42Direktvergabe von Krankentransporten an Freiwilligenorganisationen
Direktvergabe von Krankentransporten an Freiwilligenorganisationen
Die örtlichen Behörden dürfen die Erbringung von Krankentransportdiensten im Wege der Direktvergabe ohne jegliche Bekanntmachung an Freiwilligenorganisationen vergeben, soweit der rechtliche und vertragliche Rahmen, in dem diese Organisationen tätig sind, tatsächlich zu dem sozialen Zweck und zu den Zielen der Solidarität und der Haushaltseffizienz beiträgt.
Erlaubt ein Mitgliedstaat den Behörden, für die Durchführung bestimmter Aufgaben unmittelbar auf Freiwilligenorganisationen zurückzugreifen, ist eine Behörde, die mit derartigen Organisationen Übereinkünfte schließen will, nach dem Unionsrecht nicht verpflichtet, vorher die Angebote verschiedener Organisationen zu vergleichen.
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
16 Im Rahmen des nationalen Gesundheitsdienstes erbringt die ASL TO4 Dialysepatienten Beförderungsdienstleistungen, wodurch sie es den Patienten ermöglicht, tatsächlichen Zugang zu den medizinischen Einrichtungen zu erlangen, wenn sie sich nicht selbst dorthin begeben können. Diese Dienstleistung dient dem zweifachen Ziel, eine im Bereich des nationalen Gesundheitsdienstes angebotene medizinische Dienstleistung physisch und wirtschaftlich zugänglich zu machen.
17 Der Generaldirektor der ASL TO4 vergab im Wege seines Beschlusses Nr 381 vom 31.5.2013 mittels Übereinkunft die Erbringung der genannten Dienstleistung für die Zeit von Juni bis Dezember 2013 an die der Associazione nazionale pubblica assistenza (ANPAS) – Comitato regionale Piemonte (Nationale Vereinigung für öffentliche Fürsorge – Regionalausschuss Piemont) angeschlossenen Freiwilligenorganisationen, dh an die Associazione Croce Bianca ua. Die Parteien des Ausgangsverfahrens, die beim Gerichtshof schriftliche Erklärungen eingereicht haben, haben hinsichtlich der Haushaltslinie, die zur Deckung der fraglichen Kosten in diesem Zeitraum vorgesehen war, Beträge angegeben, die zwischen 195.975,37 und 277.076,61 € schwanken.411
18 CASTA ua, die ein Taxiunternehmen und die Vermietung von Kraftfahrzeugen mit Chauffeur betreiben, bzw ihre Vertreter haben diesen Beschluss beim Tribunale amministrativo regionale per il Piemonte (Verwaltungsgericht der Region Piemont) angefochten und dabei insb einen Verstoß gegen das Unionsrecht geltend gemacht. Aus den Akten, die dem Gerichtshof vorliegen, geht hervor, dass CASTA ua die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Dienstleistung der ASL TO4 bis zum 30.5.2013 erbracht haben. [...]
Zu den Vorlagefragen
51 Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die unionsrechtlichen Vorschriften für öffentliche Aufträge dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, die es – wie im Ausgangsverfahren – zulässt, dass die örtlichen Behörden die Erbringung von Krankentransportdiensten im Wege der Direktvergabe ohne jegliche Bekanntmachung an Freiwilligenorganisationen vergeben, denen für die Erbringung dieser Dienstleistungen lediglich die hierfür tatsächlich entstandenen Kosten erstattet werden.
52 Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass ein Vertrag nicht allein deswegen aus dem Begriff des öffentlichen Auftrags herausfallen kann, weil die darin vorgesehene Vergütung auf den Ersatz der Kosten beschränkt bleibt, die durch die Erbringung der vereinbarten Dienstleistung entstehen, oder weil dieser Vertrag von einer Einrichtung ohne Gewinnerzielungsabsicht geschlossen wird (vgl in diesem Sinne Urteil Azienda sanitaria locale n. 5 „Spezzino“ ua, C-113/13, EU:C:2014:2440, Rn 36 und 37 und die dort angeführte Rsp).
53 Deshalb hängt die Antwort auf die Vorlagefrage davon ab, ob die RL 2004/18 uneingeschränkt anwendbar ist, oder ob, falls das nicht der Fall ist, die sich aus den Art 49 und 56 AEUV ergebenden allgemeinen Grundsätze der Transparenz und der Gleichbehandlung zu beachten sind.
54 Im ersten Fall ist festzustellen, dass die RL 2004/18 einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren entgegensteht, nach der die örtlichen Behörden die Erbringung von Krankentransportdiensten im Wege der Direktvergabe ohne jegliche Bekanntmachung an Freiwilligenorganisationen vergeben können (vgl in diesem Sinne Urteil Azienda sanitaria locale n. 5 „Spezzino“ ua, C-113/13, EU:C:2014:2440, Rn 44).
55 Im zweiten Fall ist zum einen darauf hinzuweisen, dass die Rechtsvorschriften der Union für öffentliche Aufträge, insb für öffentliche Dienstleistungsaufträge, den freien Dienstleistungsverkehr und die Öffnung für einen unverfälschten und möglichst umfassenden Wettbewerb in den Mitgliedstaaten gewährleisten sollen, und zum anderen, dass die Anwendung einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren diesen Zielen letztlich zuwiderläuft, da sie andere Einrichtungen als Freiwilligenorganisationen von den betroffenen Märkten ausschließt (vgl in diesem Sinne Urteil Azienda sanitaria locale n. 5 „Spezzino“ ua, C-113/13, EU:C:2014:2440, Rn 51 und 52).
56 In der ohne jede Transparenz erfolgenden Vergabe eines Auftrags an ein Unternehmen, das in dem Mitgliedstaat niedergelassen ist, dem der öffentliche Auftraggeber zugehört, liegt eine Ungleichbehandlung zum Nachteil der in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Unternehmen, die an diesem Auftrag interessiert sein könnten. Eine solche Ungleichbehandlung, die durch den Ausschluss aller in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Unternehmen hauptsächlich diese benachteiligt, stellt, sofern sie nicht durch objektive Umstände gerechtfertigt ist, eine nach den Art 49 und 56 AEUV verbotene mittelbare Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit dar (vgl in diesem Sinne Urteil Azienda sanitaria locale n. 5 „Spezzino“ ua, C-113/13, EU:C:2014:2440, Rn 52 und die dort angeführte Rsp).
57 Aufgrund einer Reihe von Gesichtspunkten – der nationale Rechtsrahmen, die Art der betreffenden Leistungen, die im Rahmen des nationalen Gesundheitsdienstes erbracht werden, die Feststellungen des vorlegenden Gerichts zu den positiven Auswirkungen von Übereinkünften wie im Ausgangsverfahren auf die Haushaltsmittel und vor allem der freiwillige Charakter der Vereinigungen, die derartige Übereinkünfte eingegangen sind – beruht der Rückgriff auf diese Vereinigungen zur Organisation des Krankentransportdienstes aber möglicherweise auf den Grundsätzen der Universalität, der Solidarität, der Erschwinglichkeit und der Geeignetheit, soweit dadurch ermöglicht wird, dass diese Leistungen von Allgemeininteresse unter den Bedingungen eines wirtschaftlich ausgeglichenen Haushalts von Einrichtungen erbracht werden, die hauptsächlich zu dem Zweck gegründet wurden, dem Allgemeininteresse zu dienen.
58 Derartige Ziele werden vom Unionsrecht erfasst.
59 In diesem Zusammenhang ist erstens daran zu erinnern, dass das Unionsrecht die Befugnis der Mitgliedstaaten zur Ausgestaltung ihres Gesundheitswesens und ihrer Systeme der sozialen Sicherheit unberührt lässt (Urteil Azienda sanitaria locale n. 5 „Spezzino“ ua, C-113/13, EU:C:2014:2440, Rn 55 und die dort angeführte Rsp).
60 Die Mitgliedstaaten dürfen zwar bei der Ausübung dieser Befugnis keine ungerechtfertigten Beschränkungen der Ausübung der Grundfreiheiten im Bereich der Gesundheitsversorgung einführen oder beibehalten. Bei der Beurteilung der Einhaltung dieses Verbots ist jedoch zu berücksichtigen, dass unter den vom Vertrag geschützten Gütern und Interessen die Gesundheit und das Leben von Menschen den höchsten Rang einnehmen und dass es Sache der Mitgliedstaaten ist – denen ein Ermessen eingeräumt ist –, zu bestimmen, auf welchem Niveau sie den Schutz der Gesundheit der Bevölkerung gewährleisten wollen und wie dieses Niveau erreicht werden soll (Urteil Azienda sanitaria locale n. 5 „Spezzino“ ua, C-113/13, EU:C:2014:2440, Rn 56 und die dort angeführte Rsp).
61 Im Übrigen kann nicht nur eine erhebliche Gefährdung des finanziellen Gleichgewichts des Systems der sozialen Sicherheit als solche einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses darstellen, der eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs rechtfertigen kann, sondern auch412 das Ziel, aus Gründen der öffentlichen Gesundheit eine ausgewogene, allen zugängliche ärztliche und klinische Versorgung aufrechtzuerhalten, kann zu den Ausnahmen aus Gründen der öffentlichen Gesundheit zählen, soweit es zur Schaffung eines hohen Gesundheitsschutzes beiträgt. Dies gilt für Maßnahmen, die zum einen dem allgemeinen Ziel entsprechen, einen ausreichenden, ständigen Zugang zu einem ausgewogenen Angebot hochwertiger Krankenhausversorgung im betreffenden Mitgliedstaat sicherzustellen, und die zum anderen dazu beitragen, die Kosten zu beherrschen und, so weit wie möglich, jede Verschwendung finanzieller, technischer und menschlicher Ressourcen zu verhindern (Urteil Azienda sanitaria locale n. 5 „Spezzino“ ua, C-113/13, EU:C:2014:2440, Rn 57 und die dort angeführte Rsp).
62 Zweitens kann ein Mitgliedstaat im Rahmen des Ermessens, das ihm bei der Festlegung eingeräumt ist, auf welchem Niveau er den Schutz der Gesundheit gewährleisten und sein System der sozialen Sicherheit gestalten will, die Auffassung vertreten, dass der Rückgriff auf Freiwilligenorganisationen dem sozialen Zweck eines Krankentransportdienstes entspricht und geeignet ist, dazu beizutragen, die mit diesem Dienst verbundenen Kosten zu beherrschen (vgl in diesem Sinne Urteil Azienda sanitaria locale n. 5 „Spezzino“ ua, C-113/13, EU:C:2014:2440, Rn 59).
63 Ein System zur Regelung dringender Krankentransportdienste wie das im Ausgangsverfahren in Rede stehende, bei dem die zuständigen Behörden auf Freiwilligenorganisationen zurückgreifen können, muss allerdings tatsächlich zu dem sozialen Zweck und zu den Zielen der Solidarität und der Haushaltseffizienz beitragen, auf denen dieses System beruht (Urteil Azienda sanitaria locale n. 5 „Spezzino“ ua, C-113/13, EU:C:2014:2440, Rn 60).
64 In dieser Hinsicht dürfen die Freiwilligenorganisationen, wenn sie in diesem Rahmen tätig werden, keine anderen Ziele als die in der vorstehenden Randnummer des vorliegenden Urteils genannten verfolgen, mit ihren Leistungen keinen Gewinn erzielen – unbeschadet der Erstattung der variablen, festen und ständigen Kosten, die zur Erbringung dieser Leistungen erforderlich sind – und ihren Mitgliedern keine Gewinne einbringen. Im Übrigen ist der Rückgriff auf Erwerbstätige zwar zulässig, weil diese Organisationen sonst in vielen Bereichen, in denen der Grundsatz der Solidarität selbstverständlich zur Anwendung kommen kann, praktisch nicht wirksam handeln könnten, doch müssen sich die genannten Organisationen bei ihrer Tätigkeit streng an die in den nationalen Rechtsvorschriften festgelegten Anforderungen halten (Urteil Azienda sanitaria locale n. 5 „Spezzino“ ua, C-113/13, EU:C:2014:2440, Rn 61).
65 Nach dem allgemeinen unionsrechtlichen Grundsatz des Verbots des Rechtsmissbrauchs darf die Anwendung dieser Rechtsvorschriften nicht so weit ausgedehnt werden, dass sie missbräuchliche Praktiken der Freiwilligenorganisationen oder ihrer Mitglieder deckt. Die Tätigkeit der Freiwilligenorganisationen darf daher nur in dem Maß von Erwerbstätigen ausgeübt werden, wie es für ihren geregelten Betrieb erforderlich ist. Bei der Erstattung der Kosten ist darauf zu achten, dass nicht etwa unter dem Vorwand einer Freiwilligentätigkeit ein Erwerbszweck, und sei es nur indirekt, verfolgt wird und dass dem Freiwilligen lediglich die Kosten erstattet werden können, die er für die geleistete Tätigkeit tatsächlich aufgewandt hat, und zwar im Rahmen der von der jeweiligen Vereinigung vorab festgelegten Grenzen (Urteil Azienda sanitaria locale n. 5 „Spezzino“ ua, C-113/13, EU:C:2014:2440, Rn 62).
66 In dem in Rn 55 des vorliegenden Urteils genannten Fall ist es Sache des vorlegenden Gerichts, sämtliche Feststellungen zu treffen, die für die Prüfung erforderlich sind, ob die Übereinkunft und gegebenenfalls die im Ausgangsverfahren fragliche Rahmenvereinbarung, wie sie in den geltenden Rechtsvorschriften geregelt sind, tatsächlich zu dem sozialen Zweck und zu den Zielen der Solidarität und der Haushaltseffizienz beitragen.
67 Nach alledem ist auf die erste Vorlagefrage zu antworten, dass die Art 49 und 56 AEUV dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung nicht entgegenstehen, die es – wie im Ausgangsverfahren – zulässt, dass die örtlichen Behörden die Erbringung von Krankentransportdiensten im Wege der Direktvergabe ohne jegliche Bekanntmachung an Freiwilligenorganisationen vergeben, soweit der rechtliche und vertragliche Rahmen, in dem diese Organisationen tätig sind, tatsächlich zu dem sozialen Zweck und zu den Zielen der Solidarität und der Haushaltseffizienz beiträgt. [...]
Das vorliegende Urteil des EuGH fügt sich in eine längere Reihe von Entscheidungen zur Frage, inwieweit nationale Behörden und Sozialversicherungsträger Dienstleistungsaufträge im Bereich des Krankentransport- und Rettungswesens direkt an bestimmte, meist örtlich tätige Freiwilligenorganisationen vergeben dürfen, ohne ein transparentes Vergabeverfahren durchzuführen. Aufgrund der besonderen sozialen Bedeutung von Gesundheitsdienstleistungen für die Bevölkerung und beschränkter öffentlicher Ressourcen stellt sich ebenso wie bei der Versorgung der Bevölkerung mit ärztlichen Dienstleistungen und Heilmitteln auch bei der Erbringung von Kranken- und Notfalltransporten die Frage, inwieweit die öffentliche Hand Wettbewerbsbeschränkungen verfügen darf, um eine möglichst kostengünstige und dennoch flächendeckend funktionierende Versorgung zu gewährleisten.
Der EuGH hat in der Rs Ambulanz Glöckner (25.10.2001, C-475/99, Rz 22) festgestellt, dass Sanitätsorganisationen, die Notfall- und Krankentransportleistungen erbringen, als Unternehmen iSd Wettbewerbsregeln des AEUV (Art 101 ff) anzusehen sind. Es ist den Mitgliedstaaten durchaus erlaubt, Unternehmen besondere oder ausschließliche Rechte vorzubehalten, sofern diese nicht gegen die Wett-413bewerbsregeln der Art 101 und 102 AEUV verstoßen. Ein solches besonderes oder ausschließliches Recht iSd Art 106 Abs 1 AEUV wird zB gewährt, wenn Leistungen des Krankentransports bestimmten mit dem Rettungsdienst betrauten Sanitätsorganisationen vorbehalten werden (EuGH Rs Ambulanz Glöckner, Rz 24). Ein Mitgliedstaat verstößt durch das Einräumen ausschließlicher Rechte nur dann gegen das Wettbewerbsrecht, wenn ein betrautes Sanitätsunternehmen durch die Ausübung der ihm übertragenen besonderen oder ausschließlichen Rechte seine beherrschende Stellung missbräuchlich ausnutzen oder wenn durch diese Rechte eine Lage geschaffen werden könnte, in der dieses Unternehmen einen solchen Missbrauch begeht (Rz 39). Nach stRsp stellt es einen Missbrauch iS von Art 101 und 102 AEUV dar, wenn ein Unternehmen, das auf einem bestimmten Markt eine beherrschende Stellung innehat, sich ohne objektives Bedürfnis eine Hilfstätigkeit vorbehält, die von einem dritten Unternehmen im Rahmen seiner Tätigkeit auf einem benachbarten, aber getrennten Markt ausgeübt werden könnte, so dass jeglicher Wettbewerb seitens dieses Unternehmens ausgeschaltet zu werden droht (Rz 40). Allerdings könnten solche Maßnahmen für Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse gerechtfertigt sein, wenn diese anders ihre Aufgaben nicht erfüllen könnten. In der Rs Ambulanz Glöckner hat der EuGH den Ausschluss gewerblicher Transportunternehmer gerechtfertigt, wenn eine Sanitätsorganisation sowohl (billigere) Leistungen des Krankentransports als auch (teurere) Leistungen des Notfalldienstes gemeinsam erbringen muss, um ausgewogen bilanzieren und damit eine flächendeckende Versorgung der Bevölkerung anbieten zu können. Wesentlich war außerdem, dass die Sanitätsorganisation die Nachfrage nach Notfalltransport und nach Krankentransport jederzeit decken kann (Rz 62).
Aus wettbewerbsrechtlicher Sicht ist es somit durchaus vereinbar, die Durchführung von Krankentransport- und Rettungsdiensten einem oder einigen wenigen Sanitätsunternehmen vorzubehalten, wie dies auch verschiedene österreichische Landesgesetze vorsehen. Fraglich ist jedoch, wie das diesbezügliche Auswahlverfahren zu gestalten ist, insb stellt sich die Frage nach der Anwendbarkeit des Vergaberechts.
Die Vergabe von Aufträgen in den Mitgliedstaaten auf Rechnung des Staates, der Gebietskörperschaften und anderer Einrichtungen des öffentlichen Rechts ist an die Einhaltung der im AEUV niedergelegten Grundsätze gebunden, insb den Grundsatz des freien Warenverkehrs, den Grundsatz der Niederlassungsfreiheit und den Grundsatz der Dienstleistungsfreiheit sowie die davon abgeleiteten Grundsätze wie zB den Grundsatz der Gleichbehandlung, den Grundsatz der Nichtdiskriminierung, den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung, den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und den Grundsatz der Transparenz (Erwägungsgrund 2 RL 2004/18/EG). Zur näheren Regelung dieser Grundsätze wurden die Vergaberichtlinien 2004/18/EG und zuletzt neu die RL 2014/24/EU erlassen. Für den Sachverhalt in der vorliegenden Rs CASTA war noch die Vergabe-RL 2004/18/EG maßgeblich.
Die Vergabe-RL ist auf die Vergabe von Dienstleistungsaufträgen durch öffentliche Auftraggeber anwendbar. Der Begriff des öffentlichen Auftraggebers wird weit verstanden. Nach der Judikatur des EuGH fallen auch die Träger der gesetzlichen KV darunter (EuGH 24.9.1998, C-76/97, Tögel; EuGH 11.6.2009, C-300/07, Oymanns), sodass zB Direktverrechnungsabkommen der gesetzlichen Krankenversicherungsträger mit Rettungsorganisationen und Taxiunternehmen in den Anwendungsbereich der Vergabe-RL fallen können.
Die Anwendbarkeit der Vergabe-RL hängt weiters davon ab, ob der Wert der Dienstleistung den Schwellenwert von € 249.000,– überschreitet und welcher Teil der Dienstleistung – der Transportteil oder jener der Gesundheitsdienstleistung – von höherem Wert ist. Diesbezüglich ist zu berücksichtigen, dass der Transport von kranken Personen qualitativ in verschiedene Kategorien eingeteilt werden kann: Eine einfache Krankenfahrt wird durchgeführt, wenn der zu Transportierende lediglich die Fahrleistung, aber keine sanitätsspezifische Hilfe benötigt. Es bedarf weder speziell ausgebildeten medizinischen Personals noch eines Spezialfahrzeugs. Davon zu unterscheiden sind (qualifizierte) Krankentransporte, bei denen medizinisch betreuungsbedürftige Patienten in genormten Krankenkraftwagen unter Beisein von medizinisch qualifiziertem Personal transportiert werden. Der Transport von medizinischen Notfällen, welche auf organisierte medizinische Hilfe durch qualifiziertes Personal unter ärztlicher Verantwortung angewiesen sind, fällt unter die Kategorie der Notfallrettung. Diese wird durch genormte Rettungswagen, Notarztwagen oder Notarzteinsatzfahrzeuge vorgenommen (Haslinger, Rettungswesen und EuroparechtSonderheft Verkehrsrechtstag 2015, ZVR 2015/244).
Vergibt ein öffentlicher Auftraggeber Aufträge zur ausschließlichen Erbringung von Dienstleistungen des einfachen Krankentransports, welcher weder geschultes Sanitätspersonal noch speziell ausgestattete Krankenwagen notwendig macht, fällt ein solcher Auftrag, sollte er den Schwellenwert übersteigen, in die volle Anwendbarkeit der Vergabe-RL (Anhang II Teil A „Landverkehr“). Überwiegt dagegen der Wert der Gesundheitsdienstleistung, ist die Vergabe-RL im Wesentlichen nicht anwendbar (lediglich Art 23 und 35 Abs 4 RL 2004/18/EG sind anzuwenden). Der EuGH hebt diesbezüglich hervor, dass der Unionsgesetzgeber davon ausgegangen ist, dass Aufträgen über Dienstleistungen des Anhangs II Teil B der RL 2004/18/EG wegen ihres spezifischen Charakters a priori keine hinreichende grenzüberschreitende Bedeutung zukomme, die es rechtfertigen könnte, dass sie in einem Ausschreibungsverfahren vergeben werden, das es den Unternehmen anderer Mitgliedstaaten ermöglichen soll, von der Ausschreibung Kenntnis zu nehmen und ein Angebot einzureichen (EuGH Rs CASTA, Rz 39).
Der EuGH hatte sich in der vorliegenden Rs CASTA zunächst mit der Anwendbarkeit der Vergabe-RL 2004/18/EG auseinandergesetzt, und es dem414 nationalem Gericht überlassen, Überwiegen und Wertigkeit der zu erbringenden Dienstleistungen zu beurteilen und dementsprechend die Vergaberegelungen anzuwenden oder nicht.
Ist die Vergabe-RL nicht anwendbar, haben die öffentlichen Auftraggeber dennoch die Grundfreiheiten zu beachten. Der EuGH verweist diesbezüglich in der Rs CASTA weitgehend auf seine Vorjudikatur in der ähnlich gelagerten Rs EuGH 11.12.2014, C-113/13, Spezzino. Die Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit verlangen eine Vergabe von Aufträgen nach den allgemeinen Grundsätzen der Transparenz und Gleichbehandlung (Rz 42). Allerdings sind die Grundfreiheiten nur maßgeblich, wenn der konkrete Sachverhalt über die Grenzen eines Mitgliedstaates hinausweist bzw wenn an dem Auftrag ein eindeutiges grenzüberschreitendes Interesse besteht. In der Rs Spezzino hat der EuGH objektive Kriterien festgemacht, die auf das Bestehen eines grenzüberschreitenden Interesses hinweisen können. Diese können in einem gewissen Volumen des Auftrags in Verbindung mit dem Leistungsort oder in technischen Merkmalen des Auftrags liegen. Weiters können Beschwerden von Wirtschaftsteilnehmern, die in anderen Mitgliedstaaten ansässig sind, auf einen grenzüberschreitenden Bezug hindeuten (EuGH Rs Spezzino, Rz 49).
Vergibt ein öffentlicher Auftraggeber einen Auftrag an ein Krankentransport- oder Rettungsunternehmen ohne transparentes Vergabeverfahren, werden in anderen Mitgliedstaaten niedergelassene Unternehmen, die an dem Auftrag interessiert sein könnten, benachteiligt. Der EuGH sieht darin eine mittelbare Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit und prüft eventuelle Rechtfertigungsgründe (Rz 56). Der EuGH anerkennt das Ziel einer Regelung, aus Gründen der öffentlichen Gesundheit eine ausgewogene allen zugängliche ärztliche und klinische Versorgung aufrechtzuerhalten, einen ausreichenden, ständigen Zugang zu dieser Versorgung sicherzustellen sowie die entstehenden Kosten zu beherrschen, als zwingenden Grund des Allgemeininteresses, der Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit rechtfertigen kann. Die Mitgliedstaaten dürfen in diesem Zusammenhang auf gemeinnützige Freiwilligenorganisationen zurückgreifen, wenn dies dem sozialen Zweck eines Krankentransportdienstes entspricht und geeignet ist, die Kosten zu beherrschen. Dem Verhältnismäßigkeitsgebot entspricht ein solcher Rückgriff, dh die Direktvergabe eines Auftrags an eine Freiwilligenorganisationen, nur dann, wenn die Freiwilligenorganisationen keine anderen Ziele verfolgt (insb gewerbliche) oder Gewinne erzielen will.
Die neuen Vergaberichtlinien enthalten einen sogenannten Gemeinnnützigkeitsvorbehalt: Die Richtlinien gelten nicht für öffentliche Dienstleistungsaufträge, die Dienstleistungen des Katastrophenschutzes, des Zivilschutzes und der Gefahrenabwehr, [...] mit Ausnahme des Einsatzes von Krankenwagen zur Patientenbeförderung, zum Gegenstand haben (Art 10 lit h 2014/24/EU; Abs 10 Abs 8 lit g RL 2014/23/EU). Es stellt sich die Frage, welche Leistungen im Bereich Kranken- und Notfalltransport unter „Einsatz von Krankenwagen zur Patientenbeförderung“ zu subsumieren sind. Erwägungsgrund 28 RL 2014/24/EU sagt dazu: „Die Richtlinie sollte nicht für bestimmte von gemeinnützigen Organisationen oder Vereinigungen erbrachte Notfalldienste gelten, da der spezielle Charakter dieser Organisationen nur schwer gewahrt werden könnte, wenn die Dienstleistungserbringer nach den in dieser Richtlinie festgelegten Verfahren ausgewählt werden müssten. Diese Ausnahme sollte allerdings nicht über das notwendigste Maß hinaus ausgeweitet werden. Es sollte daher ausdrücklich festgelegt werden, dass der Einsatz von Krankenwagen zur Patientenbeförderung nicht ausgenommen sein sollte. In diesem Zusammenhang muss im Übrigen deutlich gemacht werden, dass die CPV-Gruppe 601 „Landverkehr“ nicht den Einsatz von Krankenwagen beinhaltet, der unter die CPV-Klasse 8514 (Einsatz von Krankenwagen bestehend in allgemeinen und fachspezifischen ärztlichen Dienstleistungen in einem Rettungswagen) fällt. Es sollte daher klargestellt werden, dass für unter den CPV-Code 8514 30 00-3 fallende Dienstleistungen, die ausschließlich im Einsatz von Krankenwagen zur Patientenbeförderung bestehen, die Sonderregelung gelten soll. Folglich würden auch gemischte Aufträge für Dienste von Krankenwagen generell unter die Sonderregelung fallen, falls der Wert des Einsatzes von Krankenwagen zur Patientenbeförderung höher wäre als der Wert anderer Rettungsdienste.
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Die Erwägungsgründe machen deutlich, dass der alltägliche Krankentransport- und Rettungsdienst, der weder unter „Zivil“– noch „Katastrophenschutz“ zu subsumieren ist, nicht von der RL ausgenommen ist. Für ihn gelten vielmehr bei Übersteigen eines Schwellenwertes von € 750.000,– (Art 4 lit d RL 2014/24/EU) die vereinfachten Vergaberegelungen des Titels III der RL 2014/24/EG (bzw vgl Sonderregelungen gem Art 19 RL 2014/23/EU). Die Mitgliedstaaten sind gem Art 77 RL 2014/24/EU ermächtigt, bestimmte soziale Dienstleistungen, worunter auch Krankentransport- und Rettungsfahrten fallen, bestimmten gemeinnützigen Organisationen vorzubehalten. Bei Unterschreiten dieses Schwellenwertes wird dagegen nicht davon ausgegangen, dass MitbewerberInnen in anderen Mitgliedstaaten ein Interesse an dem öffentlichen Auftrag und damit ein Interesse an einem transparenten Vergabeverfahren haben. Die vom EuGH vorgezeichneten Linien werden daher nach wie vor in ihren Grundzügen von Bedeutung sein.415