HiljeStreikrecht in kirchlichen Einrichtungen?

Duncker & Humblot Verlag, Berlin 2015 367 Seiten, € 99,90 (DE)/€ 102,70 (AT)

ELISABETHBRAMESHUBER (WIEN)

Mit der „wohl umstrittenste(n) Frage des kirchlichen Arbeitsrechts“, jener nach der Zulässigkeit des Streikverbotes für auf Grundlage eines Arbeitsvertrages Beschäftigte kirchlicher Einrichtungen, setzt sich Moritz Hilje im vorliegenden Buch auseinander. Die zugrunde liegende Arbeit wurde im Sommersemester 2014 von der Juristischen Fakultät der Julius-Maximilians-Universität Würzburg als Dissertation angenommen. Ziel der Abhandlung ist es, die Frage nach der Rechtmäßigkeit des Streikausschlusses zu beantworten bzw zu eruieren, ob und wenn ja inwiefern ein Streikrecht kirchlicher MitarbeiterInnen anzuerkennen ist. Dass dies in Deutschland für eine nicht unerhebliche Gruppe von Beschäftigten von Relevanz ist, zeigen die von Hilje recherchierten Zahlen: Geschätzt wird, dass der Streikausschluss rund 1,4 Mio AN betrifft. Dies liegt daran, dass den Besonderheiten des kirchlichen Arbeitsrechts nicht nur die in Einrichtungen der Kirchen Tätigen unterliegen, sondern auch Personen, die in den Kirchen zugehörigen Einrichtungen beschäftigt sind. Dazu gehören etwa MitarbeiterInnen von kirchlich getragenen Krankenhäusern oder Pflegediensten, aber auch von Schulen und Kindergärten. Um die gestellten Fragen sachgerecht zu beantworten, ist dem Autor zufolge eine Auslegung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts einerseits und der Koalitionsfreiheit und dem sich daraus ergebenden Streikrecht andererseits vorzunehmen. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf den Vorgaben, die sich unter Umständen aus der EMRK bzw der Judikatur des EGMR sowie aus Art 28 GRC ableiten lassen.

Zwischenergebnis des ersten Teils dieser Auslegung ist, dass das auf Art 140 GG iVm Art 137 Abs 3 Satz 1 WRV basierende Selbstbestimmungsrecht den Kirchen wie auch ihren Einrichtungen garantiert, in den Schranken der für alle geltenden Gesetze die eigenen Angelegenheiten selbständig zu verwalten und zu ordnen. Die Einrichtungen der Kirchen müssen dabei ein Stück des kirchlichen Auftrags verwirklichen; zudem bedarf es eines Mindestmaßes an Einfluss der Kirche auf die Einrichtung. Der enge Bezug des Selbstbestimmungsrechts zur Glaubensfreiheit führt dazu, dass es sich nach dem kirchlichen Selbstverständnis richtet, welche Angelegenheiten dieser selbständigen Verwaltung und Ordnung unterliegen. Eine dieser eigenen Angelegenheiten ist die Anpassung der Dienstverhältnisse an die Besonderheiten, die sich aus dem kirchlichen Bekenntnis ergeben. Zentrales Merkmal für die Mitarbeit im kirchlichen Dienst ist wiederum der Grundsatz der Dienstgemeinschaft; ein Streik der MitarbeiterInnen wäre damit nach dem Selbstverständnis der Kirchen nicht kompatibel. Der Streikausschluss ist folglich eine dem Selbstbestimmungsrecht der Kirchen unterfallende eigene Angelegenheit. Das aus Art 9 Abs 3 GG abgeleitete Arbeitskampfrecht ist allerdings ein potentiell für alle geltendes Gesetz, das eine Schranke des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts bilden könnte. Aus dem Europarecht, insb aus EMRK und GRC, folgt nichts Gegenteiliges.291

Die für die Untersuchung erforderliche Auslegung des Streikrechts führt den Autor zum Ergebnis, dass in Deutschland trotz der grundrechtlichen Gewährleistungen in Art 28 GRC und Art 11 EMRK in der Auslegung durch den EGMR nur solche Streiks geschützt sind, die den aus Art 9 Abs 3 GG ableitbaren Tarifbezug aufweisen. Dies ist meiner Ansicht nach insb vor dem Hintergrund der Urteile des EGMR in den Rs RMT/VK (BswNr 31045/10) und ER.N.E./ESP (BswNr 45892/09) fraglich. Darin hat der EGMR einerseits klargestellt, dass Sympathiestreiks grundsätzlich insofern geschützt sind, als ein generelles gesetzliches Verbot die durch Art 11 Abs 1 EMRK geschützten Rechte beschränkt, andererseits hat er ein statusabhängiges generelles Beamtenstreikverbot für mit Art 11 EMRK unvereinbar erklärt. Es wäre daher nicht überraschend, wenn der EGMR die Unzulässigkeit nicht-tarifbezogener Streiks ebenfalls als konventionswidrig einstufte.

Die Forschungsfrage nach der Zulässigkeit des Streikverbots wird sodann getrennt für den sogenannten Zweiten und Dritten Weg beantwortet. Dabei handelt es sich um zwei der drei Möglichkeiten, die den Kirchen in Deutschland zur Verfügung stehen, um Arbeitsbedingungen ihrer Beschäftigten festzulegen. Während der sogenannte Erste Weg (Regelung durch Kirchengesetz oder Rechtsverordnung ohne echte Mitbestimmungsmöglichkeit der DN) sowohl von evangelischer als auch katholischer Kirche in Deutschland nicht angewendet wird, folgt die Mehrheit der christlichen Kirchen dem sogenannten Dritten Weg. Die Arbeitsbedingungen für MitarbeiterInnen der Kirchen und ihrer Einrichtungen werden danach in Arbeitsvertragsrichtlinien festgelegt, die durch paritätisch mit DG- und DN-VertreterInnen besetzte Kommissionen ausgehandelt werden. Bei Uneinigkeiten entscheidet ein ebenfalls paritätisch besetzter Schlichtungsausschuss; Arbeitskampfmaßnahmen sind ausgeschlossen. Im Zweiten Weg erfolgt die Regelung von Arbeitsbedingungen durch den Abschluss von Tarifverträgen zwischen Kirchen und Gewerkschaften. Hinsichtlich des Streikverbots im Dritten Weg gelangt Hilje zum Ergebnis, dass dies dann mit der Koalitionsfreiheit, aber auch mit der Gewährleistung des Streikrechts durch Art 11 EMRK, vereinbar ist, wenn die Festlegung von Arbeitsbedingungen im soeben beschriebenen Verfahren (paritätisch besetzte Kommissionen; Schlichtungsverfahren) funktioniert und die Ergebnisse verbindlich sind. Eine indirekte Gewerkschaftsbeteiligung ist ausreichend; weitergehende Beteiligungsmöglichkeiten können, müssen aber nicht umgesetzt werden. Ähnliches gilt Hilje zufolge für den Zweiten Weg: Auch dort ist der Streikausschluss dann mit der Koalitionsfreiheit vereinbar, wenn ein tauglicher Mechanismus zur Lösung von Interessenkonflikten installiert wird. Dies wird in der Praxis durch verbindliche Schlichtungsverfahren gewährleistet.

Dass der Dritte Weg dann, wenn er derart ausgestaltet ist, dass eine gleichgewichtige Konfliktlösung gewährleistet ist, sich die Gewerkschaften einbringen können und das Ergebnis sowohl der Verhandlungen als auch einer allfälligen Schlichtung im Konfliktfall verbindlich ist, mit der Koalitionsfreiheit und dem Konzept der Tarifautonomie vereinbar ist, hat mittlerweile auch das BVerfG (Beschluss vom 15.7.2015, 2 BvR 2292/13) bestätigt. Die beschwerdeführende Gewerkschaft ver.di hatte das auch von Hilje behandelte Urteil des BAG vom 20.11.2012 (1 AZR 179/11) bekämpft, da ihrer Meinung nach die soeben genannten, vom BAG formulierten (und sodann vom BVerfG bestätigten) Anforderungen dem Art 9 Abs 3 GG nicht entsprechen

Wiewohl durch die Entscheidungen des BAG und des BVerfG die von Hilje aufgeworfenen Fragen weitgehend beantwortet sind, kann die Lektüre des Buches iVm den höchstgerichtlichen Judikaten der interessierten LeserInnenschaft wärmstens empfohlen werden; dies insb aufgrund des Tiefgangs der Untersuchung, für den naturgemäß in einer gerichtlichen Entscheidung kein Platz ist.292