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Beamten-Pensionssystem ist trotz Nichtberücksichtigung von Dienstzeiten vor dem 18. Lebensjahr nicht altersdiskriminierend

HANNESSCHNELLER
RL 2000/78/EG („Gleichbehandlungsrahmen-RL“), RL 2006/54/EG („Gleichbehandlungs-RL – Neufassung“)

Art 2 Abs 1, Art 2 Abs 2 und Art 6 Abs 2 der „Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie“ (2000/78/EG) sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung, die die Anrechnung von Lehr- und Beschäftigungszeiten, die ein Beamter vor Vollendung des 18. Lebensjahrs zurückgelegt hat, für die Gewährung eines Ruhegehaltsanspruchs und die Berechnung der Höhe seines Ruhegehalts ausschließt, nicht entgegenstehen. Vorausgesetzt diese Regelung soll bei einem Pensionssystem für Beamte die einheitliche Festsetzung einer Altersgrenze für die Mitgliedschaft und einer Altersgrenze für den Bezug von Altersrente im Rahmen dieses Systems gewährleisten.

SACHVERHALT

Das Vorabentscheidungsersuchen des VwGH ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Lesar und dem beim Vorstand der Telekom Austria AG eingerichteten Personalamt (im Folgenden: Personalamt) über dessen Weigerung, bei der Berechnung der Pensionsansprüche von Herrn Lesar die Lehr- und Beschäftigungszeiten zu berücksichtigen, die dieser vor Eintritt in den Dienst und vor Vollendung des 18. Lebensjahrs zurückgelegt hatte.

Herr Lesar wurde am 3.6.1949 geboren. Vom 9.9.1963 bis zum 8.3.1967, also als er noch keine 18 Jahre alt war, arbeitete er im Rahmen eines Lehrverhältnisses bei der Post- und Telegraphenverwaltung des Bundes (Österreich). Ab dem 9.3.1967 stand er bei dieser in einem Vertragsbedienstetenverhältnis. Parallel zu dieser Berufstätigkeit betrieb er vom 14.9.1967 bis zum 17.2.1972 ein Studium am Bundesgymnasium für Berufstätige. Mit Wirkung vom 1.7.1972 wurde sein öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis zum Bund begründet. Bis zu seiner Übernahme als Beamter leistete Herr Lesar während seines Lehr- und Beschäftigungsverhältnisses – auch als er noch keine 18 Jahre alt war – Pensionsbeiträge an die Versicherungsanstalt.

VERFAHREN UND ENTSCHEIDUNG

Gegen den Bescheid des Personalamtes erhob Herr Lesar Beschwerde vor dem VfGH (Österreich). Dieser erklärte sich jedoch für unzuständig und trat sie dem österreichischen VwGH ab.

Der VwGH hat beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof die Frage zur Vor-282abentscheidung vorzulegen, ob die RL 2000/78/EG einer nationalen Regelung – wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden – entgegensteht, wonach Lehrzeiten und Zeiten eines Vertragsbedienstetenverhältnisses zum Bund, für welche Beiträge zur Pflichtversicherung in der PV zu leisten waren, für Zwecke der Erlangung einer Beamtenpension als Ruhegenussvordienstzeiten nicht angerechnet werden, sofern sie vor Vollendung des 18. Lebensjahres gelegen sind.

Der EuGH kam in seiner E zu dem Ergebnis, dass die fragliche Regelung mit dem Unionsrecht vereinbar sei, sofern damit die einheitliche Festsetzung einer Altersgrenze für die Mitgliedschaft und einer Altersgrenze für den Bezug von Altersrente gewährleistet werden soll, weil das Rentensystem der Bundesbeamten als „betriebliches System der sozialen Sicherheit“ zu qualifizieren sei.

ORIGINALZITATE AUS DER ENTSCHEIDUNG

„Vorab ist darauf hinzuweisen, dass unstreitig § 54 Abs 2 lit a PG 1965 [Pensionsgesetz 1965, gilt für Bundesbeamte] dadurch, dass bei einem Teil der Beamten vor Vollendung des 18. Lebensjahrs zurückgelegte Lehr- und Beschäftigungszeiten nicht als Ruhegenussvordienstzeiten angerechnet werden, die Bedingungen des Arbeitsentgelts dieser Beamten im Sinne von Art 3 Abs 1 Buchst c der Richtlinie 2000/78 berührt (Urteil vom 21. Januar 2015, Felber). Die Richtlinie ist daher in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens anwendbar.

Zu der Frage, ob die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Regelung zu einer Ungleichbehandlung wegen des Alters in Beschäftigung und Beruf führt, ist darauf hinzuweisen, dass ‚Gleichbehandlungsgrundsatz‘ nach Art 2 Abs 1 der Richtlinie 2000/78 bedeutet, dass es keine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung wegen eines der in ihrem Art 1 genannten Gründe, zu denen das Alter gehört, geben darf. Nach Art 2 Abs 2 Buchst a der Richtlinie liegt eine unmittelbare Diskriminierung im Sinne von Art 2 Abs 1 vor, wenn eine Person wegen eines der in Art 1 der Richtlinie genannten Gründe in einer vergleichbaren Situation eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person erfährt, erfahren hat oder erfahren würde.

Gemäß § 53 Abs 2 lit a PG 1965 ist die in einem Dienst-, Ausbildungs- oder sonstigen Arbeitsverhältnis bei einem inländischen öffentlich-rechtlichen Dienstgeber zurückgelegte Zeit als Ruhegenussvordienstzeit anzurechnen. § 54 Abs 2 lit a PG 1965 beschränkt diese Anrechnung jedoch auf die Zeit, die der Beamte nach Vollendung des 18. Lebensjahrs zurückgelegt hat. Somit behandelt eine nationale Regelung wie die des Ausgangsverfahrens Personen, die ihre Berufserfahrung, wenn auch nur teilweise, vor Vollendung des 18. Lebensjahrs erworben haben, weniger günstig als Personen, die nach Vollendung des 18. Lebensjahrs eine gleichartige Berufserfahrung vergleichbarer Länge erworben haben. […] Eine solche Vorschrift schafft damit eine Ungleichbehandlung, die unmittelbar auf dem Kriterium des Alters im Sinne von Art 2 Abs 1 und von Art 2 Abs 2 Buchst a der Richtlinie 2000/78 beruht (vgl in diesem Sinne Urteile vom 18. Juni 2009, Hütter und vom 21. Januar 2015, Felber).

Gleichwohl ist zu prüfen, ob diese Ungleichbehandlung gemäß Art 6 Abs 2 der Richtlinie 2000/78 gerechtfertigt sein kann. Auch wenn insoweit das vorlegende Gericht seine Frage auf die Auslegung von Art 2 Abs 1, Art 2 Abs 2 Buchst a und Art 6 Abs 1 dieser Richtlinie beschränkt hat, hindert dies den Gerichtshof nicht daran, diesem Gericht alle Hinweise zur Auslegung des Unionsrechts zu geben, die ihm, unabhängig davon, ob es bei seiner Fragestellung darauf Bezug genommen hat oder nicht, bei der Entscheidung des bei ihm anhängigen Verfahrens von Nutzen sein können […].

Nach Art 6 Abs 2 der Richtlinie 2000/78 können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass bei den betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit die Festsetzung von Altersgrenzen als Voraussetzung für die Mitgliedschaft oder den Bezug von Altersrente oder von Leistungen bei Invalidität keine Diskriminierung wegen des Alters darstellt. Da diese Vorschrift den Mitgliedstaaten gestattet, eine Ausnahme vom Verbot der Diskriminierung wegen des Alters vorzusehen, ist sie eng auszulegen […].

Der Gerichtshof hat in diesem Sinne entschieden, dass Art 6 Abs 2 der Richtlinie 2000/78 nur für betriebliche Systeme der sozialen Sicherheit gilt, die die Risiken von Alter und Invalidität abdecken […]. Ebenso fallen nicht sämtliche Umstände, die ein betriebliches System der sozialen Sicherheit zur Absicherung solcher Risiken kennzeichnen, in den Geltungsbereich dieser Vorschrift, sondern nur diejenigen, die dort ausdrücklich erwähnt sind (vgl in diesem Sinne Urteil vom 26. September 2013, HK Danmark, C476/11, Rn 52).

Vorliegend ist also zu prüfen, ob die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Regelung Teil eines betrieblichen Systems der sozialen Sicherheit ist, das die Risiken von Alter oder Invalidität abdeckt. Sollte dies zutreffen, ist weiter zu prüfen, ob diese Regelung von den in dieser Vorschrift genannten Fällen, also der ‚Festsetzung von Altersgrenzen als Voraussetzung für die Mitgliedschaft oder den Bezug von Altersrente oder von Leistungen bei Invalidität‘, erfasst wird.

Zum einen ist festzustellen, dass die Richtlinie 2000/78 nicht definiert, was unter einem ‚betrieblichen System der sozialen Sicherheit‘ zu verstehen ist. Dagegen enthält Art 2 Abs 1 lit f der Richtlinie 2006/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juli 2006 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und283 Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen [‚Gleichbehandlungs-RL – Neufassung‘] eine Definition dieses Begriffs. Danach sind betriebliche Systeme der sozialen Sicherheit ‚Systeme, die nicht durch die Richtlinie 79/7/EWG des Rates vom 19. Dezember 1978 zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit […] geregelt werden und deren Zweck darin besteht, den abhängig Beschäftigten und den Selbstständigen in einem Unternehmen oder einer Unternehmensgruppe, in einem Wirtschaftszweig oder den Angehörigen eines Berufes oder einer Berufsgruppe Leistungen zu gewähren, die als Zusatzleistungen oder Ersatzleistungen die gesetzlichen Systeme der sozialen Sicherheit ergänzen oder an ihre Stelle treten, unabhängig davon, ob der Beitritt zu diesen Systemen Pflicht ist oder nicht‘.

Bei dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Rentensystem der Bundesbeamten [handelt es sich] um ein System, das im Sinne des Art 2 Abs 1 Buchst f der Richtlinie 2006/54 den Angehörigen einer Berufsgruppe Leistungen gewährt, die als Ersatzleistungen an die Stelle der Leistungen eines gesetzlichen Sozialversicherungssystems treten. Bundesbeamte sind aufgrund ihrer Beschäftigung in einem Dienstverhältnis beim Bund vom Rentenversicherungssystem des ASVG ausgenommen, weil ihnen aus ihrem Dienstverhältnis die Anwartschaft auf ein Ruhe- und Versorgungsgehalt zusteht, das den Leistungen dieser Pensionsversicherung gleichwertig ist.

Unter diesen Umständen ist […] eine Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Ausdruck der den Mitgliedstaaten in Art 6 Abs 2 der Richtlinie 2000/78 zuerkannten Freiheit, bei den betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit Altersgrenzen als Voraussetzung für die Mitgliedschaft in einem Beamtenpensionssystem oder den Bezug von Altersrente im Rahmen dieses Systems festzusetzen. Die Mitgliedstaaten können nach dem Wortlaut dieser Bestimmung nicht nur unterschiedliche Altersgrenzen für bestimmte Beschäftigte oder Gruppen bzw Kategorien von Beschäftigten festsetzen, sondern auch im Rahmen eines betrieblichen Systems der sozialen Sicherheit eine einheitliche Altersgrenze für die Mitgliedschaft oder den Bezug von Altersrente festsetzen.

Folglich ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art 2 Abs 1, Art 2 Abs 2 Buchst a und Art 6 Abs 2 der Richtlinie 2000/78 dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, die die Anrechnung von Lehr- und Beschäftigungszeiten, die ein Beamter vor Vollendung des 18. Lebensjahrs zurückgelegt hat, für die Gewährung eines Ruhegehaltsanspruchs und die Berechnung der Höhe seines Ruhegehalts ausschließt, nicht entgegenstehen, sofern diese Regelung bei einem Pensionssystem für Beamte die einheitliche Festsetzung einer Altersgrenze für die Mitgliedschaft und einer Altersgrenze für den Bezug von Altersrente im Rahmen dieses Systems gewährleisten soll.“

ERLÄUTERUNG

Nachdem österreichische Beamte und Vertragsbedienstete sowie StaatsdienerInnen anderer EU-Mitgliedstaaten in einigen Verfahren der letzten zehn Jahre mit der Bekämpfung nationaler Dienstrechtsregelungen, die eine Nichtanrechnung von Dienstzeiten vor Vollendung des 18. Lebensjahres vorsahen, vor dem EuGH erfolgreich waren, wurde hier – soweit überblickbar erstmals! – einem Beamten vom EU-Höchstgericht negativ beschieden. Denn in den EuGH-Entscheidungen „Hütter“ und Folgende war stets der „Vorrückungsstichtag frühestens ab Vollendung des 18. Lebensjahres“ (in diversen bundes- und landesrechtlichen Dienstrechten für Beamte und Vertragsbedienstete) als altersdiskriminierend beurteilt worden, vor allem weil Zeiten zwischen dem 15. und 18. Lebensjahr für die Entgeltberechnung außer Betracht blieben. Das damit verfolgte Ziel des österreichischen Gesetzgebers, Lehrlinge und Maturanten gleich zu behandeln, war vom EuGH in derartigen Verfahren als nicht legitim erachtet worden. Bei der Pensionsbemessung ist das nun anders. Hier akzeptiert der EuGH die Nichtberücksichtigung von Zeiten vor Vollendung des 18. Lebensjahres mit dem Argument, dass es sich beim staatlichen Pensionssystem für Beamte, um ein „betriebliches System der sozialen Sicherheit handelt“.

Zur Auslegung des Begriffs „nationale Regelung eines betrieblichen Systems der sozialen Sicherheit“ greift der EuGH nun auf eine andere RL zu, als jene, die ihm der VwGH zur Auslegung vorgelegt hat. Dies erstaunt, denn es war vom vorlegenden österreichischen Gericht (VwGH) nicht angedeutet worden, dass es sich beim Beamtenpensionsrecht gem PG 1965 um ein innerbetriebliches Alterssicherungssystem, also eine „Betriebspension“ handeln könnte.

Der EuGH betreibt also gewissermaßen Rechtsanalogie, indem er einen interpretationsbedürftigen Begriff der „Antidiskriminierungs-RL 2000“ mithilfe einer sechs Jahre jüngeren Begriffsdefinition der „Antidiskriminierungs-RL 2006“ auslegt und feststellt. Weil bei betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit nach der „Gleichbehandlungs-RL – Neufassung“ 2006/54/EG im Zusammenhang mit der 1. Gleichbehandlungs-RL aus 1979 sehr wohl die Einbeziehung von Anwartschaftsberechtigten erst ab einer gewissen Altersgrenze erlaubt ist, soll das auch für das PG 1965 gelten. Dieses Gesetz normiere deshalb ein „Betriebspensionssystem“, weil es Beamte vom allgemein für Beschäftigte geltenden ASVG ausnimmt284 und der DG ihnen ein (zumindest) gleichwertiges System biete.

Von Bedeutung ist nach dieser EuGH-E, dass die Altersgrenze (= 18. Lebensjahr-Vollendung, folgender Monatserster) für alle vergleichbaren Beschäftigtenkategorien gleich geregelt ist und auch tatsächlich gleich angewendet wird. Es bleibt abzuwarten, ob künftige Vorabentscheidungsverfahren, die andere Arten von Rechtsansprüchen betreffen könnten, die vorliegende E präjudiziell beeinflusst werden.