KrejciRecht auf Streik – Ein Paradigmenwechsel mit Folgen im Arbeitskampfrecht Österreichs

Verlag Österreich, Wien 2015 498 Seiten, gebunden, € 129,–

ELIASFELTEN (SALZBURG)

Das vorliegende Werk bricht mit einer althergebrachten Tradition. Der Streik als wichtigste Arbeitskampfmaßnahme der Arbeitnehmerschaft wurde die längste Zeit als faktisches und nicht als rechtliches Phänomen wahrgenommen. Der Gesetzgeber hat bewusst davon Abstand genommen, den Streik zu reglementieren und einer gesetzlichen Grundlage zuzuführen. Diese Lücke wurde auch von der Rsp nicht geschlossen, da die Arbeitskampfparteien es tunlichst vermieden haben, Arbeitskämpfe vor Gericht auszutragen. Der Streikfreiheit sollte nicht durch die Gerichte Grenzen gesetzt werden. Das hat dazu geführt, dass die Arbeitskampfparteien Konflikte zumeist nicht eskalieren ließen, sondern im Zweifelsfall an den Verhandlungstisch zurückgekehrt sind. Vor diesem Hintergrund überrascht es nur wenig, dass sich die Rechtswissenschaft mit dem Streik entweder gar nicht oder nur am Rande beschäftigt hat. Die Monographie Tomandls „Streik und Aussperrung als Mittel des Arbeitskampfes“ aus dem Jahr 1965 war lange Zeit die einzige wissenschaftliche Aufarbeitung dieses Themas.

Dies hat sich freilich in den letzten Jahren fundamental geändert. Seit knapp zehn Jahren ist der Streik in den Fokus des Interesses der Arbeitsrechtswissenschaft gerückt. Eine Vielzahl an Zeitschriftenbeiträgen und Monographien hat sich zwischenzeitlich diesem Thema angenommen. Der Zeitpunkt ist kein Zufall. Die österreichische Realität wurde nämlich von den europäischen Entwicklungen eingeholt. Auf europäischer Ebene ist nämlich seit dem Jahr 2007 eine zunehmende „Verrechtlichung“ des Streiks festzustellen. Auslöser waren die Entscheidungen des EuGH in den Rs Viking (C-438/05) und Laval (C-341/05), in denen der Gerichtshof erstmals ein Grundrecht auf Streik anerkannt hat. Diese Entscheidungen sind allerdings nicht im luftleeren Raum gefällt worden. Sie sind vor dem Hintergrund der im Jahr 2000 proklamierten Grundrechtecharta zu sehen, die in Art 28 erstmals ein ausdrückliches Recht auf Streik normiert. Ihr Inkrafttreten im Jahr 2010 hat einen Dominoeffekt ausgelöst. Der EGMR hat sich veranlasst gesehen, seine restriktive Rsp zum Thema Streik aufzugeben und ebenfalls ein Streikrecht aus Art 11 EMRK abzuleiten (insb 68959/01, Enerji Yapi-Yol Sen). Das ist für Österreich insofern beachtlich, als die EMRK den Rang eines Verfassungsgesetzes genießt.

Diese Entwicklung war es, die Krejci dazu veranlasst hat, eine Monographie zum Thema „Recht auf Streik“ zu schreiben. Zu Recht spricht er von einem Paradigmenwechsel, angestoßen durch das Recht der Europäischen Union, mit Folgen für die österreichische Arbeitskampfdoktrin. Gerade diese Auswirkungen auf das bisherige österreichische Verständnis des Phänomens „Streik“ stellt Krejci in den Fokus seiner Ausführungen. Darin ist auch die eigentliche Innovation dieses Buches zu sehen. Denn zu den unionsrechtlichen Rechtsgrundlagen und ihrer Auslegung (damit beschäftigt sich Krejci in den Kapiteln 4-7) gibt es bereits umfangreiche Literatur (vgl bloß Kohlbacher, Streikrecht und Europarecht [2014] oder

Däubler
[Hrsg], Arbeitskampfrecht3 [2011] 153 ff). Krejci bestätigt hier im Wesentlichen die bisherige Lehre. So hat auch er keinen Zweifel, dass der EGMR in seiner neueren Rsp ein ausdrückliches Recht auf Streik anerkennt. Die bis dato vereinzelt gebliebene Gegenmeinung (Krömer, ZAS 2012, 205 ff) darf in Anbetracht der konzisen Argumentation Krejcis (S 57 ff) spätestens jetzt als widerlegt angesehen werden.

Auch seine Überlegungen zur Auslegung des Art 28 EGRC sind überzeugend. So ist Krejci vollinhaltlich Recht zu geben, dass es sich dabei nicht bloß um einen Grundsatz (idS wohl zuletzt Holoubek, DRdA 2015, 24 ff), sondern um ein Grundrecht handelt (S 141 f). Lediglich zu einzelnen Punkten erscheint Widerspruch angebracht. So teilt der Rezensent bspw nicht die Ansicht, dass auch Betriebsvereinbarungen iSd § 29 ArbVG unter den Begriff des „Tarifvertrags“ iSd Art 28 EGRC zu subsumieren sind (S 147). Zwar hat Krejci Recht, wenn er für ein weites Begriffsverständnis plädiert und etwa die Normwirkung nicht als konstitutives Element ansieht. Auch müssen „Tarifverträge“ nicht zwingend überbetrieblich sein. Jedoch können nur solche Verträge von Art 28 EGRC erfasst sein, die von AN bzw AG oder ihren jeweiligen Organisationen abgeschlossen worden sind. „Organisationen“ iSd Art 28 meint in diesem Zusammenhang aber nur solche Personenmehrheiten, die auf einem freiwilligen Zusammenschluss beruhen. Das ergibt sich nicht zuletzt aus Art 12 EGRC. Auf den BR iSd ArbVG trifft das zweifelsfrei nicht zu. Deshalb kann auch die BV iSd § 29 ArbVG kein „Tarifvertrag“ iSd Art 28 EGRC sein (vgl dazu ausführlich Felten, Koalitionsfreiheit und Arbeitsverfassungsgesetz [2015] 248 und 265).

Das wirkliche Verdienst Krejcis ist freilich, dass er in seinem Buch konkrete Antworten auf die Frage gibt, welche Auswirkungen die aus dem Unionsrecht gewonnenen Erkenntnisse für das österreichische Arbeitskampfrecht haben. Dabei konzentriert er sich im Wesentlichen auf drei Themenbereiche: das Entlassungsrecht (Kapitel 11), das Schadenersatzrecht (Art 12) und die AN-Vertretung im Betrieb (Kapitel 13 und 14).

In der Literatur wurden bisher nur die Folgen der Anerkennung eines Streikrechts für die Rechtsmäßigkeit der Entlassung diskutiert. Die Mehrheit plädiert inzwischen für eine Aufgabe der sogenannten „Trennungstheorie“ (siehe dazu zuletzt Marhold, DRdA 2015, 415 f mwN). Die bisherige Rechtsansicht, dass die individuelle Streikteilnahme in jedem Fall eine Verletzung des Arbeitsvertrags darstellt, bewirkt nämlich, dass einzelne AN in der Ausübung ihres Grundrechts auf Streik beschränkt werden. Deshalb ist Krejci vollinhaltlich Recht zu geben, wenn er die Ansicht vertritt, dass die Anerkennung eines Grundrechts auf Streik zur Konsequenz haben muss, dass die Teilnahme an einem legitimen Streik keinen Entlassungsgrund darstellt (S 293).284

Echtes Neuland hat Krejci hingegen mit seinen Ausführungen zum Schadenersatz betreten. Soweit ersichtlich ist er der Erste, der sich mit der Frage auseinandergesetzt hat, welche Auswirkungen ein verfassungsrechtlich gewährleistetes Streikrecht auf allfällige Schadenersatzansprüche der Gegenseite hat. Ausgangspunkt seiner Überlegungen ist dabei, dass ein AN-Verband, der einen Streik organisiert und sich in diesem Zusammenhang auf ein Grundrecht auf Streik berufen kann, typischerweise rechtmäßig handelt. Das hat zur Konsequenz, dass eine Verschuldenshaftung grundsätzlich ausscheidet (S 319). Krejci formuliert in diesem Zusammenhang auch die interessante These, dass die Anerkennung eines Streikrechts die Existenz einer betriebsverfassungsrechtlichen Friedenspflicht in Frage stellt (S 328). Denn das Grundrecht auf Streik bezieht sich keineswegs bloß auf gewerkschaftlich organisierte Arbeitskampfmaßnahmen. Folglich könne auch die betriebliche Arbeitnehmerschaft als AN-Koalition das Streikrecht für sich in Anspruch nehmen. Zu Recht bezieht Krejci diese Aussage nicht auf den BR. Der BR ist nämlich keine freiwillige AN-Koalition. Er kann sich daher weder auf Art 11 EMRK noch auf Art 28 EGRC berufen. Dass dies in gleicher Weise auch für die betriebliche Arbeitnehmerschaft gelten muss, die ja vom BR vertreten wird, ist keineswegs zwingend. Krejci scheint vom Gegenteil auszugehen. Eine Begründung für diese Ansicht bleibt er freilich schuldig. Klar ist aber jedenfalls, dass die bloße Teilrechtsfähigkeit der betrieblichen Arbeitnehmerschaft einer Berufung auf das Streikrecht nicht entgegensteht. Darin ist Krejci wiederum Recht zu geben (S 328). In Summe spricht daher tatsächlich Einiges für seine These, dass die betriebsverfassungsrechtliche Friedenspflicht durch das Grundrecht auf Streik zumindest in Frage gestellt wird (S 329). Diese Erkenntnis bringt ihn zu der weiterführenden Schlussfolgerung, dass die Anerkennung eines Streikrechts zur Konsequenz haben muss, dass den Vertretern jener Gewerkschaften, die einen Streik organisieren, auch ein Recht auf Zutritt zu den Betrieben zuzugestehen ist (S 363 ff). Auch in diesem Punkt überzeugen die Ausführungen Krejcis.

Mit dem vorliegenden Werk hat Krejci eine umfassende wissenschaftliche Aufarbeitung des Themas Streikrecht vorgelegt, das die bisherige Arbeitskampfdoktrin in Österreich in weiten Teilen revolutioniert. Durch seine klare Sprache gelingt es ihm, komplexe Zusammenhänge und diffizile rechtliche Gedankengänge leicht verständlich zu machen. Ohne Auseinandersetzung mit seinen Thesen werden sich in Zukunft kaum plausible Rechtsauffassungen zum Thema Streik vertreten lassen. Es besteht kein Zweifel, dass Krejci mit seinen Überlegungen die weitere Diskussion zum Streikrecht prägen wird.