SzymanskiInnenansichten. Zeiten – Ideen – Menschen

Verlag des ÖGB, Wien 2015, 444 Seiten, gebunden, € 29,90

RUDOLFMOSLER (SALZBURG)

Die langjährige Sektionschefin im Sozialministerium, Prof.in Dr.inEva-Elisabeth Szymanski, hat durchaus ungewöhnliche „Erinnerungen“ als Buch veröffentlicht. Es handelt sich um keine echte Autobiografie, mehr um eine Mischung aus Lebensgeschichte, beruflichen Erfahrungen, Fakten und persönlichen Erlebnissen, garniert mit vielen Anekdoten. Das chronologisch erzählte Buch ist im beruflichen Teil nach den elf Bundesminister/innen gegliedert, unter denen sie in ihrer 40-jährigen Tätigkeit im Sozialministerium gearbeitet hat. Jedes Kapitel beschreibt zunächst fachlich wie persönlich die Zeit mit dem/der jeweiligen Minister/in und schließt jeweils mit einer Übersicht wichtiger legistischer Änderungen im Arbeitsrecht und im AN-Schutz.

Dass der legendäre Sozialminister Alfred Dallinger (1980-1989) besonders gut wegkommt, verwundert nicht. Er war eine außergewöhnliche Persönlichkeit, charismatisch, ein hervorragender Redner und ein intelligenter Gesprächspartner (so Szymanski 91) sowie fachlich hochkompetent. Man konnte ihn auch nicht als konfliktscheu bezeichnen. Szymanski erinnert an den Konflikt mit Landeshauptmann Haslauer sen. (100 f), bei dem es um die Beschäftigung von AN am 8.12.1984 ging. Obwohl Dallinger in der Sache Recht hatte (und auch der VfGH den Gesetzesverstoß des Landeshauptmanns feststellte), wurde eine über die Medien ausgetragene politische Kampagne gegen ihn losgetreten. Dallinger war wohl auch der erste hochrangige Politiker, der die Idee einer Wertschöpfungsabgabe zur Finanzierung der Sozialsysteme vorgeschlagen hat (85). Das hat genauso wenig zu seiner Beliebtheit beim politischen Gegner beigetragen. Die jetzt wieder aufflammende Diskussion darüber bestätigt, dass er ein Vordenker im wahrsten Sinne des Wortes war. Dass der „linke“ Dallinger gleichzeitig für damalige Verhältnisse radikale Pensionsreformen zT gegen den Widerstand aus den eigenen Reihen durchsetzte (ua Verlängerung des Bemessungszeitraums von fünf auf 15 Jahre), spricht für fachliches Verständnis, Weitsicht und Durchsetzungsvermögen.

Eine ganz andere Persönlichkeit war Josef Hesoun (1990-1995). Szymanski beschreibt ihn durchaus differenziert. Als Vorsitzender der Gewerkschaft Bau-Holz hatte er sich in der Hainburger Au den zweifelhaften Ruf als „Betonierer“ erworben und damit gedroht, „seine“ Arbeiter zum „Aufräumen“ zu schicken (102). Seine durchaus bekannten Vorbehalte gegenüber Akademiker/innen und weiblichen Führungskräften werden von Szymanski bestätigt (154). Gleichzeitig muss er im Rückblick unter die erfolgreichsten Sozialpolitiker der letzten Jahrzehnte eingereiht werden. Vor allem die Einführung der Pflegevorsorge geht ganz maßgeblich auf seine Initiative und Hartnäckigkeit zurück. Generell wird Hesoun als sehr aktiver und engagierter Minister beschrieben. Wie so oft dürfte die mediale Wahrnehmung (Hesoun war kein guter Redner und von „Schönbrunner Deutsch“ weit entfernt) nicht mit den Leistungen und Erfolgen übereingestimmt haben.

Im Kapitel über die Ära Martin Bartenstein (2000-2008) spricht Szymanski ausführlich die ganz wesentliche Frage der Loyalität von leitenden Beamten gegenüber dem Ressortchef an. Bekanntlich war Bartenstein zunächst Minister in einer schwarz-blauen Regierung, wobei das Arbeits- dem Wirtschaftsministerium zugeschlagen wurde, was wütende Proteste der SPÖ und der AN-Interessenvertretungen zur Folge hatte. Die Ausgangssituation für eine deklariert sozialdemokratische Sektionschefin unter einem oft als „neoliberal“ bezeichneten Minister schien nicht besonders gut zu sein. Szymanski beschreibt aber ihre persönliche Wertschätzung für einen Minister, der in der Sache oft anderer Meinung war, aber fair und korrekt mit andersdenkenden Mitarbeitern/innen umgegangen ist. Es war für sie eine Selbstverständlichkeit, Arbeitsaufträge auch dann gewissenhaft zu erfüllen, wenn sie inhaltlich anderer Meinung war und den Minister auf mögliche Fehler auch hinzuweisen. Dass Bartenstein seine „rote“ Sektionschefin nicht nur verlängerte, sondern ihr zur Arbeitsinspektion auch die Arbeitsrechtsagenden übertrug, war zweifellos ein besonderer – eher ungewöhnlicher – Vertrauensbeweis. Bitter verweist Szymanski auf das Schicksal ihres Mannes, der als Sektionschef des Innenministeriums und gleichermaßen loyaler Beamter unter unwürdigen Umständen in den Vorruhestand geschickt wurde (306). Das dürfte unter der einerseits machtbesessenen und andererseits misstrauischen, geradezu paranoiden Stimmung zu dieser Zeit keine Ausnahme gewesen sein. Sogar Gesetzesentwürfe wurden zT nicht mehr in den Ministerien, sondern in Anwaltskanzleien verfasst. Bitter wird Szymanski auch, wenn sie anhand von Erlebnissen und Szenen beschreibt, wie schlecht ihr die Loyalität gegenüber dem Minister bei einigen Angehörigen ihrer Gesinnungsgemeinschaft bekommen ist. Das zeigt ein450 Grundproblem des Verständnisses der Arbeit im öffentlichen Dienst, vor allem im politiknahen Bereich, auf. Es geht oft nicht in erster Linie darum, wichtige Positionen mit hochqualifizierten Experten/innen zu besetzen, sondern Macht- und Einflussbereiche zu definieren. In dieselbe Richtung geht der unter Schwarz-Blau eingeführte (und dann fortgeführte) Trend, die Ministerkabinette auszubauen (Sozialminister und Vizekanzler Rudolf Häuser [1972-1976] hatte noch einen Fachsekretär, der somit gleichzeitig Kabinettschef war, 41), statt Fachbeamte nachzubesetzen bzw einzustellen. Auch wenn es altmodisch klingt: Eine funktionierende, loyale und halbwegs unabhängige Bürokratie ist ein ganz wesentlicher Wert für einen Staat. Das belegen auch die Ausführungen von Szymanski eindrucksvoll.

Die „Erinnerungen“ sind ein Stück Zeitgeschichte, sehr persönlich erzählt. Bemerkens- und bewundernswert ist dabei, wie detailliert auch lange zurückliegende Geschichten erzählt werden, was auf ein phänomenales Erinnerungsvermögen schließen lässt. Die vielen Anekdoten und Erlebnisse sind nicht nur unterhaltsam, sondern dokumentieren vor allem die doch weitgehenden Veränderungen in den beschriebenen vier Berufsjahrzehnten. Einen Minister (Häuser), der einen Rechenschieber (ja, so etwas hat es in der Vor-Computerzeit gegeben) dabei hat, um die Kosten von beabsichtigten Maßnahmen jederzeit ausrechnen zu können (41), kann man sich gar nicht mehr vorstellen. Der Rückblick zeigt aber vor allem die politischen Veränderungen (zB bei der Gleichbehandlung von Mann und Frau) beeindruckend auf. Eine engagierte und erfolgreiche Frau hat uns Einblick in ihr Leben gegeben und damit auch hinter die Kulissen der Sozialpolitik, die sie lange Jahre mitgeprägt hat.