IckenrothDas deutsche Beamtenstreikverbot im Lichte der Europäischen Menschenrechtskonvention

Duncker & Humblot Verlag, Berlin 2016, 319 Seiten, € 89,90

OLAFDEINERT (GÖTTINGEN)

Das deutsche Beamtenstreikrecht fußt auf den Axiomen der amtsangemessenen Alimentation im Wege der gesetzlichen Festlegung und des Streikverbots der Beamten. Letzterer Grundsatz, der in der Rsp des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG 11.6.1958, 1 BvR 1/52 ua = NJW 1958, 1228, 1230; BVerfG 30.3.1977, 2 BvR 1039/75 ua = NJW 1977, 1869) seinen Ausdruck gefunden hat, ist ins Wanken geraten durch zwei Entscheidungen des EGMR (12.11.2008, 34503/97, Demir und Baykara/Türkei, AuR 2009, 269; EGMR 21.4.2009, 68595/01, Enerji Yapi Yol Sen, AuR 2009, 274). Nach dieser Rsp ist ein generelles Streikverbot für Beamte mit Art 11 EMRK unvereinbar. Das Bundesverwaltungsgericht folgert daraus, dass auch das deutsche unterschiedslose Streikverbot für Statusbeamte konventionswidrig sei, eine völkerrechtskonforme Auslegung des Grundgesetzes (GG) jedoch nicht möglich, sodass der Gesetzgeber aufgerufen sei, einen Ausgleich zwischen Koalitionsfreiheit und Strukturprinzipien des Berufsbeamtentums herbeizuführen (BVerwG 27.2.2014, 2 C 1.13 = NZA 2014, 616). Die vorliegende Dissertation von Christoph Ickenroth befasst sich mit eben dieser Problemlage. Sie analysiert die Rechtslage nach der EMRK, spiegelt an dieser die deutsche Rechtslage und lotet Möglichkeiten und Grenzen einer entsprechenden Anpassung aus. Im Ergebnis geht der Verfasser davon aus, dass eine wie auch immer geartete Anpassung des deutschen Rechts darauf hinausliefe, dass Beamte unter Umständen das Streikrecht genießen können, die Arbeitsbedingungen der Beamten gleichwohl gesetzlich und nicht durch Tarifverträge geregelt werden.

Nach kurzer Darstellung des hergebrachten Beamtenstreikverbots, das auch in Deutschland freilich nicht unumstritten gewesen ist, werden kurz in einem Überblick die neuere EGMR-Rsp dargestellt und die verschiedenen Reaktionen der Verwaltungsgerichte hierauf erörtert. In einem großen Abschnitt (S 35 ff) stellt Ickenroth die Streikgewährleistung für Staatsbedienstete nach Art 11 EMRK dar. Es handelt sich um eine ausführliche Darstellung der Koalitionsfreiheit nach der EMRK unter Auswertung der Rsp, insb in Sachen Demir und Baykara sowie Enerji Yapi Yol Sen. Im Ergebnis ist ein Streikverbot im öffentlichen Dienst nicht ohne weiteres konventionsgemäß. Entscheidend ist, dass Streikrechtseinschränkungen für Beamte, deren Tätigkeit mit der Ausübung hoheitlicher Befugnisse bzw staatlicher Gewalt einhergeht, zulässig sind. Ansonsten sind Einschränkungen des Streikrechts zur Gewährleistung sogenannter essential services zulässig. Ickenroth würdigt diese Rsp, die auch auf die Spruchpraxis anderer Kontrollgremien zu internationalen Verträgen Bezug nimmt, kritisch. Grundsätzlich sei die Heranziehung der Spruchpraxis zwar zulässig. Dies erfordere aber eine differenzierte Betrachtung im Hinblick auf unterschiedliche Konzeptionen anderer völkerrechtlicher Verträge.

In einem zweiten Schritt analysiert Ickenroth die Konsequenzen für das deutsche Recht nach dem zuvor vorgestellten Prüfungsprogramm. Ein statusbezogenes Streikverbot für Beamte geht danach über die vorgestellten zulässigen Schranken des Streikrechts hinaus. Es stellt sich damit die Frage nach der Möglichkeit einer völkerrechtsfreundlichen Auslegung des GG (zum Grundsatz vgl BVerfG 4.5.2011, 2 BvR 2365/09 ua = NJW 2011, 1931). Denn immerhin ist das Beamtenstreikverbot wörtlich im Verfassungstext nicht enthal-285ten. Ausgehend davon, dass im Hinblick auf einen gesetzlichen Regelungsauftrag, der dem GG entnommen werden kann, eine tarifautonome Regelung der Arbeitsbedingungen von Beamten ausscheidet, verneint er gleichwohl einen systemimmanenten Ausschluss des Streikrechts. Insb sei der Beamtenstreik insoweit kein politischer Streik, als er um die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen geführt werde. Friktionen, hervorgerufen durch den Unterschied zwischen Beamtenstatus und privatwirtschaftlichem Tarifsystem, auf das sich das bisherige Streikrecht beziehe, ließen sich beheben. Insgesamt sei aus dem Funktionsvorbehalt des Art 33 Abs 4 GG (Ausübung hoheitlicher Befugnisse in der Regel durch Angehörige des öffentlichen Dienstes im öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis) auch keine generelle Rechtfertigung des Beamtenstreikverbots dergestalt abzuleiten, dass sämtliche Beamte solche hoheitlichen Befugnisse ausüben, bei denen ein Streikverbot nach der EMRK gerechtfertigt sei. Innerhalb des Funktionsvorbehaltes bleibe insoweit ein Spielraum. Schließlich sei das Beamtenstreikverbot auch kein hergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtentums, der nach Art 33 Abs 5 GG bei der Regelung und Fortentwicklung des Beamtenrechts zu berücksichtigen wäre.

Abschließend wendet sich der Verfasser einer künftigen Ausgestaltung des Beamtenstreikrechts zu. Dabei geht er im Hinblick auf die Rsp des Bundesverfassungsgerichts von einer Bindungswirkung für die sonstige Rsp aus, sodass eine Abkehr vom Beamtenstreikverbot allein durch das Bundesverfassungsgericht möglich sei. Insoweit entfaltet er Leitlinien für eine gesetzliche Regelung, die den Besonderheiten Rechnung trägt, die sich aus dem Erfordernis einer gesetzlichen Regelung der Arbeitsbedingungen der Beamten, der Gewährleistung staatlicher Aufgaben und dem Schutz von Drittbetroffenen ergeben.

Ickenroth hat eine Arbeit vorgelegt, die sorgfältig und umfassend Koalitionsfreiheit und Streikrecht nach der EMRK insb für Beamte analysiert und den Anpassungsbedarf des deutschen Rechts beschreibt. Die Erkenntnisse sind, wie der Verfasser zu Recht betont, auf die deutsche Rechtslage zugeschnitten. Sie lassen sich nicht einfach auf andere Rechtsordnungen übertragen. Lehrreich für alle Rechtsordnungen sind allerdings die pointierten Analysen zum Konventionsrecht. Aber auch die Argumentation zum nationalen Recht wird sicher an der einen oder anderen Stelle auch für österreichische Leser interessante Einsichten eröffnen.