KoschkerMitbestimmung bei der Entgeltgestaltung

Nomos Verlag, Baden-Baden 2015 188 Seiten, broschiert, € 48,–

MARTINRISAK (WIEN)

Nach § 87 Abs 1 Z 10 des deutschen Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) hat der BR, soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht, in Fragen der betrieblichen Lohngestaltung, insb bei der Aufstellung von Entlohnungsgrundsätzen und der Einführung und Anwendung von neuen Entlohnungsmethoden sowie deren Änderung, mitzubestimmen. Kommt darüber eine Einigung nicht zustande, so entscheidet die Einigungsstelle und deren Spruch ersetzt dann die Einigung zwischen AG und BR. Die vorliegende Arbeit, die im Wintersemester 2014/15 an der Universität Regensburg als Dissertation angenommen wurde, arbeitet die damit verbundenen Rechtsfragen auf und setzt sich vor allem auch kritisch mit der den Tatbestand nicht unwesentlich ausweitenden Rsp des deutschen Bundesarbeitsgerichts (BAG) auseinander.

Der Autor arbeitet eingangs die historische Entwicklung dieses Tatbestandes ausgehend vom Betriebsrätegesetz 1920 über das BetrVG 1952 bis hin zum BetrVG 1972 ebenso wie die Entwicklung der BAG-Rsp und der Literatur auf. Er kommt insb unter Heranziehung teleologischer Argumente zum Ergebnis, dass die ratio legis der Bestimmung in der Verwirklichung von Verfahrensgerechtigkeit liege, die eine relative Entgeltgerechtigkeit zwischen den AN im Betrieb durch Mitbestimmung sicherstelle (S 62 ff). Dies werde durch zwei Komponenten erzielt: einerseits durch die Beteiligung des BR im förmlichen Verfahren als Garant für Fairness und Gerechtigkeit und andererseits durch die dabei erfolgende Systembildung. Auf dieser Ausgangsbasis werden die einzelnen Elemente des Betriebsvereinbarungstatbestandes detailliert behandelt und kritisch beleuchtet. Hervorzuheben ist die Auseinandersetzung mit der sogen „Topftheorie“ des BAG (ausgehend von der E 12.6.1975, 3 ABR 13/74 zu Betriebspensionen), dernach AG zwar mitbestimmungsfrei über das „Ob“ und das Volumen der übertariflichen Leistungen entscheiden können – die Mitbestimmung nach § 87 Abs 1 Z 10 BetrVG betreffe „nur“ die Verteilung desselben (S 95 ff). Auch die völlige Beendigung ist grundsätzlich mitbestimmungsfrei (S 104), da es dann ja keine Verteilungsfragen mehr gibt. In seiner jüngeren Rsp fasst das BAG (15.4.2008, 1 AZR 65/07; 26.8.2008, 1 AZR 65/07) jedoch sämtliche Vergütungsbestandteile zu einer Gesamtvergütung zusammen und macht es so dem AG unmöglich, nur einzelne Teile mitbestimmungsfrei zu beenden, da diesfalls das gesamte Entgeltgefüge neu verhandelt werden müsse. Dies wird vom Koschker ausführlich kritisiert und abgelehnt (S 145 ff). Ebenso kritikwürdig empfindet er die BAG-Rsp (11.2.2011, 1 AZR 310/09 ua) wonach aus der bloßen Anwendung tariflicher Vergütungssysteme gefolgert wird, dass es sich hierbei zugleich um das betriebliche Entgeltsystem handelt, weshalb dessen wirksame Ablösung von einer Einbeziehung des BR abhängig gemacht wird. Die Auseinandersetzung mit diesen beiden, vom Autor abgelehnten Judikaturlinien stellt sicherlich den Kern der Arbeit dar; die anderen Teile arbeiten im Wesentlichen den bestehenden Meinungsstand im Lichte des eingangs verorteten Hauptzwecks der Mitbestimmung bei Entgeltfragen (Verfahrensgerechtigkeit) auf. Hier hätte eine intensivere grundsätzliche Auseinandersetzung mit Gerechtigkeitstheorien im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis das eher schlanke Werk sicherlich aufgewertet und über das konkrete Detailthema hinaus gewinnbringend sein können. Ebenso fehlen rechtsvergleichende Ausführungen zB mit der österreichischen Rechtslage.

Österreichische ArbeitsrechtlerInnen werden aus diesem Werk deshalb wenig übertragbare Erkenntnisse ziehen, weil das ArbVG keinen entsprechend weitgehenden Entgelt-BV-Tatbestand enthält, der darüber hinaus noch erzwingbar ist. Die Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Mitbestimmung des BR bei der Entgeltfindung sind hier nämlich im Wesentlichen anders gelagert: § 96 Abs 1 Z 4 ArbVG regelt für AN problematische Leistungslohnsysteme und stellt bei der dafür notwendigen Mitbestimmung den AN-Schutz in den Vordergrund. Die fakultative Mitbestimmung nach § 97 Abs 1 Z 16 ArbVG (Gewinnbeteiligung, leistungs- und erfolgsbezogene Prämien und Entgelte) soll zwar auch die Transparenz und Verteilungsgerechtigkeit derartiger Entgeltmodelle sichern, hat aber wegen der mangelnden Erzwingbarkeit eine ganz andere Stoßrichtung und damit auch weniger praktische Bedeutung. Es zeigt sich am Beispiel der Entgelt-Mitbestimmung wieder einmal gut, um wie viel intensiver die betriebliche Mitbestimmung in Deutschland ausgeformt ist – ein Umstand, dessen sich österreichische AG häufig nicht bewusst sind, wenn sie über die hier bestehende „Mitbestimmungslast“ klagen. Dass diese aber nicht nur ein Hemmnis sein muss, zeigt die derzeitige wirtschaftliche Performance Deutschlands allemal.