161Zusatzkollektivvertrag „Einsparpaket“ wurde nicht einvernehmlich beendet
Zusatzkollektivvertrag „Einsparpaket“ wurde nicht einvernehmlich beendet
Aus dem Schreiben der (arbeitgeberseitigen Kollektivvertragspartei) WKÖ geht nur die – für den Erklärungsempfänger (ÖGB-Teilgewerkschaft „vida“, Kollektivvertragspartei auf AN-Seite) – deutlich erkennbare Absicht hervor, die Kollektivverträge für das Bordpersonal zum nächstmöglichen Termin zu kündigen. Eine Absicht, die sofortige Beendigung (nur) des in dem Schreiben nicht erwähnten, befristeten Zusatz-KollV „Einsparungspaket“ (EP) zu vereinbaren, kann der WKÖ daraus nicht unterstellt werden.
Ein Aufhebungsvertrag (einvernehmliche Auflösung) lässt sich den Erklärungen der Kollektivvertragsparteien nicht entnehmen, denn das Antwortschreiben der Gewerkschaft, das als Anbot zur sofortigen Beendigung des Zusatz-KollV EP gedeutet werden könnte, wurde von der WKÖ nicht angenommen.
Darüber hinaus wäre selbst im Fall einer einvernehmlichen Beendigung, von der hier mangels übereinstimmender Willenserklärungen der Kollektivvertragspartner nicht ausgegangen werden kann, zu beachten gewesen, dass gem § 13 ArbVG die Rechtswirkungen eines KollV nach seinem Erlöschen für Arbeitsverhältnisse, die unmittelbar vor seinem Erlöschen durch ihn erfasst waren, so lange aufrecht bleiben, als für diese Arbeitsverhältnisse nicht ein neuer KollV oder eine neue Einzelvereinbarung abgeschlossen wird.
Die Kl war bei der Bekl seit Mai 1996 als Flugbegleiterin beschäftigt. Ihr Dienstverhältnis endete durch AN-Kündigung zum 15.4.2012. Auf das Dienstverhältnis waren der „Kollektivvertrag für das Bordpersonal der Austrian Airlines und Lauda-Air“ (OS KollV-Bord) samt Anhängen oder Zusätzen und auch der Zusatz-KollV II (OS KollV Bord alt) anzuwenden.
Anfang des Jahres 2012 wusste die Kl, die damals bereits Familie hatte, dass für sie die weitere Berufsausübung als Flugbegleiterin unter Umständen schwer werden würde. Außerdem war ihr bekannt, dass sie aufgrund einer Bestimmung des KollV bei Eigenkündigung zwischen Vollendung des 33. und des 36. Lebensjahres Anspruch auf eine erhöhte Abfertigung hatte. Die Kl hatte auch Kenntnis davon, dass es bei der Bekl Überlegungen für einen Betriebsübergang gab und dass sie dann eine solche Abfertigung nicht erhalten würde. Da die Kl im September 2012 ohnehin ihr 36. Lebensjahr vollenden würde und ihr die weitere Entwicklung noch nicht ausreichend klar war, entschied sie sich zur Kündigung. Nach Erhalt des Kündigungsschreibens hielt die Bekl schriftlich fest, dass das Dienstverhältnis der Kl deren Wunsch entsprechend beendet werde und sie nach dem KollV eine Abfertigung „im Ausmaß des 14-fachen monatlichen Bruttoentgeltes“ erhalten werde.
Am 15.2.2012 erhielt die Gewerkschaft vida (Kollektivvertragspartner des KollV-Bord auf AN-Seite) ein Schreiben der Wirtschaftskammer Österreich, Fachverband der Autobus-, Luftfahrt- und Schifffahrtsunternehmungen (WKÖ; Kollektivertragspartner des KollV-Bord auf AG-Seite) mit folgendem Inhalt: „Die WKÖ kündigt hiermit den Kollektivvertrag für das Bordpersonal der Austrian Airlines und Lauda Air sowie alle Zusatzkollektivverträge, Anhänge und Zusatzprotokolle zum nächstmöglichen Termin.
“ Dieser nächstmögliche Kündigungstermin war gem § 17 Abs 1 ArbVG, wonach die Kündigungsfrist für einen265 KollV drei Monate zum Monatsletzten beträgt, der 31.5.2012.
Am 20.3.2012 sandte die Gewerkschaft vida an die WKÖ folgendes Schreiben:
„Die WKÖ hat am 15. Februar 2012 den Kollektivvertrag für das Bordpersonal der Austrian Airlines sowie alle damit zusammenhängenden Zusatzkollektivverträge gekündigt. Ein Teil dieser Verträge betrifft auch die Regelungen über das im Jahr 2010 abgeschlossene Barwertpaket, mit dem Ziel, im Konzern 150,00 Mio EUR einzusparen (Zusatzkollektivvertrag ‚Einsparpaket‘). Die Laufzeit für dieses Einsparungspaket wurde mit 1.4.2010 bis 31.3.2015 festgelegt, es handelt sich also um einen befristeten Kollektivvertrag. Die Kündigung eines befristeten Kollektivvertrags ist nach herrschender Rechtsansicht als Angebot an den Kollektivvertragspartner zu verstehen, den Kollektivvertrag vor Ablauf der Befristung zu beenden. Die Gewerkschaft vida nimmt dieses Angebot an und geht von einer sofortigen Beendigung des oa Kollektivvertrags aus. Wir ersuchen die WKÖ, die Geschäftsführung der Austrian Airlines davon in Kenntnis zu setzen und die in diesem Kollektivvertrag vereinbarten Maßnahmen, wie insbesondere die teilweise Reduktion der Pensionskassenbeiträge und die Krisenbeiträge, umgehend auszusetzen.“
Nach Erhalt ihrer Abrechnung nahm die Kl keine Überprüfung vor, sondern ging davon aus, dass der erhaltene Betrag dem 14-fachen monatlichen Bruttoentgelt entsprochen habe. Das Bruttoentgelt war jedoch von der bekl AG auf der niedrigeren Berechnungsgrundlage gemäß Zusatz-KollV EP errechnet und ausbezahlt worden.
Die Kl begehrte im Revisionsverfahren vor dem OGH von der Bekl den Betrag, der sich bei Berechnung ihrer Abfertigung ohne den im Zusatz-KollV EP vorgesehenen Abzug ergibt. Nach dem Zusatz-KollV EP seien Abfertigungszahlungen aufgrund objektiv betriebsbedingter DG-Kündigungen von jener Bemessungsgrundlage zu errechnen, die ohne das vereinbarte Einsparungspaket gegolten hätte. Der Zusatz-KollV EP sei am 20.3.2012 einvernehmlich beendet worden und daher bei Beendigung des Dienstverhältnisses nicht mehr anzuwenden gewesen.
Die Bekl wendete im Wesentlichen ein, dass eine einvernehmliche Beendigung des Zusatz-KollV EP nicht erfolgt sei; die Erklärungen der Kollektivvertragsparteien würden nicht übereinstimmen.
Das Erstgericht und das Berufungsgericht wiesen die Klage im Umfang dieses Mehrbegehrens ab. Zum klagsabweisenden Ausspruch führten beide Instanzen aus: Eine einvernehmliche Beendigung des Zusatz-KollV EP sei nach dem Sachverhalt nicht erfolgt, denn die Kollektivvertragsparteien hätten dazu keine entsprechenden inhaltlich übereinstimmenden Willenserklärungen abgegeben. Die bekl AG habe daher die der Kl ausgezahlte Abfertigung insoweit richtig berechnet.
Wie bereits in der E zu 7 Ra 45/15m ausgeführt, sei aufgrund der Formulierung der Erklärung der WKÖ klar, dass diese eine „Kündigung“ der unbefristeten Kollektivverträge („zum nächstmöglichen Termin“) beabsichtigt habe, in deren Folge dann auch der – im Schreiben nicht eigens genannte – Zusatz-KollV EP mit der Beendigung des KollV-Bord ebenfalls beendet worden wäre. Für eine Erklärung der WKÖ hingegen, den Zusatz-KollV EP mit sofortiger Wirkung beenden zu wollen, seien im Sachverhalt gerade keine hinreichenden Anhaltspunkte zu finden. Das Antwortschreiben der Gewerkschaft, das „von einer sofortigen Beendigung“ ausgehe, könne zwar allenfalls als Anbot auf Abschluss eines – gem § 2 ArbVG schriftformgebundenen – Aufhebungsvertrags gewertet werden; eine Annahmeerklärung dazu (seitens der WKÖ) sei jedoch nicht einmal behauptet worden. Damit liege hinsichtlich des Beendigungszeitpunkts der Kollektivverträge ein klarer Dissens vor und der Zusatz-KollV EP sei daher weiterhin anwendbar gewesen.
„Der OGH hat bereits in seiner E vom 24.5.2016, 8 ObA 77/15d [Anm des Bearbeiters: siehe DRdA-infas-E Nr 164 in diesem Heft] die – dort allerdings im Revisionsverfahren nicht in Frage gestellte – Begründung des OLG Wien zur weiteren Geltung des Zusatz-KollV EP (mit Hinweis auf § 510 Abs 3 ZPO) als zutreffend angesehen.
Die Revisionswerberin meint nun – wie bereits in ihrer Berufung – neuerlich, die Formulierung im Schreiben der WKÖ, nach der die für das Bordpersonal geltenden Kollektivverträge ‚zum nächstmöglichen Termin‘ gekündigt werden sollten, könne in Anbetracht der Befristung des Zusatz-KollV (und der daher nicht möglichen Kündigung) nur so verstanden werden, dass damit ein Anbot zur sofortigen einvernehmlichen Beendigung des Zusatz-KollV EP ausgesprochen wurde. Dabei übersieht sie jedoch, dass aus dem Schreiben der WKÖ nur die – für den Erklärungsempfänger (Gewerkschaft vida) – deutlich erkennbare Absicht hervorgeht, die Kollektivverträge für das Bordpersonal zum nächstmöglichen Termin zu kündigen, während ihr daraus eine Absicht, die sofortige Beendigung (nur) des in dem Schreiben nicht erwähnten, befristeten Zusatz-KollV EP zu vereinbaren, nicht unterstellt werden kann.
Ein Aufhebungsvertrag lässt sich den Erklärungen der Kollektivvertragsparteien nicht entneh-266men, denn das Antwortschreiben der Gewerkschaft, das als Anbot zur sofortigen Beendigung des Zusatz-KollV EP gedeutet werden könnte, wurde von der WKÖ nicht angenommen.
Darüber hinaus wäre selbst im Fall einer einvernehmlichen Beendigung, von der hier mangels übereinstimmender Willenserklärungen der Kollektivvertragspartner nicht ausgegangen werden kann, zu beachten gewesen, dass gem § 13 ArbVG die Rechtswirkungen eines KollV nach seinem Erlöschen für Arbeitsverhältnisse, die unmittelbar vor seinem Erlöschen durch ihn erfasst waren, so lange aufrecht bleiben, als für diese Arbeitsverhältnisse nicht ein neuer KollV oder eine neue Einzelvereinbarung abgeschlossen wird.“
Die einzig strittige Rechtsfrage des Verfahrens vor dem OGH war folgende: Kann ein befristet abgeschlossener KollV durch die einseitige Willenserklärung „Kündigung“ vor Ablauf seiner Befristung beendet werden oder ist mangels Zulässigkeit einer Kündigung diese einseitige Willenserklärung der einen Kollektivvertragspartei als ein Angebot auf einvernehmliche Beendigung des KollV zu verstehen? Beides hat der OGH verneint.
Nach § 2 Abs 1 ArbVG sind Kollektivverträge Vereinbarungen, also Verträge (zweiseitige Rechtsgeschäfte), die zwischen kollektivvertragsfähigen Körperschaften der AG und der AN abgeschlossen werden. Der OGH wendet nun viele Prinzipien, die für „gewöhnliche Verträge“ gelten, auch auf das kollektive Gestaltungsmittel bzw den korporativen Normenvertrag „KollV“ an, obwohl dieser aufgrund seiner Normwirkung (§ 11 ArbVG) als „Gesetz im materiellen Sinn“ aufzufassen ist.
Befristung und Kündigung schließen einander grundsätzlich aus; das gilt zumindest für befristete Arbeitsverträge, die keine Kündigungsklausel enthalten. Dieser Grundsatz wird hier auch auf Kollektivverträge übertragen: Der OGH stellt im ersten Absatz seiner Entscheidungsbegründung fest, dass der Zusatz-KollV EP seit April 2015 nicht mehr in Kraft stand. Er endete also durch Fristablauf und nicht vor dem vereinbarten Endtermin. Die „Kündigung“ seitens der WKÖ ging ins Leere und zeitigte keinerlei Rechtswirkungen. Ebenso ging aber die Auffassung der Gewerkschaft ins Leere, dass die rechtlich nicht vorgesehene Kündigungsmitteilung in ein Angebot auf sofortige einvernehmliche Auflösung in ein Angebot auf Abschluss eines „Aufhebungsvertrags“ umzudeuten sei.