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Die Freiwilligkeit als Charakteristikum der Vollversicherungspflicht nach ASVG

STELLAWEBER (SALZBURG)
§ 4 Abs 1 Z 2 und Abs 2, § 35 ASVG; §§ 1, 2, 12, 29 BAG; Art 7 B-VG; §§ 4, 5 Abs 1, 14 Abs 2 JGG 1961; §§ 14b, 97 GewO 1859; § 66a AlVG
  1. Ein wesentliches Merkmal der DN-Eigenschaft iSd § 4 Abs 2 ASVG ist die Freiwilligkeit, ohne die der Tatbestand der Pflichtversicherung nach § 4 Abs 1 Z 1 iVm Abs 2 ASVG nicht erfüllt ist und die bei Diensten aufgrund besonderer Gewaltverhältnisse, wie Ausbildungsverhältnissen von Fürsorgezöglingen, fehlt.

  2. Arbeitsleistungen während einer freiheitsentziehenden Einweisung in eine Bundesanstalt für Erziehungsbedürftige, mögen sie auch im Rahmen einer Berufsausbildung erbracht worden sein, begründen kein Ausbildungsverhältnis, das dem Typus nach einem Lehrverhältnis entspricht.

I.

1. Mit Antrag vom 27.11.2012 begehrte der Erstmitbeteiligte die Feststellung einer Pflichtversicherung nach dem ASVG und dem AlVG im Zeitraum von Juni 1965 bis November 1966 und führte aus, er habe in diesem Zeitraum versicherungspflichtige Erwerbstätigkeiten ausgeübt. Er habe sich in einem Lehrverhältnis zur Stadt Wien befunden und in der Lehrwerkstätte der Berufsschule in Wien, K, den Lehrberuf Maler und Anstreicher erlernt. [...]

2. Mit Bescheid vom 15.4.2013 sprach die revisionswerbende Gebietskrankenkasse (GKK) aus, dass der Erstmitbeteiligte [...] in keinem die Vollversicherung und die Arbeitslosenversicherungspflicht begründenden Beschäftigungsverhältnis gestanden sei. Der Erstmitbeteiligte sei als Zögling der Erziehungsanstalt K in der anstaltseigenen Werkstätte von einem angestellten Meister zum Lehrling ausgebildet worden. [...]

3. Der Erstmitbeteiligte erhob Einspruch. [...]

4. Mit Bescheid [...] wies der Landeshauptmann von Wien den Einspruch als unbegründet ab und bestätigte den angefochtenen Bescheid. [...]

5. Über die als Beschwerde zu behandelnde Berufung hat das Verwaltungsgericht mit dem in Revision gezogenen Erk festgestellt, dass der Erstmitbeteiligte „aufgrund seiner im Rahmen der gerichtlich angeordneten Fürsorgeerziehung absolvierten Lehre in der Zeit seiner Unterbringung in der Bundesanstalt für Erziehungsbedürftige K vom 9.6.1965 bis zum 31.12.1965 sowie vom 1.3.1966 bis zum 30.9.1966 der Voll-(Kranken-, Unfall-, Pensionsversicherung) und Arbeitslosenversicherung unterlag“.

Bereits mit Beschluss des Jugendgerichtshofes vom 7.6.1957 sei über den Erstmitbeteiligten die Fürsorgeerziehung angeordnet worden. Er sei vom 8.7.1963 bis zum 14.5.1965 bei D als Malerlehrling beschäftigt gewesen. Mit Beschluss des Jugendgerichtshofes Wien vom 2.6.1965 sei der (damals) in Untersuchungshaft befindliche Erstmitbeteiligte gem §§ 2, 28 und 37 JGG 1961 vorläufig in die Bundesanstalt für Erziehungsbedürftige in K eingewiesen worden. Mit Urteil des Jugendgerichtshofes vom 25.8.1965 sei der Erstmitbeteiligte zu vier Monaten strengem Arrest verurteilt worden. Die Vollziehung der Strafe sei unter Bestimmung einer dreijährigen Probezeit vorläufig aufgeschoben worden. Die Einweisung in die Bundesanstalt für Erziehungsbedürftige in K sei gem §§ 2, 28 JGG 1961 bestätigt worden. Der Jugendgerichtshof habe ausgeführt, dass der Erstmitbeteiligte einer konsequenten und energischen Erziehung bedürfe, weshalb die vorläufige Einweisung in die Bundesanstalt für Erziehungsbedürftige zu bestätigen sei. [...]

Der Erstmitbeteiligte sei vom 2.6.1965 bis zum 28.10.1966 in der Anstalt K angehalten worden. Vom 9.6. bis zum 31.12.1965 und vom 1.3. bis zum 30.9.1966 habe er die erwähnte Lehre in der Lehrwerkstätte der Bundesanstalt für Erziehungsbedürftige fortgesetzt. Die Berufsschule mit zweijährigem Aufbau für Maler habe er dem Abschlusszeugnis vom 1.7.1966 zufolge erfolgreich abgeschlossen. Ihm sei am 19.10.1966 der Gesellenbrief als Maler, Anstreicher und Lackierer ausgestellt worden.

In rechtlicher Hinsicht führte das Verwaltungsgericht aus, es gehe „nach eingehender Beschäftigung mit den Beschlüssen und Urteilen des Jugendgerichtshofes“ davon aus, dass es sich bei der genannten Einweisung um eine „Fürsorgemaßnahme“ gehandelt habe. Der Aufenthalt des Erstmitbeteiligten in der Erziehungsanstalt habe nicht auf einer strafrechtlichen Verurteilung beruht, sondern es habe sich um eine Erziehungsmaßnahme gehandelt. Er sei nur zu einer bedingten Haftstrafe verurteilt worden bei gleichzeitiger Verfügung der Fortsetzung des Aufenthalts in der Anstalt zu Erziehungszwecken. Der Erstmitbeteiligte sei zwar ab 2.6.1966 auf Verfügung des Strafgerichts in der Bundesanstalt gewesen, aber zu keiner Zeit zur Verbüßung einer Haft. Er sei daher wie eine Person zu behandeln, die während der Bewährungszeit im Arbeitsleben verbleiben könne. Die Tätigkeit sei auf Grund der Umstände mit einem „Mehr“ an persönlicher Abhängigkeit behaftet als allgemein bei einem Lehrverhältnis üblich. Das allein gebe ihm aber nicht den Charakter einer Anhaltung iSd Strafvollzuges.

[...] Unter Beachtung der Begründung dieses Urteils könne bei einer Person, die gar nicht als Strafgefangener angehalten worden sei, sondern als Fürsorgezögling (also in einem weniger intensiven Autoritätsverhältnis und diesbezüglich auch schutzwürdiger, weil nicht in diesem Maße oder gar nicht selbst verschuldet), nicht mehr damit argumentiert werden, dass bei einem Lehrling in einer Erziehungsanstalt das Wesen der Über- und Unterordnung wie bei einem Arbeitsverhältnis und die Einordnung in einen Betrieb fehle. [...] Die Tatsache allein, dass er sich den Ausbildungsbetrieb für die Fortsetzung seiner Lehre nicht habe aussuchen können, könne ein „normales“ Lehrverhältnis nicht ausschließen. [...]

Die Revision sei gem Art 133 Abs 4 B-VG zulässig, weil die E von der bisherigen Rsp des VwGH abweiche bzw es an einer Rsp des VwGH fehle.416 Das Erk entspreche nicht der – wenn auch seit 1957 bestehenden – Judikatur des VwGH.

6. [...]

II.

Der VwGH hat erwogen:

1. Die revisionswerbende GKK bringt vor, dem Spruch des Verwaltungsgerichtes sei nicht zu entnehmen, wer als DG iSd § 35 ASVG, der bzw die den Erstmitbeteiligten als Lehrling beschäftigt haben sollte, anzusehen sei. Die Frage, ob jemand in einem Beschäftigungsverhältnis iSd § 4 ASVG steht, könne gem § 35 Abs 1 ASVG immer nur in Bezug auf eine andere Person, nämlich den DG, beantwortet werden. Die Pflichtversicherung iSd § 4 ASVG, die in § 4 Abs 1 Z 2 ASVG auch Lehrlinge umfasse, könne nicht losgelöst von einem in Betracht kommenden DG beurteilt werden. Sollte die Bundesanstalt für Erziehungsbedürftige als DG in Betracht gezogen werden, werde darauf hingewiesen, dass dieser keine eigene Rechtspersönlichkeit (etwa im Rahmen einer Teilrechtsfähigkeit) zugekommen sei. [...]

2. Die Revision ist berechtigt. [...]

3. Zu der im damaligen Entscheidungszeitpunkt erstmals anzuwendenden Bestimmung des § 4 Abs 2 ASVG hat der VwGH im Erk vom 4.12.1975, VwSlg 4495A/1957, 1836/56, Folgendes ausgesprochen:

„Aus dem Wesen des Beschäftigungsverhältnisses als entgeltliche Unterordnungsbeziehung (vgl A IV unten) ergibt sich, daß Dienstnehmer im Sinne des ASVG nur eine Person sein kann, an deren Arbeit ein Erwerbszweck beteiligt ist, wobei jedoch nicht die Notwendigkeit des Erwerbes der Beweggrund sein muß. [...] Diese die Funktion des Erwerbes nicht ausschließende Unterordnungsbeziehung Dienstnehmer – Dienstgeber zieht die Grenze gegenüber anderen Gestaltungsweisen sozialer Über- und Unterordnung. So sind z.B. die Über- und Unterordnungsbeziehungen Eltern – Kinder, Lehrer – Schüler, Erzieher – Zögling, Alter – Jugend, Aufseher – Häftling [...] ohne ausdrückliche gesetzliche Anordnung nicht imstande, die Sozialversicherungspflicht zu begründen. Deshalb hatte der Verwaltungsgerichtshof – im Einklange mit dem Bundesgerichtshofe – schon unter der Geltung des alten Rechtes einen Fürsorgeerziehungszögling, dessen soziale Unterordnung nicht der Beziehung Meister – Lehrling, sondern der Beziehung Erzieher – Zögling entsprang, nicht als sozialversicherungspflichtig erkannt (Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 3. Juli 1957, Zl. 771/55). [...]“

Als DG iSd ASVG gilt nach § 35 Abs 1 dieses Gesetzes derjenige, für dessen Rechnung der Betrieb (die Verwaltung, die Hauswirtschaft, die Tätigkeit) geführt wird, in dem der DN in einem Beschäftigungsverhältnis steht. [...] Die Begriffe des DG und des DN iSd ASVG gelten daher für jeden Lebensbereich, in dem entgeltliche Dienste in persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit geleistet werden (vgl nochmals das Erk VwSlg 4495A/1957).

Ein wesentliches Merkmal der DN-Eigenschaft – auch iSd § 4 Abs 2 ASVG – ist die Freiwilligkeit (Tomandl, Wesensmerkmale des Arbeitsvertrages in rechtsvergleichender und rechtspolitischer Sicht, 1971, 36 f; vgl zum arbeitsverfassungsrechtlichen Aspekt Strasser, Kommentar zum Arbeitsverfassungsgesetz Rz 2 und 7 zu § 36). Dienste auf Grund besonderer Gewaltverhältnisse beruhen auf keinem Dienstvertrag. Bei Strafgefangenen oder bei Fürsorgezöglingen, die zu Resozialisierungszwecken zu Arbeiten herangezogen werden, sind die Regeln des ABGB nicht anzuwenden (vgl Krejci in

Rummel
, Kommentar zum ABGB3, Rz 16 zu § 1151). Sozialversicherungsrechtlich sind solche Tätigkeiten zwar vielfach den Dienstverhältnissen gleichgestellt (vgl Pfeil in
Schwimann
, Praxiskommentar zum ABGB3, Rz 7 zu § 1151 mwN; vgl zB die Arbeitslosenversicherungspflicht für Strafgefangene nach § 66a AlVG), ohne eine solche Gleichstellung ist aber nicht der Tatbestand einer Pflichtversicherung nach § 4 Abs 1 Z 1 iVm Abs 2 ASVG erfüllt.

4. Vollversichert waren im streitgegenständlichen Zeitraum gem § 4 Abs 1 Z 2 ASVG auch die in einem Lehrverhältnis stehenden Personen. Als ein Lehrverhältnis iS dieser Gesetzesstelle ist ein Ausbildungsverhältnis aufzufassen, das dem Typus nach einem Lehrverhältnis, wie es heute insb im Berufsausbildungsgesetz, BGBl 142/1969, sowie im Landarbeitsgesetz und dessen Landesausführungsgesetzen geregelt ist, entspricht. [...] Dem entsprach in den wesentlichen Zügen das in den §§ 97 bis 105a GewO 1859 für den Bereich der Gewerbe geregelte Lehrlingsrecht. [...] Besondere Merkmale des Lehrlingsrechtes waren (schon) nach der damaligen Rechtslage die Regelung der Befugnis zur Lehrlingshaltung und des Ausschlusses von dieser, die Schriftlichkeit und Registrierungspflichtigkeit des Lehrlingsvertrages, die gesetzliche Regelung bestimmter Inhalte des Lehrlingsvertrages sowie der Beendigung des Lehrverhältnisses. Auf diese in der Rechtsordnung ausgeformte Gestaltung des Lehrverhältnisses stellte auch der VwGH in seinem Erk vom 23.5.1962, 0439/60, ab, wenn er sagte, unter einem Lehrverhältnis iSd § 4 Abs 1 Z 2 ASVG sei nur ein Arbeitsverhältnis zu verstehen, das als Lehrverhältnis im Rahmen der Rechtsordnung eine Regelung gefunden habe, in der die in einem solchen Lehrverhältnis stehende Person ausdrücklich als Lehrling bezeichnet worden sei (vgl zum Ganzen das hg Erk vom 15.5.1986, 85/08/0197, mwN). Über den Erstmitbeteiligten wurde im Rahmen eines jugendgerichtlichen Strafverfahrens die freiheitsentziehende Einweisung in eine Bundesanstalt für Erziehungsbedürftige verfügt. Er hat seine Arbeitsleistungen im Rahmen dieser Einweisung im Zusammenhang mit seiner damaligen strafrechtlichen Verurteilung verrichtet. Die Bundeserziehungsanstalt ist hiebei nicht als AG funktionell in Erscheinung getreten, sondern sie ist lediglich dem in § 5 Abs 1 Jugendgerichtsgesetz 1961 (JGG) normierten gesetzlichen Auftrag nachgekommen, den Zögling während der Anhaltung in einem geeigneten Beruf auszubilden. Die gesetzlich vorgesehene Berufsausbildung in deren anstaltseigener Werkstätte begründete in Ansehung des vorherrschenden Erziehungsgedankens iSd zitierten Bestimmungen des JGG 1961 und in Ermangelung einer Eingliederung des Erstmitbeteiligten in einen417 von einem AG geführten Betrieb kein Ausbildungsverhältnis, das dem Typus nach einem Lehrverhältnis entsprochen hätte, wie es in den §§ 97 bis 105a GewO 1859 für den Bereich der Gewerbe geregelt war (vgl das hg Erk vom 3.7.1957, 771/55). Es fehlte auch an einer Gleichstellungsbestimmung (wie etwa nunmehr in § 30 Abs 8 BAG für die überbetriebliche Lehrlingsausbildung). Vielmehr sind die gegenständlichen Ausbildungszeiten gem § 14b Abs 3 GewO 1859 bzw (jetzt) § 29 Abs 2 BAG (nur) auf die Lehrzeit anzurechnen.

5. Das angefochtene Erk war gem § 42 Abs 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufzuheben. [...]

1.
Einleitung

Ein Zögling wurde von 1965 bis 1966 in einer Bundeserziehungsanstalt angehalten und ausgebildet. Dieser Zeitraum wurde pensionsversicherungsrechtlich nicht berücksichtigt. Daher beantragte der Zögling die Feststellung einer Pflichtversicherung nach dem ASVG und dem AlVG. Der VwGH hatte nun zu klären, ob der Beschäftigte im Rahmen dieses Ausbildungsverhältnisses vollversicherungspflichtige Tätigkeiten erbrachte und daher diese Zeit der Beschäftigung als Pensionsversicherungszeit zu berücksichtigen ist. Zur Beurteilung war die Rechtslage 1965 bis 1966 heranzuziehen. Daher kamen ua das JGG 1961 (BGBl Nr 278) und das Jugendwohlfahrtsgesetz ( JWG) 1954 (BGBl Nr 99) zur Anwendung. Beide Gesetze stehen heute nicht mehr in Kraft. Das JGG 1961 wurde durch das JGG 1988 ersetzt. Dabei entfielen die Bestimmungen zu den Bundesanstalten für Erziehungsbedürftige. Das Bundes-Kinder- und Jugendhilfegesetz (B-KJHG) 2013 reformierte das JWG 1989. Darin sind nun auch Bestimmungen zu der Errichtung von Betreuungseinrichtungen, den Aufgaben der Einrichtungen und der Kostentragung der Erziehungshilfen enthalten.

Der Zögling muss im streitgegenständlichen Zeitraum DN iSd ASVG gewesen sein, damit die Beschäftigung als vollversicherungspflichtig gewertet werden kann. Lag die DN-Eigenschaft gem § 4 Abs 2 ASVG beim Beschäftigten nicht vor, so käme alternativ die Vollversicherungspflicht nach § 4 Abs 1 Z 2 ASVG in Betracht.

2.
Dienstnehmerbegriff

Da DN, die in einem Dienstverhältnis zu einem DG stehen, grundsätzlich pflichtversichert sind, ist die DN-Eigenschaft des Beschäftigten zu prüfen. Aus § 4 Abs 2 ASVG ergibt sich, dass ein DG vorhanden sein muss, der den DN in persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit beschäftigt. Der VwGH prüft im Zuge der Feststellung der Pflichtversicherung immer die DG-Eigenschaft (VwGH 16.3.1999, 97/08/0001), da diese ein wesentliches Tatbestandselement für die Feststellung der Versicherungspflicht darstellt.

2.1.
Dienstgeberbegriff

Eine eindeutige Antwort auf die Frage des Vorliegens eines DG ist der E des VwGH nicht zu entnehmen. Eingangs stellte er fest, dass der Bundesanstalt für Erziehungsbedürftige keine eigene Rechtspersönlichkeit zukam. Aus seinen Ausführungen zum Lehrverhältnis ist weiters zu schließen, dass die Bundeserziehungsanstalt nicht als AG auftrat, sondern lediglich ihrem gesetzlichen Auftrag nachkam, den Zögling in einem geeigneten Beruf auszubilden. Die Erfüllung des gesetzlichen Auftrags nach § 5 Abs 1 JGG 1961 schließt mE aber die DG-Eigenschaft der Erziehungsanstalt nicht aus. Gem § 35 Abs 1 ASVG gilt derjenige als DG, für dessen Rechnung der Betrieb geführt wird, in der der DN (Lehrling) in einem Beschäftigungsverhältnis steht. Maßgeblich ist dafür, wer aus den im Betrieb getätigten Geschäften unmittelbar berechtigt und verpflichtet wird. Zur Beantwortung der Frage, auf wessen Rechnung und Gefahr ein Betrieb geführt wird, ist in erster Linie auf die Eigentumsverhältnisse abzustellen. Wesentlich sind dabei stets die rechtlichen Verhältnisse und nicht die nach außen in Erscheinung tretenden Gegebenheiten (Julcher in

Mosler/Müller/Pfeil
[Hrsg], Der SV-Komm § 35 Rz 6 ff, 11 ff). Gem § 4 JGG 1961 unterstand die Bundesanstalt für Erziehungsbedürftige dem BM für Justiz. Damit ist klar, dass hier nur der Bund als DG aufgetreten sein könnte, da sämtliche Bundesanstalten für Erziehungsbedürftige der Länder und Gemeinden dem Bund unterstanden und es zusätzlich der betreffenden Bundeserziehungsanstalt an Rechtspersönlichkeit fehlte. Aufgrund dieser Unterordnung kann davon ausgegangen werden, dass die Betriebe der Erziehungsanstalten auf Rechnung und Gefahr des Bundes geführt wurden. Ein DG kann einen Betrieb auch ohne Erwerbsabsicht führen (Julcher in
Mosler/Müller/Pfeil
[Hrsg], Der SV-Komm § 35 Rz 14). Insofern käme der Bund selbst dann als DG in Betracht, wenn er mit der Lehrwerkstatt keinen Gewinn erwirtschaften wollte, sondern durch die Ausbildung in der Werkstatt lediglich Erziehungsmaßnahmen setzte. Außerdem kann der Bund grundsätzlich als DG auftreten. Es besteht schließlich kein Zweifel an der DN-Eigenschaft der Betreuer einer Erziehungsanstalt nach § 4 Abs 2 ASVG. Fraglich ist allerdings, ob er auch gegenüber dem Beschäftigten als DG agierte. Weder die Position des Bundes als beschäftigende Einrichtung noch die fehlende Erwerbsabsicht führen dazu, die DG-Eigenschaft auszuschließen. Wären die Voraussetzungen des § 35 ASVG erfüllt, so wäre der Bund als DG aufgetreten, unabhängig davon, ob er bei der Begründung und Aufrechterhaltung des Ausbildungsverhältnisses gesetzlichen Aufträgen nachkam. Dem VwGH könnte man allenfalls dann zustimmen, wenn er die Erfüllung gesetzlicher Aufträge mit mangelnder Freiwilligkeit gleichsetzt. Denn der wesentliche Unterschied zwischen einem auszubildenden Zögling und einem Betreuer einer Erziehungsanstalt besteht in der Entscheidungsfreiheit des Bundes: Gem § 5 Abs 1 JGG 1961 bestand die Verpflichtung, Zöglinge auszubilden. Der Bund konnte sich nicht aussuchen, ob und welchen Zögling er ausbildet. Einer derartigen Verpflichtung418 hatte der Bund bei der Wahl des Betreuungspersonals jedoch nicht nachzukommen. Daher könnte die Freiwilligkeit auch den DG-Begriff charakterisieren. Um die Frage des Vorliegens der DG-Eigenschaft anhand der Kriterien des § 35 ASVG abschließend beantworten zu können, fehlen aber die Sachverhaltsfeststellungen.

2.2.
Freiwilligkeit

DN erbringen die Dienstleistung freiwillig in persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit. Außerdem werden sie gegen Entgelt beschäftigt. Dafür reicht allerdings der Anspruch auf Entgelt aus, es muss also keine tatsächliche Bezahlung vorliegen (Mosler in

Mosler/Müller/Pfeil
[Hrsg], Der SV-Komm § 4 Rz 120). DN-Eigenschaft liegt vor, wenn in der Gesamtbetrachtung aller zu verrichtenden Tätigkeiten die Eigenschaften der unselbstständigen Tätigkeit überwiegen (Mosler in
Mosler/Müller/Pfeil
[Hrsg], Der SV-Komm § 4 Rz 87).

Im Zusammenhang mit dieser Entscheidung spielt das Merkmal der Freiwilligkeit die wesentliche Rolle. Dieses ist gegeben, wenn die Arbeitsverpflichtung gem § 4 Abs 2 ASVG freiwillig übernommen wurde. § 4 Abs 2 ASVG setzt voraus, dass die Beschäftigung dem Grunde nach auf einer vertraglichen Vereinbarung beruht. Ein Arbeitsvertrag kommt nur bei übereinstimmendem Willen beider Vertragsparteien zustande. Der aufgrund einer gesetzlichen Verpflichtung übernommenen Arbeitsleistung mangelt es an der Zustimmung mindestens eines Vertragspartners und damit auch an der Freiwilligkeit. Inzwischen wurde durch § 66a AlVG insoweit Klarheit geschaffen, als Strafgefangene, die ihrer Arbeitspflicht nachkommen, explizit der AlV unterliegen. Daraus kann geschlossen werden, dass die Tätigkeiten, die Häftlinge im Rahmen ihrer Arbeitspflicht erbringen – mangels anderslautender Bestimmungen – nach ASVG nicht zu berücksichtigen sind. Wird die Arbeitsleistung im Rahmen von besonderen Gewaltverhältnissen erbracht, ist sie daher nicht sozialversicherungspflichtig nach § 4 Abs 2 ASVG (Mosler in

Mosler/Müller/Pfeil
[Hrsg], Der SV-Komm § 4 Rz 68; Tomandl, Wesensmerkmale des Arbeitsvertrages [1971] 36, 37). Auch der OGH vertritt die Auffassung, dass „diese auf Grund einer gesetzlichen und nicht auf einer freiwillig übernommenen Arbeitsverpflichtung erbrachten Arbeitsleistungen nicht der Pflichtversicherung“ unterliegen. „... Das Sozialversicherungsrecht fordere wie das Arbeitsrecht, daß Beschäftigungsverhältnisse freiwillig begründet werden. Dienste auf Grund öffentlich-rechtlicher Gewaltverhältnisse beruhten auf keinem Dienstvertrag. Deshalb seien Beschäftigungen im Rahmen des Strafvollzuges nicht unter § 4 Abs 2 ASVG zu subsumieren“ (OGH 27.2.1990, 10 ObA 66/90). Fraglich ist, ob das Verhältnis des Beschäftigten zur Erziehungsanstalt auch als besonderes Gewaltverhältnis zu werten ist, obwohl der Beschäftigte lediglich Erziehungszögling und nicht Strafgefangener war. Mit dem Terminus des besonderen Gewaltverhältnisses werden „jene Beziehungen bezeichnet, die von einer verstärkten Intensität bzw Abhängigkeit der ihnen unterworfenen Personen gegenüber der staatlichen Hoheitsgewalt gekennzeichnet sind“ (Koprivnikar, ÖJZ 2004/15). Sogar Soldaten, Schüler und Beamte sollen einem solchen besonderen Gewaltverhältnis unterliegen (Koprivnikar, ÖJZ 2004/15). Die gerichtliche Einweisung des Beschäftigten in eine Erziehungsanstalt ist jedenfalls ein Akt staatlicher Hoheitsgewalt. Da die Erziehungsanstalten dem Bund unterstanden und auf Einweisung des Gerichtes die Erziehung der Zöglinge sicherzustellen hatten, ist anzunehmen, dass die Erziehungsanstalten berechtigt waren, staatliche Hoheitsgewalt gegenüber den ihnen unterstehenden Zöglingen auszuüben. Das zeigt sich daran, dass der bedingte Strafnachlass gem § 14 Abs 2 JGG 1961 zu widerrufen und die Strafe zu vollziehen ist, wenn eine Besserung durch die Anhaltung in der Erziehungsanstalt nicht erreicht werden kann. Das verdeutlicht die verstärkte Abhängigkeit des Beschäftigten von der Erziehungsanstalt. Die Beziehung des Beschäftigten zu der Erziehungsanstalt ist jedenfalls als ein besonderes Gewaltverhältnis anzusehen.

Der VwGH ist daher zu Recht zu dem Schluss gekommen, dass die Tätigkeit des Zöglings im Rahmen seiner Ausbildung in der Erziehungsanstalt aufgrund des besonderen Gewaltverhältnisses nicht freiwillig erbracht wurde und damit der Zögling nicht als DN nach ASVG zu qualifizieren ist.

3.
Lehrverhältnis

Auch wenn die DN-Eigenschaft nach § 4 Abs 2 ASVG verneint wurde, kommt eine sozialversicherungsrechtliche Vollversicherung nach dem Alternativtatbestand des Lehrverhältnisses gem § 4 Abs 1 Z 2 ASVG in Betracht. Daher ist das Vorliegen der Sozialversicherungspflicht in diesem Fall auch anhand der Lehrlingseigenschaft nach § 4 Abs 1 Z 2 ASVG zu prüfen. Der Lehrlingstatbestand hat inzwischen lediglich deklarativen Charakter, da Lehrlinge AN iSd Arbeitsvertragsrechts (Wachter,

; OGH 7.10.1998, 9 ObA 193/98t) und damit auch DN nach § 4 Abs 2 ASVG sind (Schrank, ZAS 1972, 134). Sie unterlägen schon nach § 4 Abs 2 ASVG der Pflichtversicherung (Mosler in
Mosler/Müller/Pfeil
[Hrsg], Der SV-Komm § 4 Rz 12). Trotzdem legt § 4 Abs 1 Z 2 ASVG ausdrücklich fest, dass die in einem Lehrverhältnis stehenden Personen der sozialrechtlichen Vollversicherung unterliegen. Der VwGH hat aufgrund dieser gesetzlichen Vorgaben das Vorliegen eines Lehrverhältnisses geprüft, kam aber auch hier wenig überraschend zu dem gleichen Ergebnis wie bei § 4 Abs 2 ASVG.

Nach heutiger Rechtslage ist die Berufsausbildung von Lehrlingen nach dem Berufsausbildungsgesetz (BAG) zu beurteilen. Als Lehrlinge gelten Personen, die in einem Lehrverhältnis stehen. Das ASVG gibt keine nähere Definition vor. Es kann aber auf die arbeitsrechtlichen Begriffsbestimmungen zurückgegriffen werden (Mosler in

Mosler/Müller/Pfeil
[Hrsg], Der SV-Komm § 4 Rz 5). Nach § 1 BAG sind Lehrlinge Personen, die aufgrund eines Lehrvertrages gem § 12 BAG zur Erlernung eines in der Lehrberufsliste angeführten Lehrberufes bei einem Lehrberechtigten nach § 2 BAG fachlich ausgebildet419 und im Rahmen dieser Ausbildung verwendet werden. Liegt eine dieser Voraussetzungen nicht vor, so ist die Person nicht als Lehrling iSd BAG zu qualifizieren (Preiss/Spitzl in
Neumayr/Reissner
[Hrsg], ZellKomm2 § 2 BAG Rz 8).

Lehrberufsausbildungen in Anstalten für Erziehungsbedürftige, in Justizanstalten, in bestimmten Jugendwohlfahrtseinrichtungen und in Anstalten für Körperbehinderte sind zwar nach § 29 BAG auf die Lehrzeit anzurechnen. Sie stellen aber kein Lehrverhältnis nach § 1 BAG dar. Denn andernfalls wäre die Anrechnungsvorschrift überflüssig. Daher besteht in derartigen Lehrverhältnissen auch keine Verpflichtung zur sozialversicherungsrechtlichen Vollversicherung (Mosler in

Mosler/Müller/Pfeil
[Hrsg], Der SV-Komm § 4 Rz 11).

Nach der heutigen Rechtslage wäre damit bereits das Nichtvorliegen eines Lehrverhältnisses geklärt. Das BAG trat aber erst 1969 in Kraft. Im streitgegenständlichen Zeitraum war daher auf Lehrlinge die GewO 1859 anzuwenden. Gem § 97 GewO 1859 wurde als Lehrling angesehen, wer bei einem Gewerbsinhaber zur praktischen Erlernung des Gewerbes in Verwendung trat, unabhängig davon, ob ein Lehrgeld vereinbart oder ein Lohn bezahlt wurde. Bereits in der GewO 1859 existierte in § 14b die Bestimmung, dass die Beschäftigung in bestimmten, von der GewO ausgenommenen, Betrieben und deren Hilfsanstalten, in denen Tätigkeiten verrichtet werden, die auch Handwerksbetriebe ausmachen, der Verwendung als Lehrling gleichzuhalten ist. Davon sind aber Tätigkeiten in Straf- und Zwangsanstalten ausdrücklich ausgenommen. In den Regierungsvorlagen zum § 29 BAG (RV 876 BlgNR 11. GP 47) hat der Gesetzgeber auf diese Bestimmung Bezug genommen, woraus sich schließen lässt, dass § 14b GewO 1859 durch § 29 BAG reformiert wurde. Daraus kann abgeleitet werden, dass Personen, die in einer Erziehungsanstalt eine Lehrausbildung absolviert haben, auch schon vor Inkrafttreten des BAG von einer sozialrechtlichen Vollversicherung ausgeschlossen waren. Durch das BAG wurde lediglich die Anrechnung der Zeit der Lehrausbildung in der Anstalt auf die Lehrzeit normiert.

Zu demselben Ergebnis kommt man, wenn man das Vorliegen eines Lehrverhältnisses aufgrund der fehlenden Freiwilligkeit verneint: Dass die Vollversicherungspflicht der Lehrlinge gesondert in § 4 Abs 1 Z 2 ASVG geregelt ist, bedeutet nicht, dass sie keine DN iSd § 4 Abs 2 ASVG sind (Schrank, ZAS 1972, 134). Es steht außer Streit, dass die Begründung eines Lehrverhältnisses iSd § 4 Abs 1 Z 2 ASVG freiwillig erfolgt. Insofern könnte man die Lehrlingseigenschaft des Beschäftigten ebenso wie seine DN-Eigenschaft aufgrund fehlender Freiwilligkeit ausschließen.

4.
Schlussfolgerung

Der VwGH kam zu dem Ergebnis, dass der Beschäftigte kein DN iSd ASVG war. Daher unterlag er in diesem Zeitraum nicht der Vollversicherung. Die Ausbildungszeit in der Erziehungsanstalt wurde ihm deshalb auch nicht als Versicherungszeit auf den Pensionsanspruch angerechnet. Der Beschäftigte wurde dadurch in seinen sozialen Ansprüchen verkürzt, denn wäre er in den Anwendungsbereich des BAG gefallen, wäre er der Vollversicherung nach § 4 Abs 1 Z 2 ASVG und damit auch der PV unterlegen. Hält man sich dies vor Augen, könnte man sich fragen, ob dies dem Sachlichkeitsgebot des Art 7 B-VG standhält. Sowohl OGH als auch EGMR haben aber bereits entschieden, dass diese unterschiedliche Behandlung von strafgefangenen Beschäftigten, die in öffentlich-rechtlichen Gewaltverhältnissen Arbeitsleistungen erbringen, im Vergleich zu DN, die ihre Tätigkeit freiwillig ausüben, gerechtfertigt ist. Das wurde durch die wesentlichen Unterschiede im Tatsachenbereich begründet, die zu unterschiedlichen Regelungen führen müssen (OGH 27.2.1990, 10 ObS 66/90; EGMR 7.7.2011, Stummer/Österreich, Appl 37452/02). Das kann auch auf Lehrlinge in Erziehungsanstalten umgelegt werden, da durch das besondere Gewaltverhältnis zur Lehrwerkstatt die Freiwilligkeit gleichermaßen fehlt.

Somit ist dem VwGH darin beizupflichten, dass der Beschäftigte während der Lehrzeit in der Erziehungsanstalt weder als DN noch als Lehrling zu qualifizieren war und damit auch nicht der Vollversicherungspflicht nach ASVG unterlag.420