193Keine Bezugsverlängerung im Falle einer gravierenden länger dauernden Krankheit des betreuenden Elternteils ohne Aufenthalt in einer Heil- oder Pflegeanstalt
Keine Bezugsverlängerung im Falle einer gravierenden länger dauernden Krankheit des betreuenden Elternteils ohne Aufenthalt in einer Heil- oder Pflegeanstalt
§ 5 Abs 4a KBGG ist so formuliert, dass ein – die Voraussetzung für die Bezugsverlängerung bildendes – unvorhersehbares und unabwendbares Ereignis nur in den vier im Gesetz aufgezählten Fallkonstellationen (Tod; stationärer Aufenthalt; festgestellte häusliche Gewalt; behördliche Anhaltung) vorliegt. Eine analoge Anwendung auf Fälle, in denen der andere Elternteil trotz Aufrechterhaltung des gemeinsamen Haushalts mit dem Kind auch außerhalb von Zeiten stationärer Krankenhausaufenthalte aus gesundheitlichen Gründen nicht zur Kinderbetreuung in der Lage ist, kommt nicht in Betracht.
Die Kl bezog von 27.6.2012 bis 22.4.2013 Kinderbetreuungsgeld (KBG) als Ersatz des Erwerbseinkommens nach § 24a KBGG in Höhe von € 66,- pro Tag. Aufgrund seiner seit dem Jahr 2000 bestehenden chronischen lymphatischen Leukämie-Erkrankung war der Lebensgefährte der Kl und Vater des Kindes von 23.4. bis 22.6.2013 in seiner Leistungsfähigkeit so massiv eingeschränkt, dass er nicht in der Lage war, das Kind ab 23.4.2013 zu betreuen. Er befand sich im genannten Zeitraum von 26.4. bis 6.5.2013 in stationärer Krankenhausbehandlung. In der übrigen Zeit war ihm – bedingt durch unvorhersehbare Schwankungen seines Allgemeinzustands – die Übernahme von Verantwortung für ein Kleinkind nicht möglich. Wege außerhalb des Hauses, wie sie bei der Kinderbetreuung anfallen (etwa Besuche beim Kinderarzt), und die Betreuung des Kindes bei Krankheit waren ihm nicht zumutbar. Von einem engen körperlichen Kontakt mit seinem Kind war einerseits wegen des301 Risikos der eigenen Infektion aufgrund seiner beeinträchtigten Immunitätslage und andererseits wegen der Fremdgefährdung des Kindes durch Übertragung von Spitalskeimen abzuraten.
Mit Bescheid vom 22.5.2013 lehnte die bekl Wiener Gebietskrankenkasse den Antrag der Kl vom 24.4.2013 auf Verlängerung der Kinderbetreuungsgeldanspruchsdauer auf den Zeitraum von 23.4. bis 22.6.2013 ab.
Der gegen diesen Bescheid gerichteten Klage gab das Erstgericht statt und führt dazu aus, dass der Gesetzgeber offenkundig planwidrig Konstellationen nicht berücksichtigt habe, in denen ein Elternteil trotz Aufrechterhaltung des gemeinsamen Haushalts mit dem Kind auch außerhalb von Zeiten stationärer Krankenhausaufenthalte aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage sei, die nach der gesetzlichen Konzeption hinter dem Anspruch auf KBG liegende Kinderbetreuung durchzuführen.
Die gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Vaters und die damit verbundene Unfähigkeit zur (verlässlichen und planbaren) Erbringung von Kinderbetreuungsleistungen kämen in ihrer Bedeutung, Schwere und Auswirkung den in § 5 Abs 4a KBGG ausdrücklich genannten Ereignissen gleich. Den Ausnahmebestimmungen des § 5 Abs 4a KBGG liege wie der Bestimmung des § 5 Abs 4 KBGG über die Anzahl der Bezugswechsel und deren Mindestdauer die Absicht zugrunde, Härtefälle, die sich bei der Anwendung der die Dauer des Leistungsbezugs allgemein regelnden Bestimmungen des KBGG ergeben könnten, zu vermeiden.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Bekl Folge und wies das Klagebegehren ab. Schon aus der Konzeption der Z 1 bis 4 des § 5 Abs 4a KBGG lasse sich die Intention des Gesetzgebers erschließen, nur eng umrissene Ereignisse für eine Verlängerung des Kinderbetreuungsgeldanspruchs zuzulassen. Auch die Gesetzesmaterialien sprächen für die restriktive Anwendung des § 5 Abs 4a KBGG. Angesichts dieser Überlegungen scheide eine analoge Anwendung des § 5 Abs 4a KBGG auf den vorliegenden Sachverhalt der gesundheitsbedingten Verhinderung des anderen Elternteils an der Kinderbetreuung aus.
Der OGH erachtete die Revision der Kl für zulässig, aber nicht für berechtigt.
„4. […] Durch die Aufzählung, was als ‚unvorhersehbares und unabwendbares Ereignis‘ gilt, unterscheidet sich Abs 4a deutlich von Abs 4, in dem die höchst zulässige Anzahl von Wechseln des Bezugs von KBG zwischen den beiden Elternteilen und der Unterschreitung der Mindestbezugsdauer von zwei Monaten geregelt ist. Abgesehen vom unterschiedlichen Regelungszweck (siehe Schober in
4.1. Bei einer taxativen Aufzählung ist bei der Beantwortung der Frage, ob anstelle des an sich naheliegenden Umkehrschlusses ein Analogieschluss zu ziehen ist, größte Zurückhaltung angebracht (P. Bydlinski in KBB4 § 7 Rz 2). Ana-logie ist bei einer taxativen Aufzählung nur dann möglich und geboten, wenn der Gesetzeszweck in Verbindung mit dem Gleichheitsgrundsatz die Erstreckung der Rechtsfolgenanordnung einer gesetzlichen Norm auf den gesetzlich nicht unmittelbar geregelten Fall fordert (RISJustiz RS0008841 [T7]). Dies setzt nach der Rsp voraus, dass der nicht besonders angeführte Fall alle ‚motivierenden Merkmale‘ der geregelten Fälle enthält (RISJustiz RS0008839 [T4]).
4.2. Die vier aufgezählten Gründe haben gemeinsam, dass der ‚andere‘ Elternteil wegen des Vorliegens dieses Grundes, der den gemeinsamen Haushalt auflöst, an der Mitwirkung an der tatsächlichen Betreuung des Kindes gehindert ist. Das Gesetz weist hier eine gewisse Ambivalenz auf, weil einerseits die persönliche Betreuung des Kindes nicht als Anspruchsvoraussetzung für den Bezug des Kinderbetreuungsgeldes normiert ist (vgl ErläutRV 620 BlgNR 21. GP 53: ‚Finanzielle Unterstützung [Familienleistung] für alle Eltern … während der Betreuung ihres Kindes in den ersten drei Jahren .... Durch die Möglichkeit, bis zu 14.600 EUR jährlich dazuverdienen zu können, soll eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf erreicht werden.‘), andererseits doch Aspekte der persönlichen Betreuung eine Rolle spielen, etwa in § 2 Abs 3 KBGG (Vorrecht des betreuenden Elternteils) oder § 5 Abs 4 KBGG (Wechsel der Anspruchsberechtigung). Auch beim einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeld, das ein (teilweiser) Ersatz für den Entfall des früheren Einkommens ist, besteht ein indirekter Anreiz zur persönlichen Betreuung, weil während des Bezugs der Leistung keine Erwerbstätigkeit ausgeübt werden darf, die zu Einkommen über der sozialversicherungsrechtlichen Geringfügigkeitsgrenze führt (ErläutRV 340 BlgNR 24. GP 17).
4.3. Die in § 5 Abs 4a KBGG aufgezählten spezifischen Gründe, derentwegen der gemeinsame Haushalt aufgelöst wird, haben weiters gemeinsam, dass sie leicht feststellbar sind und damit der Vereinfachung der verwaltungstechnischen Abwicklung dienen. Dieses gesetzgeberische302 Ziel, das Härtefälle in Kauf nehmen muss, ist durchaus legitim (vgl RISJustiz RS0053534; VfGHG 1355/95, V 158/95, VfSlg 14.512 uva), wenn auch der sachlichen Rechtfertigung bedürftig.
Die taxativ aufgezählten Ereignisse lassen sich urkundlich leicht nachweisen und machen die Einholung zB eines medizinischen Sachverständigengutachtens nicht erforderlich. Nur so ist es der auszahlenden Stelle möglich, zeitnah auf Verlängerungsanträge, die auf einen maximalen Bezugszeitraum von zwei Monaten angelegt sind, zu reagieren. Hätte der Gesetzgeber auch Fälle einer gravierenden länger dauernden Krank-heit des betreuenden Elternteils – ohne Aufenthalt in einer Heil- oder Pflegeanstalt – einbeziehen wollen, wäre ihm dieses ein Leichtes gewesen, indem er im Gesetz darauf Bezug genommen hätte. Die Annahme eines gesetzgeberischen Versehens ist schon deshalb unwahrscheinlich, weil in den Gesetzesmaterialien ausdrücklich auf die Definition des Begriffs ‚Heil- und Pflegeanstalt‘ in den §§ 1 und 2 KAKuG Bezug genommen wird.
In der dargestellten Ermöglichung einer raschen Entscheidung über den Anspruch auf der Grundlage einer Aufzählung eindeutig nachvollziehbarer gravierender Fälle liegt eine ausreichende sachliche Rechtfertigung für die restriktive gesetzliche Regelung, weshalb auch kein Anlass zu einer Anrufung des Verfassungsgerichtshofs besteht.“
Der OGH verneint die Möglichkeit einer Bezugsverlängerung im Falle einer gravierenden länger dauernden Krankheit des betreuenden Elternteils ohne Aufenthalt in einer Heil- oder Pflegeanstalt. Seine durchaus strenge, aber zutreffende Meinung stützt er in erster Linie auf den Wortlaut der Bestimmung des § 5 Abs 4a KBGG.
Nach dem Gesetzeswortlaut ermöglicht diese Bestimmung bei abwechselndem Kinderbetreuungsgeldbezug durch beide Elternteile ausnahmsweise eine Bezugsverlängerung für einen Elternteil, wenn der andere Elternteil aufgrund eines unabwendbaren und unvorhersehbaren Ereignisses, dessen Dauer den Wegfall des gemeinsamen Haushaltes mit dem Kind bewirkt, am Bezug des KBG für dieses Kind verhindert ist. Zutreffend verweist der OGH in diesem Zusammenhang auf die Formulierung des § 5 Abs 4a KBGG, dass ein – die Voraussetzung für die Bezugsverlängerung bildendes – unvorhersehbares und unabwendbares Ereignis nur in den vier im Gesetz aufgezählten Fallkonstellationen (Tod; stationärer Aufenthalt; festgestellte häusliche Gewalt; behördliche Anhaltung) vorliegt. Auch nimmt er auf die Gesetzesmaterialien Bezug, in denen der taxative Charakter der Aufzählung betont wird. Zudem führt er der Darstellung des Berufungsgerichtes folgend an, dass andere Gründe, die den Bezug von KBG verhindern, ausdrücklich nicht erfasst seien, etwa das Überschreiten der Zuverdienstgrenze, der Verlust des Anspruchs auf Familienbeihilfe (§ 2 Abs 1 Z 1 KBGG) oder der Verlust der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts in Österreich (§ 2 Abs 1 Z 5 KBGG).
Als ein weiteres Argument für die Untermauerung seiner Ansicht hinsichtlich der Ablehnung der Bezugsverlängerung führt der OGH aus, dass die in § 5 Abs 4a KBGG aufgezählten spezifischen Gründe, derentwegen der gemeinsame Haushalt aufgelöst wird, zusätzlich eines gemeinsam haben, dass sie leicht feststellbar sind und damit der Vereinfachung der verwaltungstechnischen Abwicklung dienen. Der OGH hält dieses gesetzgeberische Ziel, das auch Härtefälle in Kauf nehmen muss, für durchaus legitim. Die sachliche Rechtfertigung für die restriktive gesetzliche Regelung sieht er in der Ermöglichung einer raschen Entscheidung über den Anspruch auf der Grundlage einer Aufzählung eindeutig nachvollziehbarer gravierender Fälle, weshalb er auch keinen Anlass zur Anrufung des VfGH gesehen hat.
Bemerkenswert ist an dieser E, dass der OGH in Übereinstimmung mit dem Berufungsgericht unter Bezugnahme auf die Gesetzesmaterialien ausführt, dass für den Bezug von KBG nicht Anspruchsvoraussetzung ist, dass der beziehende Elternteil sein Kind tatsächlich selbst betreut bzw dazu in der Lage ist. Vielmehr räume der Gesetzgeber als Zweck des KBG auch die Finanzierung einer außerhäuslichen Betreuung ein. Zeigt er damit für Härtefälle wie dem verfahrensgegenständlichen eine denkbare Alternativmöglichkeit auf?