WimmerKinderarbeit – Ein Tabu

mandelbaum-Verlag, Wien 2015, 280 Seiten, € 19,90

DORISLUTZ

Wie der Titel verspricht, setzt sich dieses Buch eingehend mit den Mythen und Fakten des Themas Kinderarbeit auseinander. Außer Streit gestellt wird, dass jedenfalls jener Teil der Kinderarbeit in der Exportindustrie, der in Form extremer Ausbeutung bis hin zur Sklaverei vorkommt, auf das Schärfste bekämpft werden muss, weil diese Form der Kinderarbeit den Kindern ihre Kindheit raubt und die Zukunft verbaut. Und es wird auch nicht in Frage gestellt, dass die Ursache für Kinderarmut in der Regel Armut ist.

Allerdings stellt das Buch einen interessanten Gegenwurf zu dem Bild, das Kampagnen von den schlimmsten Formen der Kinderarbeit (Minenarbeit, Diamantenabbau, Kakaoplantagenernte etc) zeichnen, um damit die Vorstellungen in Industrienationen zu beeinflussen, um dieses Phänomen zum Verschwinden zu bringen. Dabei geht es nicht um Rechtfertigung der ausbeutenden Formen von Kinderarbeit, sondern um Differenzierung. Georg Wimmer wagt also auch einen Blick auf eine Form der Kinderarbeit, bei der es um die Verbesserung der Lebensbedingungen geht oder um die Ermöglichung des Schulbesuches.

Die Kinderarbeit zu verbieten und Unternehmen mit Boykott zu bedrohen, erscheinen als probate Mittel, den Missstand abzustellen. Da Verbote318 und Sanktionen zumeist die billigere Herangehensweise darstellen als die Bewerkstelligung von Möglichkeiten – letzteres kostet zumeist viel Geld –, wird der Versuch unternommen, durch einen ausführlichen und differenzierten Blick in Lebensbedingungen von Kindern, die Kinderarbeit verrichten, deutlich zu machen, dass es die Kinderarbeit nicht gibt.

Interessant ist auch der Blick auf Pervertierungen des eigentlichen Zieles, Kinderarbeit zurückzudrängen, wenn in Touristenorten die Straßen von arbeitenden Kindern „gesäubert“ werden, weil die TouristInnen von deren Anblick verstört werden könnten, oder der Boykott einer Firma, die Kinderarbeit zulässt, zu deren Schließung führt und dadurch für die Kinder auch noch das Wenige wegfällt, was sie zur Verbesserung ihrer Situation erwirtschaften konnten. Sehr spannend sind in diesem Buch die vielen Originalzitate der Kinder, die teilweise im Zuge von Studien oder in diversen nationalen Kinderbewegungen gewonnen wurden. Ein ganzes Kapitel setzt sich mit der Frage auseinander, inwieweit die Sicht der Kinder zu relativieren ist.

Das Buch führt schließlich auch in den Norden und untersucht die Kinderarbeit in den Industriestaaten. Dort ist der Motor für die Arbeit von Kindern eher, soziale Ausgrenzung zu vermeiden als Hunger. Nichtsdestoweniger gibt es auch hier Formen der Kinderarbeit, die den Charakter von Ausbeutungsverhältnissen haben können. Außerdem wird auch ein soziologischer Blick auf die Veränderung der Sichtweisen zum Wohl des Kindes im Lauf der Zeit gelenkt und es wird ein statistischer Vergleich zum Süden versucht. Anregend ist auch der Gedanke, dass man die Beseitigung der Kinderarbeit uU besser durch Formulierung und Durchsetzung von Rechten und Ansprüchen für die arbeitenden Kinder erreichen kann als durch Verbote.

Das letzte Kapitel setzt sich mit der Frage auseinander, was zu tun sei und geht hart mit diversen Praktiken der Verschleierung von Lohn- und Sozialdumping durch Imagewerbekampagnen ins Gericht. Weder Firmen- oder Länder-Boykotte, noch Gütesiegel, noch CSR oder Codes of Conduct helfen per se. Sie müssen mit Bildungs- und Kreditprogrammen, die allen Kindern einer Region nützen, Einflussnahme von Firmen auf Regierungen, sinnvolle Anspruchs- und Schutznormen zu entwickeln (zB Verbot gefährlicher Arbeiten, Recht auf faire Löhne und flexible Arbeitszeiten, um die Arbeit mit dem Schulbesuch vereinbaren zu können), Bezahlung fairer Preise für Subvergaben usw verknüpft werden, um eine positive Wirkung entfalten zu können.

Man mag mit dem Autor nicht in allen Fragen konform gehen, aber das Buch ist in jedem Fall ein wichtiger Beitrag, sich ein differenziertes Bild zum Thema Kinderarbeit zu machen.