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Kostenerstattung von Wahlphysiotherapeut/innen

MIRIAMMITSCHKA (WIEN)
  1. Legt die Honorarordnung eines Mustervertrags eine maximal honorierte Jahresstundenanzahl fest, liegt kein reines Einzelleistungssystem, sondern ein Mischsystem mit Pauschalelementen vor. Gem § 131 Abs 1 letzter Satz ASVG ist ein satzungsmäßiger Pauschalbetrag zur Kostenerstattung festzulegen.

  2. Besteht (noch) keine Satzungsregelung iSd § 131 Abs 1 letzter Satz ASVG, ist auf die Kostenerstattungsregel des § 131 Abs 1 Satz 1 ASVG zurückzugreifen. Als Berechnungsgrundlage ist ein angemessener Betrag im Einzelfall festzulegen, der sich an Tarifpositionen für vergleichbare Leistungen (im Gesamtvertrag) zu orientieren hat.

  3. Es ist unzulässig, einzelne vertragliche Tarife, die Leistungen der Vertragspartner/innen pauschal honorieren, isoliert zur Bemessung der Kostenerstattung heranzuziehen.

  4. Bis eine Satzungsregelung gem § 131 Abs 1 letzter Satz ASVG geschaffen wird, dürfen auch zuvor geltende, wertangepasste Honorarordnungen zur Berechnung herangezogen werden.

Der Kl ist bei der bekl Gebietskrankenkasse (GKK) krankenversichert. Vom medizinischen Dienst der Bekl wurde ihm eine physiotherapeutische Behandlung im Ausmaß von 10x Physiotherapie á 30 Minuten und 10x Teilmassage á 15 Minuten bewilligt. Der Kl ließ die Behandlungen im Zeitraum Oktober 2011 bis Februar 2012 bei einem Physiotherapeuten durchführen, der kein Vertragspartner der Bekl ist. Er legte der Bekl eine Honorarnote dieses Physiotherapeuten vom 13.2.2012 über die bewilligten Leistungen in Höhe von insgesamt 550 € zur Kostenerstattung vor.

Mit Bescheid der bekl GKK vom 30.11.2012 wurde der Antrag des Kl auf Gewährung einer höheren Kostenerstattung als 192,80 € abgelehnt. [...]

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Klage mit dem Antrag, die Bekl schuldig zu erkennen, weitere 99,04 € an Kostenerstattung zu leisten. [...]

Das Erstgericht gab der Klage statt. [...] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Bekl keine Folge. [...]

Die ordentliche Revision wurde für zulässig erklärt, weil zur Frage, ob die Honorarordnung 2010 als Einzelleistungssystem zu qualifizieren sei bzw welche Kosten bei Fehlen einer Festsetzung eines Pauschbetrags in der Satzung bei Inanspruchnahme eines Wahltherapeuten zu ersetzen seien, keine Rsp des OGH vorliege.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Bekl wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil iS einer Abweisung des Klagebegehrens abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. [...]

Rechtliche Beurteilung:

[...] Die Revision ist aus den vom Berufungsgericht genannten Gründen auch zulässig und berechtigt.

[...]

2. Nach § 338 Abs 1 ASVG werden die Beziehungen zwischen dem Träger der SV und den Vertragspartnern durch privatrechtliche Verträge geregelt. Auf Physiotherapeuten ist § 349 Abs 3 ASVG anwendbar, wonach unter sinngemäßer Anwendung des § 342 Abs 2a ASVG die Beziehung zwischen den Trägern der KV und den Vertragsphysiotherapeuten durch Gesamtverträge mit der zuständigen beruflichen Vertretung der Physiotherapeuten geregelt wird. [...]

3. Die Honorarordnung des Mustervertrags 2000 der Bekl mit den Vertragsphysiotherapeuten, die bis zum 1.1.2010 in Geltung stand, beruhte unbestritten auf einem reinen Einzelleistungssystem. Für bestimmte Leistungen in einem bestimmten zeitlichen Ausmaß war ein bestimmtes Honorar festgelegt.

3.1 Im Jahr 2010 wurde ein neuer Mustervertrag mit der Interessenvertretung verhandelt und es wurden entsprechende Verträge mit den einzelnen Vertragspartnern abgeschlossen. Diese mit Wirkung ab 1.1.2010 geltenden Verträge sehen eine Berechnung des Honorars für die jeweils abgerechneten Leistungen aus dem dafür erforderlichen Zeitaufwand und der Bewertung dieses Zeitaufwands vor. Zugleich wird ein maximales Jahreshonorar der Vertragspartner auf Basis der vereinbarten maximal verrechenbaren Jahresstundenanzahl festgesetzt. Überschreitet der Vertragsphysiotherapeut die für ihn persönlich festgelegte maximal verrechenbare Jahresstundenanzahl, erfolgt eine Kürzung des Honorars auf das vereinbarte Jahreshöchsthonorar. Unterschreitet der [Vertragsphysiotherapeut, Anm] dagegen die für ihn persönlich festgelegte Jahresstundenanzahl, erfolgt die Auszahlung entsprechend der tatsächlich erbrachten Stundenanzahl. Für das Erbringen oder Nichterbringen von Fortbildungsnachweisen sind in den Verträgen Bonuszahlungen bzw Abschläge vereinbart (Anlage III). Hausbesuche in Pensionistenheimen sind nur in beschränktem Ausmaß verrechenbar (Anlage V).

Offensichtlich als wirtschaftlichen Ausgleich für die nunmehr geltende Deckelung der Jahreshonorarsumme und damit der eingeschränkten Verdienstmöglichkeiten wurde die Bewertung der Zeiteinheiten gegenüber der Honorarordnung im Mustervertrag 2000 deutlich angehoben. [...]

5. Da somit bei der Honorarordnung im Mustervertrag 2010 aufgrund der Limitierung des Gesamthonorars nicht von einem Einzelleistungsabrechnungssystem ausgegangen werden kann, wäre die Bekl verpflichtet gewesen, in ihrer Satzung entsprechende Pauschbeträge für die Kostenerstattung festzusetzen. Dies ist unstrittig jedoch erst mit der zweiten Änderung der Satzung 2011 erfolgt, die gem § 52 der Satzung erst nach Ablauf des fünften Kalendertags ab dem Zeitpunkt der Freigabe der Verlautbarung unter www.avsv.at, dem 27.4.2012, in Kraft trat. Diese Änderung ist daher im vorliegenden Fall nicht anwendbar.

Für einen solchen Fall sieht das Gesetz keine Regelung über die Höhe des Kostenersatzes vor. Weder203 § 131a ASVG noch § 131b ASVG, die den Fall regeln, dass für den Bereich einer Berufsgruppe (noch) keine Verträge bestehen, sind anwendbar. Dies führt aber nicht dazu, dass kein Kostenersatz stattfindet. Nach § 135 Abs 1 ASVG wird die ärztliche Hilfe durch Vertragsärzte und Vertrags-Gruppenpraxen sowie durch Wahlärzte oder Wahl-Gruppenpraxen sowie durch Ärzte in eigenen Einrichtungen (oder Vertragseinrichtungen) der Versicherungsträger gewährt. Zutreffend verweist das Berufungsgericht darauf, dass aus dem Zusammenhalt dieser Bestimmung mit § 131 Abs 1 ASVG abzuleiten ist, dass vom Krankenversicherungsträger bei Inanspruchnahme eines Nichtvertragspartners eine Kostenerstattung zu erfolgen hat. Dies bestreitet auch die Bekl nicht.

6. Da die im Gesetz vorgesehene Abrechnung nach einem in der Satzung festgesetzten Pauschbetrag nicht möglich ist, weil von der Bekl für den gegenständlichen Zeitraum ein solcher Pauschbetrag noch nicht festgesetzt worden war, ist zunächst auf die Grundregel des § 131 Abs 1 ASVG zurückzugreifen, dass 80 % des Betrags zu ersetzen sind, der vom Versicherungsträger bei Inanspruchnahme eines entsprechenden Vertragspartners aufzuwenden gewesen wäre. Der Versicherungsträger soll nicht mit höheren, aber auch nicht mit niedrigeren Kosten belastet sein, als wenn der Versicherte eine Vertragseinrichtung in Anspruch genommen hätte. Das Fehlen einer Berechnungsgrundlage für die Kostenerstattung nach § 131 ASVG ist nach Ansicht des erkennenden Senats am ehesten vergleichbar mit der Situation, in der ein Wahlarzt eine Leistung der Krankenbehandlung erbringt, für die in der Honorarordnung (noch) keine eigene Tarifposition vorgesehen ist. Fehlt in der gültigen Honorarordnung eine entsprechende Tarifposition und besteht dazu auch keine Satzungsregelung, bleibt nichts anderes übrig, als einen angemessenen Betrag für die Kostenerstattung im Einzelfall zu bestimmen. Dabei hat man sich nach der Rsp an Tarifpositionen für vergleichbare Leistungen im Gesamtvertrag zu orientieren. Welche Tarife dafür in Frage kommen, ist nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls zu entscheiden (10 ObS 123/00m, DRdA 2001/18, 247 [R. Resch] = SSV-NF 14/89 mwN).

7. Zutreffend weist die Bekl darauf hin, dass bei einer Honorierung der Vertragspartner nach Pauschalmodellen für die Kostenerstattung ein Bezug zur einzelnen erbrachten Leistung hergestellt werden muss (Mosler in SV-Komm § 131 ASVG Rz 10). In diesem Sinne hat auch der OGH in der E 10 ObS 35/05b (SSV-NF 19/27)bereits ausgesprochen, dass bei Fehlen eines durch Satzung festgelegten Tarifs die Höhe der zustehenden Kostenerstattung an vergleichbaren Tarifen in einem entsprechenden Gesamtvertrag auszurichten ist, ein unmittelbar vergleichbarer Tarif aber dann nicht gegeben ist, wenn die allenfalls vergleichbare Tätigkeit des Vertragstherapeuten pauschal honoriert wird, weil in diesem Fall ein Vergleich mit einer einzelnen Sachleistung nicht möglich ist.

7.1 Es wäre daher im vorliegenden Fall eines Mischsystems mit Pauschalelementen nach Ansicht des erkennenden Senats nicht sachgerecht, die Kostenerstattung – entsprechend dem Prozessstandpunkt des Kl – aufgrund einer isolierten Heranziehung der Tarife ohne Limitierung vorzunehmen. Dies würde zu einer unzulässigen Bevorzugung der Wahlphysiotherapeuten, die den mit den Vertragsphysiotherapeuten vereinbarten Verrechnungsbeschränkungen nicht unterliegen, ihre Leistungen daher in einem selbst gewählten Ausmaß erbringen können und denen diese Leistungen ohne Deckelung zu erstatten wären, gegenüber Vertragsphysiotherapeuten führen, die nur im limitierten Ausmaß verrechnen dürfen. Eine Berechnung der Kostenerstattung ausgehend von den Tarifen des Mustervertrags 2010 würde auch deshalb zu einer unzulässigen Bevorzugung von Wahlphysiotherapeuten führen, weil die gegenüber dem Mustervertrag 2000 erheblich erhöhten Tarife ganz offensichtlich auch eine Entschädigung für die Deckelung der Leistungserbringung und damit der Beschränkung von Verdienstmöglichkeiten darstellen. Für Wahlphysiotherapeuten gelten diese Limitierungsbestimmungen jedoch nicht. [...]

7.3 Ein angemessener Betrag für die Kostenerstattung lässt sich jedoch der vor 1.1.2010 geltenden Honorarordnung entnehmen. Diese Honorarordnung beruht anders als jene des Mustervertrags 2010 auf einem reinen Einzelleistungssystem und kann daher für den Übergangszeitraum bis zur satzungsmäßigen Festlegung von Pauschbeträgen für die Berechnung der Kostenerstattung herangezogen werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Honorarordnungen stets Ausdruck eines gefundenen Ausgleichs zwischen den Interessen der Sachleistungserbringer einerseits und jenen der Krankenversicherungsträger andererseits sind. Angesichts dieses Interessenausgleichs haben Honorarordnungen auch die Vermutung der Angemessenheit für sich (vgl VfSlg 15.698; 16.607; 17.919 ua). [...] Dass diese Tarife nun für die Kostenerstattung von Leistungen (auch) nach dem 1.1.2010 herangezogen werden, macht sie nach Ansicht des erkennenden Senats nicht unangemessen. Dies geht nach zutreffender Rechtsansicht der Bekl auch aus der Wertung des – hier zwar nicht unmittelbar anwendbaren – § 131a ASVG hervor, wonach sich die Höhe der Kostenerstattung bei Fehlen vertraglicher Regelungen nach jenem Betrag richtet, der vor Eintritt eines vertragslosen Zustands zu leisten gewesen wäre. [...] Der Gesetzgeber billigt somit in diesem Fall der Kostenerstattung selbst die Heranziehung von früher gültigen Einzelleistungstarifen, auch wenn diese ihrer Höhe nach unverändert der Berechnung der Kostenerstattung zugrunde gelegt werden.

8. Aufgrund der dargelegten Erwägungen gelangt der erkennende Senat zusammenfassend zu dem Ergebnis, dass für die vom Kl begehrte Kostenerstattung die Tarife der Honorarordnung im Mustervertrag 2000 in ihrer zuletzt aktualisierten Höhe heranzuziehen sind. Da die Bekl dem Kl gem § 131 Abs 1 ASVG bereits 80 % dieser Tarife ersetzt hat, ist das darüber hinausgehende Kostenerstattungsbegehren nicht berechtigt. [...]

Der Revision der Bekl war somit Folge zu geben und die Entscheidungen der Vorinstanzen waren dahin abzuändern, dass das Klagebegehren abgewiesen wird. [...]204

ANMERKUNG
1.
Einleitung

Die vorliegende E betrifft die Frage, ob die Honorarordnung des Mustervertrags 2010 ein reines Einzelleistungssystem oder ein Pauschalsystem vorsieht. Liegt ein Pauschalleistungssystem vor und wurden wie im Sachverhalt (noch) keine satzungsmäßigen Pauschalbeträge festgelegt, ist fraglich, wie der Kostenerstattungsanspruch zu berechnen ist. Als Vorfrage muss auch geprüft werden, ob die Kostenerstattungsregelung des § 131 ASVG bei Inanspruchnahme eines/einer PhysiotherapeutIn ohne Vertrag anwendbar ist, wenn kein Gesamtvertrag für Physiotherapeut/innen besteht. Dazu sind die Verträge zwischen Versicherungsträger und Physiotherapeut/innen zu untersuchen.

2.
Vertragslage

In der vorliegenden E beschäftigt sich der OGH nur am Rande mit der rechtlichen Qualifikation der Musterverträge. Die Beziehungen zwischen den Sozialversicherungsträgern und „anderen Vertragspartnern“ können gem § 349 Abs 3 ASVG durch Gesamtverträge geregelt werden. Nach Ansicht des OGH ist § 349 Abs 3 ASVG auf Physiotherapeut/innen anwendbar. § 349 Abs 3 ASVG erfasst allerdings nur Berufsangehörige mit gesetzlicher Interessenvertretung. Für diese Auslegung spricht erstens schon der Wortlaut, wonach die „zuständige gesetzliche berufliche Vertretung“ der „anderen Vertragspartner“ die Gesamtverträge abschließt. Zweitens muss die Norm verfassungskonform ausgelegt werden. Die Ermächtigungen zur heteronomen Rechtsetzung durch gesetzliche Interessenvertretungen werden insb durch die gesetzliche Pflichtmitgliedschaft und der daraus resultierenden demokratischen Legitimation begründet. Diese Voraussetzungen liegen bei Vereinen mit freiwilliger Mitgliedschaft aber nicht vor. Eine heteronome Rechtsetzung durch einen Verein, die dessen Vereinsmitglieder oder sogar Berufsangehörige, die nicht Vereinsmitglieder sind, ohne deren Zustimmung bindet, würde in die verfassungsrechtlich gewährleistete Erwerbsfreiheit der einzelnen Berufsangehörigen eingreifen. Das Gesamtvertragsmodell in § 349 Abs 3 ASVG gilt daher nur für Berufsgruppen, für die eine gesetzliche Interessenvertretung eingerichtet ist. Das Berufsrecht für Physiotherapeut/innen (MTD-G) sieht allerdings keine gesetzliche Interessenvertretung vor. Es besteht auch keine Pflichtmitgliedschaft in der Wirtschaftskammer Österreich, weil medizinischtechnische Dienste, wie ua Physiotherapeut/innen, gem § 2 Abs 1 Z 11 GewO 1994 vom Anwendungsbereich der Gewerbeordnung 1994 grundsätzlich ausgenommen sind. Es liegt auch keine planwidrige Lücke vor. Eine analoge Anwendung ist daher unzulässig. Als Grundlage für diese Verträge kommt vielmehr die Generalklausel in § 338 Abs 1 ASVG und die Privatrechtsfähigkeit der Sozialversicherungsträger in Betracht. Dafür sprechen nicht nur der weit zu verstehende Wortlaut des § 338 Abs 1 ASVG, sondern auch systematische und teleologische Erwägungen zum Vertragspartnerrecht. Beispielsweise sind physiotherapeutische Maßnahmen durch Physiotherapeut/innen Teil des gesetzlichen Leistungsanspruchs der Versicherten gegen den zuständigen Krankenversicherungsträger. Das Vertragspartnerrecht enthält aber, wie gesagt, keine speziellen Vertragsmodelle für diese Berufsgruppe. Geht man davon aus, dass die einzelnen Verträge zu Physiotherapeut/innen privatrechtliche Verträge iSd § 338 Abs 1 ASVG sind, ist fraglich, ob § 131 Abs 1 ASVG allgemein auf solche Verträge anwendbar ist. § 131 Abs 1 ASVG verlangt nach dem Wortlaut „nur“ das Bestehen von Vertragspartner/innen und verweist auf § 338 ASVG. Für eine Anwendbarkeit spricht auch § 131 Abs 6 ASVG, der generell auf das Bestehen von „Verträgen“ und eben nicht auf das Bestehen von „Gesamtverträgen“ oder „Einzelverträgen“ abstellt. Dem kann auch nicht entgegen gehalten werden, dass der OGH die Anwendbarkeit des § 131 ASVG auf Verträge zwischen Krankenversicherungsträgern und Vereinen zur Erbringung psychotherapeutischer Leistungen verneint hat. Für die Vertragslage zu Psychotherapeut/innen besteht nämlich eine konkretisierende Norm in § 349 Abs 2 ASVG, die ein geschlossenes System von Vertragstypen festlegt. Darunter fallen Gesamtverträge und Einzelverträge sowie Einzelverträge nach einheitlichen Grundsätzen. Der Abschluss von Vereinsverträgen ist darin nicht vorgesehen. Im Gegensatz dazu enthält das ASVG für die Beziehung zu Physiotherapeut/innen eben keine speziellen Vertragstypen, weshalb diese Konstellationen nicht gleichzusetzen sind. § 131 ASVG ist daher dem Grunde nach auch auf privatrechtliche Verträge iSd § 338 Abs 1 ASVG zu Physiotherapeut/innen anwendbar.

3.
Abgrenzung von Einzelleistungs- und Pauschalsystemen

Nimmt der/die Versicherte nicht die Vertragspartner/innen oder die eigenen Einrichtungen des Versicherungsträgers in Anspruch, gebührt ihm/ihr gem § 131 Abs 1 ASVG Kostenerstattung in Höhe von 80 % des Betrages, der bei Inanspruchnahme des/der entsprechenden Vertragspartners/Vertragspartnerin vom Versicherungsträger aufzuwenden gewesen wäre. Erfolgt die vertraglich vereinbarte Vergütung von Vertragspartner/innen nicht nach Einzelleistungen, hat der Versicherungsträger gem § 131 Abs 1 letzter Satz ASVG Pauschalbeträge für die Kostenerstattung festzulegen. § 131 Abs 1 letzter Satz ASVG ist daher seinem Wortlaut nach nur anwendbar, wenn die Honorarordnung des Mustervertrags kein Einzelleistungssystem vorsieht. Pauschalsysteme und Mischsysteme verpflichten zur Festsetzung von satzungsmäßigen Pauschalbeträgen. Besteht hingegen kein Pauschalelement, sondern ein reines Einzelleistungssystem, ist § 131 Abs 1 erster Satz ASVG anwendbar.

Das ASVG enthält in § 342 Abs 2 ASVG zwar eine weitere Bestimmung zu Einzelleistungs- oder Pau-205schalsystemen. Diese erläutert die Begriffe allerdings nicht. Die Materialien zu den einschlägigen Bestimmungen enthalten auch keine Begriffsdefinitionen. Nach stRsp sind nicht nur Einzelleistungs- und Pauschalsysteme, sondern auch Mischformen zulässig (vgl ua OGH 20.9.1994, 10 ObS 153/94). Nach Auffassung des OGH liegt ein reines Einzelleistungssystem nur vor, wenn jede Leistung ohne Unterschied auf den Umfang der insgesamt erbrachten Leistungen in gleicher Höhe honoriert wird (vgl OGH 20.9.1994, 10 ObS 153/94). Tarifordnungen, die ua eine degressive Punktebewertung mit steigender Fallzahl pro Abrechnungszeitraum vorsehen, qualifiziert der OGH daher nicht als Einzelleistungssystem, sondern als Mischform. Werden erbrachte Leistungen ab einem bestimmten Ausmaß pro Abrechnungszeitraum nicht mehr honoriert, sieht das Honorarsystem eine Deckelung vor, die nach der Rsp des OGH ein Pauschalelement darstellt.

Der OGH stellt in der vorliegenden E klar, dass Honorarsysteme in ihrem Gesamtzusammenhang zu beurteilen sind. Die Honorarordnung des Mustervertrags 2010 legt ua fest, dass ein maximales Jahreshonorar mit dem/der einzelnen Vertragspartner/in vereinbart werden muss, das sich wiederum aus der individuell vereinbarten maximal verrechenbaren Jahresstundenanzahl ergibt. Überschreitet der/die Vertragspartner/in die vereinbarte Maximalstundenanzahl, erhält er/sie nur das vereinbarte Jahreshöchsthonorar. Erbringt der/die Vertragspartner/in weniger als die vereinbarte Jahresstundenanzahl, gebührt ihm/ihr ein Honorar nur im Ausmaß der tatsächlich erbrachten Stundenanzahl. Dieses Honorierungssystem sieht folglich eine limitierende Deckelung vor. Es enthält daher ein Pauschalelement und ist nicht als reines Einzelleistungssystem zu beurteilen. Insb vor dem Hintergrund der dargestellten Judikatur, ist der rechtlichen Einordnung des Honorarsystems als Mischform durch den OGH zuzustimmen. Die Kostenerstattungsregel gem § 131 Abs 1 erster Satz ASVG ist daher nicht anwendbar. Vielmehr hätte der Versicherungsträger einen satzungsmäßigen Pauschalbetrag zur Kostenerstattung bestimmen müssen.

4.
Angemessene Kostenerstattung

Fehlt eine Satzungsregelung, ist nach der E des OGH auf § 131 Abs 1 Satz 1 ASVG (wohl analog) zurückzugreifen. Die Versicherungsträger dürfen dann die valorisierten Einzelleistungstarife des Mustervertrags 2000 zur Berechnung der Kostenerstattung heranziehen.

Der OGH leitet aus § 131 Abs 1 iVm § 135 ASVG ab, dass es unzulässig ist, im vorliegenden Fall keinerlei Kostenerstattung zu leisten. Vielmehr steht den Versicherten bei Inanspruchnahme von Wahlpartner/innenhilfe ein gesetzlicher Anspruch auf Kostenerstattung (in irgendeiner Form) zu. Das ASVG enthält aber keine ausdrückliche Berechnungsregel für die Kostenerstattung im vorliegenden Fall. Es liegt daher eine planwidrige Lücke vor, die durch Analogie geschlossen werden muss.

Nach Ansicht des OGH ist zunächst auf die 80 %-Regel in § 131 Abs 1 Satz 1 ASVG zurückzugreifen. Obwohl die Anwendbarkeit des ersten Satzes zuvor zutreffend durch den OGH verneint wurde, ist einer analogen Anwendung auf den vorliegenden Sachverhalt zuzustimmen. § 131b ASVG findet nach dem Wortlaut nur auf Sachverhalte Anwendung, in denen noch gar keine Verträge mit einer Berufsgruppe bestehen (vgl OGH 26.4.2005, 10 ObS 35/05b). Im Gegensatz dazu setzt § 131 Abs 1 Satz 1 ASVG das Bestehen einer Sachleistungsversorgung durch Vertragspartner/innen voraus. Im vorliegenden Fall bestehen Verträge mit Leistungserbringer/innen. § 131 Abs 1 Satz 1 ASVG regelt daher einen ähnlichen Sachverhalt wie die vorliegende Konstellation. Die Analogie zu § 131 Abs 1 Satz 1 ASVG entspricht auch der bisherigen Rsp des OGH. In einer früheren E hatte der OGH die Frage zu beurteilen, wie der Kostenzuschuss gem § 131b ASVG im vertragslosen Zustand zu berechnen ist, wenn der satzungsmäßige Kostenzuschuss vom VfGH für gesetzwidrig erklärt und aufgehoben worden war. Die Rsp wendet die 80 %-Regel gem § 131 Abs 1 Satz 1 ASVG an, wenn die in Anspruch genommene Leistung im konkreten Fall auch im Rahmen des Sachleistungssystems durch eine/n Vertragspartner/in der Krankenversicherungsträger erbracht wird (vgl OGH 26.4.2005, 10 ObS 35/05b; zuletzt OGH 23.4.2014, 10 ObS 25/14w). Im vorliegenden Fall existieren Vertragspartner/innen, die zur Sachleistungserbringung verpflichtet sind. Eine Reduktion der Kostenerstattung im vorliegenden Sachverhalt auf 80 % analog § 131 Abs 1 Satz 1 ASVG steht daher in Einklang mit der bisherigen Rsp des OGH.

Der OGH wendet zur Berechnung der Grundlage für die Kostenerstattung die aus der bisherigen Rsp gewonnenen Parameter zum kassenfreien Raum an. Diese Parallele ist überzeugend. Die Konstellationen sind ähnlich. In beiden Fällen fehlt eine (vertragliche oder satzungsmäßige) Regelung zur Berechnung des an sich gesetzlich zustehenden Kostenersatzes. Die Berechnung erfolgt daher auch nicht nach „Marktpreisen“. Als Berechnungsgrundlage ist ein angemessener Betrag im Einzelfall festzulegen, der sich an Tarifen für vergleichbare Leistungen im Gesamtvertrag zu orientieren hat. Nach der Judikatur des OGH ist es unzulässig, einzelne Tarife im Rahmen eines Mischsystems zur Berechnung von Einzelleistungstarifen heranzuziehen, ohne das Pauschalelement zu berücksichtigen. Diese Berechnungsmethode würde zu einer unzulässigen Bevorzugung der Wahlpartner/innen gegenüber der Vertragspartner/innen führen. Wahlpartner/innen wären nämlich dann nicht an das vereinbarte Jahreshöchsthonorar gebunden, würden aber die erhöhten Tarife erhalten. Der OGH führt den rechtlichen Hintergrund der Unzulässigkeit allerdings nicht näher aus, weshalb die Begründung an dieser Stelle näher ausgeführt wird. Diese Berechnungsmethode verstößt gegen die in § 131 Abs 1 ASVG zum Ausdruck kommende Wertung des Vertragspartnerrechts: Die Krankenversicherungsträger sollen danach durch die Inanspruchnahme von Wahlpartner/innen jedenfalls nicht mit höheren Kosten belastet werden. Vielmehr206 sieht das Gesetz eine verfassungsrechtlich zulässige Reduktion um 20 % vor. Eine potentiell vorteilhaftere Kostenerstattung für Wahlpartner/innen widerspricht dem Gesetz. Tarife eines Pauschal- oder Mischsystems dürfen daher nicht zur Berechnung der Kostenerstattung herangezogen werden. Die Berechnung muss vielmehr anhand von Einzelleistungstarifen erfolgen.

Eine angemessene Berechnungsgrundlage kann sich nach stRsp des OGH auch an Tarifen eines Gesamtvertrags mit einem anderen gleichartigen österreichischen Krankenversicherungsträger orientieren (vgl ua OGH 27.9.2005, 10 ObS 72/05v). Deshalb muss es auch zulässig sein, mehrmals wertangepasste Einzelleistungstarife des zuvor gültigen Mustervertrags desselben Krankenversicherungsträgers zur Berechnung der Kostenerstattung heranzuziehen. Diese Vorgehensweise entspricht auch der Judikatur des VfGH, wonach eine vergröbernde Betrachtung im Zusammenhang mit der Kostenerstattung für Wahlpartner/innen zulässig und keine betriebswirtschaftliche Feinprüfung durchzuführen ist (vgl VfGH 18.3.2000, G 24/98 ua, V 38/98 ua). Durch eine 80 %-ige Kostenerstattung der zuvor geltenden Einzelleistungstarife wird auch kein Anreiz für die Krankenversicherungsträger geschaffen, ihrer Verpflichtung nach § 131 Abs 1 letzter Satz ASVG nicht nachzukommen. Ein satzungsmäßiger Pauschalbetrag muss nämlich nicht zwingend 80 % des Vertragstarifs betragen. Nach stRsp sind sogar geringere Pauschalbeträge zulässig. Die Berechnung der Kostenerstattung nach wertangepassten, älteren Einzelleistungstarifen entspricht daher der Wertung des Vertragspartnerrechts.

5.
Zusammenfassung

Aus der E kann abgeleitet werden, dass im Einzelfall ein angemessener Betrag als Berechnungsgrundlage festzulegen ist, wenn eine gesetzlich vorgesehene satzungsmäßige Kostenersatzregelung fehlt. Der Kostenersatz ist daher nicht nach „Marktpreisen“ zu berechnen. Das gilt sowohl für einen satzungsmäßigen Pauschalbetrag gem § 131 Abs 1 letzter Satz ASVG als auch für einen satzungsmäßigen Kostenzuschuss gem § 131b Abs 1 ASVG. Bis eine satzungsmäßige Kostenerstattungsregelung gem § 131 Abs 1 letzter Satz ASVG geschaffen wird, dürfen auch zuvor geltende, wertangepasste Honorarordnungen zur Berechnung herangezogen werden. Kann die Leistung, für die Kostenerstattung begehrt wird, auch als Sachleistung durch bestehende Vertragspartner/innen in Anspruch genommen werden, ist die Reduktion der Kostenerstattung gem § 131 Abs 1 ASVG analog anwendbar. Den Versicherten sind daher nur Kosten im Ausmaß von 80 % der angemessenen Berechnungsgrundlage zu erstatten. Die vorliegende E steht in Einklang mit der bestehenden Judikatur des OGH zum Kostenersatz von Wahlpartner/innenhilfe und den gesetzlichen Vorgaben des Vertragspartnerrechts. Darüber hinaus wäre eine ausführliche Auseinandersetzung mit den zulässigen Vertragstypen für Physiotherapeut/innen wünschenswert gewesen, weil bislang noch keine Rsp des OGH zur rechtlichen Qualifikation von Musterverträgen vorliegt.