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Rechtslücke bei der Bemessung des Wochengeldes nach einkommensabhängigem Kinderbetreuungsgeld

MARTINATHOMASBERGER (WIEN)
  1. In der Regelung in § 162 Abs 3 Satz 4 ASVG liegt eine planwidrige Gesetzeslücke vor.

  2. Die planwidrige Gesetzeslücke ist dadurch zu schließen, dass die Bestimmung in § 162 Abs 3 Satz 4 ASVG, in der die Bemessung für das Wochengeld nach dem Bezug von Kinderbetreuungsgeld geregelt ist, so verstanden wird, dass sie nicht nur auf § 163 Abs 3a Z 2 ASVG (Bemessung des Wochengeldes nach Bezug von pauschalem Kinderbetreuungsgeld auf der Basis des Grundbetrages von € 14,53 gem § 3 Abs 1 KBGG zuzüglich 80 %) verweist, sondern auch auf § 162 Abs 3a Z 3 (Bemessung des Wochengeldes nach dem Bezug von einkommensabhängigem Kinderbetreuungsgeld auf Basis des jeweiligen Tagsatzes zuzüglich 25 %).

[...]

2. Im Zusammenhang mit der Erlassung des Kinderbetreuungsgeldgesetzes (KBGG) (BGBl I 2001/103) wurde auch der den Wochengeldanspruch regelnde § 162 ASVG partiell geändert. Insb wurde § 162 Abs 3a Z 2 eingefügt, wonach den Bezieherinnen von Kinderbetreuungsgeld Wochengeld in der Höhe des um 80 % erhöhten Kinderbetreuungsgeldes gebührt. [...].

3. Mit dem BG BGBl I 2007/76 wurden in den §§ 5a-5c KBGG drei Kurzleistungen („20+4“, „15+3“, 12+2“) eingeführt. In diesem Zusammenhang wurde in § 162 Abs 3a ASVG der Z 2 der folgende Satz angefügt: „Berechnungsgrundlage ist der in § 3 Abs 1 KBGG genannte Betrag“. Die Bezugnahme bloß auf den Tagessatz von 14,53 € bei allen (damals) vier Kinderbetreuungsgeldvarianten wird in den Gesetzesmaterialien (ErläutRV 229 BlgNR 23. GP 8) damit erklärt, dass „zur Gleichbehandlung aller Mütter die Höhe des aus einem KBG-Bezug resultierenden Wochengeldes unabhängig von der zuvor gewählten Leistungsart stets auf Basis des § 3 Abs 1 KBGG berechnet wird“.

4. Schließlich wurden mit dem BG BGBl I 2009/116 die damals vier Kinderbetreuungsgeldvarianten zur Gruppe „Pauschales Kinderbetreuungsgeld“ zusammen gefasst; daneben wurde in Abschnitt 5 des KBGG (§§ 24-24d) eine neue „12+2“ Variante, nämlich das „Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens“ eingeführt. [...]

4.2. Mit der Novelle wurde auch § 162 Abs 3a ASVG in Form einer Differenzierung zwischen der Pauschalvariante (Z 2) und der einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeldvariante (Z 3) adaptiert. Bei den Pauschalvarianten blieb es bei der Maßgeblichkeit des in § 3 Abs 1 KBGG genannten Betrages von 14,53 €; für die einkommensabhängige Variante wurde vorgesehen, dass Wochengeld „in der Höhe des jeweiligen um 25 % erhöhten Kinderbetreuungsgeldes als Ersatz des Erwerbseinkommen“ gebührt. Nicht geändert wurde § 162 Abs 3 ASVG. [...]

5. An erster Stelle ist das Zusammenspiel zwischen § 162 Abs 3 Satz 4 und Abs 3a ASVG für den Fall zu klären, dass eine Frau nicht unmittelbar aus dem Kinderbetreuungsgeldbezug in den Wochengeldbezug wechselt. Für diesen stellt sich die Frage, ob der Bezug von Leistungen nach dem KBGG im Beobachtungszeitraum als Arbeitsverdienst gelten soll.

Der eindeutige Wortlaut des § 162 Abs 3 Satz 4 ASVG stellt ganz generell auf die Heranziehung des im Beobachtungszeitraum bezogenen Kinderbetreuungsgeldes ab [...]. Für diese Einbeziehung des im Beobachtungszeitraum bezogenen Kinderbetreuungsgeldes spricht auch die Gesetzgebungsgeschichte. [...]

5.4. In der Literatur weist Drs (in SV-Komm [Stand 31.12.2012] § 162 Rz 53) darauf hin, dass zwar unter „Arbeitsverdienst“ iSd § 162 Abs 3 ASVG grundsätzlich keine Geldleistungen nach dem KBGG zu verstehen sind (ebenso Teschner/Widlar/Pöltner, ASVG [119. ErgLfg], 877 f [§ 162 Anm 6] zu Geldleistungen nach dem ASVG), dass jedoch § 162 Abs 3 Satz 4 für diese Zeiten eine Sonderregelung vorsieht: Fallen in den Beobachtungszeitraum auch Zeiten des Bezugs einer Leistung nach dem KBGG, so gilt als Arbeitsverdienst jenes Wochengeld, das aufgrund des § 162 Abs 3a ASVG im Fall des Eintritts des Versicherungsfalls der Mutterschaft während des Leistungsbezugs gebührt hätte.

5.5. Aus dem Gesetzeswortlaut und der dargestellten Entwicklung der Gesetzeslage unter Bedachtnahme auf die Intentionen des Gesetzgebers ist daher der Schluss zu ziehen, dass § 162 Abs 3 Satz 4 ASVG generell das im Beobachtungszeitraum bezogene Kinderbetreuungsgeld in die Wochengeldberechnung einbezieht (zu beachten ist allerdings der in § 162 Abs 5 Z 3 normierte Ausschluss von „Nur-Kinderbetreuungsgeld-Bezieherinnen“ nach § 8 Abs 1 Z 1 lit f ASVG).

6. Damit stellt sich die weitere, das Verfahren vor den Vorinstanzen dominierende Frage, ob das354 Fehlen des auf § 162 Abs 3a Z 3 ASVG gerichteten Verweises in § 162 Abs 3 Satz 4 ASVG zur Folge hat, dass auch bei Bezieherinnen eines einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeldes als Berechnungsgrundlage nur das um 80 % erhöhte pauschale Kinderbetreuungsgeld bei der längsten Bezugsvariante – dh mit der betraglich geringsten Höhe – heranzuziehen ist.

6.1. Drs (in SV-Komm [Stand 31.12.2012] § 162 Rz 53) folgt dem Gesetzeswortlaut: § 162 Abs 3 Satz 4 ASVG verweise nur auf § 162 Abs 3a Z 2, nicht aber auch auf Z 3.

6.2. Diese Ansicht hat zur Folge, dass hinsichtlich der Höhe des Wochengeldes danach zu differenzieren ist, ob der neuerliche Versicherungsfall spätestens am letzten Bezugstag des Kinderbetreuungsgeldes eintritt: Ist das der Fall, kommt die Sonderregel des § 162 Abs 3a ASVG zum Tragen: Das Gesetz unterscheidet dann danach, ob eine schwangere Frau pauschales Kinderbetreuungsgeld (Z 2) oder einkommensabhängiges Kinderbetreuungsgeld (Z 3) bezogen hat. Im erstgenannten Fall ist Berechnungsgrundlage – unabhängig von der gewählten Pauschalvariante – der in § 3 Abs 1 genannte Betrag [...]. Bezieherinnen von einkommensabhängigem Kinderbetreuungsgeld gebührt das Wochengeld dagegen in Höhe des jeweiligen um 25 % erhöhten Kinderbetreuungsgeldes.

6.3. Gerade eine solche Unterscheidung zwischen Frauen, die beim Eintritt des Versicherungsfalles noch im Kinderbetreuungsgeldbezug stehen, und solchen, bei denen dies nicht mehr der Fall ist, wird vom Gesetzgeber in den Gesetzesmaterialien zum SRÄG 2005, BGBl I 2005/71, aber abgelehnt, weswegen in § 162 Abs 3 Satz 4 ASVG der Verweis auf § 162 Abs 3a Z 2 ASVG eingefügt wurde [...].

6.4. Bei der Einführung der (pauschalen) Kurzvarianten des Kinderbetreuuungsgeldes mit dem BG BGBl I 2007/76 hat der Gesetzgeber in § 162 Abs 3a bewusst keine Unterscheidung nach den einzelnen Varianten vorgenommen [...]. Angesichts der mit Einführung des einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeldes dann doch durchgeführten Differenzierung in § 162 Abs 3a ASVG (zwischen der Z 2 einerseits und der Z 3 andererseits) wäre aber zu erwarten gewesen, dass der Gesetzgeber – auch in Fortführung des dem SRÄG 2005 zugrunde liegenden Gedankens – die bewusst getroffene Unterscheidung zwischen den Pauschalvarianten [...] einerseits und der einkommenabhängigen Variante andererseits nicht nur in § 162 Abs 3a ASVG, sondern auch in § 162 Abs 3 Satz 4 ASVG umsetzt: Es ist kein Grund erkennbar, dass eine Frau, die bei Eintritt des Versicherungsfalls im aktuellen Bezug einer Leistung nach dem ASVG steht, in Bezug auf den Wochengeldanspruch bewusst verschieden behandelt wird, je nachdem, ob das Kinderbetreuungsgeld in Form einer Pauschalvariante oder in Form von einkommensabhängigem Kinderbetreuungsgeld bezogen wird, während nach dem Gesetzeswortlaut dann, wenn der in den Beobachtungszeitraum fallende Kinderbetreuungsgeldbezug vor dem Eintritt des (neuen) Versicherungsfalls infolge Aufnahme einer Erwerbstätigkeit geendet hat, der Bezug der Leistung nach dem KBGG undifferenziert berücksichtigt würde.

Der Gesetzgeber hat zwar mit dem BG BGBl I 2009/116 eine Anpassung des Abs 3a des § 162 ASVG vorgenommen, aber offensichtlich auf die entsprechende Adaptierung des Abs 3a des § 162 ASVG vergessen, worauf auch hindeutet, dass er trotz erkennbarer Klärungsbedürftigkeit in den Gesetzesmaterialien keinen Grund angibt, warum die in Abs 3a einerseits und in Abs 3 Satz 4 andererseits genannten Fälle unterschiedlich zu behandeln seien. Würden die Gesetzesmaterialien zum BGBl 2009/116BGBl 2009/116 (ErläutRV 340 BlgNR 24. GP 21 f) so verstanden, dass sie beim einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeld diejenigen Frauen bevorzugen wollten, die im Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls noch im Leistungsbezug stehen, würden sie sich im Widerspruch zu den nachvollziehbaren Intentionen setzen, die der Novellierung des § 162 Abs 3 Satz 4 mit dem SRÄG 2005 zugrunde gelegt wurden. [...]

Schließlich legt gerade der aus § 162 Abs 3a Z 3 ASVG hervorleuchtende Zweck, im Fall des vorherigen Bezugs von einkommensabhängigem Kinderbetreuungsgeld auch ein (indirekt) einkommensabhängiges Wochengeld zu gewähren, eine Gleichbehandlung der Fälle nahe.

Nach zutreffender Rechtsansicht der Kl bringt die Regelung des § 162 Abs 3 Satz ASVG [...] ganz allgemein den Grundsatz zum Ausdruck, dass für Zeiten des Bezugs einer Leistung nach dem KBGG jenes Wochengeld gebühren soll, welches gebührt hätte, wenn der Versicherungsfall der Mutterschaft bereits während des Leistungsbezugs des Kinderbetreuungsgeldes eingetreten wäre. [...]

Entgegen der Ansicht der Vorinstanzen ist eine planwidrige Gesetzeslücke zu bejahen, die dadurch zu schließen ist, dass in § 162 Abs 3 Satz 4 auch ein Verweis auf Abs 3a Z 3 hineinzulesen ist. [...]

ANMERKUNG
1.
Das Verfahren und seine Grundlagen

Das KBGG und seine Vollziehung sind seit der Einführung der neuen Familienleistung Kinderbetreuungsgeld im Jahr 2002 juristische Baustellen. Das Gesetz wurde seit seiner Erlassung 16-mal novelliert (wenn man die kommende große Änderung der Leistungssystematik weg von den Pauschalvarianten und hin zum Kinderbetreuungsgeldkonto vorerst außer Acht lässt), mit zum Teil wesentlichen Änderungen: Einführung neuer Pauschalvarianten, Einführung des einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeldes, Abschaffung des Zuschusses und Umänderung in die Beihilfe zum Kinderbetreuungsgeld, um nur die wichtigsten Punkte anzuführen.

Das Kinderbetreuungsgeld ist zwar keine Leistung aus der SV, weist aber enge systematische Verbindungen zur SV auf. Da ähnliche Leistungen vorliegen und „Übergenüsse“ verhindert werden sollen, ordnet § 6 Abs 1 KBGG das Ruhen des Kinderbetreuungsgeldes für die Dauer und bis zur Höhe des355 Wochengeldes an. Bezieher/innen des Kinderbetreuungsgeldes sind für die Dauer des Bezugs gem § 8 Abs 1 Z 1 lit f ASVG und § 28 KBGG in der gesetzlichen KV versichert. Daraus leitet sich zwar kein Krankengeld ab (Bezieher/innen des Kinderbetreuungsgeldes sind nach § 138 Abs 2 lit g ASVG vom Anspruch auf Krankengeld ausgeschlossen), aber der Anspruch auf alle Sachleistungen der KV und – was im vorliegenden Fall zur Anwendung kam – gem § 162 ASVG auf das Wochengeld. Der Eintritt des Versicherungsfalles (§ 120 Z 3 ASVG) und die Dauer des Wochengeldbezugs (§ 162 Abs 2 ASVG) richten sich in diesen Fällen nach denselben gesetzlichen Regeln, die auch für andere in der KV Teil- oder Pflichtversicherte gelten. Allerdings sind Frauen, die vor dem ersten Kinderbetreuungsgeldbezug keinen Anspruch auf Wochengeld hatten, gem § 162 Abs 5 Z 3 ASVG vom Wochengeldanspruch ausgeschlossen. Aus § 28 Abs 1 Z 1 KBGG ergibt sich, dass die Regelungen über Betriebshilfe/Wochengeld in § 102a GSVG und in § 98 BSVG auch für Bezieher/innen von Kinderbetreuungsgeld anzuwenden sind.

Aus der kurzen Skizzierung der wichtigsten systematischen Verbindungen zwischen KBGG und dem Anspruch auf Wochengeld (bzw Betriebshilfe) ist klar ersichtlich, dass Änderungen in der Leistungssystematik des KBGG praktisch immer auch zu Anpassungen in den Bestimmungen über das Wochengeld führen müssen.

Der OGH hatte im vorliegenden Fall zu beurteilen, ob dem Gesetzgeber in der KBGG-Novelle 2009 (BGBl I 2009/116) bei der Einführung des einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeldes ein Fehler unterlaufen ist, der zu einer Gesetzeslücke geführt hat, weil er in § 162 Abs 3 Satz 4 ASVG nur den Verweis auf § 162 Abs 3a Z 2 und damit auf die Bemessung des Wochengeldes auf der Basis des Kinderbetreuungsgeld-Grundbetrags iSd § 3 Abs 1 KBGG aufgenommen hat und nicht auch auf das einkommensabhängige Kinderbetreuungsgeld, das in § 162 Abs 3a Z 3 angeführt wird.

Die Krankenversicherungsträger einigten sich auf eine strenge Auslegung: In Fällen, in denen sich das Wochengeld nicht unmittelbar aus der KV während des Bezugs von einkommensabhängigem Kinderbetreuungsgeld ableiten ließ (wo also der Beginn der Wochenschutzfrist in den Bezug der Leistung fiel), wurde der Verweis in § 162 Abs 3 Satz 4 streng ausgelegt und das Wochengeld nur auf der Basis des Verweises auf Abs 3a Z 2 und damit nach dem um 80 % erhöhten Grundbetrag des Kinderbetreuungsgeldes bemessen. Dies wurde auch in Fällen angewendet, in denen die betroffenen Frauen unmittelbar nach dem Bezug des einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeldes ihre Erwerbstätigkeit wieder aufgenommen hatten und in denen der Versicherungsfall der Mutterschaft so eintrat, dass ein Teil des einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeldes noch in den Bemessungszeitraum gem Abs 3 erster Satz fiel. Die Differenz zwischen den Tagsätzen gem § 162 Abs 3a Z 2 (Grundbetrag des Kinderbetreuungsgeldes gem § 3 Abs 1 KBGG plus 80 %, das ergibt € 26,15) und Abs 3a Z 3 (maximal € 82,50, dies entspricht dem um 25 % erhöhten höchsten Tagsatz des einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeldes von € 66,– gem § 24 Abs 2 KBGG) ist erheblich und führte zu vermehrten Nachfragen der betroffenen Frauen, die schließlich in arbeits- und sozialgerichtliche Verfahren mündeten. Der Sachverhalt im vorliegenden Verfahren ist typisch für die Fälle, die sich aus der Frage ergaben, wie der Verweis in § 162 Abs 3 Satz 4 ASVG tatsächlich auszulegen ist.

2.
Methodik

Das Vorliegen einer echten Gesetzeslücke setzt auch im Verwaltungsrecht (der SV) voraus, dass der Wortlaut des Gesetzes trotz methodisch korrekter Auslegung nicht so verstanden werden kann, dass ein offensichtlicher, auf der dem Gesetz innewohnenden Teleologie beruhender Ergänzungsbedarf beseitigt wird. Die Feststellung einer Lücke und deren Schließung durch die Rsp ersetzt die fehlende klare Stellungnahme des Gesetzgebers und muss immer „methodisch umfassend und vorsichtig“ erfolgen (vgl Kodek in

Rummel/Lukas
, ABGB4 § 7 Rz 13 f). Der OGH greift zu diesem Zweck zunächst auf eine ausführliche Darstellung der Gesetzgebungsgeschichte und auf die jeweiligen Gesetzesmaterialien zurück. Daraus ergibt sich seine Bewertung des bis zur Novelle BGBl I 2009/116 vom Gesetzgeber bei der Bemessung von Wochengeld nach vorangegangenem Bezug von Karenz- bzw Kinderbetreuungsgeld bevorzugten Gesetzeszwecks. Es sei, so der OGH im vorliegenden Urteil, davon auszugehen, dass der Gesetzgeber in der Regelung des § 162 Abs 3 Satz 4 konsistent den Zweck verfolgte, solche Leistungsbezüge, soweit sie in den Bemessungszeitraum fallen, wie einen „Arbeitsverdienst“, also mit den tatsächlichen zugrunde liegenden Beträgen, zu berücksichtigen. Mit der Einführung des einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeldes erfolgte in § 162 Abs 3a Z 3 ASVG ja auch eine Anpassung der Bemessungsgrundlage für das Wochengeld. Es kann dem Gesetzgeber – vor allem bei richtiger Lektüre der Gesetzesmaterialien (ErläutRV 944 BlgNR 22. GP 6) – nicht unterstellt werden, dass er Frauen, die sich bewusst für das einkommensabhängige Kinderbetreuungsgeld entschieden haben, nur aufgrund der zeitlichen Lagerung des Versicherungsfalls der Mutterschaft auf das deutlich geringere Wochengeld gem § 162 Abs 3a Z 2 verweisen wollte. Der Gesetzgeber hat, so der OGH „offensichtlich auf die entsprechende Adaptierung des Abs 3 Satz 4 vergessen, worauf auch hindeutet, dass er trotz erkennbarer Klärungsbedürftigkeit in den Gesetzesmaterialien keinen Grund angibt, warum die in Abs 3a einerseits und Abs 3 Satz 4 andererseits genannten Fälle unterschiedlich zu behandeln seien“. Der klare Zweck, der sich auch aus dem systematischen Zusammenhalt von § 162 Abs 3 Satz 4 und Abs 3a ergibt, liegt in der Gewährung des Wochengeldes nach dem Bezug des Kinderbetreuungsgeldes auf der Bemessungsgrundlage, die anzuwenden gewesen wäre, wenn der Versicherungsfall der Mutterschaft bereits während der jeweils gewählten Leistungsart eingetreten wäre.356

Der OGH gibt mit seiner gründlichen und in jedem Schritt nachvollziehbaren Begründung jenen Praktiker/innen Recht, die die Beschwerden von betroffenen Frauen ernst genommen und die entsprechenden Verfahren eingeleitet haben.

3.
Anmerkungen für die Praxis

Die nur am Wortlaut von § 162 Abs 3 Satz 4 orientierte Rechtsanwendung der Krankenversicherungsträger hat sich durch das Urteil des OGH nachträglich als zu eng und daher falsch herausgestellt. Daher stellt sich nun die Frage, ob und wie lange betroffene Frauen von den zuständigen Trägern eine Korrektur ihres Wochengeldes verlangen können.

Die Klarstellung des OGH mit dem Entscheidungsdatum 22.2.2016, dass eine Gesetzeslücke vorlag, wirkt grundsätzlich zurück auf das Inkrafttreten der KBGG-Novelle BGBl I 2009/116 mit 1.1.2010 (§ 646 ASVG).

Das Urteil hat die geprüfte Gesetzesstelle nicht aufgehoben, wie es bei einer E des VfGH der Fall wäre, sondern nur die Auslegung klargestellt, daher geht die Autorin davon aus, dass Anträge auf rückwirkende Neubemessung des Wochengeldes auch für Sachverhalte gestellt werden können, die vor dem 22.2.2016 eingetreten sind bzw begonnen haben. Zu beachten ist dabei nur die zeitliche Beschränkung, die sich aus § 102 Abs 2 ASVG ergibt. Ansprüche auf Leistungen der KV können rückwirkend geltend gemacht werden, verfallen aber binnen zwei Jahren ab ihrem Entstehen. Liegt in Fällen, in denen das Wochengeld den Richtlinien der vorliegenden E entsprechend zu gering bemessen wurde, der Versicherungsfall der Mutterschaft iSd § 102 Z 3 ASVG nicht mehr als zwei Jahre zurück, muss den betroffenen Frauen dazu geraten werden, die entsprechenden Anträge an die zuständigen Krankenversicherungsträger zu stellen. Aus verfahrensrechtlicher Vorsicht sollten dabei schriftliche Anträge gestellt werden, die bereits den Antrag auf Bescheiderlassung enthalten.