Die Dinge anders angehen?*
Überlegungen zum Vorschlag der Europäischen Kommission zur Änderung der Entsende-RL 96/71/EG*
Die Dinge anders angehen?*
Die Europäische Kommission hat am 18.3.2016 einen Vorschlag zur Änderung der Entsende-RL* vorgelegt, der unter den Mitgliedstaaten nicht unumstritten ist. Der Beitrag arbeitet die grundlegende Problematik der Entsendung von AN am Schnittpunkt zwischen Dienstleistungsfreiheit, AN-Schutz und Gewährleistung eines fairen Wettbewerbes heraus und stellt vor diesem Hintergrund die Änderungsvorschläge dar. Besonders eingegangen wird auf die praktisch wichtigen Themen des Entgeltbegriffes sowie der Bedeutung der Zeit bei der Entsendung.
Die Grundfragen
Dienstleistungsfreiheit und anwendbares Recht
Die Entsende-RL und ihre Zielsetzungen
Der Änderungsvorschlag der Kommission
Der Entgeltbegriff der Entsende-RL
Zwei Aspekte des Mindestlohnes
Die Rechtsprechung des EuGH
Ergebnis
Die Relevanz der Zeit im Entsendungsrecht
Grundsätzliches
Mindestdauer der Entsendung
Höchstdauer der Entsendung
Ablöseverbot und Vorbeschäftigungszeit
Verhältnis zur Rom I-VO
Exkurs: Besonderheiten des Transportsektors
Ergebnisse
Die in Art 56 AEUV gewährleistete Dienstleistungsfreiheit stellt neben dem freien Warenverkehr (Art 28 AEUV), der AN-Freizügigkeit (Art 45 AEUV) und der Niederlassungsfreiheit (Art 49 AEUV) sowie dem freien Kapital- und Zahlungsverkehr (Art 63 AEUV) eine der Grundfreiheiten des EU-Binnenmarktes dar. Demnach haben Unternehmen, die in einem Mitgliedstaat ansässig sind (dem sogenannten Herkunftsland), das Recht, ihre Dienstleistungen an Personen in einem anderen Mitgliedstaat (dem sogenannten Aufnahme- oder Empfangsland) zu erbringen. Davon umfasst ist auch das Recht, sich im Zuge der grenzüberschreitenden Erbringung von Dienstleistungen ihrer AN zu bedienen, dh dieselben in den Aufnahmestaat zu entsenden. Dies hat zahlreiche arbeits- und sozialrechtliche Implikationen, die darauf zurückzuführen sind, dass die AN nur vorübergehend dort beschäftigt werden und daher die arbeits- und sozialrechtlichen Normen des Aufnahmestaates nicht in vollem Umfang auf sie Anwendung finden (müssen). Oder umgekehrt gefragt: Inwieweit darf der Aufnahmestaat die Anwendung seiner arbeits- und sozialrechtlichen Vorschriften auf in sein Territorium entsendete AN anwenden und insb verlangen, dass entsendende DienstleistungserbringerInnen die im Aufnahmestaat geltenden Mindestlöhne zu beachten haben?*
Die Beantwortung dieser Frage hat zu berücksichtigen, dass der freie Dienstleistungsverkehr einen der fundamentalen Grundsätze der EU darstellt und eine Beschränkung dieser Freiheit nur innerhalb bestimmter Grenzen zulässig ist. Mit306 ihr muss ein berechtigtes und mit dem Vertrag zu vereinbarendes Ziel verfolgt werden und sie muss durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein, soweit sie in einem solchen Fall geeignet ist, die Erreichung des verfolgten Ziels zu gewährleisten, und nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist.* Legitime Ziele zur Einschränkung der Dienstleistungsfreiheit bei Entsendungen fasst der EuGH in der Rs De Clercq* zusammen und nennt: (1.) den Schutz der entsandten AN, (2.) die Verhinderung unlauteren Wettbewerbs und (3.) die Bekämpfung von Sozialbetrug und Schwarzarbeit.*
Kommt es nun zu einer AN-Entsendung im Rahmen der Erbringung grenzüberschreitender Dienstleistungen, stellt sich in erster Linie die Frage des anwendbaren Rechts, das insb für die Beantwortung der für den Wettbewerb besonders wichtigen Frage der Entlohnung relevant ist. Grundsätzlich unterliegen gem Art 8 Rom I-VO* mangels Rechtswahl Individualarbeitsverträge dem Recht des Staates, in dem oder andernfalls von dem aus die AN in Erfüllung des Vertrags gewöhnlich die Arbeit verrichten. Der Staat, in dem die Arbeit gewöhnlich erbracht wird, wechselt nicht, wenn AN die Arbeit vorübergehend in einem anderen Staat verrichten.* Damit verbleibt es im Rahmen einer vorübergehenden Entsendung, wie sie insb im Zusammenhang mit der grenzüberschreitenden Erbringung von Dienstleistungen erfolgt, beim Individualarbeitsrecht des Herkunftsstaates.* Einen Sonderfall stellen jene Arbeitsverhältnisse dar, die keinen gewöhnlichen Arbeitsort aufweisen, wie insb bei Transportpersonal.* Diesfalls richtet sich der Arbeitsvertrag nach dem Recht des Staates, in dem sich die Niederlassung befindet, die die AN eingestellt hat.
Nach Art 9 Abs 3 Rom I-VO werden diese Prinzipien jedoch durch sogenannte Eingriffsnormen durchbrochen, dh zwingende Vorschriften, deren Einhaltung von einem Staat als so entscheidend für die Wahrung seines öffentlichen Interesses, insb seiner politischen, sozialen oder wirtschaftlichen Organisation, angesehen wird, dass sie ungeachtet des nach Maßgabe der Rom I-VO auf den Vertrag anzuwendenden Rechts auf alle Sachverhalte anzuwenden ist, die in ihren Anwendungsbereich fallen. Diese Eingriffsnormen müssen dabei den oben angesprochenen Erfordernissen für die Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit genügen. In der noch vor Inkrafttreten der Entsende-RL getroffenen Entscheidungen in den Rs Seco* und Rs Rush Portuguesa* hat der EuGH dazu grundsätzlich festgehalten, dass „es das Gemeinschaftsrecht den Mitgliedstaaten nicht verwehrt, ihre Rechtsvorschriften oder die von den Sozialpartnern geschlossenen Tarifverträge unabhängig davon, in welchem Land der Arbeitgeber ansässig ist, auf alle Personen auszudehnen, die in ihrem Hoheitsgebiet, und sei es auch nur vorübergehend, eine unselbständige Erwerbstätigkeit ausüben; ebensowenig verbietet es das Gemeinschaftsrecht den Mitgliedstaaten, die Beachtung dieser Regeln mit den geeigneten Mitteln durchzusetzen.
“
Diese kollisionsrechtlichen Regelungen führen nun dazu, dass – gäbe es keine Entsende-RL – AN in einem Mitgliedstaat uU unter unterschiedlichen Entgelt- und Arbeitsbedingungen arbeiten: Einerseits Personen, deren gewöhnlicher Arbeitsort in diesem Staat liegt und auf die dessen gesamtes Individualarbeitsrecht zur Anwendung kommt und andererseits AN, die aus einem anderen Mitgliedstaat in diesen, den Aufnahmestaat, entsendet werden. Auf Zweitere käme das Arbeitsrecht des Entsendestaates zur Anwendung und daneben (nur) die Eingriffsnormen des Aufnahmestaates, die jedoch nicht gegen die Dienstleistungsfreiheit verstoßen dürfen. Damit stehen AN und deren AG untereinander in einem direkten Wettbewerb, der nicht unwesentlich durch die unterschiedlichen anwendbaren Gesetze (insb die Mindestentgeltbestimmungen) bestimmt wird.
Vor diesem Hintergrund wurde die Entsende-RL geschaffen, die sehr unterschiedliche Interessen ausgleichen möchte:* Einerseits die Dienstleistungsfreiheit und andererseits sowohl der Schutz entsandter AN* als auch die Gewährleistung gleicher Ausgangsbedingungen sowohl der ge- bietsansässigen als auch der gebietsfremden WirtschaftsteilnehmerInnen.* Zu diesem Behufe sieht die Entsende-RL einen „harten Kern“* von Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen des Aufnahmestaates vor, die für ausländische Dienstleistungserbringer jedenfalls verbindlich sind. Diese stellen sonderkollisionsrechtliche Regelungen für den Fall einer vorübergehenden Entsendung in einen anderen Mitgliedstaat dar und sind nur auf den Sachverhalt anwendbar, in dem die oben dargestellte kollisionsrechtliche Bewertung nach Art 8 Rom I-VO zu dem Ergebnis führt, dass das Recht des Aufnahmestaates nicht Vertragsstatut307 ist.* Konkret sind davon als „harter Kern“ des Arbeitsrechts des Aufnahmestaates die Höchstarbeitszeiten und die Mindestruhezeiten, die Mindestlohnsätze einschließlich der Überstundensätze, der bezahlte Mindestjahresurlaub sowie die Bedingungen für die Überlassung von Arbeitskräften, der (technische) AN-Schutz, der Schutz für (werdende) Mütter, Kinder und Jugendliche sowie der Diskriminierungsschutz betroffen.* Nach der Rsp des EuGH entfaltet die Entsende-RL diesbezüglich eine Sperrwirkung in dem Sinne, dass bei den ihr unterfallenden Sachverhalten der Aufnahmestaat grundsätzlich keine über die Kern-Regeln hinausgehende Anwendung von nationalem Arbeitsrecht vorsehen darf.* Die Schaffung weitergehender Eingriffsrechte nach Art 3 Abs 10 Entsende-RL bedarf als Ausnahme einer Rechtfertigung als Erfordernis der „öffentlichen Ordnung“.*
Flankiert wird die Entsendungs-RL nunmehr durch die sogenannte Durchsetzungs-RL 2014/67/EU* (idF kurz: Durchsetzungs-RL, teilweise auch Enforcement-RL genannt*), die neue und verstärkte Instrumente für die Bekämpfung und Sanktionierung von Umgehungspraktiken, Betrug und Missbrauch enthält. Sie stärkt die Möglichkeiten der Mitgliedstaaten, die Arbeitsbedingungen zu überwachen und die anzuwendenden Vorschriften durchzusetzen. Die Frist für die Umsetzung durch die Mitgliedstaaten lief bis zum 18.6.2016.*
Neben den Fragen der Durchsetzung des „harten Kerns“ der Arbeitsbedingungen und der Vermeidung von Umgehungen sieht die Kommission bei einzelnen Aspekten der Entsende-RL selbst Änderungsbedarf und legte deshalb am 18.3.2016 einen Vorschlag für deren Änderung vor (idF kurz Richtlinienentwurf).* Dieser zielt neben einer effizienteren Verfolgung der Ziele der ursprünglichen RL (Förderung der grenzüberschreitenden Dienstleistungsfreiheit, fairer Wettbewerb und Schutz der AN-Rechte)* auch darauf ab, den rechtlichen Rahmen für Entsendungen transparenter zu machen und so AN-Entsendungen zu klaren und fairen Bedingungen zu ermöglichen. Beabsichtigt wird somit die Förderung des unverfälschten Wettbewerbs und ein angemessener Schutz der AN-Rechte.* Auch die Folgenabschätzung nennt als Ziele faire Entlohnungsbedingungen für entsandte AN, gleiche Ausgangsbedingungen für entsendende und lokale Unternehmen im Erbringungsstaat sowie mehr Klarheit in Bezug auf die EU-Rechtsvorschriften.*
Die Kommission schlägt zur Verfolgung dieser Zwecke folgende Änderungen der Entsende-RL vor:
Es soll zu einer Einfügung eines neuen Art 2a kommen, der erstmals eine Höchstgrenze von 24 Monaten für das Unterbleiben des Statutenwechsels einziehen soll:
„
Überschreitet die vorgesehene oder tatsächliche Entsendungsdauer vierundzwanzig Monate, gilt der Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet ein Arbeitnehmer entsandt ist, als der Staat, in dem dieser seine Arbeit gewöhnlich verrichtet
.“ Um Umgehungen vorzubeugen, ist eine Zusammenrechnung der Zeiten iS eines Ablöseverbotes vorgesehen: „Werden entsandte Arbeitnehmer, die die gleiche Tätigkeit am gleichen Ort ausführen, ersetzt, so ist für die Zwecke von Absatz 1 die Gesamtdauer der Entsendezeiträume der betreffenden Arbeitnehmer zu berücksichtigen, sofern deren tatsächliche Entsendungsdauer mindestens sechs Monate beträgt.
“* Auf einige sich in diesem Zusammenhang stellende Fragen wird in Pkt 4 eingegangen.Hinsichtlich des in Art 3 Entsende-RL genannten harten Kerns der Arbeitsbedingungen soll es zu folgenden drei Änderungen kommen:
Derzeit sind nicht alle allgemein verbindlichen Tarif- bzw Kollektivverträge auf entsandte AN sämtlicher Wirtschaftszweige anwendbar, sondern nur insofern sie die im Anhang genannten Tätigkeiten betreffen.* Dieser nennt „
alle Bauarbeiten, die der Errichtung, der Instandsetzung, der Instandhaltung, dem Umbau oder dem Abriß von Bauwerken dienen
“. Im Abänderungsentwurf soll der Verweis auf die „im Anhang genannten Tätigkeiten“ gestrichen werden, damit würden die allgemein verbindlichen Tarifverträge auf entsandte AN aller Wirtschaftsbereiche anwendbar.Der Verweis auf „Mindestlohnsätze“ wird durch einen Verweis auf „Entlohnung“ ersetzt, wodurch die Rsp des EuGH in der Rs Sähköalojen ammattilitto* in den Richtlinientext aufgenommen werden soll (dazu ausführlicher Pkt 3).
Außerdem soll ein neuer Unterabsatz eingefügt werden, der die Mitgliedstaaten dazu verpflich-308tet, Informationen über die die Entlohnung ausmachenden Bestandteile zu veröffentlichen. Die Mitgliedstaaten sollen damit verpflichtet werden, auf der Website gem Art 5 Durchsetzungs-RL die die Entlohnung ausmachenden Bestandteile zu veröffentlichen, die für entsandte AN gelten.* Damit wird für die entsendenden AG die Transparenz der im Aufnahmestaat für sie geltenden Entgeltbedingungen sichergestellt. Die Behörden des Aufnahmestaates haben häufig auch nur sehr unzureichend davon Kenntnis, wie die entsendeten AN tatsächlich entlohnt werden. Deshalb soll zur Erleichterung der Überwachung auch das Entgelt im Formular A1 ausgewiesen werden.
Ein neu einzufügender Absatz (Art 3 Abs 1a) soll sich mit Untervergabeketten befassen und die Umgehungen der Vorschriften über bestimmte, die Entlohnung betreffende Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen bekämpfen.* Dadurch können die Mitgliedstaaten Unternehmen dazu verpflichten, Unteraufträge nur an Unternehmen zu vergeben, die AN bestimmte, für den Auftragnehmer geltende Entlohnungsbedingungen einräumen, einschließlich jener, die sich aus nicht allgemein verbindlichen Tarifverträgen ergeben. Dies kann nur auf der Grundlage von Verhältnismäßigkeit und Nichtdiskriminierung erfolgen, was insb bedeutet, dass für alle nationalen Unterauftragnehmer die gleichen Bedingungen gelten müssten.*
Es soll außerdem in Art 3 ein neuer Abs 1c eingefügt werden, der die grenzüberschreitende Arbeitskräfteüberlassung regeln soll. Dieser entspricht dem aktuellen Art 3 Abs 9 Entsende-RL, der eine Ausweitung der Schutzbestimmungen für überlassene Arbeitskräfte auch auf grenzüberschreitend Überlassene zuließ, aber eben nicht verpflichtend vorsah. Im Gegensatz zu dieser Bestimmung, die eine derartige Regelung ins Ermessen der Mitgliedstaaten stellte,* sieht die Änderung eine rechtliche Verpflichtung für die Mitgliedstaaten vor. Damit soll die Einhaltung der Gleichbehandlungspflicht aus der Leiharbeits-RL 2008/104/EG auch für grenzüberschreitend eingesetzte Leih-AN gewährleistet werden.*
Der Richtlinienentwurf möchte den Verweis auf „Mindestlohnsätze“ in Art 3 Abs 1 lit d Entsende-RL durch einen Verweis auf „Entlohnung“ ersetzen. In einer Fußnote wird darauf verwiesen, dass dies auf der Rsp des EuGH in der Rs C-396/13, Sähköalojen ammattilitto, „basieren“ würde. Damit ist die Frage aufzuwerfen, ob es mit der Einführung eines neuen Begriffes zu einer substantiellen Änderung kommt oder ob so „nur“ die EuGH-Rsp in den Richtlinientext übernommen werden soll, wie dies bspw bei der Neufassung der Betriebsübergangs-RL 2001/23/EG erfolgt ist.*
Der EuGH* hat in diesem Zusammenhang festgehalten, dass die Sicherung des nationalen Mindestlohnsatzes für entsendete AN nach Art 3 Abs 1 Unterabs 1 Entsende-RL eine doppelte Zielsetzung verfolgt. Zum einen dient sie der Sicherung eines „lauteren“ Wettbewerbs zwischen inländischen und länderübergreifenden Dienstleistungen erbringenden Unternehmen und zum anderen dem Schutz der entsandten AN. Die Mindestlohnsätze und deren einzelne Elemente sind dabei aus zwei unterschiedlichen Gesichtspunkten von Bedeutung:*
Darf bzw muss der Aufnahmestaat einen bestimmten Entgeltteil als Teil des Mindestlohnsatzes ansehen und ist somit sicherzustellen, dass dieser den entsendeten AN bezahlt wird (vorschreibbare Entgeltteile* iSd Aufnahmestaat-Perspektive)?
Hinsichtlich der Prüfung, ob der den entsendeten AN tatsächlich bezahlte Betrag mit den Mindestlohnsätzen in Einklang steht, ist zu fragen, welche Teile des tatsächlich bezahlten Entgelts einzubeziehen sind und welche nicht (Anrechnung auf den Mindestlohn* iSd Vergleichs-Perspektive)?
Der EuGH hat sich in mehreren Entscheidungen mit dem Begriff der Mindestlohnsätze auseinandergesetzt und dazu festgehalten, dass die Entsende-RL nicht den materiell-rechtlichen Inhalt dieser zwingenden Bestimmungen über ein Mindestmaß an Schutz harmonisiert, auch wenn sie einige Informationen hierzu liefert: Einerseits verweist Art 3 Abs 1 Unterabs 2 Entsende-RL diesbezüglich ausdrücklich auf die Rechtsvorschriften oder Praktiken des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet die AN entsendet werden.* Zum anderen bestimmt Art 3 Abs 7 Unterabs 2 Entsende-RL in Bezug auf die Entsendungszulagen, inwieweit diese Lohnbestandteile als Bestandteil des Mindestlohns gelten.*309
Demnach sind der Mindestlohn und dessen Bestandteile iSd Aufnahmestaat-Perspektive im Recht des betreffenden Mitgliedstaats festzulegen. Diese Definition, wie sie sich aus den einschlägigen nationalen Rechtsvorschriften oder Tarifverträgen oder ihrer Auslegung durch die innerstaatlichen Gerichte ergibt, darf allerdings nicht zu einer Behinderung des freien Dienstleistungsverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten führen.* Zulagen und Zuschläge, die durch die nationalen Rechtsvorschriften oder Praktiken des Aufnahmemitgliedstaats nicht als Bestandteile des Mindestlohns definiert werden und die das Verhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung verändern, können aus Sicht des EuGH nicht als derartige Bestandteile des Mindestlohnes betrachtet werden und somit nicht aus vergleichender Perspektive auf den Mindestlohn angerechnet werden.* Nach Ansicht des Gerichtshofes ist es nämlich normal, dass AN, die auf Verlangen ihrer AG Mehrarbeit oder Arbeitsstunden unter besonderen Bedingungen leisten, einen Ausgleich für die zusätzlichen Leistungen erhalten, ohne dass diese bei der Berechnung des Mindestlohns berücksichtigt wird.* Diese Bewertung hat der EuGH ursprünglich nur hinsichtlich der vergleichenden Perspektive vertreten,* dies dann aber auch im Hinblick auf die Aufnahmestaat-Perspektive artikuliert.* Demnach müssen im Umkehrschluss jene Entgelte als Mindestlohnelemente betrachtet werden, die das Gegenleistungsverhältnis nicht verändern, dh für die „Normalleistung“ zustehen und keine Zusatzleistungen abgelten bzw keine zusätzlichen Zwecke verfolgen.*
Die bisher ergangenen Entscheidungen lassen sich hinsichtlich der Frage des Mindestlohns iSd Entsende-RL* kurz wie folgt darstellen:
C-341/02 – Kommission/Deutschland – Vergleichsperspektive:
Zulagen und Zuschläge, die das Gegenleistungsverhältnis verändern, sind nicht anrechenbar auf den Mindestlohn (insb Qualitätsprämien und Schmutz-, Erschwernis- oder Gefahrenzulagen)
Ein allgemeiner Bauzuschlag (zB ein 13. und 14. Monatsentgelt) ist hingegen zu berücksichtigen.
C-522/12 – Isbir – Aufnahmestaat-Perspektive:
Ob Pauschalzahlungen als Teile des Mindestlohnes anzusehen sind, hängt vom Willen der Kollektivvertragsparteien ab, die diese vereinbart haben. Stellen diese bspw eine Lohnerhöhung als Gegenleistung für die normale Arbeitsleistung dar, sind sie Mindestlohnelement.
Sogenannte vermögenswirksame Leistungen nach einem KollV sind dann kein Teil des Mindestlohnes, wenn sie darauf abzielen, ein durch einen finanziellen Beitrag der öffentlichen Hand gefördertes, sozialpolitisches Ziel zu verwirklichen. Sie können dann nämlich nicht mehr als Komponente des üblichen Verhältnisses zwischen der Arbeitsleistung und der hierfür von AG zu erbringenden finanziellen Gegenleistung angesehen werden.
Jedenfalls vom Mindestlohn erfasst ist das Entgelt, das die Normalleistung entgelten soll und spätestens zu dem Fälligkeitstermin für den jeweiligen Lohnzahlungszeitraum den AN zur Verfügung stehen muss.
C-396/13 – Sähköalojen ammattiliitto – Aufnahmestaat- und vergleichende Perspektive:
Die Berechnung des Mindestlohnes hat nicht nur auf Basis des jeweils untersten Mindestlohnes zu erfolgen, sondern hat die gesamte Lohnstruktur (sogenanntes „Lohngitter“*) miteinzubeziehen. Ein garantierter Stundenlohn und/oder Akkordgarantielohn kann deshalb auch unterschiedlich je nach Lohngruppeneinteilung der AN erfolgen und dann jeweils als Mindestlohn angesehen werden. Die im Aufnahmemitgliedstaat angewandten Vorschriften über die Einteilung der AN in Lohngruppen müssen dafür zwingend sein und den Anforderungen an die Transparenz entsprechen, was insb bedeutet, dass sie zugänglich und klar sein müssen.*
Pauschale Taggelder, die auch bei einer Entsendung im Aufnahmestaat unabhängig der tatsächlich entstandenen Kosten zu zahlen sind, sowie nicht auf einen Kostenausgleich abzielende Wegzeitentschädigungen für die tägliche Pendelzeit, sind als Elemente des Mindestlohns aus der Aufnahmestaat-Perspektive anzusehen.
Die Anrechnung der Übernahme von Unterbringungskosten ist hingegen aus der vergleichenden Perspektive wegen Art 9 Abs 7 Entsende-RL ausgeschlossen.* Dasselbe gilt für Essensgutscheine, die gezahlt werden, um die den AN infolge ihrer Entsendung tatsächlich entstandenen Lebenshaltungskosten zu erstatten.
Die bislang vom EuGH zu Fragen des Mindestlohns iSd Entsendungs-RL getroffenen Entscheidungen betreffen allesamt Kollektivverträge, die über einfa-310che Mindeststundenlöhne hinausgehende komplexere Entgeltregelungen enthalten. Der Gerichtshof hat bei seiner Interpretation ein weites Verständnis der „Mindestlohnsätze“ vertreten, sowohl was die Aufnahmestaats-Perspektive als auch was die vergleichende Perspektive betrifft. Dabei wurde auch auf den Zweck des Entgelts eingegangen und unterschiedliche Zulagen und Zuschläge wurden nur dann beachtet, wenn sie das Gegenleistungsverhältnis nicht in dem Sinne verändern, dass damit besondere Leistungen oder Belastungen abgegolten werden. Der derzeit in der Entsende-RL verwendete Begriff des „Mindestlohnsatzes“ greift daher zu kurz und suggeriert ein restriktives Verständnis. Der EuGH vertritt hingegen eine eher ausdehnende, an den Zwecken der Entsende-RL orientierte Interpretation, denen ein weiterer Begriff wie jener des „Entgelts“ – wie im Richtlinienentwurf vorgeschlagen – mE besser gerecht wird, da er die Sichtweise des EuGH besser widerspiegelt.
Die Entsende-RL enthält in ihrer derzeitigen Fassung keine Obergrenze für Entsendungen. Dass die Zeit jedoch eine Rolle spielt, ergibt sich schon aus dem Umstand, dass entsendete AN die Arbeitsleistung „während eines begrenzten Zeitraumes“ in einem anderen Mitgliedstaat erbringen als demjenigen, in dem sie „normalerweise“ arbeiten. Auch die Rom I-VO, wo in Art 8 von einer „vorübergehenden“ Verrichtung der Arbeit in einem anderen Staat die Rede ist, sieht keine zeitliche Obergrenze vor. Eine vorübergehende Entsendung liegt nach dieser Bestimmung immer dann vor, wenn AN einen Rückkehrwillen (animus revertendi) und AG einen Rückholwillen (animus retrahendi) aufweisen.*
Damit im Zusammenhang steht auch die Frage, ob AG noch eine Dienstleistung grenzüberschreitend erbringen oder sie bereits die Niederlassungsfreiheit in Anspruch nehmen. Der EuGH nimmt auch hier eine Einzelfallbetrachtung vor, wobei nicht nur die Dauer der Tätigkeit, sondern auch ihre Häufigkeit, ihre regelmäßige Wiederkehr und ihre Kontinuität zu berücksichtigen ist.*
Dazu im Gegensatz steht die sozialrechtliche Koordinierungs-VO 883/2004, die in Art 12 eine klare zeitliche Grenze vorsieht: Das Sozialrecht des Entsendestaates kommt nur dann zur Anwendung, wenn die voraussichtliche Dauer der Arbeit 24 Monate nicht überschreitet. Weiters darf diese Person nicht eine andere Person ablösen, da diesfalls sofort das Sozialversicherungsrecht des Aufnahmestaates zur Anwendung kommt.
Nach Art 3 Abs 3-5 Entsende-RL können die Mitgliedstaaten für „kurzfristige“ Entsendungen bis zu einem Monat oder für „marginale“ Entsendungen, wenn der Umfang der zu verrichtenden Tätigkeiten als gering eingestuft wird, Ausnahmen vorsehen.* Für Montage- und Einbauarbeiten ist eine obligatorische Ausnahme vom Mindesturlaub und den Mindestlöhnen vorgesehen, wenn die Dauer der Entsendung acht Tage nicht übersteigt („Montageprivileg“, wobei der Bausektor ausgenommen ist). Damit nimmt die Entsende-RL selbst eine Abstufung nach der Dauer der Entsendung vor und lässt diese erst ab einer bestimmten Schwelle eingreifen bzw ermöglicht es den Mitgliedstaaten, entsendungsfreundlichere Regelungen mit einem geringeren Schutzniveau für entsendete AN vorzusehen. Als Begründung kann dafür aus AN-Schutzgründen das Zeitelement, dh das Verhältnis für die ansonsten von ihnen erbrachten Arbeitsleistungen, dienen.
Wie bereits unter Pkt 4.1. angesprochen, fehlt es in der Entsende-RL an einer eindeutigen zeitlichen Obergrenze. Der EuGH hat das Kriterium „vorübergehend“ im Zusammenhang mit der in Art 56 AEUV gewährleisteten Dienstleistungsfreiheit sehr weit verstanden und ermöglicht so damit im Zusammenhang stehenden AN-Entsendungen auch bei mehrjährigen Tätigkeiten.* Damit werden die Möglichkeiten des Aufnahmestaates, sein Arbeitsortrecht vorzuschreiben, und damit die Gleichbehandlung der Entsendeten mit den sonstigen Arbeitskräften vor Ort, entsprechend zurückgedrängt.* Dies betrifft insb die sogenannte Sperrwirkung, dh dass in bei der Entsende-RL unterfallenden Sachverhalten der Aufnahmestaat keine über die Kern-Regeln hinausgehende Anwendung von nationalem Arbeitsrecht vorsehen darf.*
Auf Grund des unterschiedlichen Wortlautes betreffend die Beschreibung der Entsendung in der Entsende-RL und in Art 8 Rom I-VO stellt sich die Frage, ob die Begriffe gleich zu verstehen sind oder diese voneinander differieren. Rebhahn* vertritt unter Verweis auf die Textierung der Entsende-RL, dass die dortige Definition eine eigenständige Bedeutung habe und sie sprachlich strenger sei als jene der Rom I-VO in dem Sinne, dass die Dauer der Arbeit stärker begrenzt ist und die Verbindung zum Ausgangsland stärker sein muss. Damit könne insb dem Interesse an gleichen Wettbewerbsbedingungen im Aufnahmestaat besser gedient werden –311 mit der Dauer der Entsendung nehme dieses ebenso deutlich zu wie die Annäherung der Entsendung an die AN-Freizügigkeit nach Art 45 AEUV.
Dieses Interesse könne, so Rebhahn* zu Recht, auf zweierlei Weise berücksichtigt werden: Einerseits, indem der gewöhnliche Arbeitsort früher wechsle oder die „stärkere Beziehung“ nach Art 8 Abs 4 Rom I-VO eher eingreife bzw andererseits, indem der „begrenzte Zeitraum“ in Art 2 Abs 1 Entsende-RL entsprechend enger ausgelegt werde. Bei beiden Lösungswegen spielt die Anknüpfung an das auf das Arbeitsverhältnis anwendbare Sozialrecht eine gewisse Rolle. Der EuGH hat nämlich in der Rs Schlecker* argumentiert, dass es für die objektive Anknüpfung des Arbeitsvertragskollisionsrechts ua auch darauf ankommt, wo AN sozialversichert sind. Und dies bestimmt sich bei Entsendungen aus der Koordinierungs-VO 883/2004, wonach entsendete AN idR maximal nur zwei Jahre im Herkunftsland sozialversichert bleiben. Rebhahn hat in diesem Sinne mit gutem Grund vertreten, dass bei Arbeit in einem anderen Land, die deutlich über die Frist des Art 12 Koordinierungs-VO 883/2004 hinausgeht, nicht mehr davon gesprochen werden könnte, die Arbeit werde noch „normalerweise“ im Herkunftsland erbracht. Die Obergrenze werde dabei unter dem Doppelten der Frist für die Zwecke des Sozialrechts (also unter vier Jahren) liegen.*
Der Richtlinienentwurf geht noch einen Schritt weiter und harmonisiert die Fristen miteinander. Es ist dort nämlich vorgesehen, dass bei einem Überschreiten der vorgesehenen oder tatsächlichen Entsendungsdauer von 24 Monaten der Aufnahmestaat als der Staat gilt, in dem die Arbeit gewöhnlich verrichtet wird. Dies hat zur Konsequenz, dass es in zwei Fällen jedenfalls zu einem Statutenwechsel nach Art 8 Abs 2 Rom I-VO kommt: Entweder die Entsendung ist für länger als 24 Monate geplant (dann kommt es sofort zum Statutenwechsel) oder die Entsendungsdauer übersteigt 24 Monate (dann tritt erst bei einem Überschreiten der Statutenwechsel ein). In beiden Fällen kann damit argumentiert werden, dass es am vorübergehenden Charakter der Entsendung fehlt. Diese ist dann nämlich für eine längere Dauer vorgesehen oder dauert eben länger an. Die Entsende-RL legt damit ihren Zwecken (AN-Schutz, Schutz des fairen Wettbewerbes) entsprechend nicht nur für sehr kurze und vorübergehende Einsätze im Aufnahmestaat ein kollisionsrechtliches Sonderregime fest, sondern auch für die Fälle langandauernder Entsendungen. Damit wird eine transparente und einfach zu handhabende Regelung geschaffen, die allen relevanten AkteurInnen (entsendende AG, entsendete AN sowie auch den mit der Rechtsdurchsetzung befassten Behörden und Gerichte der Herkunfts- und Aufnahmestaaten) das auf das jeweilige Entsendungsverhältnis anzuwendende arbeitsrechtliche Regime klarstellt.
Dieses Regime ist dabei auch ausreichend flexibel, da für Fälle einer stärkeren Anknüpfung an einen anderen Staat weiterhin Art 8 Abs 4 Rom I-VO gilt. Sollte demnach entgegen der starren zeitlichen Grenzen eine engere Verbindung zu einem anderen Staat (insb dem Entsendestaat) bestehen, dann ist das Recht dieses Staates anzuwenden. Damit ist es auch möglich, dass in Ausnahmefällen schon bei einer kürzer als 24 Monaten andauernden Entsendung ein Statutenwechsel eintritt (zB bei einem Wohnsitz im Aufnahmestaat und einer Besteuerung in diesem*) sowie, dass es über die 24 Monate hinaus zu einem Verbleib im Arbeitsrecht des Entsendestaates kommt.*
Wenngleich die Normierung der 24 Monate als Höchstdauer der Entsendung den grundsätzlichen Gleichklang mit dem koordinierenden Sozialversicherungsrecht herstellt, so ist mE aber doch zu hinterfragen, ob dafür tatsächlich eine so lange Dauer der Entsendung erforderlich ist. Dem internationalen Privatrecht liegt das Prinzip der engsten Beziehung zu Grunde.* Im Falle der Entsendung besteht diese weiter mit dem Herkunftsstaat, nimmt jedoch mit zunehmender Dauer der Entsendung ab. Auch das damit verbundene Argument, die Vertragsparteien bei Entsendungen vor einem allzu häufigen Statutenwechsel zu bewahren, verliert mit zunehmender Dauer an Gewicht.* Die mit der Entsende-RL zusätzlich verfolgten Zwecke des AN-Schutzes und des Schutzes des fairen Wettbewerbes gewinnen ebenfalls mit zunehmender Dauer der Entsendung an Bedeutung und es fragt sich ab einem bestimmten Zeitpunkt, warum nicht der gesamte Schutz des Arbeitsrechtes des Aufnahmestaates zur Anwendung kommen soll. Dies gilt auch für den Schutz eines fairen Wettbewerbes in diesem, der eben nicht nur über die Arbeitskosten, sondern auch vor allem über die Qualität der Dienstleistung, der Produktivität und der Innovation geführt werden soll.* Unter diesen Gesichtspunkten erscheint die 24-Monate-Grenze doch etwas lang und es ist mE zu erwägen, diese auf ein Jahr zu verkürzen. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die Anwendung des Sozialversicherungsrechts, insb des Pensionsrechts, zu weitreichenden Folgen auch über das Arbeitsverhältnis hinaus führt. Daher ist es mE angemessen, zwischen der Zeitdauer zu unterscheiden, die für den Verbleib im Sozialversicherungssystem des Herkunftslandes gilt und jener, die für die Anwendbarkeit des Individualarbeitsrechts relevant ist.
Der Richtlinienentwurf enthält „um Umgehungen (...) zu verhindern“* die Klarstellung, dass – wenn AN durch die gleiche Tätigkeit am selben Ort ver-312richtende AN ersetzt werden – bei der Berechnung der Entsendungsdauer die Gesamtdauer der Entsendungen berücksichtigt werden muss. Dies zielt weniger auf den Schutz der konkreten AN ab als auf die Sicherung des fairen Wettbewerbes – dieser würde verzerrt, wenn ein Dauerarbeitsplatz alternierend durch verschiedene AN besetzt wird, die jeweils nur „vorübergehend“ entsendet werden. Unter diesen Aspekten erscheint eine gesamtheitliche Beurteilung des Arbeitsplatzes und nicht der einzelnen individuellen Entsendungen tatsächlich sachadäquater. Dann ist aber nicht nachvollziehbar, warum die Zusammenrechnung nur für Entsendungen greifen soll, die mindestens sechs Monate andauern. Die Erläuterungen der Kommission begründen dies mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit* und meinen wohl die Rechtfertigung des Eingriffes in die Dienstleistungsfreiheit gem Art 56 AEUV. Dies ist mE jedoch nicht erforderlich, da in dem Fall eines Dauerarbeitsplatzes, der alternierend von unterschiedlichen entsendeten AN ausgefüllt wird, die Dauer der konkreten Entsendungen nichts an den Auswirkungen für den Arbeitsmarkt des Aufnahmestaates ändert. Für sehr kurze Entsendungen gelten ohnehin die Ausnahmeregelungen nach Art 3 Abs 2-5 Entsende-RL (siehe Pkt 4.2), womit mE der Verhältnismäßigkeit ausreichend Rechnung getragen wird. ME sollte daher die Sechsmonatsgrenze bei der Zusammenrechnungsregel entfallen. Mit gutem Grund enthält die sozialversicherungsrechtliche Koordinierungsvorschrift in Art 12 Abs 1 Koordinations-VO auch keine entsprechende Mindestdauer für eine Entsendung, sondern stellt nur darauf ab, ob eine Person abgelöst wird.
Der Richtlinienentwurf nimmt unmittelbar auf die Rom I-VO Bezug, da im neuen Art 2a nicht nur eine Höchstdauer für die Zwecke der Entsende-RL normiert, sondern auch festgelegt wird, dass bei deren Überschreiten „der Mitgliedsstaat, in dessen Hoheitsgebiet ein Arbeitnehmer entsandt ist, als der Staat
[gilt], in dem dieser seine Arbeit gewöhnlich verrichtet
“. Damit gilt der Aufnahmestaat als gewöhnlicher Arbeitsort und dessen individualarbeitsrechtliche Regelungen kommen – mangels Rechtswahl* – in vollem Umfang zur Anwendung. Die Entsende-RL bietet damit eine Interpretation des Begriffes der gewöhnlichen Arbeitsverrichtung für den Fall der Entsendung in Art 8 Abs 2 Rom I-VO und gewährleistet damit mehr Rechtssicherheit für alle beteiligten AkteurInnen.* Flexibilität zur Einbeziehung anderer Aspekte besteht freilich weiterhin, da nach Art 8 Abs 4 Rom I-VO weiterhin mit der engeren Verbindung zu einem anderen Staat (insb des Herkunftslandes) argumentiert werden kann.
Wenngleich die besonderen Probleme im Zusammenhang mit Entsendungen im Transportsektor erkannt werden,* wird darauf nicht im Richtlinienentwurf selbst reagiert. Auf Grund der Spezifität sieht es die Kommission als am besten an, würden diese Herausforderungen durch sektorspezifische Rechtsvorschriften und andere EU-Initiativen, die auf eine verbesserte Funktionsweise des Verkehrsbinnenmarktes abzielen, angegangen. Das führt dazu, dass auch im Richtlinienentwurf die sich dadurch stellende Sonderproblematik derzeit nicht gelöst wird.
Niksova* hat sich in einem aktuellen Beitrag mit kurzfristigen Entsendungen von Österreich nach Deutschland beispielhaft im Lichte der bestehenden Rechtslage auseinandergesetzt und differenziert zwischen Transportdienstleistungen mit Leistungsempfängern im Empfangsstaat und solchen, die einen bloßen Transit darstellen. Während bei ersteren die Entsende-RL grundsätzlich zur Anwendung kommt und uU die Regelungen zu kurzfristigen Entsendungen gem Art 3 Abs 3-5 Entsende-RL greifen, ist bei zweiteren die Entsende-RL hingegen nicht anwendbar. Selbst wenn die Transportbranche von der Entsende-RL umfasst sein sollte,* ist bei bloßen Transitfahrten keiner der Entsendetatbestände des Art 1 Abs 3 lit a-c Entsende-RL erfüllt. Vor allem liegt keine Dienstleistungs- oder Werkvertragsentsendung vor, weil es bei einer bloßen Durchfahrt durch einen Staat keinen Dienstleistungsempfänger in diesem gibt.* Es bleibt ausschließlich bei der Anwendbarkeit der Rom I-VO.* Daher dürfen insb die Mindestlohnbestimmungen auf sich im Transit befindliche LKW-FahrerInnen, die einem anderen als dem Transitland-Arbeitsvertragsstatut* unterliegen und das Transitland durchqueren, nur dann angewendet werden, wenn diese eine Eingriffsnorm iSd Art 9 Rom I-VO darstellen und sie Dienstleistungsfreiheit nicht unverhältnismäßig beschränken.*313
Der Vorschlag zur Änderung der Entsende-RL zielt neben einer effizienteren Verfolgung der Ziele der ursprünglichen RL (Förderung der grenzüberschreitenden Dienstleistungsfreiheit, fairer Wettbewerb und Schutz der AN-Rechte) auch darauf ab, den rechtlichen Rahmen für Entsendungen transparenter zu machen und so AN-Entsendungen zu klaren und fairen Bedingungen zu ermöglichen. Er ist unter diesen Aspekten als äußerst positiv zu bewerten, wenngleich in Details nachgeschärft werden könnte.
Erstmalig soll eine zeitliche Höchstgrenze (24 Monate ähnlich der sozialrechtlichen Koordinations-VO) für Entsendungen normiert werden. Bei deren Überschreiten gilt „der Mitgliedsstaat, in dessen Hoheitsgebiet ein Arbeitnehmer entsandt ist, als der Staat, in dem dieser seine Arbeit gewöhnlich verrichtet
“, womit das gesamte Individualarbeitsrecht des Aufnahmestaates gilt. Wenngleich die Einführung einer zeitlichen Höchstgrenze mE zu begrüßen ist, erscheint der Zeitraum von 24 Monaten doch zu lange. Weiters enthält der Änderungsvorschlag ein „Ablöseverbot“ idS, dass Entsendungen von sechs Monaten für das Erreichen der Höchstgrenze zusammengerechnet werden, wenn ein Dauerarbeitsplatz alternierend von entsendeten AN besetzt wird. Die Mindestdauer von sechs Monaten ist nicht gut nachvollziehbar und sollte mE entfallen.
Im Bereich der Kernarbeitsbedingungen sollen nach dem Entwurf die allgemein verbindlichen Tarifverträge auf entsandte AN aller Wirtschaftsbereiche anwendbar sein. Der Begriff „Mindestlohnsätze“ soll durch den der „Entlohnung“ ersetzt werden, was das vom EuGH vertretene weite Verständnis besser widerspiegelt. Um die Durchsetzung zu erleichtern, sollen die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet werden, Informationen über die die Entlohnung ausmachenden Bestandteile zu veröffentlichen; das Entgelt soll außerdem im Formular A1 ausgewiesen werden. Weitere Änderungen betreffen den Entgeltschutz in Untervergabeketten und die Ausweitung des Schutzes für grenzüberschreitend eingesetzte Leih-AN.