26

Vorstellungen der Gesellschaft: Rosa (nicht) nur für Mädchen?

VERENARUSS (GRAZ)
  1. An individuelle Weisungen des AG, welche die Persönlichkeitsrechte iSd § 16 ABGB und Art 8 EMRK berühren, sind besonders strenge Anforderungen zu stellen.

  2. Weisungen in Hinblick auf das äußere Erscheinungsbild eines AN können dann gerechtfertigt sein, wenn der Kleidungsstil massiv vom Verständnis der Bevölkerung abweicht.

  3. Die Vorstellungen der Gesellschaft von einer angemessenen Berufskleidung und Ausstattung einzelner Berufsgruppen und damit dem Erscheinungsbild nach außen unterliegen aber naturgemäß einem Wandel der Zeit und sind selbst zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht in allen Bevölkerungsschichten gleich. Allgemein gültige Aussagen, die über den Einzelfall hinaus von Bedeutung sind, sind kaum möglich.

Der Bekl war bei der Kl seit 2.6.2009 als Kraftfahrer im städtischen Linienverkehr beschäftigt und befindet sich seit 6.6.2014 in Elternteilzeit. Die Kl hat mit Dienstanweisung vom 11.3.2009 Richtlinien für das Tragen der neuen Dienstkleidung für die Mitarbeiter im Fahrbetrieb festgelegt. Damit soll der Auftritt nach außen in einem einheitlichen Erscheinungsbild gewährleistet werden. Sämtliche Kleidungsstücke, die Bestandteil der Dienstuniform sind, finden sich im sogenannten Warenkorb. [...] Haarbänder, welcher Farbe auch immer, werden von der Kl nicht zur Verfügung gestellt.

Seit Beginn des Dienstverhältnisses bis Juni 2014 trug der Bekl seine Haare immer als – mit einem schwarzen dünnen Haarband zusammengehaltenen – Pferdeschwanz. Seit Juni 2014 trägt der Bekl im Dienst ein rosafarbenes Haarband. Am 11.8.2014 wurde der Bekl von dafür zuständigen Mitarbeitern der Kl mehrmals aufgefordert, das Haarband abzunehmen. Der Bekl leistete dieser Weisung [...] nicht Folge. Daraufhin wurde er von der Kl vom Dienst suspendiert.

Mit der [...] beim Erstgericht eingebrachten Klage begehrt die Kl die gerichtliche Zustimmung zu der von ihr beabsichtigten Kündigung des Dienstverhältnisses mit dem Bekl. Der Bekl habe trotz mehrmaliger Ermahnung durch das Tragen des rosafarbenen Haarbandes gegen die Dienstanweisung [...] und die mündliche Weisung, das Haarband abzunehmen, verstoßen. [...] Die Kl lege einen hohen Wert auf ein einheitliches äußeres Erscheinungsbild, das neben dem einheitlichen Auftreten sämtlicher Fahrer auch der Durchführung des ordnungsgemäßen Fahrbetriebs und der Sicherheit der Fahrgäste diene. Gegen diese betrieblichen Interessen habe der Bekl beharrlich verstoßen, eine Weiterbeschäftigung des Bekl sei ihr unter diesen Umständen nicht zumutbar.

Der [...] Bekl [...] bestritt und beantragte Klagsabweisung. Ein generelles Verbot, Haarbänder oder Kopfbedeckungen zu tragen, bestehe aufgrund der Dienstanweisung nicht. Das Tragen des Haarbandes [...] verstoße nicht gegen betriebliche Interessen der Kl, sondern diene vielmehr der Verkehrssicherung, weil ihm seine Haare sonst ins Gesicht fielen. Jedenfalls sei ein derartiges Trageverbot unzumutbar, sittenwidrig und diskriminierend.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es bestehe ein gerechtfertigtes betriebliches Interesse der Kl, dass ihre in regelmäßigem Kundenkontakt stehenden Mitarbeiter den Kunden in einer einheitlichen Uniform und nicht mit einem auffälligen, dem einheitlichen Erscheinungsbild der Uniform entgegenstehenden Haarband gegenübertreten. Durch das Tragen von Uniformen werde ein höheres Maß an Autorität vermittelt, als durch das Tragen von Privatkleidung. Dies sei insb in Gefahrensituationen förderlich, weil sich dann die Mitarbeiter der Kl durch die Uniform eindeutig von den Fahrgästen hervorheben würden. Durch die Anordnung, das rosafarbene Haarband abzunehmen, seien auch weder ideelle noch materielle Interessen des Bekl beeinträchtigt, sodass eine Interessenabwägung zu Gunsten der Kl und ihren betrieblichen Interessen ausschlage.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Bekl nicht Folge, [...] die Weisung der Kl an den Bekl, im Dienst kein rosafarbenes Haarband zu tragen, [sei] sachlich gerechtfertigt. Die Kl habe ein betriebliches Interesse daran, dass „das Vertrauen ihrer – tatsächlichen bzw potentiellen – Fahrgäste in die Professionalität und Seriosität der von ihr zur verantwortungsvollen Tätigkeit der Personenbeförderung eingesetzten Buslenker erhalten bleibe und das einheitliche Erscheinungsbild ihrer im Fahrbetrieb tätigen Mitarbeiter nicht durch auffällige Kleidungsstücke bzw Accessoires gestört werde, die dem Verständnis der Bevölkerung vom Erscheinungsbild von Buslenkern im öffentlichen Linienverkehr massiv widersprächen und durch die eine durch das mit Dienstanweisung vorgeschriebene Tragen von uniformierter Dienstkleidung bezweckte Verkörperung von Professionalität und Seriosität zur Personenbeförderung eingesetzter Buslenker konterkariert werde“. [...]

Der OGH sah die Revision des Bekl als zulässig und berechtigt an.

Dem Bekl kommt aufgrund der Inanspruchnahme von Elternteilzeit nach § 8 Abs 1 VKG der Kündigungs- und Entlassungsschutz gem § 8f Abs 1 VKG zu. Nach § 8f Abs 1 Satz 3 VKG iVm § 7 Abs 3 VKG und § 10 Abs 4 MSchG kann das Gericht die Zustimmung zur Kündigung, wenn die Klage auf Zustimmung zur Kündigung nach Ablauf des ersten Lebensjahres des Kindes gestellt wird, auch dann erteilen, wenn der AG den Nachweis erbringt, dass die Kündigung durch Umstände, die in der Person der AN [...] gelegen sind und die betrieblichen Interessen nachteilig berühren oder durch betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung [...] entgegenstehen, begründet ist und die Aufrechterhaltung des Dienstverhältnisses dem AG unzumutbar ist.246

Die Kündigungsgründe des § 10 Abs 4 MSchG entsprechen – mit Ausnahme des zusätzlichen Erfordernisses der Unzumutbarkeit der Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses – jenen des § 105 Abs 3 Z 2 lit a und b ArbVG (Langer in

Ercher/Stech/Langer
, Mutterschutz- und Väter-Karenzgesetz § 10 MSchG Rz 75). Es kann daher Anleihe bei der dazu ergangenen Rsp genommen werden. Danach müssen Gründe iSd § 105 Abs 3 Z 2 lit a ArbVG, die im Verhalten des AN liegen, die betrieblichen Interessen so weit nachteilig berühren, dass sie bei objektiver Betrachtungsweise einen verständigen Betriebsinhaber zur Kündigung veranlassen würden und die Kündigung als gerechte, dem Sachverhalt adäquate Maßnahme erscheinen lassen (subjektiv betriebsbedingte Gründe). Das Kriterium der Unzumutbarkeit der Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses wurde vom Gesetzgeber nicht definiert. Aufgrund der Schutzbedürftigkeit der AN muss es sich dabei aber um besonders schwerwiegende Umstände in der Person des AN oder auf betrieblicher Ebene handeln (9 ObA 91/12s; Eichinger, Die Frau im Arbeitsrecht 182; Wolfsgruber in ZellKomm2 § 10 MSchG Rz 45). [...]

Der AN, der in seinem Dienstvertrag eine bestimmte Tätigkeit im Betrieb vereinbart, stellt sich damit auch insoweit in die Verfügungsmacht des AG. Innerhalb des durch den Dienstvertrag vorgegebenen Rahmens wird die Arbeitspflicht durch das Direktions- oder Weisungsrecht des AG konkretisiert. Eine Anordnung ist dann als gerechtfertigt anzusehen, wenn sie sich innerhalb der durch den Dienstvertrag und den sich daraus ergebenen Rechten und Pflichten gezogenen Grenzen hält (vgl RIS-Justiz RS0021472 ua) sowie die ideellen und materiellen Interessen des AN gewahrt bleiben (Spielbüchler in

Floretta/Spielbüchler/Strasser
, Arbeitsrecht I4 188; RIS-Justiz RS0029841). Gegebenenfalls hat bei Kollision eine Abwägung der gegenseitigen Interessen zur Prüfung der Rechtfertigung einer Weisung stattzufinden (9 ObA 219/92; 9 ObA 191/00d).

Individuelle Weisungen, die – wie hier – Persönlichkeitsrechte eines AN (§ 16 ABGB und Art 8 EMRK) berühren, wie jene, die das äußere Erscheinungsbild des AN betreffen, sind besonders heikel. Hier ist bei der Interessenabwägung besondere Vorsicht geboten (vgl Firlei,

).

Auch [...] in dem Urteil des OGH vom 11.2.1999 (8 ObA 195/98d = SZ 72/23 =

[Firlei]
) wurde darauf abgestellt, dass die Bekleidung ein Teil der Privatsphäre jedes AN ist, der durch § 16 ABGB und Art 8 EMRK geschützt ist. Massiv vom Verständnis der Bevölkerung abweichende Bekleidungsusancen eines AN könnten aber im Einzelfall durch individuelle Arbeitsanweisungen des AG untersagt werden, wenn der AG (eine Bank) sehr wesentlich auf das ihm von den Kunden entgegengebrachte Vertrauen angewiesen ist und dieses ua auch dadurch erworben und erhalten wird, dass im Kundenbereich des AG von den AN eine dem Verständnis der Bevölkerung entsprechende Kleidung getragen bzw bestimmte Accessoires, wie dicke goldene Halsketten, von männlichen AN nicht sichtbar getragen werden. Aus dem Persönlichkeitsschutz (§§ 16 und 17 ABGB, Art 8 EMRK) wird ein Recht der einzelnen natürlichen Person auf eine Privatsphäre abgeleitet. Auch im dienstlichen Bereich hat der AN eine Privatsphäre, die es ihm gestattet, zB seine Kleidung und seinen Schmuck frei zu wählen (Rauch, Sind Vorschriften des Arbeitgebers zu Bekleidung, Schmuck, Tätowierungen und Piercings zulässig?ASoK 2006, 327 mwN). Ebenso unterfallen die Wahl der Haartracht (insb Haarlänge), Piercings oder Tätowierungen dem Persönlichkeitsrecht. Nach Kreil (Haar- und Barttracht: Persönlichkeitsschutz contra Weisungsrecht, RdW 2006/655, 704) werden die Persönlichkeitsrechte des AN durch Vorschriften bezüglich Haartracht, Piercings und Tätowierungen stärker eingeschränkt als durch Vorgaben bei der Dienstkleidung, weil erstere auch in die Freizeit nachwirken. Grenzen der Persönlichkeitsrechte ergeben sich nach Ansicht von Kreil aber auch hier, wenn das Äußere des AN von weiten Bevölkerungskreisen als unkorrekt oder unseriös wahrgenommen wird und somit erwarten lässt, dass der AN bei der Dienstausübung nicht ernst genommen wird oder ihm das erforderliche Vertrauen nicht entgegengebracht wird. Einschränkungen der in Rede stehenden Persönlichkeitsrechte des AN können ihre Grundlage im Gesetz, dem KollV, einer erzwingbaren BV (§ 97 Abs 1 Z 1 ArbVG) oder dem Arbeitsvertrag haben. Mit Vorgaben zur Kleidung werden verschiedene Zwecke – vom Gesundheitsschutz der AN über den Ausdruck einer berufstypischen Kleiderordnung bis hin zum Wiedererkennungswert des Unternehmens – verfolgt (Mischka/Steiner, Die Beistellungs- und Kostentragungspflicht für Arbeitskleidung, ZAS 2014/50, 304). [...]

Im Anlassfall leitet die Kl ihr Weisungsrecht aus dem Arbeitsvertrag ab. Sie stellt nicht in Abrede, dass im Betrieb kein generelles Trageverbot von Haarbändern oder Kopfbedeckungen besteht, zumal auch Kraftfahrerinnen genehmigt wird, ein Haarband oder ein Gummiband zu tragen, sofern diese unauffällig und dezent sind. [...] Die Kl will aber mit ihrer an den Bekl gerichteten Anordnung erreichen, dass der Bekl im Dienst kein rosafarbenes Haarband trägt. Mit dieser Einzelweisung greift sie aber in die Persönlichkeitsrechte des Bekl nach § 16 ABGB und Art 8 EMRK, sein persönliches Erscheinungsbild nach eigenem Ermessen festzulegen, ein.

Die von der Kl [...] zur Begründung der betrieblichen Erforderlichkeit dieser Weisung vorgetragenen Argumente lassen ein Überwiegen der betrieblichen Interessen der Kl gegenüber den durch die Weisung beeinträchtigten Persönlichkeitsrechten des Bekl nicht erkennen. Die Kl sieht ihre betrieblichen Interessen letztlich nur durch die Farbauswahl des zwar funktionellen, ihrer Meinung nach zu auffallenden Haarbandes des Bekl beeinträchtigt. Weshalb aber Fahrgäste an der Professionalität und Seriosität eines im öffentlichen Verkehr tätigen Buslenkers zweifeln sollten, nur weil dieser ein farblich auffallendes Haarband trägt, wurde von der Kl nicht nachvollziehbar dargelegt. Es steht auch nicht fest, dass Kunden wegen des Tragens eines rosafarbenen Haarbandes nicht mit dem vom247 Bekl gelenkten Linienbus mitgefahren wären oder ihr Vertrauen in die Kl verloren haben oder verlieren würden. Der Kl ist durchaus zuzugestehen, dass sie ein berechtigtes Interesse an einem möglichst einheitlichen äußeren Erscheinungsbild ihrer im Fahrdienst beschäftigten Mitarbeiter hat. Dieses wird hier aber ohnehin durch die von ihr vorgegebenen Bekleidungsvorschriften (Uniform), an die sich auch der Bekl unstrittig hält, gewährleistet. Den von der Kl vorgetragenen Sicherheitsaspekten, wonach gerade im Gefahrenfall erkennbar sein soll, wer der Fahrer ist, wird schon durch die Uniform ausreichend Rechnung getragen. Eine relevante Steigerung der Sicherheit durch das Tragen eines nach Meinung der Kl dezentfarbigen Haarbandes ist im Verfahren nicht hervorgekommen.

Die Vorstellungen der Gesellschaft von der „angemessenen Bekleidung“ und Ausstattung einzelner Berufsgruppen und damit dem Erscheinungsbild nach außen unterliegen naturgemäß dem Wandel der Zeit und sind selbst zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht in allen Bevölkerungsschichten gleich. Allgemein gültige Aussagen, die über den Einzelfall hinaus von Bedeutung sind, sind daher kaum möglich. Fest steht aber, dass der Eingriff des AG in die Persönlichkeitsrechte des AN sehr gute Gründe braucht, um gerechtfertigt zu sein. Diese liegen hier nicht vor.

Zusammengefasst überwiegen die betrieblichen Interessen der Kl nicht die Persönlichkeitsrechte des Bekl in Bezug auf das Tragen eines Haarbandes (in der von ihm gewählten Farbe). Die Einzelweisung der Kl an den Bekl [...] war daher nicht gerechtfertigt. Der Bekl hat durch seine Weigerung keine arbeitsvertraglichen Pflichten verletzt. Die gerichtliche Zustimmung zur Kündigung nach § 10 Abs 4 MSchG wird nicht erteilt.

Auf die vom Bekl in der Revision behauptete Diskriminierung wegen des Geschlechts muss daher nicht mehr eingegangen werden. [...]

Der Revision des Bekl ist daher Folge zu geben und das Klagebegehren in Abänderung der klagsstattgebenden Entscheidung der Vorinstanzen abzuweisen. [...]

ANMERKUNG
1.
Einleitung

Mit dieser E wird der Einflussnahme der AG auf das persönliche Erscheinungsbild der AN Grenzen gesetzt. Das persönliche Erscheinungsbild eines jeden Individuums genießt sowohl einen einfachgesetzlichen (§ 16 ABGB) als auch verfassungsrechtlichen (Art 8 EMRK) Schutz (vgl allgemein Aicher in

Rummel
, ABGB3 [2000] § 16 ABGB Rz 1 ff; Posch in
Schwimann/Kodek
, ABGB Praxiskommentar4 [2011] § 16 ABGB Rz 1 ff; Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention5 [2012] 225 ff). Fromm (Haben oder Sein [2001] 163) sieht etwa die Entfaltung der eigenen Persönlichkeit und der des Mitmenschen sogar als das höchste Ziel des menschlichen Lebens an. Der Persönlichkeitsschutz reicht auch in den dienstlichen Bereich hinein, sodass AN grundsätzlich ihre Kleidung und Accessoires selbst wählen können (Rauch, Sind Vorschriften des Arbeitgebers zu Bekleidung, Schmuck, Tätowierungen und Piercings zulässig?ASoK 2006, 327). Ein Konfliktpotential ist insb dann gegeben, wenn Persönlichkeitsrechte mit dienstlichen Interessen kollidieren. Unter Umständen sind auch Einschränkungen der Persönlichkeitsrechte gestattet. Der Persönlichkeitsschutz ist daher untrennbar mit Interessenabwägungen und Interessenbeschränkungen verbunden. Unter diesem Aspekt können auch höchstpersönliche Umstände, wie etwa Haartracht, Bekleidung und Tätowierungen, zu Arbeitsbedingungen werden, die teilweise arbeitsvertraglichen Vereinbarungen und Weisungen zugänglich sind (Löschnigg, Arbeitsrecht12 [2015] Rz 6/306).

Quintessenz dieser E ist, dass die Dimension der Persönlichkeitsrechte in Hinblick auf eine adäquate Bekleidung im dienstlichen Bereich eng mit gesellschaftlichen Anschauungen verknüpft ist. Der OGH geht dabei aber nicht von „festzementierten“ Vorstellungen aus, sondern gesteht diesen einen Wandel der Zeit zu. Verfehlt wäre es aber daraus zu schließen, dass der Persönlichkeitsschutz uferlos wäre.

2.
Weisungsrecht und Persönlichkeitsrechte
2.1.
Allgemeines

Allgemein formuliert konkretisiert das Weisungs- bzw Direktionsrecht des AG den Arbeitsvertrag hinsichtlich der Art der Arbeitsverrichtung. Es erfasst nicht nur die Leistung der Arbeit ieS, sondern auch arbeitsvertragliche Nebenpflichten. Dadurch werden uU gewisse Bereiche des Privatlebens der AN erfasst (Migsch, Einige Gedanken zum Weisungsrecht des Arbeitgebers, ZAS 1970, 83 [88]; siehe auch Wachter, Grenzen des Weisungsrechts in Bezug auf Art und Ort der Tätigkeit, DRdA 2001, 495). Dem Weisungsrecht des AG ist eine gewisse Dynamik immanent, sowohl was den Umfang als auch was den Inhalt des Weisungsrechts betrifft. Einen dynamischen Faktor in diesem Zusammenhang stellen die Persönlichkeitsrechte dar, die ihrerseits hinsichtlich ihrer Ausprägungen und hinsichtlich ihrer Ausstrahlungsintensität auf Einzelphänomene privater Rechtsgestaltung eine permanente Aufwertung erfahren und somit auch für das arbeitsrechtliche Direktionsrecht eine immer bedeutendere Determinante bilden. Geht es um eine angemessene Kleidung bei der Berufsausübung, ist der Umfang der Persönlichkeitsrechte – so der OGH – an den sich wandelnden „Vorstellungen der Gesellschaft“ zu messen.

2.2.
„Vorstellungen der Gesellschaft“

Sowohl in der OGH-E vom 11.2.1999 (8 ObA 195/98d = SZ 72/73 =

[Firlei]
) als auch in der gegenständlichen E rekurriert der OGH auf das Verständnis bzw die Vorstellungen der Gesellschaft in Hinblick auf eine adäquate Berufskleidung. Massiv vom Verständnis der Bevölkerung abweichende Bekleidungsstile eines AN könnten248 vom AG durch individuelle Arbeitsanweisungen untersagt werden, wenn zu erwarten wäre, dass der AN bei der Dienstausübung nicht ernst genommen wird oder ihm das erforderliche Vertrauen nicht entgegengebracht wird. Damit zeigt der OGH die Grenzen einer freien Persönlichkeitsentfaltung auf. In der zugrunde liegenden E geht der OGH einen Schritt weiter und räumt ein, dass diese Vorstellungen der Gesellschaft naturgemäß einem Wandel der Zeit unterliegen würden und selbst zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht in allen Bevölkerungsschichten gleich wären. Was versteht man aber unter den Vorstellungen der Gesellschaft? Wer ist diese Gesellschaft, deren Vorstellungen maßgeblich sein sollen? Wie werden diese Vorstellungen festgemacht? Anhand eines bestimmten Trends?

Schon der Begriff der Gesellschaft ist nicht unproblematisch. Nach einer einheitlichen Definition sucht man vergebens. Prägend für eine Gesellschaft sind vor allem politische, wirtschaftliche und soziale Neuerungen, aber auch neue Umweltbedingungen. Ein Blick in die soziologische Literatur zeigt schon die unterschiedlichen Ansätze. Schäfers (Gesellschaft, in

Schäfers
[Hrsg], Grundbegriffe der Soziologie4 [1995] 95 ff) differenziert zwischen sieben Verwendungsweisen des Gesellschaftsbegriffs. „Gesellschaft“ kann demnach als eine größere Gruppe in Form einer organisierten Zweckvereinigung verstanden werden. Als Gesellschaft kann aber auch eine Verbundenheit von Lebewesen, wie Menschen, Tiere und Pflanzen verstanden werden oder eine Vereinigung zur Befriedigung von gemeinsamen Bedürfnissen. Tönnies (Studien zu Gemeinschaft und Gesellschaft: Herausgegeben von
Klaus Lichtblau
[2012] 253) definiert Gesellschaft als bestimmte Form von sozialen Beziehungen, deren Charakteristikum in ihrer sachlichen, auf bestimmte Zwecke hin ausgerichteten Art besteht. Damit ergeben sich unterschiedliche Dimensionen des Gesellschaftsbegriffs, die teils weiter, teils enger gefasst sind. Fraglich ist, wie weit der vom OGH verwendete Gesellschaftsbegriff verstanden werden soll.

Zu weit wird wohl jenes Verständnis gehen, wonach die Verbundenheit von Lebewesen, nämlich von Menschen in ihrer Allgemeinheit, maßgeblich sein soll. Damit würden die Vorstellungen eines jeden einzelnen menschlichen Lebewesens von Bedeutung sein. Naheliegender ist es in diesem Zusammenhang, auf den von Tönnies entwickelten Gesellschaftsbegriff zu rekurrieren. Umgelegt auf den Dienstleistungssektor des öffentlichen Verkehrs werden unter den Gesellschaftsbegriff all jene subsumiert werden können, die diesen auch nutzen. Die Fahrgäste des öffentlichen Verkehrs kommen aus nahezu allen Bevölkerungsschichten, insofern wird der Gesellschaftsbegriff in diesem Bereich sehr umfassend und Abgrenzungen bzw Ausgrenzungen nur schwer möglich sein. Hier bildet sich die Gesellschaft somit aus den unterschiedlichsten Bevölkerungsschichten und die Vorstellungen können in den einzelnen Schichten in diverse Richtungen ausschlagen. Allgemein gültige Aussagen sind – so das Höchstgericht – kaum möglich. Im Ergebnis wird es aber auf die Vorstellungen der Mehrheit der Fahrgäste ankommen, die für die Beurteilung der Reichweite der Persönlichkeitsrechte eines AN maßgebend sein sollen.

Gesellschaftliche Anschauungen unterliegen aber – wie es der OGH richtigerweise festhält – durchaus Wandlungen, die Abweichungen zugunsten einer freieren Entfaltung der Persönlichkeit zulassen. Ein Blick in eine Bank zeigt beispielsweise, dass bei Männern nicht mehr der klassische Anzug mit Krawatte dominiert. Man(n) trägt vermehrt Stoffhosen kombiniert mit Hemd und Sakko oder Pullover. Auch Jeans sind nicht selten vorzufinden. Dieser Trend ist gerade bei jüngeren AN zu beobachten. Auch das Business-Outfit der Damenwelt unterliegt einem (stetigen) Wandel. Zu den klassischen Businessbekleidungen der Damen zählen zweifelsohne das Kostüm, bestehend aus Rock und dazu passendem Blazer, und der Hosenanzug. Dass diese längst nicht mehr vorherrschend sind, ist nicht zu übersehen. Solange das äußere Erscheinungsbild „angemessen“ ist, wird man hier wohl nur schwer Grenzen setzen können. Mit dieser Entwicklung hat der OGH schrittgehalten. Insofern ist der E im Ergebnis zuzustimmen.

Je eher ein Kleidungsstil den Vorstellungen der maßgebenden Gesellschaft entspricht, desto eingeschränkter wird auch das Weisungsrecht sein. Die Gefährdung betrieblicher Interessen, wie zB Vertrauensverlust, rückt in den Hintergrund.

Unter diesen Gesichtspunkten kann auch die Frage beurteilt werden, ob zB ein Anwalt seinem Konzipienten die Weisung erteilen kann, in Ausübung seiner Tätigkeit keine kurzen Hosen zu tragen. Eine derartige, in die Persönlichkeitsrechte des AN eingreifende Weisung wird wohl gerechtfertigt sein, da ein Wandel der Vorstellungen der Gesellschaft hier (noch) nicht zu verzeichnen ist (vgl hiezu auch schon Peschek, Sind Miniröcke und kurze Hosen ein arbeitsrechtliches Problem?RdW 1992, 343).

2.3.
Diskriminierungsverbote: Grenzmarke gesellschaftlicher Anschauungen

Die Farbe „Rosa“, die offenkundig Ausgangspunkt dieses Rechtsstreites war, wird von der Gesellschaft seit den 1920-iger Jahren als typische Mädchenfarbe deklariert. Bis zu diesem Zeitpunkt wurden Mädchen bevorzugt blau angezogen, da es sich um die Farbe der Jungfrau Maria handelte. Rosa war hingegen die typische Jungenfarbe und wurde auch als das „kleine Rot“ bezeichnet. Rot stand für die Farbe des Blutes und damit des Krieges (Kapeller, Mädchen rosa, Buben blau http://derstandard.at/1304553349208/Kleinkinder-Maedchen-rosa-Buben-blau [Stand 2.6.2011]). Die geschlechtergebundene Farbgebung ist daher ein Stempel der heutigen Gesellschaft, da Rosa für Mädchen und Blau für Jungen als besonders „niedlich“ angesehen wird. Naheliegend wäre es in diesem Zusammenhang zu argumentieren, dass es mit den gesellschaftlichen Anschauungen nicht im Einklang stehen würde, wenn ein Mann – so wie im konkreten Fall – ein rosafarbiges Haarband trägt. Die kl AG bringt im gegenständlichen Fall vor, dass es auch Kraftfahrerinnen genehmigt werde, ein unauffälliges und dezentes Haarband zu tragen. Was die249 AG für weibliche AN als unauffällig und dezent bezeichnet, wird nicht dargelegt. Als sehr unwahrscheinlich gilt aber, dass die AG einer AN, welche ein rosafarbenes Haarband trägt, die Weisung erteilen würde, dieses abzunehmen, da es zu auffällig wäre. Insofern ist diese Weisung auch aus gleichheitsrechtlicher Sicht bedenklich. Durch den weit auszulegenden Auffangtatbestand des § 3 Z 6 GlBG ist eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts bei den sonstigen Arbeitsbedingungen untersagt (vgl statt aller Hopf/Mayr/Eichinger, GlBG [2009] § 3 Rz 132 mwN). Der Begriff der Arbeitsbedingungen wurde weder durch die Gleichbehandlungs-RL 2006/54/EG bzw durch eine der vorhergehenden RL, noch durch das GlBG definiert. ISd Rsp des EuGH sind von diesem Begriff aber nicht nur Bedingungen erfasst, die im Arbeitsvertrag enthalten sind oder vom AG im Rahmen des Beschäftigungsverhältnisses angewendet werden, sondern auch Situationen, die unmittelbar auf dem Arbeitsvertrag beruhen (EuGH 13.7.1995, C-116/94, Meyers, Slg 1995, I-2131, Rn 24). Im Ausschussbericht zur Novelle des GlBG 1979, BGBl 1990/410, werden ausdrücklich auch Weisungen genannt, die zu einer Diskriminierung bei den sonstigen Arbeitsbedingungen führen können (AB 1411 BlgNR 17. GP 2). Eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts kann beispielsweise dann vorliegen, wenn sich die Weisung auf die Bekleidungsvorschriften bezieht, zB strengere Bekleidungsvorschriften für Frauen als für Männer gelten (Hopf/Mayr/Eichinger, GlBG § 3 Rz 133). Diskriminierend ist eine Weisung aber auch dann, wenn zwar das Tragen eines bestimmten Accessoires beiden Geschlechtern erlaubt wird, eine bestimmte Farbe dieses Accessoires aber nur Frauen erlaubt ist. Die kl AG sieht ihre Interessen letztlich nur durch die Farbauswahl des Haarbandes ihres männlichen AN beeinträchtigt. Im Ergebnis handelt es sich daher – ungeachtet des Eingriffs in das Persönlichkeitsrecht des AN – um eine geschlechtsdiskriminierende Einzelweisung iSd § 3 Z 6 GlBG, da aufgrund der gesellschaftlich geprägten geschlechtergebundenen Farbgebung davon auszugehen ist, dass eine derartige Weisung wohl nur gegenüber männlichen, nicht aber gegenüber weiblichen AN ausgesprochen wird.

3.
Institutioneninterpretation versus Beweisfindung

Das materielle Ergebnis ist überzeugend und in sich schlüssig. Formal-methodisch kommt man bei dieser Fragestellung aber zu schwierigen Fragen des Verhältnisses von Interpretation und Beweisfindung. Wenn das Höchstgericht vom Begriff geänderter Wertvorstellungen ausgeht, dann ist zu hinterfragen, wie es zu diesem Ergebnis kommt. Genügt die individuelle Anschauung des Richtersenats oder bedürfte es nicht eines sozial-wissenschaftlichen Sachverständigenbeweises?