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Entlassung einer Buchbinderin mangels Mindestintensität des Anlassfalles unberechtigt

MANFREDTINHOF

Eine 28 Jahre als Buchbinderin bei der AG beschäftigte AN wies einen Zeitaufwand von wenigen Minuten für die Herstellung eines Buchdeckels nicht – wie es der betrieblichen Anweisung entsprochen hätte – gesondert aus, sondern berücksichtigte ihn nur bei der Gesamtarbeitszeit des Auftrags. Die Verwendung der dazu benötigten etwa 10 dag Leim dokumentierte sie nicht. Die AG sprach daraufhin die Entlassung aus. Ungefähr zwei Jahre vor diesem Ereignis war die AN zweimal schriftlich verwarnt worden, weil der Verdacht bestand, dass sie in der Arbeitszeit Privatarbeiten durchführte; dies war zwar im Betrieb grundsätzlich zulässig, die dafür in jedem Einzelfall erforderliche Erlaubnis des Geschäftsführers hatte die AN aber nicht eingeholt.

Der OGH erachtete die Beurteilung der Vorinstanzen, dass der gegenständliche Anlassfall selbst unter Berücksichtigung der schon zwei Jahre zurückliegenden Verwarnungen nicht jene Mindestintensität erreicht hat, die eine Entlassung rechtfertigen konnte, als nicht unvertretbar und wies die Revision der bekl AG zurück. Es entspricht zwar der ständigen höchstgerichtlichen Rsp, dass bei der Beurteilung der Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung eines AN unter Umständen auch dessen Gesamtverhalten eine Rolle spielen kann und auch Verfehlungen sowie frühere Verwarnungen berücksichtigt werden können, die nicht unmittelbar vor der vorzeitigen Auflösung gesetzt worden sind. Diese kommen aber nur dann zum Tragen, wenn der eigentliche Anlassfall für die vorzeitige Beendigung eine gewisse Mindestintensität erreicht und damit geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung im konkreten Fall zu begründen.