Krempl/ThalerArbeitsmarktverwaltung in Österreich 1917–1957. Bürokratie und Praxis

Verlag des ÖGB, Wien 2015, 332 Seiten, kartoniert, € 36,–

KLAUS-DIETERMULLEY (WIEN)

Nachdem es bislang keine zusammenfassende Darstellung über die Geschichte der Arbeitsmarktverwaltung in Österreich gegeben hat, die historische Aufarbeitung insb in Hinblick auf die NS-Verstrickung von Unternehmungen und Bürokratien im letzten Jahrzehnt erfreuliche Fortschritte machte, hat das Sozialministerium im Jahr 2013 dem Institut für Zeitgeschichte den451 Auftrag erteilt, die „historischen Rahmenbedingungen der Arbeitsmarktverwaltung auf dem Gebiet des heutigen Österreich zwischen 1917 und 1957“ zu erforschen. Das Ergebnis dieses Forschungsauftrages liegt nun gedruckt vor.

Die Publikation gliedert sich in zwei Abschnitte. Im ersten Teil geht Mathias Krempl in einem umfangreichen rechtshistorischen Beitrag der Geschichte der Arbeitsvermittlung vom Ersten Weltkrieg bis in die 1950er-Jahre nach. Der von Johannes Thaler bearbeitete kurze zweite Teil behandelt kollektiv-biographisch die Mitgliedschaft der Bediensteten der Arbeitsmarktverwaltung in der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP). Anhand einiger Fallbeispiele spürt der Autor biografische Kontinuitäten über die „Umbrüche“ 1938 und 1945 nach.

Die organisatorische Entwicklung des österreichischen Arbeitsvermittlungswesens und seine Ausgestaltung durch die Erste und Zweite Republik sowie Austrofaschismus und Nationalsozialismus stehen im Mittelpunkt der Ausführungen Krempls. Mit Bedauern muss allerdings angemerkt werden, dass sich der Autor zu sehr auf die normative Entwicklung des Arbeitsmarktregimes konzentriert, vorzüglich die entsprechenden gesetzlichen Grundlagen referiert und interpretiert, jedoch nur wenig auf interessenpolitische Fragen eingeht. So etwa betont er, dass mit den bereits 1918 gegründeten paritätisch von AN und AG zusammengesetzten „Industriellen Bezirkskommissionen“ (IBK) „Pluralismusideen“ („da ja in den politischen Interessenvertretungen Nahverhältnisse zu bestimmten politischen Parteien bestanden“, S 48) Eingang in das Arbeitsvermittlungswesen fanden, ohne auf die zentrale Bedeutung dieser Selbstverwaltungsinstitution für die Gewerkschaften hinzuweisen. Die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, eine fachgerechte Stellenvermittlung und eine entsprechende Arbeitslosenfürsorge gehörten zu den zentralen politischen Zielen der Gewerkschaftsbewegung. Oft waren sich die politisch bekämpfenden Richtungsgewerkschaften der Ersten Republik gerade in Fragen der Arbeitslosenunterstützung einig, womit der vom Autor erhobene Vorwurf einer parteipolitischen Indienstnahme der Arbeitsmarktverwaltung nicht erhärtet werden kann. Die (sozialdemokratische) Gewerkschaftskommission lud ab 1924 gemeinsam mit der Arbeiterkammer Wien die Arbeitervertreter in den IBK zu Länderkonferenzen ein, „in denen die Erfahrungen über Arbeitslosenunterstützungs- und Vermittlungsfragen“ diskutiert und ein gemeinsames Vorgehen vereinbart wurde: „Bei der wachsenden Tätigkeit und Bedeutung der Bezirkskommissionen erweist sich diese Einrichtung als sehr segensreich. Sie ist ein Hauptträger des Gedankens des vollen Mitbestimmungsrechtes der Arbeiterschaft in diesem entscheidenden Zweig der sozialen Verwaltung geworden.“ (Gewerkschaftskommission Österreichs, Die Arbeiterkammern in Österreich 1921/1926 [1926] 97 f). Die Berichte in den Vollversammlungen der Wiener Arbeiterkammer stellen somit eine vorzügliche Quelle über die Vermittlungsprobleme und das Arbeitslosenunterstützungswesen in der Ersten Republik dar, wurden jedoch leider vom – im Übrigen sonst sehr penibel arbeitenden – Autor nicht verwendet. Wie die Arbeiterkammern wurden auch die IBK 1933/34 vom Dollfuß-Regime ihrer Selbstverwaltung entkleidet und einer Verwaltungskommission unterstellt. 1934 wurden die sozialdemokratischen (freigewerkschaftlichen) Mitglieder der IBK entlassen und – wie der Autor nachweisen kann – in den Arbeitslosenämtern (die mit dem GSVG 1935 zu Arbeitsämtern wurden) wie auch in der Vermittlung regimekonforme Personen bevorzugt. Unter der NS-Herrschaft wurden die Arbeitsämter in die Administration der Zwangsarbeit eingebunden und damit zu Stabilisatoren des menschenverachtenden Regimes. Nach der Wiedereinführung der paritätischen Besetzung von AN und AG in den Verwaltungs- und Vermittlungsausschüssen nach 1945 wurde die Arbeitsmarktverwaltung durch das Wirtschaftssäuberungsgesetz Akteur im Prozess der Entnazifizierung. Durch das Wiedereinstellungsgesetz 1947 konnten jene Personen von den Arbeitsvermittlungsstellen bevorzugt behandelt werden, die durch das NS-Regime ihre berufliche Stellung verloren hatten. Etwas skurril erscheint jedoch die These des verzweifelt nach Kontinuitäten suchenden Autors, dass sich in der Zweiten Republik die „Linie der Instrumentalisierung der Arbeitsmarktbehörden für ideologische Zwecke“ fortgeführt hat. Zum einen sind die Entnazifizierungsgesetzgebung und die darauf gründenden arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen wohl kaum „ideologisch“ begründet und zum anderen bleibt unverständlich, was der Autor mit einer angeblich von der Regierung per Erlass begründeten „parteipolitisch motivierten Arbeitsmarktpolitik“ (S 250) eigentlich meint. Sieht man jedoch von diesen Unstimmigkeiten ab, so stellt die Arbeit Krempls einen wichtigen Meilenstein in der Erforschung der Genese des österreichischen Arbeitsvermittlungsregimes dar, welcher in Zukunft durch die politischen Debatten auf Bundes- und Landesebene sowie in den Kammern und Medien zu ergänzen wäre. Festzuhalten ist auch, dass das Arbeitslosenversicherungs- und -unterstützungswesen, welches sowohl in der Ersten als auch in der Zweiten Republik breiten Raum in der sozialpolitischen Debatte einnahm, in dieser Arbeit ausgeklammert wurde und noch einer umfangreichen historischen Aufarbeitung harrt.

Co-Autor Thaler betont in seinem Beitrag, dass 1945 43,3 % der rund 4.000 Angestellten der Arbeitsmarktverwaltung ehemalige NSDAP-Mitglieder waren. Er kann jedoch auch nachweisen, dass eine langjährige Parteimitgliedschaft vor 1938 nicht unbedingt zu einem beruflichen Karrieresprung führte, zumal Führungspositionen im NS-Regime oft auch mit Bediensteten aus dem sogenannten „Altreich“ besetzt wurden. Wie der Autor am Beispiel von 94 Biografien leitender Beamter der Arbeitsmarktverwaltung zeigen kann, ermöglichte die fachliche Kompetenz zumindest einigen Mitarbeitern trotz NS-Parteimitgliedschaft ihren beruflichen Werdegang in der Arbeitsmarktverwaltung oft mit nur kurzer Unterbrechung auch in der Zweiten Republik fortzusetzen. Insgesamt sind jedoch in den Biografien über die „Umbrüche“ 1934, 1938 und 1945 keine einheitlichen Karriereverläufe festzustellen.

Insgesamt bietet die Publikation einen instruktiven Einblick in die Geschichte der österreichischen Arbeitsmarktverwaltung (unter Außerachtlassung der Arbeitslosenversicherungsagenden) in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und kann InteressentInnen zur Lektüre und zum Studium sehr empfohlen werden.452