Fuchs/Cornelissen (Hrsg)EU Social Security Law – A Commentary on EU Regulations 883/2004 and 987/2009

C.H. Beck/Hart/Nomos Verlag, Baden-Baden 2015, 570 Seiten, gebunden, € 178,–

ELIASFELTEN (SALZBURG)

Das vorliegende Werk stellt einen englischsprachigen Kommentar vorwiegend deutschsprachiger Autoren zum europäischen koordinierenden Sozialrecht dar. Als Herausgeber fungieren zwei ausgewiesene Experten in diesem Rechtsbereich.458

Fuchs ist zumindest im deutschen Sprachraum bereits als Herausgeber des Kommentars zum Europäischen Sozialrecht bekannt – dem Standardwerk zur VO 883/2004. Insofern erscheint es durchaus überraschend, dass mit dem vorliegenden Werk noch ein Kommentar zum selben Thema vorgelegt wird. Der Grund dafür ist wohl in erster Linie darin zu sehen, dass er in englischer Sprache verfasst ist. Damit schließt der Kommentar eine wichtige Lücke. Jeder, der mit praktischen Fragen des europäischen Sozialrechts konfrontiert ist, wird in der Regel auf Englisch zurückgreifen müssen, wenn es darum geht, mit Personen, Versicherungsträgern oder sonstigen Institutionen aus anderen EU-Mitgliedstaaten zu kommunizieren. In diesem Zusammenhang bietet der vorliegende Kommentar eine wichtige Arbeitshilfe. Denn das europäische koordinierende Sozialrecht ist in weiten Teilen von einer sehr technischen juristischen Ausdrucksweise geprägt.

Inhaltlich ist der Kommentar ähnlich seinem deutschsprachigen Schwesternwerk aufgebaut. Nach dem Gesetzestext und einer Einführung in Geschichte und Zweck der jeweiligen Norm folgt eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der Judikatur des EuGH und den daran anknüpfenden Rechtsfragen. Dabei muss der Kommentar freilich stärker an der Oberfläche bleiben. Da er nicht bloß auf den deutschsprachigen Leserkreis ausgerichtet ist, sind die Bezugspunkte zum nationalen Recht weniger stark ausgeprägt als beim Fuchs-Kommentar zum Europäischen Sozialrecht oder Spiegel-Kommentar zum Zwischenstaatlichen Sozialversicherungsrecht. Tatsächlich sind die einzelnen Kommentierungen auch um einiges kürzer und prägnanter ausgefallen. Das geht freilich nur in den wenigsten Fällen zu Lasten des Inhalts.

Hoch aktuell sind beispielsweise die Ausführungen Fuchs‘ zu den beitragsunabhängigen Geldleistungen gem Art 70 VO 883/2004. Diese standen zuletzt mehrfach im Fokus der EuGH-Judikatur im Zusammenhang mit der Vermeidung von „Sozialtourismus“. Nach der neueren Rsp des EuGH stellt der Hinweis in Art 70 Abs 4 VO 883/2004, dass beitragsunabhängige Geldleistungen vom Wohnsitzstaat nach dessen Rechtsvorschriften gewährt werden, lediglich eine Kollisionsnorm dar, die den zuständigen Staat festlegt. Dh, dass es dem Wohnsitzstaat grundsätzlich unbenommen bleibt, durch nationales Recht die Anspruchsvoraussetzungen festzulegen. Dies kann auch der Nachweis eines „rechtmäßigen, gewöhnlichen Aufenthalts im Inland“ sein. Freilich geht Fuchs nicht näher darauf ein, wie diese neuere Judikaturlinie mit seiner ursprünglichen Rsp in der Rs Swaddling vereinbar ist. Wie er selbst in Rz 19 ausführt, hat der EuGH in der Rs Swaddling den Wohnsitz iSd Art 70 Abs 4 VO 883/2004 mit dem gewöhnlichen Aufenthalt gleichgesetzt, der durch faktische und nicht durch rechtliche Kriterien determiniert wird. Seit der Rs Brey vertritt der EuGH nunmehr – ohne nähere Begründung – das Gegenteil.

Marhold zeichnet verantwortlich für die Kommentierung des Kapitels über die Familienleistungen. Hervorzuheben sind dabei seine Ausführungen zum Nebeneinander von Sekundär- und Primärrecht und dessen Auswirkungen auf die Zuständigkeitsregeln der VO 883/2004 (vgl Art 68 Rz 4). Beginnend mit der Rs Bosmann hat der EuGH den Grundsatz entwickelt, dass die Koordinierungs-VO im Lichte der Freizügigkeitsbestimmungen zu interpretieren ist und folglich vor allem die Zuständigkeitsregeln nicht so ausgelegt werden dürfen, dass sie zu Leistungseinbußen führen, obgleich nach nationalem Recht alle Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind. Im Ergebnis führt dies zu einer Festlegung des anzuwenden Rechts nach dem Maßstab der Günstigkeit. Dafür gibt es freilich weder dogmatische Anhaltspunkte im Primärrecht noch in der VO 883/2004. Dasselbe gilt letztlich auch für die Rsp des EuGH in der Rs Wiering, dass nur gleichartige Familienleistungen für die Berechnung des Differenzanspruches berücksichtigt werden dürfen. Damit hat freilich der Gerichtshof die in der Wissenschaft lange Zeit geführte Diskussion um den Vorrang der „Ein-Korb“ oder „Mehr-Körbe-Theorie“ zu Gunsten letzterer beendet.

Zusammengefasst kann festgehalten werden, dass der vorliegende Kommentar eine aktuelle und fundierte Aufarbeitung des koordinierenden Sozialrechts liefert. Vor allem die Judikatur des EuGH wurde mehr oder weniger lückenlos eingearbeitet. Kritische Anmerkungen oder differenzierende Analysen findet man hingegen weniger. Dafür wird man eher auf das deutschsprachige Schwesternwerk zurückgreifen (müssen). Das ist aber wohl dem Konzept des Kommentars geschuldet, der sich bewusst einem breiten Leserkreis zuwendet; deshalb auch die Abfassung in englischer Sprache. Darin ist letztlich – aus Sicht eines deutschsprachigen Nutzers – auch der echte Mehrwert im Vergleich zum etablierten Fuchs-Kommentar zum Europäischen Sozialrecht zu sehen.459