35Zum Wohnsitzerfordernis für Personen, die internationalen Schutz genießen
Zum Wohnsitzerfordernis für Personen, die internationalen Schutz genießen
Der Terminus Bewegungsfreiheit umfasst auch die freie Wahl des Wohnsitzes und des Aufenthaltsorts.
Diese Bewegungsfreiheit darf auch nicht deshalb eingeschränkt werden, weil einzelne Sozialhilfeträger stärker als andere belastet sind.
Ein Wohnsitzerfordernis kann aber gerechtfertigt sein, wenn International Schutzberechtigte einen höheren Integrationsbedarf als andere Drittstaatsangehörige aufweisen und die Integration durch das Wohnsitzerfordernis besser gefördert werden kann.
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
14 Herr Alo und Frau Osso sind syrische Staatsangehörige. Sie reisten in den Jahren 1998 bzw 2001 nach Deutschland ein und stellten dort erfolglos Asylanträge. Danach lebten sie aufgrund von Duldungen in diesem Mitgliedstaat. Seit Beginn ihrer Asylverfahren beziehen sie dort Leistungen der sozialen Sicherung.
15 Im Anschluss an erneute Asylanträge wurde ihnen vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge der subsidiäre Schutzstatus gewährt.
16 Die Herrn Alo und Frau Osso mit Entscheidungen des Kreises Warendorf vom 12.10.2012 bzw der Region Hannover vom 5.4.2012 erteilten Aufenthaltserlaubnisse waren mit der Auflage verbunden, ihren Wohnsitz in der Stadt Ahlen (Deutschland) bzw der Region Hannover mit Ausnahme der Hauptstadt des Landes Niedersachsen zu nehmen. [...]
21 Das Bundesverwaltungsgericht hat beschlossen, die Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende, in den Rs C-443/14 und C-444/14 gleichlautende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Stellt die Auflage, den Wohnsitz in einem räumlich begrenzten Bereich (Gemeinde, Landkreis, Region) des Mitgliedstaats zu nehmen, eine Einschränkung der Bewegungsfreiheit iS von Art 33 der RL 2011/95 dar, wenn der Ausländer sich ansonsten im Staatsgebiet des Mitgliedstaats frei bewegen und aufhalten kann?
Ist eine Wohnsitzauflage gegenüber Personen mit subsidiärem Schutzstatus mit Art 33 und/oder Art 29 der RL 2011/95 vereinbar, wenn sie darauf gestützt wird, eine angemessene Verteilung öffentlicher Sozialhilfelasten auf deren jeweilige Träger innerhalb des Staatsgebiets zu erreichen?
Ist eine Wohnsitzauflage gegenüber Personen mit subsidiärem Schutzstatus mit Art 33 und/oder Art 29 der RL 2011/95 vereinbar, wenn sie auf migrations- oder integrationspolitische Gründe gestützt wird, etwa um soziale Brennpunkte durch die gehäufte Ansiedlung von Ausländern in bestimmten Gemeinden oder Landkreisen zu verhindern? Reichen insoweit abstrakte migrations- oder integrationspolitische Gründe aus, oder müssen solche Gründe konkret festgestellt werden? [...]
Zur ersten Frage
24 Allein anhand des Wortlauts dieser Vorschrift lässt sich nicht feststellen, ob sie nur impliziert, dass Personen, denen internationaler Schutz zuerkannt worden ist, die Möglichkeit haben müssen, sich frei im Hoheitsgebiet des den Schutz gewährenden Mitgliedstaats zu bewegen, oder ob sie auch bedeutet, dass diese Personen die Möglichkeit haben müssen, ihren Wohnsitz in diesem Hoheitsgebiet zu wählen. [...]
28 Hierzu ist festzustellen, dass die Genfer Konvention, wie aus den Erwägungsgründen 4, 23 und 24 der RL 2011/95 hervorgeht, einen wesentlichen Bestandteil des internationalen Rechtsrahmens für den Schutz von Flüchtlingen darstellt und dass die Bestimmungen der RL über die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und über deren Inhalt erlassen wurden, um die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten bei der Anwendung der Konvention auf der Grundlage gemeinsamer Konzepte und Kriterien zu leiten (vgl entsprechend Urteil Abed El Karem El Kott ua, C-364/11, EU:C:2012:826, Rn 42). [...]
33 Nach Art 20 Abs 2 der RL gilt somit das den Inhalt des internationalen Schutzes betreffende Kapitel VII, sofern nichts anderes bestimmt wird, sowohl für Flüchtlinge als auch für Personen mit subsidiärem Schutzstatus.
34 Zwar wird in einigen Artikeln dieses Kapitels etwas anderes bestimmt, nicht jedoch in Art 33 der RL 2011/95. Nach seinem Wortlaut wird die darin verankerte „Freizügigkeit“ im Gegenteil „Personen, denen internationaler Schutz zuerkannt worden ist“, gewährt; dies bedeutet, dass Flüchtlinge und Personen mit subsidiärem Schutzstatus insoweit derselben Regelung unterliegen.
35 Art 26 der Genfer Konvention, wonach Flüchtlingen Freizügigkeit zu gewähren ist, sieht ausdrücklich vor, dass die Freizügigkeit nicht nur das Recht umfasst, sich im Gebiet des Staates, der die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt hat, frei zu bewegen, sondern auch das Recht der Flüchtlinge, dort ihren Aufenthalt zu wählen. Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Unionsgesetzgeber in der RL 2011/95 nur das erste dieser Rechte übernehmen wollte, nicht aber das zweite.
36 Eine Auslegung von Art 33 der RL, nach der dieser Artikel Personen mit subsidiärem Schutzstatus nicht das Recht zur Wahl ihres Aufenthalts im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats, der diesen Schutz gewährt hat, zuerkennt, würde unter diesen Umständen bedeuten, dass dieses Recht nur Flüchtlingen garantiert würde. Dadurch würde, trotz des Fehlens einer ausdrücklichen dahin gehenden Bestimmung in der RL, eine Unterscheidung zwischen dem Inhalt des insoweit Flüchtlingen einerseits und Personen mit subsidiärem Schutzstatus andererseits gewährleisteten Schutzes vorgenom-327men, die dem in den Rn 32 und 33 des vorliegenden Urteils genannten Ziel zuwiderliefe.
37 Daher ist Art 33 der RL dahin auszulegen, dass er die Mitgliedstaaten verpflichtet, den Personen, denen internationaler Schutz gewährt wurde, sowohl zu gestatten, sich im Gebiet des Mitgliedstaats, der diesen Schutz gewährt hat, frei zu bewegen, als auch, dort ihren Aufenthalt zu wählen.
Zur zweiten Frage
[...]
41 Mit seiner zweiten Frage in beiden Ausgangsverfahren möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Art 29 und 33 der RL 2011/95 dahin auszulegen sind, dass sie einer Wohnsitzauflage entgegenstehen, die wie die in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden einer Person mit subsidiärem Schutzstatus im Fall des Bezugs bestimmter Sozialleistungen erteilt wird, um eine angemessene Verteilung der mit der Gewährung dieser Leistungen verbundenen Lasten auf deren jeweilige Träger zu erreichen. [...]
45 Folglich dürfen aufgrund von Art 33 der RL 2011/95 Personen mit subsidiärem Schutzstatus bei der Wahl ihres Wohnsitzes grundsätzlich keiner strengeren Regelung unterworfen werden als andere Drittstaatsangehörige, die sich rechtmäßig in dem Mitgliedstaat aufhalten, der diesen Schutz gewährt hat. [...]
48 Zu Art 29 der RL 2011/95 ist festzustellen, dass in dessen Abs 1 die allgemeine Regel aufgestellt wird, wonach Personen, denen internationaler Schutz zuerkannt worden ist, in dem Mitgliedstaat, der diesen Schutz gewährt hat, Sozialhilfe wie Staatsangehörige dieses Mitgliedstaats erhalten. Diese Regel bedeutet insb, dass der Zugang dieser Personen zur Sozialhilfe nicht von der Erfüllung von Bedingungen abhängig gemacht werden darf, die den Angehörigen des den Schutz gewährenden Mitgliedstaats nicht auferlegt werden.
49 Art 29 Abs 2 der RL sieht vor, dass die Mitgliedstaaten abweichend von der genannten Regel die Sozialhilfe für Personen, denen der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt worden ist, auf Kernleistungen beschränken können. Aus dieser Bestimmung geht jedoch klar hervor, dass die Kernleistungen, wenn sich ein Mitgliedstaat dafür entscheidet, von der Regel abzuweichen, unter denselben Voraussetzungen wie für Angehörige dieses Mitgliedstaats gewährt werden müssen.
50 Folglich müssen in beiden von Art 29 der RL 2011/95 erfassten Fällen die Voraussetzungen des Zugangs der Personen mit subsidiärem Schutzstatus zu der Sozialhilfe, die sie von dem Mitgliedstaat erhalten, der diesen Schutz gewährt hat, dieselben sein wie bei der Gewährung von Sozialhilfe für Angehörige dieses Mitgliedstaats. [...]
54 Eine nationale Regelung, die die Erteilung einer Wohnsitzauflage für Personen mit subsidiärem Schutzstatus vorsieht, nicht aber für Flüchtlinge, für Drittstaatsangehörige, die sich aus anderen als humanitären, politischen oder völkerrechtlichen Gründen rechtmäßig im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats aufhalten, und für Angehörige dieses Mitgliedstaats, wäre allerdings dann zulässig, wenn sich diese Personengruppen im Hinblick auf das mit der Regelung verfolgte Ziel nicht in einer objektiv vergleichbaren Situation befänden.
55 Hierzu ist jedoch festzustellen, dass die Gewährung von Sozialleistungen für den Träger, der diese Leistungen zu erbringen hat, unabhängig davon eine Last darstellt, ob es sich beim Empfänger um eine Person mit subsidiärem Schutzstatus, einen Flüchtling, einen Drittstaatsangehörigen, der sich aus anderen als humanitären, politischen oder völkerrechtlichen Gründen rechtmäßig im deutschen Hoheitsgebiet aufhält, oder einen deutschen Staatsangehörigen handelt. Ortsveränderungen von Empfängern solcher Leistungen oder ihre ungleiche Konzentration im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats können somit zu einer unangemessenen Verteilung dieser Last auf die zuständigen Träger führen, ohne dass der etwaigen Eigenschaft der Empfänger als Person mit subsidiärem Schutzstatus insoweit besondere Relevanz zukäme.
56 Nach alledem ist auf die zweite Frage in beiden Ausgangsverfahren zu antworten, dass die Art 29 und 33 der RL 2011/95 dahin auszulegen sind, dass sie einer Wohnsitzauflage entgegenstehen, die wie die in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden einer Person mit subsidiärem Schutzstatus im Fall des Bezugs bestimmter Sozialleistungen erteilt wird, um eine angemessene Verteilung der mit der Gewährung dieser Leistungen verbundenen Lasten auf deren jeweilige Träger zu erreichen, wenn in der anwendbaren nationalen Regelung nicht vorgesehen ist, dass eine solche Maßnahme Flüchtlingen, Drittstaatsangehörigen, die sich aus anderen als humanitären, politischen oder völkerrechtlichen Gründen rechtmäßig im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats aufhalten, und Angehörigen dieses Mitgliedstaats im Fall des Bezugs der genannten Leistungen auferlegt wird.
Zur dritten Frage
57 Mit seiner dritten Frage in beiden Ausgangsverfahren möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art 29 und/oder Art 33 der RL 2011/95 dahin auszulegen sind, dass sie einer Wohnsitzauflage entgegenstehen, die wie die in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden einer Person mit subsidiärem Schutzstatus im Fall des Bezugs bestimmter Sozialleistungen mit dem Ziel erteilt wird, die Integration von Drittstaatsangehörigen in den Mitgliedstaat, der diesen Schutz gewährt hat, zu erleichtern. [...]
59 Hierzu ist festzustellen, dass Art 29 der RL 2011/95 im Rahmen der Prüfung der dritten Frage nicht relevant ist, da sich Personen mit subsidiärem Schutzstatus und deutsche Staatsangehörige im Hinblick auf das Ziel, die Integration von Drittstaatsangehörigen zu erleichtern, nicht in einer vergleichbaren Situation befinden.
60 Zu Art 33 der RL geht aus den Angaben in den Rn 12 und 13 des vorliegenden Urteils hervor, dass sich nach der in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Regelung die Behandlung von Personen mit subsidiärem Schutzstatus, die Sozialhilfe beziehen, von der allgemeinen Behandlung Drittstaatsangehöriger, die sich aus anderen als humanitären, politischen oder völkerrechtli-328chen Gründen rechtmäßig im deutschen Hoheitsgebiet aufhalten, und deutscher Staatsangehöriger unterscheidet.
61 Wie aus den Erwägungen in Rn 54 des vorliegenden Urteils hervorgeht, steht Art 33 der RL 2011/95 einer aufgrund einer solchen Regelung erteilten Wohnsitzauflage für eine Person mit subsidiärem Schutzstatus, die Sozialhilfe bezieht, nur dann entgegen, wenn sich die Personen mit subsidiärem Schutzstatus in einer Situation befinden, die im Hinblick auf das mit dieser Regelung verfolgte Ziel mit der Situation von Drittstaatsangehörigen, die sich aus anderen als humanitären, politischen oder völkerrechtlichen Gründen rechtmäßig im deutschen Hoheitsgebiet aufhalten, objektiv vergleichbar ist.
62 Das vorlegende Gericht wird daher zu prüfen haben, ob der Umstand, dass ein Drittstaatsangehöriger, der Sozialhilfe bezieht, internationalen Schutz – im vorliegenden Fall subsidiären Schutz – genießt, impliziert, dass er in stärkerem Maß mit Integrationsschwierigkeiten konfrontiert sein wird als ein anderer Drittstaatsangehöriger, der sich rechtmäßig in Deutschland aufhält und Sozialhilfe bezieht.
63 Dies könnte insb dann der Fall sein, wenn Drittstaatsangehörige, die sich aus anderen als humanitären, politischen oder völkerrechtlichen Gründen rechtmäßig in Deutschland aufhalten, aufgrund der vom vorlegenden Gericht angeführten nationalen Vorschrift, nach der ihr Aufenthalt in der Regel davon abhängt, dass sie ihren Lebensunterhalt selbst sichern können, erst nach einem ununterbrochenen rechtmäßigen Aufenthalt von gewisser Dauer im Aufnahmemitgliedstaat Sozialhilfe in Anspruch nehmen können. Ein solcher Aufenthalt könnte nämlich darauf hindeuten, dass die betreffenden Drittstaatsangehörigen hinreichend in diesen Mitgliedstaat integriert sind, so dass sie sich im Hinblick auf das Ziel, die Integration von Drittstaatsangehörigen zu erleichtern, nicht in einer Situation befänden, die mit der von Personen mit internationalem Schutzstatus vergleichbar ist. [...]
Im vorliegenden Urteil hatte der EuGH die Frage zu klären, ob eine Anordnung für subsidiär Schutzberechtigte, in einem bestimmten (deutschen) Landkreis ihren Wohnsitz zu begründen, mit dem Unionsrecht, konkret mit der RL 2011/95/EU, vereinbar ist. Der Ausgangssachverhalt war dabei recht einfach: Zwei syrischen StaatsbürgerInnen wurde in Deutschland der Status subsidiär Schutzberechtigter zuerkannt (subsidiärer Schutz wird in Fällen erteilt, in denen zwar keine asylrelevante aktuelle und individuelle Bedrohung vorliegt, eine Abschiebung in den Herkunftsstaat aber insb verschiedene in der EMRK garantierte Rechte verletzen würde, näher zum Begriff Putzer, Asylrecht2 [2011] 85 ff). Dieser Status ist in der Praxis idR dauerhaft, nach fünf Jahren kann diesen Personen auch ein unbefristeter Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt – EU“ zuerkannt werden (Art 3 RL 2003/109/EG idF RL 2011/51/EU, vgl für Österreich § 45 Abs 11 NAG).
Der EuGH betritt bei der Lösung dieser Rechtsfrage gewissermaßen Neuland, der Gerichtshof konnte im Urteil nicht wie sonst durchaus üblich die eigene (Vor-)Judikatur zitieren und davon ausgehend die Antwort auf die Vorlagefragen ableiten.
Gem Art 33 RL 2011/95/EU gestatten die Mitgliedstaaten die Bewegungsfreiheit von Personen, denen internationaler Schutz zuerkannt worden ist, in ihrem Hoheitsgebiet unter den gleichen Bedingungen und Einschränkungen wie für andere Drittstaatsangehörige, die sich rechtmäßig in ihrem Hoheitsgebiet aufhalten. Internationaler Schutz bezeichnet gem Art 2 lit a RL 2011/95/EU sowohl die Rechtsstellung als Asylberechtigte/r als auch jene als subsidiär Schutzberechtigte/r, das Recht auf Bewegungsfreiheit gilt somit für subsidiär Schutzberechtigte in gleicher Weise wie für Asylberechtigte. In der ersten Vorlagefrage hatte der EuGH zu klären, ob mit diesem Begriff bloß ein Zutrittsrecht zum gesamten Staatsgebiet des Mitgliedstaates gemeint ist oder ob dieses Recht auch die Freiheit beinhaltet, den Wohnort und damit den Mittelpunkt der Lebensinteressen frei wählen zu können.
Der GA vertritt die Ansicht, dass Freizügigkeit ein Recht sei, das Komponenten der Ortsveränderung und des Aufenthalts in sich vereinen würde, da andernfalls die praktische Wirksamkeit von Art 33 RL 2011/95/EU nicht gewährleistet wäre (SA GA Cruz Villalon 6.10.2015, verb Rs C-443/14 und C-444/14, Rz 47). Der EuGH folgt im Ergebnis dieser Ansicht, begründet sie aber mit der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK): Gem Art 26 GFK wird rechtmäßig aufhältigen Flüchtlingen das Recht gewährt, ihren Aufenthaltsort zu wählen und sich frei zu bewegen, soweit es auch „Ausländern unter den gleichen Umständen freisteht“. Die RL 2011/95/EU nimmt in diversen Erwägungsgründen auf die GFK Bezug, insb postuliert Erwägungs[gG]rund [0-9] die uneingeschränkte und umfassende Anwendung der GFK im gemeinsamen europäischen Asylsystem. Für Flüchtlinge iSd GFK ist daher klar, dass Art 33 RL 2011/95/EU, will man ihr keinen völkerrechtswidrigen und letztlich auch keinen unionsrechtswidrigen Inhalt unterstellen, nur so ausgelegt werden kann, dass Flüchtlinge auch ihren Wohnort im betreffenden Mitgliedstaat frei wählen können. Völlig zu Recht folgert der EuGH, dass für eine unterschiedliche Behandlung von Flüchtlingen und subsidiär Schutzberechtigten kein Anhaltspunkt bestehen würde, Art 33 RL 2011/95/EU gelte ausdrücklich für alle Personen, denen internationaler Schutz zuerkannt wurde. Daher müssen auch Personen, die (bloß) die Rechtsstellung eines subsidiär Schutzberechtigten haben, das Recht haben, im gesamten Bun-329desgebiet zu leben und daher auch den Ort des Mittelpunkts der Lebensinteressen in diesem Mitgliedstaat selbst zu wählen. Die Möglichkeit eines bloß kurzfristigen Zugangs zum gesamten Staatsgebiet wäre daher nicht ausreichend.
Mit der Erkenntnis, dass alle Personen, denen internationaler Schutz zuerkannt wurde, ihren Wohnsitz grundsätzlich frei wählen können, ist die Prüfung aber nicht beendet. Dieses Recht gilt nämlich nicht absolut (vgl Rz 42 des vorliegenden Urteils), sondern gebietet nur die Gleichbehandlung mit anderen Drittstaatsangehörigen, die sich rechtmäßig in dem betreffenden Mitgliedstaat aufhalten. Eine unterschiedliche Behandlung ist also zulässig, soweit die Betroffenen sich nicht in einer vergleichbaren Situation befinden. Allerdings belasten Sozialhilfeleistungen immer den jeweiligen Träger dieser Leistungen unabhängig davon, ob es sich bei den LeistungsbezieherInnen um Flüchtlinge, subsidiär Schutzberechtigte, andere Drittstaatsangehörige oder eigene StaatsbürgerInnen (sowie wohl auch UnionsbürgerInnen) handelt, weshalb aus diesen Grund ebenfalls keine Einschränkung der Wohnsitzwahl möglich ist.
Faktisch eng verknüpft mit der Frage eines Wohnsitzerfordernisses ist natürlich die Möglichkeit des Bezuges von Sozialleistungen. Es liegt auf der Hand, dass in Fällen, in denen eine bestimmte Personengruppe in einigen Bundesländern signifikant niedrigere Leistungen erhält als in anderen Bundesländern, diese Länder für Betroffene nicht sehr attraktiv sein werden. Eine Einschränkung der freien Wohnsitzwahl allein aus dem Grund, dass andernfalls eine Verteilung von Personen mit internationalem Schutz mangels Gewährung von gleichartigen Leistungen nicht gelingen kann, wäre aber unzulässig (siehe oben Pkt 2). Zudem ist äußerst fraglich, ob eine Ungleichbehandlung von Asylberechtigten in den ersten Jahren der Schutzgewährung bzw von subsidiär Schutzberechtigten gegenüber österreichischen StaatsbürgerInnen unionsrechtlich zulässig ist. Zwar können die Mitgliedstaaten gem Art 33 RL 2011/95/EU die Sozialhilfe für Personen, denen der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt worden ist, auf „Kernleistungen“ beschränken (gemäß Erwägungsgrund 45 fallen unter diese Kernleistungen zumindest eine Mindesteinkommensunterstützung sowie Unterstützung bei Krankheit oder bei Schwangerschaft und bei Elternschaft), der EuGH hatte aber noch nie die Frage zu klären, was genau unter diesen Begriff zu subsumieren ist. Zwar hat der VwGH in einem Erk aus dem Jahr 2011 ausgesprochen, dass mit Leistungen der Grundversorgung die Kernleistungen abgedeckt seien (VwGH 15.12.2011, 2008/10/0001), dieses Erk erging aber zum mittlerweile aufgehobenen Art 28 RL 2004/83/EG der (allerdings sehr ähnlichen) Vorgängerbestimmung des Art 33 RL 2011/95.
Auch aufgrund innerstaatlicher Erwägungen ist diese Rsp nicht ohne Weiteres auf die aktuelle Rechtslage anwendbar: Gem Art 4 Abs 3 Z 2 Art 15a B-VG-Vereinbarung ist explizit für subsidiär Schutzberechtigte ein Rechtsanspruch auf bedarfsorientierte Mindestsicherung vorzusehen. Laut EB erfolgte die Einbeziehung der subsidiär Schutzberechtigten in die bedarfsorientierte Mindestsicherung auch aufgrund der europarechtlichen Vorgaben (ErläutRV 677 24. GP zu Art 4). Zwar können sich Betroffene selbst nicht unmittelbar auf diese Vereinbarung berufen, allerdings ist diese trotzdem geltendes Recht und daher nicht unbeachtlich. Eine nähere Betrachtung ist an dieser Stelle leider nicht möglich, siehe dazu näher Rebhahn ua, Sozialleistungen an „international Schutzberechtigte und Schutzsuchende“ – Möglichkeiten zur Differenzierung gegenüber Staatsangehörigen [2016], http://images.derstandard.at/2016/03/30/Sozialleistungen.pdf [5.6.2016]).
Die letzte Frage, die dem EuGH vorgelegt wurde, zielte darauf ab, ob eine Wohnsitzklausel dann zulässig ist, wenn sie auf migrations- oder integrationspolitische Gründe gestützt wird, etwa um die Bildung von sozialen Brennpunkten zu verhindern. Die Antwort des EuGH auf diese Frage ist mE nicht überzeugend: Art 29 RL 2011/95/EU ist nach Ansicht des Gerichtshofs für die Lösung dieser Frage nicht relevant, da sich für die Frage des Integrationsbedarfs eigene StaatsbürgerInnen nicht in einer vergleichbaren Situation wie Drittstaatsangehörige befinden würden. Also muss das nationale Gericht iSd Art 33 RL 2011/95/EU prüfen, ob sich andere Drittstaatsangehörige, die einen Anspruch auf Sozialhilfeleistungen haben, in einer vergleichbaren Situation befinden würden. Der EuGH lässt aber eine klare Tendenz erkennen: Da Personen mit dem Titel „Daueraufenthalt – EG“ Sozialhilfeleistungen erst nach einem Aufenthalt von gewisser Dauer beziehen könnten, sei der Integrationsbedarf bei dieser Gruppe nicht so ausgeprägt wie bei Personen, denen internationaler Schutz zuerkannt wurde. Das gilt nach der klaren Auffassung des EuGH auch für Asylberechtigte (in Rz 62 bezieht sich der EuGH auf alle Personen, die internationalen Schutz genießen), sodass ein Wohnsitzerfordernis immer dann möglich sein wird, wenn die Behörde bzw allenfalls die Verwaltungsgerichte einen höheren Integrationsbedarf dieser Menschen gegenüber anderen Drittstaatsangehörigen feststellen, die sich in einer vergleichbaren Situation befinden.
Die Beantwortung dieser letzten Frage ist mE nicht schlüssig: Denn zunächst verneint der EuGH explizit die Relevanz von Art 29 RL 2011/95/EU, der für den Bezug von Sozialhilfeleistungen (für subsidiär Schutzberechtigte zumindest im Kernbereich) die Gleichbehandlung mit eigenen StaatsbürgerInnen verlangt und prüft das Wohnsitzerfordernis nur anhand von Art 33 RL 2011/95/EU, also anhand330 der Gleichbehandlung mit (vergleichbaren) Drittstaatsangehörigen bezüglich Bewegungsfreiheit. Trotzdem ist das inhaltliche Kriterium, wonach der EuGH die unterschiedliche Behandlung rechtfertigt, der Bezug von Sozialhilfeleistungen. Zwar ist es richtig, dass unionsrechtlich für Drittstaatsangehörige erst nach fünf Jahren Niederlassung ein Anspruch auf Sozialhilfeleistungen zusteht (vgl Art 11 RL 2003/109/EG); das (hier interessierende) österreichische Aufenthaltsrecht kennt aber keine Gebietsbeschränkungen (lediglich AsylwerberInnen unterliegen vor Zulassung des Asylverfahrens gem § 12 Abs 2 AsylG einer Gebietsbeschränkung, das Urteil bezieht sich aber nicht auf Asylsuchende). Ist aber Art 29 RL 2011/95/EU, der den Anspruch auf Sozialhilfeleistungen für Personen mit internationalem Schutz zum Inhalt hat, für die Beantwortung der Vorlagefrage nicht relevant, kann ein Wohnsitzerfordernis nicht mit einem Vergleich von eben Sozialhilfeleistungen begründet werden.
In jedem Fall aber kann die Prüfung auch bei solcherart festgestellten grundsätzlichen „Integrationsschwierigkeiten“ nicht aufhören: Wesentlich muss sein, ob ein Wohnsitzerfordernis auch etwa beitragen kann, diese Integrationsschwierigkeiten zu überwinden (arg „Integration erleichtern“, Rz 63 des vorliegenden Urteils, vgl auch SA GA Cruz Villalon, Rz 98: abstrakte migrations- bzw integrationspolitische Erwägungen können nicht ausreichen). Allein die Anzahl von Personen, die internationalen Schutz genießen, in einem bestimmten Bezirk zu begrenzen, kann zwar ein Schritt sein, dass Integration besser gelingen kann, da eben allenfalls „Brennpunkte“ vermieden werden können (wiewohl es auch ein wesentlicher Baustein für Integration ist, Fuß auch in der „eigenen“ Community zu fassen). Eine solche Begrenzung ist aber mE für die Begründung eines Wohnsitzerfordernisses nicht hinreichend: Es muss der Nachweis gelingen, dass dieses Wohnsitzerfordernis auch über eine bloße „Quantitätssteuerung“ hinaus integrationspolitisch zielführend ist. Natürlich hat die Frage, wann Integration konkret erleichtert wird, viele Facetten: Im Nationalen Aktionsplan für Integration und den auf diesem aufbauenden jährlichen Berichten werden zB diesbezüglich sieben „Handlungsfelder“ definiert: Sprache und Bildung, Arbeit und Beruf, Rechtsstaat und Werte, Gesundheit und Soziales, Interkultureller Dialog, Sport und Freizeit sowie Wohnen und die regionale Dimension der Integration (vgl zuletzt Expertenrat für Integration, Integrationsbericht 2015, https://www.bmeia.gv.at/fileadmin/user_upload/Zentrale/Integration/Integrationsbericht_2015/IB15_DE_150623_web.pdf [13.6.2016]). Zwar wird ein Wohnsitzerfordernis nicht erst dann begründbar sein, wenn an diesem Wohnsitz perfekte Bedingungen für alle diese Handlungsfelder vorliegen. Es wird aber insb nicht möglich sein, ein Wohnsitzerfordernis bereits daraus abzuleiten, dass etwa an diesem Ort Arbeitsplätze zur Verfügung stehen würden: Zum einen kann auch die Qualität dieser Arbeitsplätze ein Kriterium sein, zum anderen wäre damit bestenfalls eines der oben angeführten Handlungsfelder abgedeckt. Während es in urbanen Gebieten neben Netzwerken der Betroffenen auch Angebote sowohl für Freizeitgestaltung, Angebote für Spracherwerb und Kompetenzerwerb für den Zugang zum Arbeitsmarkt geben kann, ist dies möglicherweise im ländlichen Raum nicht immer einfach. Davon wird aber abhängen, ob ein Wohnsitzerfordernis tatsächlich rechtskonform möglich ist.
Der EuGH hat zwar in zwei von drei Fragen ein zwingendes Wohnsitzerfordernis für subsidiär Schutzberechtigte verneint, aber ein solches für Asylberechtigte und subsidiär Schutzberechtigte dann nicht ausgeschlossen, wenn sich diese im Hinblick auf ihre Integrationsschwierigkeiten nicht in einer vergleichbaren Situation mit anderen Drittstaatsangehörigen befinden würden. Dieser Nachweis muss aber jeweils konkret geführt werden – und wird nicht immer gelingen.331