Replik zu Reissner/Schneeberger, Anmerkung zu OGH9 ObA 23/15wDRdA 2016/2 (Alkoholkontrollen per Alkomat)

WOLFGANGWOLFGANG (SALZBURG)

Bekanntlich judizierte der OGH in der zitierten E, dass die Frage, ob die Menschenwürde durch eine Kontrollmaßnahme auch nur berührt wird, einer umfassenden Abwägung der wechselseitigen Interessen (von AG und AN) bedürfe. In ihrer Anmerkung betonen Reissner/Schneeberger, dass § 96 Abs 1 Z 3 ArbVG diese Interessenabwägung intendiere.

Eine Interessenabwägung kann mE dogmatisch richtigerweise aber nur bezüglich der (individualrechtlichen) Fragestellung stattfinden, ob Persönlichkeitsrechte des/der AN durch die Kontrollmaßnahme des/der AG in zulässiger oder unzulässiger Weise konkret beeinträchtigt werden (die Beeinträchtigung dieser absolut geschützten Rechtsgüter indiziert die Rechtswidrigkeit des Eingriffes, der aber durch überwiegende betriebliche Interessen im jeweiligen Einzelfall gerechtfertigt werden kann). Hier kommt es nämlich idR zu einem Grundrechtskonflikt mit Drittwirkungseffekten (mitsamt einer grundrechtlich verankerten Pflicht zur umfassenden Interessenabwägung, siehe OGH8 ObA 288/01pDRdA 2003/37 [Preiss] und OGH9 ObA 109/06dDRdA 2008/26 [Mosler]).

Auf der (kollektivrechtlichen) Ebene der Frage des „Berührens der Menschenwürde“ ist diese Fragestellung nach der Rechtfertigung einer konkreten Beeinträchtigung von Persönlichkeitsrechten und damit eine (grundrechtlich induzierte) Interessenabwägung als (ungeschriebenes) Tatbestandselement des „Berührens der Menschenwürde“ mE aber verfehlt. Es reicht dafür vielmehr die abstrakte Eignung einer Kontrollmaßnahme aus, Persönlichkeitsrechte zu beeinträchtigen (vgl Strasser in

Strasser/Jabornegg
, Arbeitsrecht II4 [2001] 396; idS auch Risak, Betriebliche Mitbestimmung bei der Mitarbeiterkontrolle, in
Brodil
[Hrsg], Datenschutz im Arbeitsrecht [2010] 49). Teleologisch handelt es sich sohin um eine niederschwelligere Prüfung (als die Prüfung der konkreten Beeinträchtigung von Persönlichkeitsrechten), um dem BR einen präventiven Schutz der Persönlichkeitssphäre potenziell betroffener AN zu ermöglichen, sodass der individualrechtliche Persönlichkeitsschutz eine – vorgelagerte – kollektivrechtliche Ergänzung erfährt (so auch Löschnigg, Arbeitsrecht12 [2015] Rz 11/106; idS auch Rebhahn, Mitarbeiterkontrolle am Arbeitsplatz [2009] 33).

Denkbar ist lediglich eine Verhältnismäßigkeitsprüfung dann, wenn man zur Bejahung des „Berührens der Menschenwürde“ nur auf Grund einer Abwägung (dh ohne eine Bezugnahme auf Persönlichkeitsrechte) gelangt, die kontrollrelevante Umstände iS einer Zweck-Mittel-Relation berücksichtigt, die aber eben nichts mit Persönlichkeitsrechten des/der AN (und einer entsprechenden Interessenabwägung) zu tun hat (zB die Kontrolldichte der Arbeitsleistung in Relation zu einem gerechtfertigten betrieblichen Kontrollzweck). Nur diesfalls könnte das Ergebnis dieser Verhältnismäßigkeitsprüfung (die von einer Interessenabwägung zu unterscheiden ist, da keine gegenläufigen Interessen abgewogen werden) zu einem Entfall des „Berührens der Menschenwürde“ führen (so auch Schindler, Anm zu OGH9 ObA 23/15wDRdA-infas 2015/147, 191).

Im gegebenen Zusammenhang des § 96 Abs 1 Z 3 ArbVG kann eine Interessenabwägung (zwischen den persönlichkeitsrechtlichen Interessen des/der AN einerseits und der betrieblichen Kontrollinteressen andererseits) sohin lediglich eine betriebssoziologische Fragestellung im Rahmen der Interessenvertretungsaufgabe des BR sein (nicht aber eine vom Gericht zu lösende Rechtsfrage, ob dieses Mitbestimmungsrecht überhaupt besteht). Selbst wenn der Einsatz einer Kontrollmaßnahme aus betrieblichen Gründen gerechtfertigt erscheint, soll der BR darauf drängen können, geeignete Rahmenbedingungen in einer entsprechenden BV zu verankern, die den (angemessenen) Schutz der Persönlichkeitsrechte sicherstellen sollen (so auch Felten/Preiss in

Gahleitner/Mosler
, ArbVR 35 [2015] Rz 59). Der/die AG kann die Kontrollmaßnahme natürlich so ausgestalten, dass nicht mehr der Tatbestand des § 96 Abs 1 Z 3 ArbVG, sondern nur mehr die erzwingbare Mitbestimmung des § 96a Abs 2 ArbVG zu tragen kommt (OGH8 ObA 288/01pDRdA 2003/37 [Preiss]).

Pointiert formuliert kann mE eine Verhältnismäßigkeitsprüfung sohin zwar zum Befund des Tatbestandsmerkmales des „Berührens der Menschenwürde“ führen, nicht aber zu dessen Wegfall, wenn dieses Tatbestandsmerkmal – auf persönlichkeitsrechtlicher Grundlage – grundsätzlich einmal befundet wurde.

Die Beispiele von Reissner/Schneeberger befassen sich expressis verbis nur mit „Beeinträchtigungen“ der Menschenwürde in Abhängigkeit von unterschiedlich objektivierten Betriebserfordernissen. Unbestritten werden diesbezüglich von Betrieb zu Betrieb unterschiedliche Kontrollmaßnahmen persönlichkeitsrechtlich (un)zulässig sein: Ein Nacktscanner mag am Flughafen (vor allem bei einer aktuellen Terrorwarnung) Persönlichkeitsrechte noch nicht verletzen, im Supermarkt wird diese Maßnahme hingegen jedenfalls unzulässig sein – sowohl in Bezug auf KundInnen als auch in Bezug auf MitarbeiterInnen (und selbst bei einer Häufung von vermuteten Diebstählen).

Über ein – Persönlichkeitsrechtsverletzungen vorgelagertes – bloßes „Berühren“ der Menschenwürde als Tatbestandsmerkmal einer prophylaktischen Begrenzung von abstrakt persönlichkeitsrelevanten Kontrollmaßnahmen des/der AG durch ein insofern vorgelagertes Mitbestimmungsrecht des362 BR ist damit aber noch nichts ausgesagt. Gerade im angeführten Beispiel der (uU persönlichkeitsrechtlich zulässigen) Sicherheitskontrolle am Flughafen (durch einen Nacktscanner) sollte der BR ja wohl sein Mitbestimmungsrecht hinsichtlich einer entsprechenden Untersuchung auch der MitarbeiterInnen (zB anlässlich ihres Arbeitsantrittes) ausüben dürfen.

In Bezug auf den entscheidungsgegenständlichen Alkomateneinsatz kommen auch Reissner/Schneeberger (von ihrer Argumentation her mE aber eigentlich inkonsequent) zum Ergebnis, ein „(BR-)konsensloser Einsatz“ von Alkomaten auch in konkreten, sachlich begründeten Verdachtsfällen bzw bei Eigen- und Fremdgefährdungspotenzial scheide aus. Selbst bei einer entsprechend starken Interessenlage des/der AG könne eine Alkomatenkontrolle niemals nicht einmal ein Berühren der Menschenwürde darstellen. Warum? Was wäre dann der Sinn einer Interessenabwägung zur Herleitung der Erfüllung dieses Tatbestandsmerkmales? Wenn weiter ausgeführt wird, die Schutzinteressen des/der AN seien in allen (Alkomaten-)Fällen so stark ausgeprägt, dass ein Überwiegen der Kontrollinteressen des/der AG nicht denkbar sei, wird vielmehr (diesfalls) das Vorliegen des „Berührens der Menschenwürde“ abstrakt, also ohne Bezugnahme auf konkrete betriebliche Interessen begründet (wie mE in allen Fällen einer abstrakten Persönlichkeitsrelevanz von Kontrollmaßnahmen vorzugehen ist). Diese Inkonsequenz ihrer Prämisse einer grundsätzlich vorzunehmenden Interessenabwägung vermögen Reissner/Schneeberger mE sohin nicht wirklich überzeugend aufzulösen.

Dem Resümee von Reissner/Schneeberger, das Mitentscheidungsrecht des BR ohne Rechtskontrolle sei im gegebenen (Alkomaten-)Zusammenhang passend, ist hingegen natürlich uneingeschränkt zuzustimmen.

Zusammenfassend liegt also immer dann, wenn die persönlichkeitsrechtlichen Interessen des/der AN das betriebliche Kontrollinteresse überwiegen – und damit nach dem OGH und Reissner/Schneeberger erst ein „Berühren der Menschenwürde“ vorläge –, bereits eine unzulässige Beeinträchtigung von Persönlichkeitsrechten vor. Folgerichtig müsste der BR seine Zustimmung zu einer derartigen Kontrollmaßnahme verweigern (möchte er nicht einer per se rechtswidrigen Maßnahme zustimmen) bzw wäre sein – erst auf dieser Ebene entstehendes – Mitbestimmungsrecht ein nudum ius. Das widerspricht aber klar dem Normzweck dieser notwendigen Mitbestimmung (so auch S. Mayer, Videoüberwachung auch ohne Zustimmung des Betriebsrates?wbl 2009, 217 [221 f]).

Richtigerweise ist daher die Durchführung einer Interessenabwägung zur Beantwortung der Frage, ob überhaupt eine Zustimmungspflicht des BR zu einer Kontrollmaßnahme gegeben ist, abzulehnen (grundlegend S. Mayer, wbl 2009, 221 ff; Rebhahn, Mitarbeiterkontrolle 34; Risak in

Brodil
[Hrsg], Datenschutz 49; Grünanger/Goricnik in
Grünanger/Goricnik
, Arbeitnehmer-Datenschutz und Mitarbeiterkontrolle [2014] 28; Felten/Preiss in
Gahleitner/Mosler
, ArbVR 35 Rz 55; idS bereits Firlei, ).