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Offener Urlaub bei Ende des Arbeitsverhältnisses: zwingende finanzielle Abgeltung bei Krankheit, nicht jedoch bei Dienstfreistellung

HANNESSCHNELLER
Art 7 der RL 2003/88/EG – Arbeitszeit-RL; § 41a Besoldungsordnung 1994 Wien (Beamte)

Herr Maschek war seit dem 3.1.1978 Beamter der Stadt Wien. In der Zeit vom 15.11.2010 bis zum 30.6.2012, dem Zeitpunkt seiner Versetzung in den Ruhestand, erschien er nicht zum Dienst. Das vorlegende Gericht legt dar, dass nach den dienstbehördlichen Aufzeichnungen über Herrn Maschek nur die Abwesenheit zwischen dem 15.11.2010 und dem 31.12.2010 von der DG als krankheitsbedingt eingestuft worden sei. Die übrigen dienstlichen Abwesenheiten zwischen dem 1.1.2011 und dem 30.6.2012 seien von der DG aufgrund zweier Vereinbarungen zwischen ihr und Herrn Maschek über diese Abwesenheiten und ihre Folgen nicht beanstandet worden. Zugleich mit dem Abschluss der zweiten Vereinbarung stellte Herr Maschek ein Ansuchen auf Versetzung in den Ruhestand. Infolgedessen erließ seine DG am 21.7.2011 einen Bescheid, mit dem Herr Maschek gem § 115i Abs 1 DO mit Wirkung zum 1.7.2012 in den Ruhestand versetzt wurde. Daraufhin gab er einen Rechtsmittelverzicht gegen diesen Bescheid ab.

Für das vorlegende Gericht steht somit fest, dass zum einen die Dienstabwesenheit von Herrn Maschek vom 15.11.2010 bis zum 31.12.2010 krankheitsbedingt gerechtfertigt gewesen sei und dass er zum anderen vom 1.1.2011 bis zum 30.6.2012, also bis zum Ende seines Dienstverhältnisses wegen Versetzung in den Ruhestand, aufgrund einer dienstlichen Weisung, die sich aus der zweiten Vereinbarung ergeben habe, verpflichtet gewesen sei, nicht zum Dienst zu erscheinen.

Herr Maschek trägt jedoch vor, dass er kurz vor dem 30.6.2012 erkrankt sei. Ihm habe daher eine Urlaubsersatzleistung zugestanden, und er habe einen entsprechenden Antrag bei seiner DG gestellt. Mit Bescheid vom 1.7.2014 wurde sein Antrag gem § 41a Abs 2 Z 3 BO abgewiesen.

Das Verwaltungsgericht Wien, das mit der von Herrn Maschek gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde befasst ist, äußert erstens Zweifel an der Vereinbarkeit von § 41a Abs 2 BO mit Art 7 Abs 2 der RL 2003/88. Unter diesen Umständen hat das Verwaltungsgericht Wien beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichts- hof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1. Ist eine nationale Regelung, wie die gegenständliche Bestimmung des § 41a Abs 2 BO, welche einem AN, welcher auf eigenen Antrag hin zu einem bestimmten Zeitpunkt das Beschäftigungsverhältnis beendet, grundsätzlich keinen Urlaubsersatzleistungsanspruch iSd Art 7 der RL 2003/88 zuerkennt, mit Art 7 dieser RL vereinbar?

2. Ist davon auszugehen, dass ein Anspruch auf eine Urlaubsentschädigungsleistung nur dann besteht, wenn der AN, welcher infolge einer Arbeitsunfähigkeit nicht in der Lage war, seinen Urlaubsanspruch unmittelbar vor der Beendigung seines Beschäftigungsverhältnisses zu konsumieren, seinen DG ohne unnötigen Aufschub von dieser Arbeitsunfähigkeit in Kenntnis gesetzt hat, und seine Arbeitsunfähigkeit ohne unnötigen Aufschub belegt hat?

3. Bewirkt eine Konstellation, in welcher der nationale Gesetzgeber einem bestimmten Personenkreis deutlich über die Vorgaben dieser Richtlinienbestimmung hinaus einen Urlaubsersatzleistungsanspruch zuerkennt, dass infolge der unmittelbaren Anwendbarkeit des Art 7 der RL 2003/88 auch den Personen, welchen richtlinienwidrig durch das nationale Gesetz ein Urlaubsersatzleistungsanspruch aberkannt wurde, ein Urlaubsersatzleistungsanspruch in dem deutlich über die Vorgaben dieser Richtlinienbestimmung hinausgehenden, durch die nationale Regelung nur den durch diese Bestimmung begünstigten Personen zugesprochenen Ausmaß zusteht?

Der EuGH hielt in seiner Vorlagebeantwortung fest, dass schon nach dem Wortlaut von Art 7 Abs 1 der RL 2003/88 – von dem diese RL keine Abweichung zulässt – jeder AN Anspruch auf einen bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen hat. Dieser Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub, der nach stRsp des Gerichtshofs als ein besonders bedeutsamer Grundsatz des Sozialrechts der Union anzusehen ist, werde somit jedem AN unabhängig von seinem Gesundheitszustand gewährt.

Wenn das Arbeitsverhältnis beendet wurde und es deshalb nicht mehr möglich ist, bezahlten Jah-285resurlaub tatsächlich zu nehmen, habe der AN nach Art 7 Abs 2 der RL 2003/88 Anspruch auf eine finanzielle Vergütung, um zu verhindern, dass ihm wegen dieser fehlenden Möglichkeit jeder Genuss des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub, selbst in finanzieller Form, vorenthalten wird.

Ferner wies der EuGH darauf hin, dass Art 7 Abs 2 der RL 2003/88 in seiner Auslegung durch den Gerichtshof keine andere Voraussetzung für die Eröffnung des Anspruchs auf finanzielle Vergütung aufstellt als die, dass das Arbeitsverhältnis beendet ist und der AN nicht den gesamten Jahresurlaub genommen hat, auf den er zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses Anspruch hatte. Der Grund für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses spiele dabei keine Rolle.

Daher habe der Umstand, dass ein AN sein Arbeitsverhältnis von sich aus beendet, keine Auswirkung darauf, dass er gegebenenfalls eine finanzielle Vergütung für den bezahlten Jahresurlaub beanspruchen kann, den er vor dem Ende seines Arbeitsverhältnisses nicht verbrauchen konnte. In Anbetracht dessen ist Art 7 Abs 2 der RL 2003/88 dahin auszulegen, dass er nationalen Rechtsvorschriften wie den im Ausgangsverfahren fraglichen entgegensteht, nach denen ein AN, dessen Arbeitsverhältnis infolge seines Antrags auf Versetzung in den Ruhestand beendet wurde und der nicht in der Lage war, seinen bezahlten Jahresurlaub vor dem Ende dieses Arbeitsverhältnisses zu verbrauchen, keinen Anspruch auf eine finanzielle Vergütung für den nicht genommenen Urlaub hat. Der EuGH kam daher zu dem Ergebnis, dass Herr Maschek in Bezug auf den Zeitraum zwischen dem 15.11. und dem 31.12.2010, für den feststeht, dass er sich im Krankheitsurlaub befand und deshalb in diesem Zeitraum den von ihm erworbenen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub nicht verbrauchen konnte, gem Art 7 Abs 2 der RL 2003/88 Anspruch auf eine finanzielle Vergütung für nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub hat.

Außerdem wies der Gerichtshof darauf hin, dass nach stRsp mit dem in Art 7 der RL 2003/88 verankerten Anspruch auf Jahresurlaub ein doppelter Zweck verfolgt wird, der darin besteht, es dem AN zu ermöglichen, sich zum einen von der Ausübung der ihm nach seinem Arbeitsvertrag obliegenden Aufgaben zu erholen und zum anderen über einen Zeitraum der Entspannung und Freizeit zu verfügen. Der EuGH stellte daher fest, dass ein AN, dessen Arbeitsverhältnis beendet wurde und der nach einer mit seinem AG getroffenen Vereinbarung während eines bestimmten Zeitraums vor seiner Versetzung in den Ruhestand weiterhin sein Entgelt bezog, aber verpflichtet war, nicht an seinem Arbeitsplatz zu erscheinen, keinen Anspruch auf eine finanzielle Vergütung für den während dieses Zeitraums nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub hat, es sei denn, dass er den Urlaub wegen Krankheit nicht nehmen konnte.

Auf die letzte Vorlagefrage antwortete der EuGH, dass es zum einen Sache der Mitgliedstaaten sei, zu entscheiden, ob sie AN neben dem in Art 7 der RL 2003/88 vorgesehenen Anspruch auf bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen weitere Ansprüche auf bezahlten Urlaub gewähren. In diesem Fall können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass ein AN, der vor der Beendigung seines Arbeitsverhältnisses aus Krankheitsgründen seinen zusätzlichen bezahlten Jahresurlaub nicht in vollem Umfang verbrauchen konnte, Anspruch auf eine diesem zusätzlichen Zeitraum entsprechende finanzielle Vergütung hat. Zum anderen ist es Sache der Mitgliedstaaten, die Bedingungen für die Gewährung festzulegen.