des Betriebes zu vollziehen hat. „Tunlichst“ bedeutet nämlich, soweit es die Interessenvertretungsaufgabe erlaubt. Daraus lässt sich eine Rangordnung ableiten. Die Erfüllung der Interessenvertretungsaufgabe geht im Zweifelsfall dem Interesse des Betriebsinhabers an einem ungestörten Betriebsablauf vor. De facto hat also bereits der Gesetzgeber die Interessenabwägung vor(weg)genommen und die widerstreitenden Interessen klar gewichtet.

Das gilt gerade auch für die Weitergabe von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen. Die Kontaktaufnahme mit Institutionen außerhalb des Betriebs ist grundsätzlich nur dann vorgesehen, wenn diese selbst einer Verschwiegenheitspflicht unterliegen. Für die überbetrieblichen Interessenvertretungen ergibt sich das unmittelbar aus § 115 Abs 4 ArbVG, für die sonstigen externen Stellen iSd § 90 zumeist aus dem Amtsgeheimnis. Darüber hinaus ist die Kontaktaufnahme mit der Außenwelt subsidiär zur Intervention beim Betriebsinhaber. Das ergibt sich sowohl aus § 90 als auch aus § 39 Abs 3. Der Gesetzgeber hat also maW Vorkehrungen getroffen, dass Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse primär im Betrieb bleiben und diese – sollte eine Weitergabe nach außen zur Erfüllung des § 38 doch notwendig sein – jedenfalls nicht in die Hände von Konkurrenten gelangen.

Tatsächlich ist es ja auch Sinn und Zweck des ArbVG, den natürlichen Interessengegensatz zwischen Betriebsinhaber und Belegschaft durch einen gesetzlichen Regelungsrahmen zu mediatisieren. Die mit diesem Konzept verbundene Rechtssicherheit ist einerseits wesentliche Voraussetzung für eine funktionierende Interessenvertretung im Betrieb; sie dient also § 38. Andererseits hilft sie, Konflikte zwischen Betriebsinhaber und BR zu vermeiden. Damit fördert sie auch das Wohl des Betriebes und erfüllt damit den gesetzlichen Auftrag des § 39 Abs 1.

Weshalb für die Weitergabe von Informationen anderes gelten soll, ist nicht begreiflich. Denn auch in diesem Zusammenhang hat der Gesetzgeber den BR, wie eingangs dargestellt, mit klaren Rechtsansprüchen ausgestattet. Es ist daher Kuderna vollinhaltlich Recht zu geben, wenn er die Ansicht vertritt, dass die Problematik der Reichweite der Verschwiegenheitspflicht des BR nicht über eine Interessenkollision, sondern über eine Normenkollision zu lösen ist.* Wie diese aufzulösen ist, hat der Gesetzgeber vorgegeben. Solange sich der BR innerhalb seiner gesetzlichen Befugnisse und Rechte bewegt und die Weitergabe einer Information zur Erfüllung des Interessenvertretungsauftrages notwendig ist, geht diese der Verschwiegenheitspflicht vor. Erst wenn das Betriebsratsmitglied von den erlangten Informationen nicht den, wie Kuderna es ausdrückt, „bestimmungsgemäßen Gebrauch macht“, greift § 115 Abs 4 ArbVG. Oder anders ausgedrückt, um nochmals mit den Worten Kudernas zu sprechen: Es ist gerade nicht Sinn und Zweck der Verschwiegenheitspflicht, den BR und seine Mitglieder bei der Erfüllung der ihnen auferlegten Pflichten zu beeinträchtigen oder deren gesetzliche Mitwirkungs- und Informationsrechte zu beschneiden.* Das ergibt sich im Übrigen schon aus dem systematischen Zusammenhang. Es wäre doch einigermaßen widersinnig, wenn der Gesetzgeber zuerst in § 115 Abs 2 und Abs 3 das Betriebsratsmandat durch umfassende Benachteiligungs- und Beschränkungsverbote gegenüber Interventionen des Betriebsinhabers absichert, um dann über die Hintertür des Abs 4 Beschränkungen zuzulassen. So wie das Benachteiligungs- und Beschränkungsverbot keiner Interessenabwägung zugänglich ist,* kann auch die Verschwiegenheitspflicht nicht Gegenstand einer solchen sein. Die Durchführung einer Interessenabwägung innerhalb des Regelungsrahmens des ArbVG zur Ermittlung der Reichweite des § 115 Abs 4 ist demnach abzulehnen. Denn de facto läuft sie auf eine Beschränkung des BR in der Erfüllung seines Interessenvertretungsauftrags hinaus. Dies ist die logische Konsequenz, wenn man Rechtsansprüche des BR mit den ökonomischen Interessen des Betriebsinhabers in eine gemeinsame Waagschale wirft.

3.3.
Die Judikatur des OGH zur Interessenabwägung und ihre Folgen

Das lässt sich deutlich an einer E des OGH aus dem Jahr 2001 veranschaulichen, in welcher der Gerichtshof die Frage zu beurteilen hatte, ob die Weitergabe von Gehaltsdaten ganzer Betriebsabteilungen an einen einzelnen AN einen Verrat von Geschäftsgeheimnissen darstellt, der zur Entlassung des betreffenden Betriebsratsmitglieds berechtigt. Dies bejahte der OGH im konkreten Fall, weil er dem Betriebsinhaber sowohl ein subjektives als auch ein objektives Geheimhaltungsinteresse an diesen Daten zugestand; und zwar nicht nur in Bezug auf betriebsfremde Personen und Konkurrenten. Auch innerhalb des Betriebs bestehe ein175 gerechtfertigtes Interesse an der Geheimhaltung, um Unruhe und Unzufriedenheit der Belegschaft zu verhindern und die Arbeitsmotivation der AN nicht zu beeinflussen. Diesem berechtigten Geheimhaltungsinteresse stehe kein entsprechendes Interesse des BR an der Weitergabe der Information gegenüber. Tatsächlich sah der OGH die Weitergabe gar nicht als vom Interessenvertretungsauftrag des § 38 ArbVG gedeckt an. Deshalb verneinte er auch die Anwendbarkeit der Mandatsschutzklausel des § 120 Abs 1. Der OGH stimmte daher der Entlassung wegen Geheimnisverrat zu. In der Lehre wurde er dafür – mE zu Recht – überwiegend kritisiert;* vor allem deshalb, weil es sehr wohl zum Aufgabenbereich des BR gehört, AN bei der Herstellung von Lohngleichheit zu unterstützen. Das erkennt nunmehr auch der OGH ausdrücklich an.*

In einer aktuellen E aus dem Jahr 2015 hat er ausdrücklich festgehalten, dass die Vertretung der Interessen der AN in Entgeltfragen zweifelsfrei zum Kernbereich der Vertretungsaufgaben des BR gehört. Die Weitergabe von Gehaltsdaten an die Arbeiterkammer unterliegt dem Interessenvertretungsauftrag, wenn der BR dadurch AN des Betriebs bei der Durchsetzung ihrer Lohnansprüche unterstützt. Die daraufhin ausgesprochene Entlassung hielt der OGH aber nicht mangels Vorliegens eines Geheimnisverrats für rechtswidrig. Er hielt es gar nicht für notwendig, diese Frage zu prüfen.* Vielmehr verneinte er die Zustimmung zur Entlassung, weil die Mandatsschutzklausel des § 120 Abs 1 ArbVG zur Anwendung komme. Dh freilich im Ergebnis, dass das Verhalten des BR bloß entschuldbar war. Hingegen hat der OGH – auf Grund des Verfahrensverlaufs – nicht klargestellt, dass sich das betreffende Betriebsratsmitglied in Anbetracht seines Interessenvertretungsauftrages auch rechtmäßig verhalten hat.

Nun mag man vielleicht der Meinung sein, es sei bloß von akademischem Interesse, ob das Verhalten rechtmäßig oder bloß entschuldbar ist, da diese Differenzierung am Ergebnis nichts ändert. In beiden Fällen ist die Entlassung ja unzulässig. Eine solche Betrachtungsweise ist allerdings kurzsichtig. Denn die Entlassung ist nur eine mögliche Sanktion. Daneben gibt es auch die Strafsanktion des § 160 ArbVG sowie allfällige Schadenersatzansprüche des Betriebsinhabers. Ob die Mandatsschutzklausel auf alle drei Sanktionen Anwendung findet, ist aber keineswegs eindeutig. Selbst wenn man dieser Ansicht ist, heißt dies aber bloß, dass allenfalls der Entschuldigungsgrund des § 120 Abs 1 greift; vorausgesetzt, dass die Interessenabwägung zu Gunsten des BR ausfällt. MaW, die Weitergabe betriebsinterner Informationen kann sowohl eine Entlassung als auch Schadenersatzansprüche zur Folge haben, wenn besonders starke Geheimhaltungsinteressen des Betriebsinhabers bestehen, wie zB eine drohende Insolvenz. Das gilt selbst dann, wenn sich der BR innerhalb seines Interessenvertretungsauftrages bewegt. Deshalb ist es sehr wohl von praktischer Bedeutung, ob das Betriebsratsmitglied rechtskonform oder bloß entschuldbar handelt. Denn im Ergebnis bewirkt eine Lösung dieser Konfliktfälle über die Mandatsschutzklausel, dass das Betriebsratsmitglied, obwohl es sich anerkanntermaßen im Kernbereich seines Interessenvertretungsauftrags bewegt, dennoch rechtswidrig handeln und damit sowohl entlassen, nach § 160 Abs 1 bestraft als auch schadenersatzpflichtig werden kann. Dass dies eine Beschränkung der Interessenvertretung bedeutet, liegt auf der Hand.

Eine solche Lesart des § 115 Abs 4 ArbVG widerspricht damit eindeutig dem Zweck der Betriebsverfassung. Solange der BR Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse auf Grundlage von ausdrücklich eingeräumten Rechten und Befugnissen an Dritte weitergibt, besteht kein Anwendungsbereich für die Verschwiegenheitspflicht des § 115 Abs 4; mag das Interesse des Betriebsinhabers an der Geheimhaltung auch noch so groß sein.* Genau das ist im Übrigen auch die Auffassung des OGH, wenn es um das Verhältnis zum DSG geht. Vom DSG geschützte Geheimhaltungsinteressen der AN werden dann nicht verletzt, wenn eine ausdrückliche betriebsverfassungsrechtliche Ermächtigung oder Verpflichtung zur Verwendung der Daten besteht.* Nichts anderes kann im Verhältnis zum Betriebsinhaber gelten.

4.
Konkrete Auswirkungen
4.1.
Informationsweitergabe innerhalb des Regelungsrahmens des ArbVG
4.1.1.
Informationsweitergabe an Gewerkschaft, Behörden und sonstige Berater

Konkret bedeutet das, dass der BR nicht gegen § 115 Abs 4 ArbVG verstößt, wenn er Betriebsinterna an die Gewerkschaft oder die gesetzliche Interessenvertretung in Ausübung des Beiziehungs- und Beratungsrechts gem § 39 Abs 4 weitergibt.* Unternehmenskennzahlen, Mitarbeiterstand, Gehaltsstrukturen, Produktionszahlen, technische Ausstattung etc dürfen also mit der überbetrieblichen Interessenvertretung diskutiert und analysiert werden, wenn es zB um die Vorbereitung auf Sozialplanverhandlungen wegen der Stilllegung von Betriebsteilen geht.

Ebenfalls keinen Verstoß gegen die betriebsverfassungsrechtliche Verschwiegenheitspflicht stellt es dar, wenn Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisse anderen „zuständigen Stellen“, wie den Sozialversicherungsträgern, Arbeitsinspektoraten oder Gewerbebehörden, in Ausübung des Interventionsrechts gem § 90 ArbVG offengelegt werden. Zwar geht der Gesetzgeber davon aus, dass zuerst beim Betriebsinhaber Abhilfe zu verlangen ist, bevor bei externen Stellen interveniert wird.* Das ergibt sich aus176 dem Umstand, dass das Recht auf Intervention bei externen Stellen gem § 90 Abs 1 nur „erforderlichenfalls“ besteht. Die Bedeutung dieser Rangordnung für die Reichweite der Verschwiegenheitspflicht darf freilich nicht überschätzt werden. Denn die außerbetriebliche Intervention wird immer dann „erforderlich“ sein, wenn sie im Interesse der Belegschaft ist. Sobald also der BR plausibel darlegen kann, dass eine innerbetriebliche Intervention nicht ausreicht, zB weil der Betriebsinhaber bis dato untätig geblieben ist, wird die Kontaktierung externer Stellen als „erforderlich“ anzusehen sein. Dh, dass dem BR in diesem Zusammenhang ein erheblicher Ermessenspielraum zukommt.

Klar ist darüber hinaus, dass der Gesetzgeber durch § 39 Abs 4 und § 90 ArbVG das Bedürfnis des BR nach einer einschlägigen Beratung durch externe Einrichtungen anerkennt. Soweit diese einer Verschwiegenheitspflicht unterliegen, ist von der Zulässigkeit der Informationsweitergabe auszugehen. Das ergibt sich aus der gesetzlichen Überbindung der betriebsverfassungsrechtlichen Verschwiegenheitspflicht auf die überbetrieblichen Interessenvertretungen in Ausübung des Beratungsrechts gem § 39 Abs 4. Auch aus § 11a Abs 4 GlBG lässt sich der Schluss ziehen, dass eine Durchbrechung von Verschwiegenheitspflichten dann nicht rechtswidrig ist, wenn sie lediglich zur Beratung oder Durchsetzung von Ansprüchen erfolgt und der Adressat selbst zur Verschwiegenheit verpflichtet ist.* Dieser Grundgedanke ist auf das ArbVG übertragbar. Unter dieser Voraussetzung ist daher auch die Weitergabe von Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen an Steuerberater, Rechtsanwälte oder sonstige Gutachter mit § 115 Abs 4 ArbVG vereinbar.*

4.1.2.
Informationsweitergabe an die Belegschaft und einzelne AN

Fraglich ist hingegen, wie die Weitergabe an die Belegschaft oder einzelne AN des Betriebes zu qualifizieren ist. Ein ausdrückliches Beratungsrecht, vergleichbar mit § 39 Abs 4 ArbVG, fehlt nämlich. Allerdings sieht § 37 Abs 2 vor, dass jeder AN Anfragen beim BR und jedem seiner Mitglieder vorbringen kann. Dieses Recht unterliegt keinerlei inhaltlichen Beschränkungen.* Es wäre also durchaus denkbar, dass ein AN beim BR Informationen über die Liquidität des Betriebsinhabers einholt, zB wenn der Betriebsinhaber mit den Lohnzahlungen säumig wird. Wäre der BR in diesem Fall an die Verschwiegenheitspflicht des § 115 Abs 4 gebunden, so würde das individuelle Interventionsrecht des einzelnen AN keinen Sinn machen. Zwar erhöht sich dadurch zweifelsfrei das Risiko, dass Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse aus dem Betrieb hinaussickern. Denn umso größer der Kreis der Informierten ist, desto größer ist auch die Gefahr einer undichten Stelle. Diesen Bedenken kann aber entgegengehalten werden, dass der einzelne AN – zumindest nach der hL – seinerseits einer Verschwiegenheitspflicht unterliegt. Damit ist dem AG ein rechtliches Mittel in die Hand gegeben, um einen unkontrollierten Informationsfluss nach außen zu verhindern.

Aus diesem Grund wird man auch die Weitergabe von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen an die Gesamtbelegschaft, zB im Rahmen einer Betriebsversammlung, nicht per se als Verstoß gegen die Verschwiegenheitspflicht qualifizieren können.* Zwar legt der Mangel gesetzlicher Informationsrechte der Belegschaft gegenüber dem BR tatsächlich nahe, dass eine Weitergabe von Betriebsgeheimnissen ohne konkreten Anlass, lediglich zum Zwecke einer transparenten Informationspolitik, nicht iSd ArbVG ist. Dennoch verträgt sich die demokratische Organisation der betrieblichen Interessenvertretung nicht mit einer absoluten, innerbetrieblichen Verschwiegenheitspflicht. Das ergibt sich aus der Konzeption des Betriebsratsmandats als politisches Mandat.* Denn selbst, wenn es sich dabei um ein sogenanntes „freies“ Mandat handelt, ist der BR gem § 115 Abs 2 ArbVG doch der Betriebsversammlung verantwortlich. MaW, seine politische Existenz und Legitimation hängt von der Zustimmung der Belegschaft ab. Das setzt voraus, dass der BR zumindest in kritischen Angelegenheiten seine Strategie mit der Belegschaft abstimmen können muss.* Ohne das Recht zum Informationsaustausch ist das nicht möglich. Gerade wenn es also um konkrete Rechtshandlungen mit Auswirkungen auf die Belegschaft – wie zB den Abschluss einer BV, insb eines Sozialplanes – geht, muss der BR das Recht haben, auch über Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse zu informieren, um eine Willensbildung innerhalb der Belegschaft zu ermöglichen. Hinzu kommt, dass durch die innerbetriebliche Weitergabe von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen die Vermögens- oder Wettbewerbssituation des Betriebsinhabers nicht beeinträchtigt wird, solange sie zu Interessenvertretungszwecken erfolgt.

Dieser Grundgedanke, dass politische Verantwortlichkeit ohne ein Mindestmaß an Informationsaustausch nicht denkbar ist, scheint im Übrigen auch auf die Weitergabe von Informationen durch AN-Vertreter im Aufsichtsrat übertragbar. Auch dort kann er folglich zur Rechtfertigung einer maßvollen Durchbrechung der aktienrechtlichen Verschwiegenheitspflicht gegenüber dem entsendenden Organ herangezogen werden.* Wie weit man den Begriff des „entsendenden Organs“ versteht, ist freilich vor allem in Konzernkonstellationen fraglich. Mit Jabornegg spricht vieles dafür, nicht nur die Konzernvertretung, sondern auch den nachgeschalteten BR darunter zu verstehen, wenn die Interessen der in diesem Betrieb Beschäftigten unmittelbar betroffen sind.*177

4.2.
Informationsweitergabe außerhalb des Regelungsrahmens des ArbVG

Platz für die Vornahme einer Interessenabwägung bleibt daher nur in jenen Fällen, in denen das einzelne Betriebsratsmitglied zwar „in Ausübung seines Mandats“ – also zum Zwecke der Interessenvertretung – Informationen weitergibt, sich dabei allerdings außerhalb des Regelungsrahmens des ArbVG bewegt. In diese Richtung weist bereits die Mandatsschutzklausel des § 120 ArbVG. Das ist insb dann anzunehmen, wenn Informationen an Adressaten weitergegeben werden, die nicht von den gesetzlich anerkannten Kooperationsmöglichkeiten des BR erfasst sind. Es geht zu weit, das ArbVG in dem Sinne zu verstehen, dass jeder Außenkontakt des BR, der nicht ausdrücklich vom ArbVG vorgesehen ist, rechtswidrig wäre.* Ein solch strenges Verständnis ist mit dem umfassenden Interessenvertretungsauftrag des § 38 ArbVG nicht vereinbar. Das gilt entgegen der Rsp des OGH – in Anbetracht des nahezu wortgleichen, sogar im Ergebnis noch weiteren § 2 – auch für das PVG.*

Das hat zur Konsequenz, dass auch die Weitergabe von Betriebsinterna zB an öffentliche Medien oder politische Parteien nicht per se rechtswidrig ist und automatisch gegen die Verschwiegenheitspflicht des § 115 Abs 4 ArbVG verstößt. Es steht außer Streit, dass die Mobilisierung der öffentlichen Meinung, sei es über die Medien oder über politische Parteien, dem BR in seiner Tätigkeit mehr Nachdruck verleiht, was wiederum im Interesse der Belegschaft sein kann.* MaW, eine solche Vorgangsweise wäre von § 38 ArbVG grundsätzlich gedeckt. Allerdings ist für die Beantwortung der Frage, ob die Informationen auch tatsächlich weitergegeben werden dürfen, nunmehr tatsächlich eine Abwägung mit dem Geheimhaltungsinteresse des Betriebsinhabers vorzunehmen. In diesem Fall fehlt nämlich ein ausdrücklicher Rechtsanspruch, der vorwegnimmt, welche Interessen in der konkreten Situation schwerer wiegen.

Im Rahmen dieser Interessenabwägung wird zu berücksichtigen sein, dass der Gesetzgeber bereits eine Reihe von Kooperationsmöglichkeiten geschaffen hat. Man wird unterstellen können, dass der Gesetzgeber davon ausgeht, dass diese bestehenden Kontaktmöglichkeiten grundsätzlich ausreichen, um den Interessenvertretungsauftrag des § 38 ArbVG erfüllen zu können. Es werden also gewichtige Gründe auf Seiten des BR vorliegen müssen, damit eine Weitergabe von Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen an darüber hinausgehende Adressaten keinen Verstoß gegen § 115 Abs 4 darstellt. Eine Rolle spielt dabei sicherlich, ob bereits die gesetzlichen Kooperationsmöglichkeiten ausgeschöpft wurden und ob der Adressat seinerseits einer Verschwiegenheitspflicht unterliegt.*

Das gilt umso mehr, wenn es um eine Kontaktaufnahme mit der sogenannten „Öffentlichkeit“ unter bewusster Durchbrechung jedweder Verschwiegenheit geht. In diesem Fall wiegen nämlich die Interessen des Betriebsinhabers besonders schwer, da eine reelle Gefahr besteht, dass auch Konkurrenten, Kunden oder Lieferanten Kenntnis von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen erlangen und es folglich zu einer Beeinträchtigung der Vermögens- und/oder Wettbewerbssituation des Betriebsinhabers kommt. Die Abhaltung einer Pressekonferenz, die der Preisgabe von Betriebsinterna dient, um Druck auf den Betriebsinhaber auszuüben, wird daher in aller Regel einen Verstoß gegen die betriebsverfassungsrechtliche Verschwiegenheitspflicht darstellen.* Es greift allerdings die Mandatsschutzklausel des § 120 Abs 1 ArbVG, wenn ein Konnex zum Interessenvertretungsauftrag des § 38 besteht. Es wird also zu berücksichtigen sein, ob der BR im Rahmen der bestehenden Kooperationsmöglichkeiten den Interessenvertretungsauftrag überhaupt erfüllen konnte oder ob er durch den Betriebsinhaber daran gehindert worden ist, zB weil den Vertretern von Gewerkschaft und Arbeiterkammer der Zugang zum Betrieb verwehrt oder trotz Einschaltung der Behörden eine rechtswidrige Praxis, wie bspw eine systematische Unterentlohnung, nicht abgestellt wurde. In einem solchen Fall mag selbst die Einschaltung der Medien entschuldbar sein.

5.
Resümee

Ziel des vorliegenden Beitrages war es, nachzuweisen, dass die Reichweite der betriebsverfassungsrechtlichen Verschwiegenheitspflicht gem § 115 Abs 4 ArbVG immer dann, wenn diese mit dem Interessenvertretungsauftrag des BR kollidiert, nicht im Wege einer Interessenabwägung zu bestimmen ist. Denn der Gesetzgeber hat den BR mit konkreten Befugnissen ausgestattet, auf die ein durchsetzbarer Rechtsanspruch besteht. Im vorliegenden Zusammenhang trifft das insb auf das Beratungsrecht des § 39 Abs 4 sowie auf das Interventionsrecht gem § 90 Abs 1 zu. Diese Befugnisse sind damit keiner Interessenabwägung zugänglich. Eine Weitergabe von heiklen Betriebsinterna in Ausübung dieser Befugnisse stellt daher keinen Verstoß gegen die betriebsverfassungsrechtliche Verschwiegenheitspflicht dar, mag das Geheimhaltungsinteresse des Betriebsinhabers auch noch so groß sein. Anderes kann nur gelten, wenn sich das betreffende Betriebsratsmitglied zwar innerhalb des Mandats, aber außerhalb seiner Befugnisse bewegt. Alles andere würde auf eine Beschränkung des BR in der Erfüllung seines Interessenvertretungsauftrages hinauslaufen. Daran ändert auch die Mandatsschutzklausel des § 120 Abs 1 nichts. Zum einen ist unklar, ob sich diese nur auf die Entlassungssanktion oder auch auf die Strafsanktion des § 160 Abs 1 bzw auf allfällige Schadenersatzansprüche des Betriebsinhabers bezieht. Zum anderen greift sie nur dann, wenn die Interessenabwägung zu Gunsten des BR aus-178schlägt. Dh, die Durchführung einer Interessenabwägung zur Ermittlung der Reichweite des § 115 Abs 4 kann bewirken, dass das Betriebsratsmitglied selbst im Kernbereich seiner Aufgaben und Befugnisse rechtswidrig handeln kann und folglich nicht nur die Entlassung, sondern auch Schadenersatzansprüche oder eine Strafe nach § 160 Abs 1 drohen können. Ein solches Ergebnis widerspricht klar dem Konzept des ArbVG.

Allerdings soll nicht verschwiegen werden, dass es sich hierbei um einen Ansatz handelt, der von der Judikatur auch in anderem Zusammenhang angewendet wird. Gerade die notwendige Mitbestimmung des BR gem § 96 ArbVG ist immer wieder Gegenstand einer Interessenabwägung.* Dadurch wird freilich auch dort die vom Gesetzgeber angeordnete notwendige Mitbestimmungspflicht ausgehöhlt und relativiert. Zu Recht wird daher im Anwendungsbereich des § 96 die Durchführung einer Interessenabwägung inzwischen überwiegend abgelehnt.* Nichts anderes kann für die betriebsverfassungsrechtliche Verschwiegenheitspflicht gem § 115 Abs 4 ArbVG gelten.