45Ausübungsschranken arbeitsvertraglicher Änderungsvorbehalte
Ausübungsschranken arbeitsvertraglicher Änderungsvorbehalte
Die Allgemeinen Vertragsbedingungen für Dienstverträge bei den Österreichischen Bundesbahnen (AVB) sind eine Vertragsschablone, die erst mit Abschluss des jeweiligen Einzelvertrags rechtlich wirksam wird. Ihre Änderung unterliegt daher nicht den für Gesetze oder Normen der kollektiven Rechtsgestaltung maßgeblichen Formerfordernissen.
Verweist der Dienstvertrag auf die AVB in der jeweils gültigen Fassung, begründet dies ein Gestaltungsrecht des DG, das diesen zur einseitigen (auch verschlechternden) Abänderung der Vertragsbestimmungen nach billigem Ermessen berechtigt. Die Ausübungsschranke des „billigen Ermessens“ erfordert eine umfassende Analyse und Bewertung der Sachlage und der maßgeblichen Interessen beider Vertragsparteien.
Die Zustimmung der Personalvertretung indiziert zwar die Billigkeit der Änderung, sie kann aber eine allfällige Überschreitung des billigen Ermessens nicht beseitigen.
Eine für sich allein noch maßvoll erscheinende Verschlechterung kann unbillig sein, wenn es in kürzeren Abständen wiederholt zu nachteiligen Änderungen gekommen ist und der Eindruck einer „Salamitaktik“ des AG entsteht. Allerdings können auch für eine stufenweise Verschlechterung beachtliche Gründe bestehen.
Die Kl sind bei der Bekl als Triebfahrzeugführer im wechselschichtigen Turnusdienst beschäftigt. [...] Auf ihre Dienstverhältnisse sind die AVB in deren jeweils geltenden Fassung anzuwenden. Bis zum 31.12.2004 gewährten die AVB allen Bediensteten, die [...] im Schichtdienst beschäftigt waren, zusätzlich zum regulären Urlaubsausmaß 8 Urlaubstage als „Turnusurlaubszuschlag“.
Diese Regelung wurde mit Wirksamkeit ab 1.1.2005 durch § 17 Pkt 4 Z 8d AVB über den „Zusatzurlaub bei Nachtarbeit“ ersetzt, der eine Kürzung und Staffelung des bisherigen Zusatzurlaubs mit sich brachte. [...]
Auf Grundlage einer [...] zwischen dem Vorstand der ÖBB-Holding AG und der Konzernvertretung abgeschlossenen Vereinbarung [...] wurden die AVB mit Wirksamkeit ab 1.1.2013 dahin geändert, dass die Bestimmungen des Pktes 8b über den „Zusatzurlaub bei Nachtarbeit“ für jene Mitarbeiter (darunter die Kl) außer Kraft trat, auf die der KollV zur Regelung der Arbeitszeit für Mitarbeiter der ÖBB [...] Anwendung zu finden hatte.
Die Kl begehren die Feststellung, dass ihnen auch ab 1.1.2013 weiterhin Zusatzurlaub für Nachtarbeit in dem in § 17 Pkt 4 Z 8d AVB geregelten Ausmaß zustehe. Die Änderung der AVB sei mangels gehöriger Kundmachung unwirksam. Jedenfalls aber bewirke die gänzliche Streichung des Zusatzurlaubs einen gravierend verschlechternden und daher einseitig unzulässigen Eingriff in die arbeitsvertraglichen Ansprüche der Kl. Im Rahmen der gebotenen Gesamtbetrachtung dürfe nicht übersehen werden, dass sich – neben zahlreichen anderen dienstrechtlichen Verschlechterungen – bereits die Änderung der AVB mit der Streichung des „Turnusurlaubszuschlags“ für die betroffenen DN erheblich nachteilig ausgewirkt habe. Auch wenn nun die Gesamtarbeitszeit verkürzt worden sei, fehle doch jeglicher spürbare Ausgleich für die mit der Nachtarbeit verbundene besondere Belastung. [...]
Die Bekl wandte ein, die strittige Änderung der AVB sei im Einvernehmen mit dem Konzern-BR zustande gekommen und ordnungsgemäß, ua im Intranet, kundgemacht worden. Sie berücksichtige die Belegschaftsinteressen in angemessener Weise. [...]
Das Ziel der Verhandlungen sei gewesen, die zeitliche Beanspruchung der DN insgesamt zu reduzieren. Dazu seien die kollektivvertragliche Normalarbeitszeit von 40 auf 38,5 Stunden pro Woche herabgesetzt und der Nachtzeitraum von 22:00 bis 6:00 Uhr (vorher 5:00 Uhr) ausgedehnt worden. Wegen des von 0,9 auf 0,8 veränderten Nachtfaktors würden nun für jeweils 48 Minuten tatsächlicher Arbeitszeit innerhalb des Nachtzeitraums 60 Minuten angerechnet [...].
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die Kl hätten de facto keine Verschlechterung ihrer dienstrechtlichen Bedingungen darlegen können. Die entfallene Möglichkeit des Ansammelns von Urlaubsguthaben sei durch die im Gegenzug erfolgte Herabsetzung der Wochendienstzeit auf 38,5 Stunden, die Erhöhung des Nachtfaktors auf 0,8 sowie die Erweiterung des Nachtzeitraums um eine Stunde mehr als kompensiert worden.[...]
Das Berufungsgericht gab dem Rechtsmittel der Kl keine Folge. [...] Der restlose Entfall des Zusatzurlaubs stehe in einem mathematisch fassbaren Austauschverhältnis zu den gleichzeitig getroffenen Maßnahmen zur Kürzung und Neuverteilung der Arbeitszeiten. [...] Die Bekanntmachung der Änderung der AVB in dem dafür vorgesehenen internen Medium sowie im Intranet stelle eine gehörige Kundmachung dar. [...]
Rechtliche Beurteilung
[...]
1. Die mit 1.1.1996 in Kraft getretenen AVB sind eine Vertragsschablone, die erst mit Abschluss des jeweiligen Einzelvertrags rechtlich wirksam wird (RIS-Justiz RS0052622 ua; 8 ObA 175/02x). Änderungen von Einzelvereinbarungen unterliegen grundsätzlich nicht den Formerfordernissen für die wirksame Kundmachung von Betriebsvereinbarungen, Kollektivverträgen oder Gesetze. Die bekämpfte einseitige Änderung der Vertragsbedingungen war den Kl jedenfalls spätestens bei Klagseinbringung bekannt. [...]
2. Nach der ständigen, von den Revisionswerbern auch nicht in Frage gestellten Rsp haben die DN der Bekl mit dem in ihren Dienstverträgen enthaltenen Verweis auf die AVB in der jeweils gültigen Fassung ein Gestaltungsrecht eingeräumt, dass diese nach426 Treu und Glauben und nach billigem Ermessen berechtigt, Vertragsbestimmungen einseitig abzuändern. In diesem Rahmen sind – in zumutbarem Ausmaß – auch Verschlechterungen der Stellung des AN möglich (RIS-Justiz RS0112269; RS0052618; 9 ObA 121/08x; Resch, Änderungsvorbehalt des AG in einer Vertragsschablone,DRdA 2001, 325; Krejci, Grenzen einseitiger Entgeltbestimmung durch den Arbeitgeber, ZAS 1983, 203 ff).
3. [...] Ob sich die Änderungen für die Kl insgesamt neutral auswirken, wie die Vorinstanzen angenommen haben, oder verschlechternd sind, kann mangels Verallgemeinerungsfähigkeit nicht anhand der zufällig in zwei Jahren bei den Kl angefallenen Nachtdienste gemessen werden, sondern bedarf einer abstrakten Vergleichsrechnung. [...]
4. Den Revisionswerbern ist auch beizupflichten, dass die für alle DN geltende Verkürzung der Normalarbeitszeit von 40 auf 38,5 Wochenstunden kein taugliches Argument darstellt, um einer bestimmten DN-Gruppe einen Vorteil zu entziehen, der diesen Personen als Ausgleich für eine nur sie treffende besondere körperliche und psychische Belastung zusteht. Bei der Vergleichsrechnung zwischen alten und neuen Nachtarbeitsbedingungen muss die allgemeine Verkürzung der Normalarbeitszeit daher außer Betracht bleiben. [...]
7. [...] Entgegen der Ansicht der Vorinstanzen kann hier von neutralen oder sogar günstigeren Auswirkungen der Änderung selbst dann nicht die Rede sein, wenn man den qualitativen Aspekt eines unterschiedlichen Erholungswerts ausklammert. [...]
9. Ist von einer verschlechternden Vertragsänderung auszugehen, stellt sich die Frage, ob die Bekl dabei den ihr offen stehenden Ermessensspielraum überschritten hat. Das Kriterium des „billigen Ermessens“, das die Gestaltungsbefugnis des AG begrenzt, ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, dessen Konkretisierung eine umfassende Analyse und Bewertung der Sachlage und der maßgeblichen Interessen beider Vertragsparteien erfordert. [...]
Nicht von entscheidender Bedeutung ist es, ob die Ausübung eines arbeitsvertraglichen Änderungsvorbehalts im Einvernehmen mit der Personalvertretung erfolgt ist. [...] Zwar kann die Zustimmung der Personalvertretung als Indiz dafür angesehen werden, dass die Maßnahme auch aus Sicht der AN-Interessen maßvoll und ausgewogen ist, ein allfälliger Verstoß gegen das billige Ermessen könnte aber durch die Einbindung der Personalvertretung nicht beseitigt werden (9 ObA 77/00i).
10. Im Rahmen der Interessenabwägung kann es geboten sein, auch in der Vergangenheit getroffene verschlechternde Maßnahmen zu berücksichtigen, die denselben Regelungsbereich betroffen haben. Eine für sich allein noch maßvoll erscheinende Verschlechterung der Arbeitsbedingungen könnte anders zu beurteilen sein, wenn es in kürzeren Abständen wiederholt zu nachteiligen Änderungen gekommen ist und der Eindruck einer „Salamitaktik“ des AG entsteht. [...]
12. Diese Vorgangsweise an sich begründet allerdings auch noch nicht den Schluss, dass die Änderung in ihrer Gesamtheit unzulässig wäre, zumal für eine stufenweise Verwirklichung durchaus beachtliche Gründe bestehen können. In die Beurteilung, ob der AG mit der letzten Änderung seinen einseitigen Ermessensspielraum überschritten hat, ist bei der gegebenen Sachlage aber eine Gesamtbetrachtung der Auswirkungen einzubeziehen [...].
14. Da die Vorinstanzen aufgrund ihrer vom OGH nicht geteilten Rechtsansicht, dass sich die Abschaffung des Zusatzurlaubs für die Kl ohnedies nicht nachteilig auswirke, auf die von der Bekl vorgebrachten Rechtfertigungsgründe nicht näher eingehen mussten, ist zur Vermeidung einer Überraschungsentscheidung eine Präzisierung und Erörterung dieser Gründe im Rahmen einer Verfahrensergänzung erforderlich. [...] Unklar geblieben ist auch, ob sich die Bekl auf wirtschaftliche Gründe für die gegenständliche Maßnahme berufen will. [...] Inwieweit mit der Maßnahme der Streichung des Zusatzurlaubs ein Beitrag zur Sanierung der Bekl geplant war bzw erreicht werden konnte, ist jedenfalls ein für die Billigkeitsprüfung relevanter Faktor und wird daher im fortgesetzten Verfahren ebenfalls näher zu erörtern sein.
1. Die E betrifft zum einen die Rechtsqualität der AVB der Österreichischen Bundesbahnen. Der OGH knüpft hier an seine stRsp an, wonach die AVB bloße Vertragsschablonen sind, die als „lex contractus“ im Wege vertraglicher Vereinbarung Verbindlichkeit erlangen. Üblicherweise geschieht dies im Wege einer „Jeweils-Klausel“ im Dienstvertrag, wonach die AVB in der jeweils geltenden Fassung Dienstvertragsinhalt sind. Es handelt sich bei den AVB somit in rechtlicher Hinsicht um Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB), welche die Bundesbahnen ihren Dienstvertragsabschlüssen zu Grunde legen. Die AVB unterliegen daher den allgemeinen vertragsrechtlichen Regelungen für AGB (§§ 864a, 879 Abs 3, 915 Halbsatz 2 ABGB). Sie sind somit auch nach den Regeln über die Vertragsauslegung auszulegen (§§ 914 f ABGB). In einigen älteren Entscheidungen hat der OGH zwar für die Bundesbahn-Dienstordnungen wenig überzeugend Gesetzesauslegung vertreten (vgl OGH 15.9.1981, 4 Ob 79/81; OGH 25.11.1994, 8 ObA 290/94). Sofern man allerdings die Anwendbarkeit der Unklarheitenregel des § 915 Halbsatz 2 ABGB nicht in Zweifel zieht, macht es im Ergebnis keinen Unterschied, ob man die Vertragsschablonen der Bundesbahn und andere AGB nach Gesetzes- oder Vertragsauslegungsregeln auslegt. Eine gleichförmige Auslegung unter besonderer Beachtung der Wortlautgrenze wird auch bei Vertragsauslegung von AGB erreicht. Da einheitliche Vertragsbedingungen der Gleichbehandlung und Rationalisierung dienen und nicht Gegenstand individueller Vertragsverhandlungen sind, darf der DN nach der Vertrauenstheorie nicht damit rechnen, dass ihm gegenüber eine Auslegung nach den individuellen Begleitumständen des konkreten Vertragsschlusses erfolgt; er muss sich eine einheitliche427 Auslegung nach dem redlichen Verständnis eines Durchschnitts-AN gefallen lassen.
2. Wegen ihres einzelvertraglichen Charakters bestehen für Vereinbarung und Abänderung der AVB keine besonderen Formerfordernisse. Ausreichend ist dafür nach allgemeinen vertragsrechtlichen Grundsätzen, dass der DN vom Inhalt der Änderung in zumutbarer Weise Kenntnis erlangen kann. Tatsächliche Kenntnisnahme ist ebenso wenig erforderlich wie eine bestimme Form der Kundmachung. Daher konnte der OGH in der vorliegenden E die beanstandete AVB-Änderung nicht schon mangels ausreichender Kundmachung verwerfen; vielmehr musste dem DN die bekämpfte Änderung der Vertragsbedingungen jedenfalls bei Klagseinbringung bekannt sein.
3. Zum anderen behandelt die E die materiellen Schranken für die einseitige Abänderung der Vertragsbedingungen durch den DG. Eine solche Abänderung setzt neben der Vereinbarung eines entsprechenden Änderungsvorbehaltes nach stRsp voraus, dass sich die konkrete Vorbehaltsausübung im Rahmen des billigen Ermessens bewegt. Das bedeutet, dass die Vorbehaltsausübung sachlicher (betrieblicher) Gründe und einer Abwägung mit den Interessen der betroffenen DN bedarf, sodass im Ergebnis eine Verhältnismäßigkeitsprüfung stattfindet. Die Billigkeitskontrolle der Vorbehaltsausübung entspricht den allgemeinen Grundsätzen einseitiger Leistungsbestimmung. Sie ist notwendiges Korrektiv der einseitig im Wege der Vorbehaltsausübung herbeigeführten Vertragsänderung, der es an der subjektiven Richtigkeitsgewähr des individuellen Aushandelns fehlt.
4. Im Arbeitsrecht folgt die Ausübungsschranke des billigen Ermessens allerdings nicht bloß aus der Vorbehaltsauslegung nach redlichem Parteiwillen, sondern darüber hinaus auch aus Fürsorgepflicht des DG (vgl OGH 14.12.1988, 9 ObA 512/88; OGH 11.1.1989, 9 ObA 516/88). Die Ableitung aus der Fürsorgepflicht ist in zweifacher Hinsicht relevant: zum einen ist die Billigkeitsschranke dann im Vertrag nicht abdingbar und besteht, anders als sonst, auch nicht bloß in Zweifelsfällen. Zum anderen ist dann auch die Abänderung oder Einstellung bloß unverbindlich zugesagter Leistungen erfasst. Nach dem OGH soll zwar der Eingriff in unverbindlich gewährte Leistungen mangels Rechtsanspruches (und daher mangels Vorbehaltsausübung) keiner nachprüfenden Billigkeitskontrolle unterliegen (OGH 24.2.2009, 9 ObA 113/08w). Leitet man die Billigkeitsschranke aber (auch) aus der Fürsorgepflicht ab, so muss sie auch faktische Eingriffe in Leistungen ohne Rechtsanspruch erfassen; denn die Fürsorgepflicht ist eine umfassende Interessenwahrungspflicht, die den DG nicht nur bei Setzung von Rechtshandlungen bindet, sondern (ebenso wie die Gleichbehandlungsgebote) auch rein faktische Akte erfasst (treffend Floretta/Spielbüchler/Strasser, Arbeitsrecht I4 [1998] 188). Man könnte dann allenfalls noch fragen, ob die Fürsorgepflicht bei Eingriffen in unverbindlich gewährte Leistungen weniger intensiv wirkt als bei Eingriffen in DN-Ansprüche auf Grund eines Gestaltungsvorbehaltes. Aber auch dann bewegt sich der Eingriff nicht im rechtsfreien Raum ohne nachprüfende Kontrollmöglichkeit, sondern eben innerhalb dieser weiten Schranken.
5. Obwohl die Billigkeitskontrolle eine umfassende Interessenabwägung anhand der Einzelfallumstände erfordert, lassen sich aus Billigkeitsentscheidungen im Laufe der Zeit auch generelle Regeln ableiten, wenn bestimmte Umstände wiederholt für die Entscheidung maßgeblich waren (vgl F. Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff2 [2012] 368). Auch aus der arbeitsrechtlichen Billigkeitsjudikatur lassen sich verallgemeinerungsfähige Beurteilungskriterien für die Ausübung von Änderungs- und Widerrufsvorbehalten ableiten. Die vorliegende E fasst wichtige dieser Beurteilungskriterien zusammen.
6. So ist zunächst der Zweck der Vorbehaltsausübung relevant, weil diese jedenfalls einen sachlichen Grund erfordert. Danach berechtigen insb wirtschaftliche Schwierigkeiten des DG zur Kürzung von mit einem entsprechenden Vorbehalt versehenen Leistungen. Dies sagt auch die vorliegende E. Daneben kann aber zB auch die Aufrechterhaltung des vertraglichen Äquivalenzverhältnisses die Vorbehaltsausübung rechtfertigen; so können etwa bei leistungsabhängigen Entgelten wie Provisionen Änderungsvorbehalte zum Ausgleich von Einkommensentwicklungen eingesetzt werden, die mehr von äußeren Einflüssen als von der Leistung des DN herrühren (OGH 29.8.1996, 8 ObA 2207/96h).
7. Ist die Vorbehaltsausübung dem Grunde nach sachlich gerechtfertigt („Ob“ der Vorbehaltsausübung), so hängt die Zulässigkeit in weiterer Folge von der Geeignetheit und Verhältnismäßigkeit des konkret vorgenommenen Eingriffs ab („Wie“ der Vorbehaltsausübung). Danach darf der Eingriff keinesfalls schwerwiegender sein, als es die betrieblichen Interessen des DG erfordern. Innerhalb dieses Rahmens kommt es auf die Schwere des Eingriffs an, wobei zB Entgeltkürzungen umso eher zulässig sind, je mehr sie im deutlich überkollektivvertraglichen Bereich angesiedelt sind. Bei der Beurteilung der Schwere des Eingriffs sind wegen der im Rahmen der Billigkeitskontrolle erforderlichen Gesamtbetrachtung auch in der Vergangenheit vorgenommene Eingriffe zu berücksichtigen, die den gleichen Regelungsbereich betreffen. Eine für sich allein betrachtet verhältnismäßige Änderung kann daher im Zusammenwirken mit früheren Eingriffen eine Überschreitung der Billigkeitsschranke bewirken. Zurecht betont die vorliegende E allerdings, dass umgekehrt auch für die stufenweise Verwirklichung eines geplanten Eingriffs sachliche Gründe bestehen können. Mitunter kann eine solche Vorgehensweise auch ein zusätzliches Argument für die Verhältnismäßigkeit des Eingriffs sein, wenn und weil auf diese Weise der volle Eingriff nicht sofort wirksam wird, sondern Einschleif- und Übergangsfristen bestehen (vgl auch OGH 16.10.2003, 8 ObA 16/03s). Man sollte bei der schrittweisen Durchführung eines Eingriffs daher nicht vorschnell eine rechtsmissbräuchliche „Salamitaktik“ unterstellen.
8. Aus der im Rahmen der Billigkeitskontrolle anzustellenden Gesamtbetrachtung folgt nicht bloß die Möglichkeit der Nachteilskumulation durch mehrere Einzeleingriffe, sondern umgekehrt auch428 die Möglichkeit eines Nachteilsausgleichs: dass also die Nachteiligkeit eines Eingriffs durch andere, für den DN vorteilhafte Maßnahmen ausgeglichen werden kann. Auch hier sind rechtlich relevante Kompensationseffekte aber auf sach- und funktionsgleiche Rechtspositionen beschränkt. Der Grund für diese Schranke liegt darin, dass sachfremde Positionen, die ganz unterschiedliche Interessenlagen und Sachfragen betreffen, objektiv nicht vergleichbar sind. Aus Sicht der konkreten Vertragsparteien und nach deren subjektiven Äquivalenz- und Günstigkeitsvorstellungen sind zwar auch sachfremde Rechtspositionen vergleichbar und auch abtauschbar. Darauf kommt es aber beim Korrektiv der Billigkeitskontrolle nicht an, weil hier die Kontrolle der Vorbehaltsausübung von außen (durch das Gericht) erfolgt und daher nur anhand eines objektiven Maßstabes sinnvoll möglich ist. Auch die Möglichkeit eines solchen Nachteilsausgleichs bejaht die vorliegende E zu Recht. In der Sache lehnt sie aber (wohl ebenfalls zu Recht) einen Kompensationseffekt zwischen allgemeiner Verkürzung der Normalarbeitszeit und Wegfall des Zusatzurlaubs für Nachtarbeit für eine bestimmte DN-Gruppe ab.
9. Fraglich ist mitunter, ob ein Einvernehmen des DG mit der Belegschaftsvertretung oder einer überbetrieblichen Interessenvertretung ein Argument für die Billigkeit des Eingriffs ist. Der OGH lehnt dies in der vorliegenden E zu Recht ab. Zwar will er im Anschluss an seine frühere Rsp in der Zustimmung der Belegschaftsvertretung immerhin ein Indiz für die Billigkeit des Eingriffs sehen, also eine widerlegliche Vermutung dafür. Diese Vermutung bewirkt aber keine Verschiebung der Behauptungs- und Beweislast: Wer sich auf die Unbilligkeit und damit Unwirksamkeit der Vorbehaltsausübung beruft, hat die dafür maßgeblichen Gründe schon nach allgemeinen Regeln zu behaupten und nachzuweisen.