Rummel/Lukas (Hrsg)ABGB – Kommentar, Teilband §§ 859-916 (Vertragsrecht)

4. Auflage, Manz Verlag, Wien 2014 XLIII, 631 Seiten (bearbeitet von Rummel, Krejci, Dullinger, Gamerith/Wendehorst und Reischauer), beide Teilbände gesamt: € 194,–

ROBERTREBHAHN (WIEN)

Der wohlbekannte, große Rummel-Kommentar zum ABGB erscheint in der vierten Auflage in Teilbänden, was die Publikation erleichtert, und ist überdies online verfügbar. Gemeinsam mit Rummel ist nun dessen Schüler Lukas Herausgeber. Der anzuzeigende Teilband umfasst die wesentlichen Bestimmungen zum Vertragsrecht. Die Bearbeiter sind weitgehend dieselben wie in der dritten Auflage; die Kommentierung der §§ 888 ff durch Gamerith wird von Wendehorst fortgeführt.

Aus Sicht des Arbeitsrechts sind primär die Bestimmungen zu Vertragsschluss und Rechtsgeschäftslehre (§§ 859-878, 901, 914 f) sowie zu § 879 von Interesse. Die Kommentierung der Rechtsgeschäftslehre durch Rummel erörtert alle Fragen dazu auf bekannt hohem Niveau. Vom Arbeitsrecht aus von besonderem Interesse sind die Ausführungen zu schlüssigen Willenserklärungen sowie zur Auslegung. Zur Vertragsauslegung plädiert Rummel treffend für eine Abschichtung in einfache und ergänzende Auslegung und warnt zur einfachen Auslegung, „besondere Auslegungsregeln für besondere Rechtsgeschäfte“ zu formulieren/erfinden (§ 914 Rz 16). Zur ergänzenden Auslegung vertritt Rummel (§ 914 Rz 36), dass eine Berufung eines Urteils auf die Übung des redlichen Verkehrs entsprechende Tatsachenfeststellungen verlange (soweit die Übung nicht gerichtsnotorisch ist). Zu schlüssigen Erklärungen plädiert Rummel gegen ein „großzügiges“ Absenken der Anforderungen speziell im Arbeitsrecht und sieht in der neueren Judikatur weniger Sonderentwicklungen als früher (§ 863 Rz 25, 42 ff). Die These, dass eine Anfechtung wegen Willensmangels stets bloß ex nunc wirke, wird von Rummel (treffend) abgelehnt (§ 859 Rz 42 ff). Zur Frage, wie bei einer unzulässigen Klausel vorzugehen ist, teilt Rummel die Bedenken gegen geltungserhaltende Reduktion und plädiert für ergänzende Auslegung (§ 878 Rz 18). Die vom EuGH bislang (nur) zu Verbraucherverträgen vertretene These von der Unzulässigkeit ergänzender Auslegung „scheint unhaltbar“; dieses „grobschlächtige“ Herangehen „vergibt in langen Jahrzehnten erzielte dogmatische Fortschritte zugunsten eines überbewerteten Effektivitätsprinzips“. Zu § 901 erörtert Rummel ausführlich auch die Relevanz der Geschäftsgrundlage, betont deren Nähe zur ergänzenden Vertragsauslegung und plädiert (daher) für die Subsidiarität der Lehre von der Geschäftsgrundlage. Insgesamt beeindrucken die Ausführungen Rummels zur Rechtsgeschäftslehre durch ihre bewundernswerte Verbindung von gedanklicher Tiefe und knapper Präzision. Thematisch habe ich nur eine relevante „Lücke“ „entdeckt“: Soweit zu sehen nicht angesprochen wird die Lage dann, wenn beide Verhandelnden keine Sprache gemeinsam ausreichend beherrschen und dies dem jeweils anderen erkennbar ist.

Dullinger kommentiert zum einen die Vorschriften zur gesetzlichen oder gewillkürten Form, zum anderen den Vertrag zugunsten Dritter sowie die Verwendungszusage.

Zu § 879 führt Krejci seine bekannt umfassende Kommentierung fort. Zur Sittenwidrigkeit gliedert er primär nach Fallgruppen, insb Persönlichkeitsschutz, Schutz vor Benachteiligung bei Übermacht, Benachteiligung Dritter und missbräuchliche Rechtsausübung. Schon bei diesen Fallgruppen findet sich Arbeitsrechtliches, zB zu Gestaltungsrechten des AG (Rz 96). Dazu treten umfangreiche rechtsgebietsbezogene Ausführungen zum Arbeitsrecht (15 Seiten). Daraus sei nur die Kritik an der Rsp zu den Verfallsklauseln in Bezug auf gesetzlich zwingend eingeräumte Ansprüche herausgegriffen (Rz 232). Krejci hält die Differenzierung zwischen Verfallsklauseln und Kollektivverträgen (zulässig) und Einzelverträgen (unzulässig) treffend für nicht überzeugend. Die Ausführungen zum Arbeitsrecht zeugen von der langen engen Beziehung Krejcis zu diesem Rechtsgebiet. Bei der breiten Erörterung von § 879 Abs 3 zur Klauselkontrolle von AGB werden zwar Besonderheiten zu manchen Spezialbereichen des Zivilrechts erwähnt, nicht aber Allgemeine Arbeitsbedingungen. Dies entspricht zwar der Judikatur, welche § 879 Abs 3 zum Arbeitsrecht bislang nicht heranzieht, sodass insofern nichts zu berichten ist, die Nichtanwendung wäre aber wohl der (kritischen) Kommentierung wert.

Die §§ 902 ff betreffend „Zeit, Ort und Art der Erfüllung“ werden von Reischauer sehr ausführlich kommentiert. Für das Arbeitsrecht sind insb die Ausführungen zur Fristenberechnung (§ 902) sowie zum neuen § 907a betreffend die Geldschuld relevant. Reischauer geht dazu gesondert auf die Zahlung des Geldlohnes ein (Rz 113 ff).

Die Bestimmungen zur Mehrheit von Gläubigern und Schuldner sind im Arbeitsrecht vor allem bei der DN-Haftung relevant. Gamerith/Wendehorst gehen auch auf den Regress im Arbeitsverhältnis ein und unterstützen dazu die Auffassung der – von Teilen der Lehre vor allem in den 1980er-Jahren heftig kritisierten – Judikatur, wonach der AG nur Regress nehmen kann, wenn er den Schaden des Dritten im Einverständnis mit dem AN oder aufgrund eines rechtskräftigen Urteils ersetzt hat (Rz 38).

Ein Wermutstropfen zu den Beiträgen zu Rechtsgeschäftslehre und § 879 ist, dass die neuere arbeitsrechtliche Literatur zu diesen Themen weniger berücksichtigt wird als jene zu anderen Sonderbereichen des Privatrechts. Dies trifft insb auf die Habilitationsschriften von Risak (Einseitige Entgeltbestimmung [2007]) und Kietaibl (Allgemeine Arbeitsbedingungen [2011]) zu, die weder bei der Rechtsgeschäftslehre noch bei § 879 erwähnt werden, obwohl sie ausführlich auf das Zivilrecht (interessant und gelungen) eingehen. Es sollte nicht nur ein Anliegen des Arbeitsrechts sein, die Verbindung dieses Sonderprivatrechts mit den zivilrechtlichen Grundlagen zu stärken.369

Es ist für das österreichische Privatrecht sehr erfreulich, dass 14 Jahre nach Beginn der dritten Auflage des Rummel-Kommentars 2014 das Erscheinen der vierten Auflage begonnen hat; geplant sind 20 Einzelbände, von denen bislang fünf vorliegen. Der Kommentar ist ein wesentlicher Bestandteil der österreichischen Rechtskultur. Der vorliegende Band setzt die Tradition auf gewohnt hohem Niveau fort und lässt für die – hoffentlich rasche – Fortsetzung nur das Beste erwarten.