ThüsingMit Arbeit spielt man nicht! – Plädoyer für eine gerechte Ordnung des Arbeitsmarkts

C. H. Beck Verlag, München 2015, XI, 192 Seiten, gebunden, € 19,80

BIRGITSCHRATTBAUER (SALZBURG)

Col lavoro non si gioca!“ Mit diesen Worten kritisierte Papst Franziskus im Herbst 2014 den Stahl- und Industriegüterkonzern Thyssen-Krupp, der angekündigt hatte, 550 der insgesamt 2.600 Stellen in seinem italienischen Werk in Terni zu streichen. Die Kritik des Papstes richtete sich dabei gegen eine Wirtschaft, die den Blick auf den Menschen verloren hat; wer Arbeitsplätze streiche, um mehr Geld zu verdienen, der nehme auch den Menschen ihre Würde.

Gregor Thüsing, Inhaber des Lehrstuhls für Arbeitsrecht sowie Direktor des Instituts für Arbeitsrecht und Recht der sozialen Sicherheit an der Universität Bonn und Autor zahlreicher Fachpublikationen, nimmt dieses Papst-Zitat als Ausgangspunkt für seine knapp 200 Seiten starke Streitschrift für eine gerechte Arbeitsmarktordnung. Den Beitrag des Arbeitsrechts zur Erreichung dieses Ziels sieht er in der Herstellung eines fairen Gleichgewichts zwischen AN- und AG-Interessen; das Arbeitsrecht soll als „Beschäftigungsrecht“ sowohl den AN-Schutz als auch die Beschäftigungschancen im Blick haben. Dabei bemüht Thüsing im einleitenden ersten Kapitel auch das vielstrapazierte Schlagwort der „flexicurity“, also jenes beschäftigungspolitischen Konzepts, dessen Zielsetzung in der Schaffung einer ausgewogenen Balance zwischen Flexibilität des Unternehmens und Sicherheit des AN liegt. Dieser Zielsetzung wird für sich genommen wohl kaum jemand etwas entgegenzusetzen haben – die Geister scheiden sich dann aber naturgemäß in der Frage, wo die angemessene Grenze zwischen Wahrung berechtigter AN-Interessen und beschäftigungspolitisch motiviertem Verzicht auf diesen Schutz liegt. Um die Auslotung eben dieser Grenze in unterschiedlichen Bereichen des Arbeitsrechts drehen sich im Folgenden die Überlegungen des Autors, in denen er nicht bei einer kritischen Problemanalyse stehenbleibt, sondern auch konkrete Lösungsvorschläge liefert.

Als erste Orientierung in der Frage, wie ein „gutes“ Beschäftigungsrecht aussehen sollte, fordert Thüsing, dass sich jede neu geschaffene arbeitsrechtliche Norm den Vergleich gefallen lassen muss, ob das Mehr an AN-Schutz die damit verbundene Belastung der AG-Seite und Gefährdung der Arbeitsmarktentwicklung aufwiegt, ebenso wie im Falle der Abschaffung von arbeitsrechtlichen Schutzvorschriften die Geeignetheit und Erforderlichkeit dieser Maßnahme zur Schaffung neuer Arbeitsplätze darzulegen wäre (S 6). In diesem Sinne ist es das Anliegen des Buches, Perspektiven eines zukunftsfähigen Arbeitsrechts aufzuzeigen, das der übergeordneten Zielsetzung der Gewährleistung von „guter Arbeit“ dient.

Dass es das Arbeitsrecht braucht, um für Gerechtigkeit am Arbeitsmarkt zu sorgen, steht für Thüsing außer Zweifel. Der oft gehörten Kritik an der (unangemessenen) Einschränkung der Vertragsfreiheit durch das Arbeitsrecht hält er entgegen, dass der Schutz der Vertragsfreiheit nicht auf einen durch die überlegene Vertragspartei oktroyierten Vertrag abziele, sondern vielmehr einen angemessenen Interessenausgleich bezwecke. In diesem Sinne sieht er das Arbeitsrecht nicht primär als Einschränkung, sondern im Gegenteil sogar als Schutz der so verstandenen Vertragsfreiheit: Ungerechte Verträge würden Freiheit nur für eine Seite bedeuten, die „bleibende und ganz und gar notwendige Aufgabe“ des Arbeitsrechts liege eben darin, sich schützend vor den Schwächeren zu stellen und damit Freiheit zu entfalten, statt sie zu beschränken (S 21). Dabei ist es nach Ansicht des Autors unumgänglich, dass manchmal auch der AN vor sich selbst geschützt werden muss, wenn dieser zB in einer existenziell bedrohlichen Situation vielleicht lieber schlechte Arbeitsbedingungen akzeptieren würde als arbeitslos zu sein; Grenzen des „wohlmeinenden Paternalismus“ seien aber dort erreicht, wo im Einzelfall die typische strukturelle Unterlegenheit des AN nicht gegeben ist, so beispielsweise bei hochqualifizierten Arbeitskräften oder Führungskräften. In diesem Sinne plädiert Thüsing für eine (in Teilbereichen aber ohnehin bereits verwirklichte) stärkere Differenzierung je nach Schutzbedürftigkeit des AN.

Nach diesen grundsätzlichen Überlegungen setzt sich Thüsing kapitelweise mit den zentralen Herausforderungen auseinander, denen sich das Arbeitsrecht aktuell zu stellen hat. Konkret angesprochen werden dabei die Themen Mindestlohn, Leiharbeit und Scheinwerkverträge, Vereinbarkeit von Familie und Beruf, alternde Gesellschaft, Diskriminierungsschutz, kollektive Interessenvertretung in einer individualisierten Gesellschaft, Datenschutz sowie die soziale Dimension Europas. Die Thesen und Lösungsansätze Thüsings fordern teilweise durchaus zum Widerspruch heraus. So wird etwa die im Kapitel zur Leiharbeit vom Autor als gegeben angenommene Funktion der Leiharbeit als effizientes Sprungbrett für Langzeitarbeitslose in Normalarbeitsverhältnisse in sozialwissenschaftlichen Untersuchungen regelmäßig in Frage gestellt. Und auch in der Frage der Sinnhaftigkeit oder gar Notwendigkeit der Einführung einer Höchstüberlassungsdauer mag man anderer Ansicht sein als der Autor, der eine solche Regulierung zumindest dann als überflüssig ansieht, wenn seinem Vorschlag einer ausnahmslosen Einführung von Equal Pay nach einer bestimmten Überlassungsdauer gefolgt würde – womit er aber ausblendet, dass die Dreieckskonstruktion der Arbeitskräfteüberlassung abseits der materiellen Schlechterstellung auch noch andere Nachteile für die Leiharbeitskräfte nach sich zieht, wie etwa die hohe systematische Beschäftigungsunsicherheit oder Schutzdefizite in der kollektiven Interessenvertretung auf Betriebsebene. Auch über Sinn oder Unsinn von Frauenquoten lässt sich trefflich streiten; das gegen verbindliche Frauenquoten in Stellung gebrachte Argument der damit verbundenen Diskriminierung von Männern bzw der Hinweis, es müsste dann wohl in gleicher Weise auch Quoten für Alter oder Ethnie geben (S 113), reizen aber jedenfalls zum Widerspruch, da mit einer solchen Herangehensweise jeder Versuch einer Reduzierung von Ungleichbehandlung durch positive Diskriminierung von vornherein zunichte gemacht wird. Die Hartnäckigkeit des gender pay gap beweist überdies eindrucksvoll, dass es verfehlt wäre, beim Ziel einer geschlechtergerechten Arbeitswelt auf das freie Spiel des Marktes zu vertrauen.455

Gerade in dieser Herausforderung zum Nachdenken (und gegebenenfalls zum Widerspruch) liegt aber der große Reiz des Buches. Thüsing gelingt es in den einzelnen Kapiteln hervorragend, auf wenigen Seiten die zentralen Problembereiche der gewählten Themen herauszuarbeiten, und er beschränkt sich dabei nicht auf eine Aufarbeitung aus rein juristischer Perspektive, sondern lässt gleichermaßen auch historische und ökonomische Aspekte einfließen. Das Buch regt mit scharfen Analysen und pointierten Formulierungen dazu an, abseits juristischer Detailprobleme das große Ganze in den Blick zu nehmen und sich mit der Frage auseinanderzusetzen, in welche Richtung das Arbeitsrecht zur Umsetzung einer möglichst gerechten Arbeitsmarktordnung steuern sollte. Die stark christlich-konservative Prägung des Autors (der nach einem Interview mit der deutschen Zeitschrift „Arbeit und Arbeitsrecht“ Theologe geworden wäre, wäre er nicht Jurist geworden) kommt in zahlreichen Zitaten aus der Bibel sowie aus päpstlichen Lehrschriften zum Ausdruck. Man muss aber keineswegs selbst Katholik sein, um die dahinter stehenden Wertungen in Fragen der Verteilungsgerechtigkeit und einer fairen Arbeitsmarktordnung teilen zu können.

Im abschließenden Kapitel mit dem Titel „Gute Arbeit durch ein besseres Arbeitsrecht“ fasst Thüsing dann noch einmal zusammen, welchen Beitrag das Arbeitsrecht aus seiner Perspektive für eine gerechte(re) Arbeitswelt leisten kann. Gutes Arbeitsrecht setzt seiner Ansicht nach zunächst einmal eine handwerklich gute Legistik voraus, die klar zum Ausdruck bringt, was gemeint ist und Überflüssiges weglässt. In die gleiche Richtung stößt Thüsings Forderung nach einem „mutigen“ Arbeitsrecht, in dem der Gesetzgeber seine Aufgabe ernst nimmt und nicht die Rechtsfortbildung der Gerichtsbarkeit überlässt. Und schließlich sollte nach Thüsing das Arbeitsrecht stets vom ernsthaften Bemühen um eine gute Balance zwischen ökonomischen Herausforderungen und wünschenswerter sozialer Absicherung getragen sein. Alles Forderungen, denen man sich ohne Wenn und Aber anschließen kann.