Duplik zu Goricniks Replik zu Reissner/Schneeberger, Anmerkung zu OGH9 ObA 23/15wDRdA 2016/2 (Alkoholkontrollen per Alkomat)

GERT-PETERREISSNER (INNSBRUCK)KARLSCHNEEBERGER (GRAZ)

Entgegen der hM (diese wird auch von Rebhahn, Mitarbeiterkontrolle am Arbeitsplatz [2009] 23 nicht bestritten) vertritt Goricnik den Standpunkt, dass eine Interessenabwägung (zwischen den betrieblichen Interessen und den Persönlichkeitsrechten des AN) im Rahmen des § 96 Abs 1 Z 3 ArbVG deshalb dogmatisch verfehlt sei, weil im Rahmen des „vorgelagerten“ kollektiven Schutzes eine abstrakte Eignung einer Kontrollmaßnahme, die Persönlichkeitsrechte zu beeinträchtigen, ausreichen würde, um die Tatbestandsvoraussetzungen zu erfüllen. Damit würde jede Kontrollmaßnahme im Betrieb, die Persönlichkeitsrechte in irgendeiner Weise tangiert (ohne inhaltliche Kontrolle), der Zustimmung des BR bedürfen. Ein Ergebnis, das bereits von Mayer (Videoüberwachung auch ohne Zustimmung des Betriebsrates?wbl 2009, 217 [224]) konstatiert wurde, wenngleich sie dieses weitreichende Vetorecht des BR als „rechtspolitisch möglicherweise nicht wünschenswert“ einstuft. Gleichzeitig erhob sie die Forderung, diesen Regelungstatbestand der erzwingbaren Mitbestimmung zu unterwerfen und das Kriterium „Berühren der Menschenwürde“ zu streichen.

Auf diese Weise wird dem Gesetzgeber eine Regelung unterstellt, die mit dem ausgewogenen System der Mitwirkungsrechte des BR kaum zu vereinbaren ist. Warum der Gesetzgeber gerade bei besonders stark ausgeprägten Mitwirkungsrechten (Vetorecht) jegliche Rücksichtnahme auf betriebliche Notwendigkeiten ausschließen sollte (so aber Mayer, wbl 2009, 221), ist uE nicht zu sehen; im Übrigen wäre eine derartige Vorgangsweise mit der Grundsatzbestimmung des § 39 Abs 1 ArbVG (vgl dazu Gahleitner in

Gahleitner/Mosler
[Hrsg], Arbeitsverfassungsrecht II5 [2015] § 39 Rz 1) schwer in Einklang zu bringen. Auch in anderen wesentlichen Bestimmungen der Betriebsverfassung (zB § 115 Abs 4 ArbVG) wird ohne konkrete gesetzliche Anordnung von einer Interessenabwägung (vgl dazu Schneller in
Gahleitner/Mosler
, ArbVG III5 § 115 Rz 52 mwN) ausgegangen.

Dieser kategorische Ausschluss einer Interessenabwägung (gestützt auf die Grundrechtsjudikatur, die eben nicht bei der Frage des Eingriffes, sondern nur bei der Frage der Zulässigkeit eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vornimmt [so Mayer, wbl 2009, 222]) ist auch deshalb nicht überzeugend, weil363 selbst auf Basis dieser Doktrin bei der Kontrolle der Arbeitserbringung jedenfalls eine Verhältnismäßigkeitsprüfung im Rahmen der Zweck-Mittel-Relation (uE nichts anderes als eine Interessenabwägung) zugrunde gelegt wird. Insb ist die Auffassung, dass die Kontrolle der Erfüllung der Arbeitspflicht nichts mit Persönlichkeitsrechten (Privatsphäre) zu tun habe (so aber Goricnik in der gegenständlichen Replik), nicht nachvollziehbar. Bereits Löschnigg (Datenermittlung im Arbeitsverhältnis [2009] 241) hat zutreffend darauf hingewiesen, „dass die Art und Weise, wie jemand seine Dienstpflichten erfüllt, eng mit seiner Persönlichkeit verbunden ist, sodass eine strikte begriffliche Trennung der beiden Bereiche in Frage gestellt werden muss“ (idS wohl auch Rebhahn, Mitarbeiterkontrolle 33). Davon abgesehen: Im gegebenen Zusammenhang ist § 96 Abs 1 Z 3 ArbVG zu interpretieren, dabei wird der Begriff „Menschenwürde“ seit jeher mit Hilfe von Generalklauseln des Zivilrechts (insb § 16 ABGB) und verfassungsrechtlich verankerten Grundrechten gewonnen. Es ist uE unzutreffend und nicht passend, in diesem Zusammenhang die Grundrechtsprüfung bzw deren Strukturen unmittelbar in die Auslegung des § 96 Abs 1 Z 3 ArbVG hineinzuverarbeiten!

Wenn Goricnik von einer Verhältnismäßigkeitsprüfung spricht, weil „keine gegenläufigen Interessen abgewogen werden“, würde dies bedeuten, dass bei dieser Zweck-Mittel-Relation ausschließlich Kostenkriterien, Ablaufhemmnisse, Qualitätsprobleme, Beeinträchtigungen der Motivation der AN ua gegenübergestellt werden. Wenn jedoch betriebliche Maßnahmen überhaupt nichts mit Persönlichkeitsrechten zu tun haben, warum sollte dann ein auffallendes Missverhältnis zwischen „Aufwand und Ertrag“ zu einem Berühren der Menschenwürde führen? UE impliziert auch diese Überlegung letztlich eine Interessenabwägung.

Goricnik ist uneingeschränkt zuzustimmen, dass auf der individualrechtlichen Ebene „in Abhängigkeit von unterschiedlich objektivierten Betriebserfordernissen (...) unterschiedliche Kontrollmaßnahmen persönlichkeitsrechtlich“ zulässig bzw unzulässig sein werden. Bei der hier zu diskutierenden Frage, ob bei Alkoholverdacht eine Alkomatenkontrolle ohne „vorgelagerte“ Zustimmung des BR zulässig ist, ergibt sich auch bei der von uns vertretenen Interessenabwägung (ebenso jüngst Achitz/Fritsch/Haslinger/Müller, Leitfaden Betriebsvereinbarungen2 [2016] 67 f) ein eindeutiges Ergebnis. Diese Frage ist unter Berücksichtigung der sonstigen Möglichkeiten des AG, insb Untersagung der Arbeitsleistung und (faktische) Einstellung der Entgeltfortzahlung einschließlich des Angebotes zum „freiwilligen“ Gegenbeweis, zu beurteilen.

Diese Beurteilung ergibt, dass aufgrund der angesprochenen Handlungsmöglichkeiten des AG zur Gewährleistung eines (möglichst) sicheren Bahnverkehrs einerseits und der hohen Eingriffsintensität in die körperliche Integrität bei der Messung des Blutalkoholspiegels andererseits (vgl dazu Firlei, Alkohol am Arbeitsplatz, ZAS 2009, 211 [220]) im konkreten Fall ein Berühren der Menschenwürde gem § 96 Abs 1 Z 3 ArbVG vorliegt und diese Maßnahme zulässigerweise daher nur dann erfolgen kann, wenn neben der erforderlichen BV auch die einzelnen AN im Anlassfall zustimmen.

Und weiter: Wir haben ausgeführt, dass bei weniger starker (kollektiver) Interessenlage der AG-Seite im Falle einer Alkomatenkontrolle ein Verletzen der Menschenwürde vorliegen kann, womit die Maßnahme von vornherein unzulässig ist, und dass uE keine Situation im Arbeitsleben denkbar ist, in der eine Belegschaft(sgruppe) bei Alkomatenkontrollen in ihrer Menschenwürde nicht zumindest berührt wird. Zum Unterschreiten der Erheblichkeitsschwelle „Berühren“ wird es vielmehr bei anderen Kontrollmaßnahmen kommen können, man denke etwa an die Konstellationen im Bereich der Arbeitszeiterfassung (vgl zB Reissner in

Reissner/Neumayr
[Hrsg], Zeller Handbuch Betriebsvereinbarungen [2014] Rz 7.14 ff).

Bereits Rebhahn (Mitarbeiterkontrolle 39) hat darauf hingewiesen, dass in der Literatur (vgl Brodil, Die Kontrolle der Nutzung neuer Medien im Arbeitsverhältnis, ZAS 2004, 156) in unzutreffender Weise „Kontrollmaßnahmen häufig (...) schon dann als gerechtfertigt angesehen (werden), wenn sie arbeitsvertragsbezogen sind“. Zu Recht wird darauf hingewiesen, dass der Wunsch nach Kontrolle ebenso wenig ein Rechtfertigungsgrund sein kann wie die relative Kostengünstigkeit und Einfachheit der Kontrollmaßnahme.

Der sogenannte „Toleranzrahmen“ für den noch erlaubten Persönlichkeitseingriff ist, wie Binder (in

Tomandl
, Arbeitsverfassungsgesetz [Loseblatt-Slg] § 96 Rz 59) richtig ausführt, „anhand einer Reihe von Fragestellungen und Abwägungen einzugrenzen“. Es soll dadurch verhindert werden, dass die freie Entfaltung der Persönlichkeit des AN „übermäßigen Eingriffen ausgesetzt ist“. Lehnt man hingegen diese Interessenabwägung ab, besteht natürlich die Möglichkeit, das Berühren der Menschenwürde „hochschwellig anzusetzen“ (Grünanger/Goricnik, Allgemeines, in
Grünanger/Goricnik
[Hrsg], Arbeitnehmer-Datenschutz und Mitarbeiterkontrolle [2014] 28 mwN). Dies führt jedoch dazu, dass die Menschenwürde auch dort als beeinträchtigt angesehen wird, wo es aufgrund der typischen Rahmenbedingungen für die Erfüllung der arbeitsvertraglichen Verpflichtungen nicht erforderlich wäre. Ein ebenso wenig befriedigendes Ergebnis wie die These, dass die Zustimmungsverweigerung des BR bei „offensichtlich angebrachten und notwendigen Maßnahmen“ als „missbräuchliche Verweigerung“ gewertet und von einem „Kontrahierungszwang“ ausgegangen wird (so aber Baier, Ermittlung gesundheitsbezogener Daten durch den Arbeitgeber [2011] 86).364