RußDie einvernehmliche Auflösung von Arbeitsverhältnissen

Verlag des ÖGB, Wien 2016, 428 Seiten, kartoniert, € 36,–

BARBARATROST (LINZ)

90 % (!) – so zitiert die Autorin den Hauptverband der Sozialversicherungsträger (S 24) – aller Arbeitsverhältnisse enden auf Veranlassung des/der AG bzw durch einvernehmliche Auflösung. Und gerade weil die Grenzen zwischen „Veranlassung durch den Arbeitgeber“, arbeitgeberseitiger Kündigung und einvernehmlicher Auflösung in der Praxis meist verschwimmen, ist dieses Buch besonders wichtig. Von AN intendierte Beendigungen, welche in einvernehmlichen Auflösungen münden, machen wohl in der Praxis nur einen375 verschwindenden Teil aus. Untersuchungen hierzu gibt es naturgemäß kaum, entspringt doch die einvernehmliche Auflösung der Privatautonomie, darf praktisch so gut wie jederzeit und bei jedem Arbeitsverhältnis stattfinden und unterliegt nur in Ausnahmefällen gesetzlichen Beschränkungen, sodass Fakten über derartige Beendigungen kaum jemals bekannt oder gar aktenkundig werden. Nur in den seltensten Fällen setzen sich AN zur Wehr, wenn sie meinen, bei einvernehmlichen Auflösungen übervorteilt worden zu sein. Nur ein minimaler Teil der Fälle gelangt zu Gericht, und die daraus resultierenden Urteile hat die Verfasserin gründlich erfasst und den Einzelthemenbereichen zugeordnet. Dies drückt sich nicht nur im umfassenden Fußnotenapparat aus, sondern auch in der dankenswert übersichtlichen Zusammenfassung der Judikatur zu den wichtigsten Abgrenzungsfragen (vgl nur zB S 48 ff). Es hat an diesen Stellen das Buch, das auf der Dissertation der Autorin beruht, den Charakter eines praxisfreundlichen Handbuches, aus dem rasch zielführende Informationen lukriert werden können.

Zu den spannenden Fragen der einvernehmlichen Auflösung im Alltag gehört zweifellos jene, ob im Einzelfall überhaupt tatsächlich ein Aufhebungsvertrag vorliegt. Die Abgrenzung zu anderen Beendigungsformen findet sich in einem eigenen Kapitel (Kapitel 4, S 43 ff), wo vor allem auch Bekanntes aus der Judikatur dargestellt wird. Die dort aufgelisteten Fälle haben gemeinsam, dass jeweils eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses unstreitig vorliegt, die Art der Auflösung jedoch fraglich ist. Hoch interessant ist aber die unmittelbar davor noch in Kapitel 3.4 (S 41 f) angerissene Problematik „Dissens“. Als Hauptpunkte, welche bei sonstigem Nichtzustandekommen eines Aufhebungsvertrages dissensfrei sein müssten, nennt Verena Ruß das Ende des Arbeitsverhältnisses, die Art der Auflösung und den Zeitpunkt der Beendigung (S 42). Schon bei Fehlen eines dieser Punkte sei Nichtigkeit wegen des Dissenses die Konsequenz. An dieser Stelle wünschte man sich durchaus eine Fortsetzung, nämlich hinsichtlich der Frage, wie man sich diesbezüglich gewisse typische Fälle in der Praxis vorstellen sollte, etwa das Musterbeispiel, dass der/die AG – wie dies leider viel zu häufig geschieht – schriftlich eine von ihm/ihr so bezeichnete „einvernehmliche Kündigung“ vorlegt, welche der/die AN sodann unterschreibt. Ein Konsens über die Art der Auflösung kann in diesem Fall nicht vorliegen, weil es die vom/von der AG bezeichnete Art der Auflösung schon begrifflich gar nicht geben kann. Damit fehlte in diesem Fall die Einigung über einen der von Ruß hier benannten „Hauptpunkte“. Dies müsste – denkt man ihren Ansatz konsequent zu Ende – den Weiterbestand des Arbeitsverhältnisses zur Folge haben (S 42), was aber in der Umsetzung wenig realistisch wäre, wenn sowohl AG als auch AN von (irgendeiner Art) der Auflösung ausgehen. Näher an der Praxis erschiene mir hier, dass bei einem Dissens über die Art der Auflösung, während aber gleichzeitig die Tatsache der Auflösung beiden Vertragsparteien bewusst ist, zwar selbstverständlich ein Aufhebungsvertrag nicht zustande kommt, jedoch durch Auslegung zu ermitteln ist, durch welche (andere) Art der (wirksamen) Erklärung das Arbeitsverhältnis allenfalls doch aufgelöst worden wäre. Freilich könnte dann der Fall eintreten, dass für die durch Auslegung ermittelte tatsächlich gewollte Erklärung die gesetzlichen Voraussetzungen fehlen (zB für die tatsächlich gemeinte Kündigung das betriebsverfassungsrechtliche Vorverfahren oder eine allfällig notwendige gerichtliche Zustimmung bei Vorliegen eines Sonderschutzes), sodass dann im Ergebnis in der Tat keine Beendigung eingetreten wäre. Im einen wie im anderen Fall müsste man schließlich, wenn das Arbeitsverhältnis weiter besteht (obwohl beide Parteien zumindest zunächst von der Auflösung ausgehen), die Frage erörtern, wer bis wann diesen Umstand aufgreifen könnte. Wie auch bei rechtswidrigen Auflösungen würde auch hier die Nichtigkeit allenfalls eine relative sein, die zudem zeitnah aufzugreifen wäre.

Von wissenschaftlicher Dichte getragen – und dabei nicht weniger praxisrelevant – ist das umfassende Kapitel 10 „Einheitslösung oder Differenzierungslösung?“, wo eingehend untersucht wird, welche Bedeutung dem Umstand zukommen soll, ob die Initiative zur Auflösung vom/von der AG oder vom/von der AN ausgegangen ist. Die wenigen vorhandenen empirischen Grundlagen hat die Verfasserin für die Einleitung zu diesem Kapitel (S 171) ausgehoben. Nach umfassender Diskussion der vorhandenen Beiträge in Judikatur und Literatur nähert sie sich schrittweise der Analogie, um Lücken dort zu schließen, wo der Gesetzgeber Differenzierungen, insb solche nach dem Verschulden, unterlässt, wo diese aber geboten wären (S 210 ff).

Eine Analogie steht in dieser Arbeit auch am Ende der Betrachtungen zur Anwendung des Beendigungsschutzes nach dem GlBG auf einvernehmliche Lösungen. Wenn zunächst richtig außer Frage gestellt wird, dass § 3 Z 7 GlBG ein gesetzliches Verbot darstellt, dessen Missachtung zur Nichtigkeit eines Vertrages (hier: Aufhebungsvertrag) gem § 879 ABGB führen kann (vgl S 244), so geht es bei der Anschlussfrage, ob alternativ auch eine Anfechtung in analoger Anwendung des § 12 Abs 7 GlBG möglich sein sollte (insb S 250 ff), vor allem um die Beweiserleichterung, die auf diese Weise – durchaus europarechtskonform – erzielt werden könnte. Ruß argumentiert im Einklang mit einem Teil der Lehre für die analoge Anwendung des § 12 Abs 7 GlBG. Einzuwenden wäre hier, dass ein Plädoyer für eine Änderung der Beweislast im Kontext mit der Anwendung des § 879 ABGB möglicherweise der schonendere Weg wäre, was die dogmatisch saubere Trennung in einseitige und zweiseitige Rechtsgeschäfte betrifft. Und die beste Lösung überhaupt wäre – aber darin sind sich BefürworterInnen und KritikerInnen beider Ansätze einig – eine baldige Anpassung des GlBG an die europarechtlichen Vorgaben.

Zum kollektivrechtlichen Aspekt der einvernehmlichen Auflösungen, der schier endlosen Debatte um die Einordnung der aus § 104a ArbVG resultierenden Rechte, beweist die Verfasserin anschaulich, dass es am Ende doch nicht gelingen kann, eine offenkundig missglückte gesetzliche Regelung durch Interpretation zu einem sinnvoll einsetzbaren Gestaltungsmittel der betrieblichen Mitwirkung zu machen. Der Versuch, entgegen der verbreiteten Linie der Diskussion die AN-Befugnis, durch Beratungsverlangen eine zweitägige Sperrfrist auszulösen, in ein echtes Mitwirkungsrecht des BR, das noch dazu als Pflichtbefugnis ausgestaltet sein soll, umzudeuten, muss notgedrungen unvollendet bleiben, hieße doch dies – wie Ruß den Gedanken konsequent fortführt – dass „das Unterlassen der vorgesehenen376 Mitwirkung des Betriebsrates zur Rechtsunwirksamkeit der Rechtshandlung“ (S 316) führen würde. Was dies, vor allem auch in Hinblick auf die gesetzlich vorgeschriebene und unverrückbare Zweitagesfrist bedeuten könnte, lässt sie offen und räumt schließlich später (S 326) richtig ein, dass „den auslösenden Umstand für die Rechtsfolgen nach § 104a ArbVG ... ausschließlich das Verlangen des Arbeitnehmers auf Beratung mit dem Betriebsrat“ bildet und es insofern irrelevant sei, „ob eine Beratung tatsächlich stattgefunden hat“. Diese unmittelbar aus dem Gesetz gewonnenen Erkenntnisse zum Inhalt der Norm widerlegen klar erkennbar die Annahme eines echten Mitwirkungsrechtes.

Tröstlich bleibt aber vielleicht der folgende Gedanke: Wer nach einem Vertragsauflösungsangebot durch den/die AG verunsichert nach dem BR verlangt, diesen aber vielleicht nicht sofort erreicht und dann die Vereinbarung eines Termins für einen Zeitpunkt in vier Tagen zustande bringt, wird vernünftigerweise nicht bereits am Tag Drei nach dem Angebot die Auflösung unterschreiben, sondern hierfür bis nach dem Gespräch mit dem BR warten. Es gehören nämlich zur einvernehmlichen Auflösung jedenfalls immer Zwei. Was übrigens in diesem Zusammenhang die wichtigste Botschaft an die AN wäre: Wer nur unterschreibt (mündlich erklärt), was er/sie wirklich ernsthaft will, vermeidet damit schon eine Menge drohender Nachteile!

Was das vorliegende Buch anbelangt, ergibt sich nach gründlicher Betrachtung der folgende Befund:

Eindrucksvoll zeigt die Autorin, welche vielfältigen Probleme samt unterschiedlichen Lösungsansätzen in jener Materie auftauchen können, welche als reinster Ausfluss der Privatautonomie vordergründig vom Konsens geprägt zu sein scheint. Gerade weil dies, wie die Praxis deutlich zeigt, nicht so ist, erweist sich dieses Buch als Gewinn. Hier finden LeserInnen alle bedeutenden Rechtsfragen rund um die einvernehmliche Auflösung von Arbeitsverhältnissen übersichtlich, verständlich und umfassend dokumentiert in einem einzigen Werk aufbereitet. Die vorgeschlagenen Lösungen sind durchwegs interessant und gut geeignet, die Fortsetzung der wissenschaftlichen Diskussion anzuregen.