8

Familiäre Verhältnisse sind für die Beurteilung der Invalidität unerheblich

HELMUTIVANSITS (WIEN)
  1. Dem Kl ist ein Wohnsitzwechsel aus medizinischen Gründen (wegen der Notwendigkeit eines stabilen sozialen Umfeldes für Versicherte mit psychischen Erkrankungen) nicht mehr möglich. Der Umstand, dass ihm ein solcher Wohnsitzwechsel dann möglich ist, wenn seine Gattin mit ihm umzieht, gehört dem individuellen familiären Umfeld des Kl an, sodass er für die Beurteilung der Frage der geminderten Arbeitsfähigkeit grundsätzlich keine Bedeutung hat.

  2. Ebenso wenig, wie das familiäre Umfeld zu Gunsten des Kl gewertet werden dürfte, darf es auch nicht zu Lasten des Kl ins Treffen geführt werden. Die Berücksichtigung der Ehe hätte sonst zur Folge, dass der Kl etwa gegenüber einem unverheirateten Versicherten, dem die Übersiedlung aus medizinischen Gründen nicht möglich ist, ungünstiger gestellt wäre. Dasselbe gilt, wenn man die Situation des Kl mit der eines Versicherten vergleicht, der in Lebensgemeinschaft lebt, weil den Lebensgefährten keine Folgepflicht iSd § 92 Abs 1 ABGB trifft.

  3. Da der Umstand, dass der Kl verheiratet ist und seine Ehegattin grundsätzlich die Folgepflicht nach § 92 Abs 1 ABGB trifft, seiner für die Beurteilung der Minderung der Arbeitsfähigkeit grundsätzlich unbeachtlichen familiären Situation angehört, kommt es nicht darauf an, ob die Ehegattin nach den Voraussetzungen des § 92 ABGB im konkreten Einzelfall tatsächlich verpflichtet wäre, ihm bei einem Umzug zu folgen, oder ob sie diesem zumindest gleich wichtige Interessen entgegenhalten könnte.

Der 1960 geborene Kl hat keinen Beruf erlernt. Er war in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag (1.4.2013) als Arbeiter am Bau und als Metallarbeiter beschäftigt.

Der Kl war unter den üblichen Bedingungen eines Arbeitsverhältnisses seit dem 1.4.2013 bis zum 31.7.2014 nur mehr in der Lage, leichte Arbeiten im Gehen, Stehen oder Sitzen mit der Möglichkeit des Wechsels der Körperhaltung nach 30 Minuten einseitiger Haltung über einen Zeitraum von 8 Stunden täglich ohne längere als die üblichen Unterbrechungen im Freien und in geschlossenen Räumen mit den weiteren festgestellten Einschränkungen zu verrichten. Der Fußweg zur Arbeitsstätte durfte auf ebener Strecke nicht länger als 500 Meter sein und weder steil bergauf noch steil bergab führen. Die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel war dem Kl zumutbar. Das Lenken von Kraftfahrzeugen war dem Kl hingegen nicht möglich. Dem Kl war Tagespendeln, nicht aber Wochenpendeln zumutbar. Eine Wohnsitzverlegung war nicht zumutbar. Eine Wohnsitzverlegung wäre dem Kl zumutbar gewesen, wenn seine Gattin mit ihm den Wohnsitz gewechselt hätte. [...]

Der Kl lebt im eigenen Haus mit seiner Gattin und dem 26-jährigen Sohn. Die Gattin des Kl ist Pensionistin. [...]

Der Kl ist noch in der Lage, als Kuvertierer und Adressenverlagsmitarbeiter zu arbeiten. Österreichweit besteht für diese Tätigkeiten ein ausreichender Arbeitsmarkt, nicht aber in Vorarlberg.

Mit Bescheid vom 11.7.2013 wies die Bekl den Antrag des Kl vom 19.3.2013 auf Zuerkennung der58 Invaliditätspension mit der Begründung ab, dass der Kl nicht invalid sei und kein Anspruch auf Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation bestehe.

Der Kl begehrt die Zuerkennung einer Invaliditätspension mit dem wesentlichen Vorbringen, infolge seiner gesundheitlichen Beeinträchtigungen nicht mehr in der Lage zu sein, eine auf dem Arbeitsmarkt bewertete Tätigkeit zu verrichten. [...]

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. [...]

Das Berufungsgericht gab der vom Kl gegen dieses Urteil erhobenen Berufung nicht Folge. [...]

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Kl. [...]

Die Revision ist zulässig. Sie ist iSd hilfsweise gestellten Aufhebungsantrages auch berechtigt.

Der Revisionswerber argumentiert zusammengefasst, dass ihm ein Wohnsitzwechsel nicht zumutbar sei, wenn seine Gattin nicht mit ihm umsiedle. Diese sei dazu aber schon bei Vorliegen gleichgewichtiger Interessen gem § 92 Abs 1 ABGB nicht verpflichtet. § 92 ABGB sei eine Ausnahmeregelung zu § 91 Abs 1 ABGB: Der Ehegatte, der behaupte, dass diese Ausnahmeregelung auf ihn zutreffe, müsse das Vorliegen der gesetzlichen Rechtfertigungsgründe behaupten und beweisen. Gleiches müsse für den Sozialversicherungsträger gelten, der seine Leistungspflicht mit dem Hinweis auf die Anwendbarkeit dieser Bestimmung verneine. Anhaltspunkte dafür, dass die Ehegattin des Kl nicht zumindest gleichgewichtige Gründe für die Aufrechterhaltung des bisherigen Wohnsitzes habe, seien im Verfahren jedoch nicht hervorgekommen. Die von den Vorinstanzen vertretene Rechtsansicht würde überdies einen massiven Eingriff in das Grundrecht auf Schutz des Privat- und Familienlebens darstellen. Dazu ist Folgendes auszuführen:

1.1 Die Minderung der Arbeitsfähigkeit wird im Anwendungsbereich der auch hier maßgeblichen Bestimmung des § 255 Abs 3 ASVG grundsätzlich nicht konkret, sondern abstrakt ermittelt (10 ObS 2455/96v, SSV-NF 11/6; Teschner in

Tomandl
, SV-System [25. ErgLfg] 370/16; vgl auch 10 ObS 90/06t, SSV-NF 20/40 zur abstrakten Beurteilung der Lohneinbuße, RIS-Justiz RS0084824). Persönliche Umstände, wie beispielsweise die Sprache, aber auch die persönlichen Einkommens- und Vermögensverhältnisse oder die KV sind bei der Prüfung der Invalidität bzw der geminderten Arbeitsfähigkeit daher nicht zu prüfen (RIS-Justiz RS0107503). Für die Beurteilung der Frage der Verweisbarkeit spielt daher auch die familiäre Situation eines Versicherten keine Rolle (10 ObS 154/02y; RIS-Justiz RS0084939 [T9]).

1.2 Ein Korrektiv zu der von der rein abstrakten Prüfung abweichenden Beurteilung im Einzelfall stellt die Zumutbarkeitsprüfung gem § 255 Abs 3 ASVG dar, wonach ein Versicherter, der nicht überwiegend in erlernten (angelernten) Berufen tätig war, als invalid gilt, wenn er infolge seines körperlichen oder geistigen Zustands nicht mehr imstande ist, durch eine Tätigkeit, die auf dem Arbeitsmarkt noch bewertet wird und die ihm unter billiger Berücksichtigung der von ihm ausgeübten Tätigkeiten zugemutet werden kann, wenigstens die Hälfte des Entgelts zu erwerben, das ein körperlich und geistig gesunder Versicherter regelmäßig durch eine solche Tätigkeit zu erzielen pflegt. Dieses Korrektiv erlaubt im Einzelfall daher auch die Berücksichtigung von Umständen, die unabhängig vom gesundheitlichen Befinden sind, und soll einen unzumutbaren Einkommensverlust verhindern (10 ObS 72/10a, SSV-NF 24/41 mwH zur allenfalls unzumutbaren Wohnsitzverlegung, weil infolge einer Teilzeitarbeit nur ein geringeres Entgelt erzielt werden kann; RIS-Justiz RS0085027).

1.3 Im Regelfall muss aber die Ursache für die geminderte Arbeitsfähigkeit der körperliche und geistige Zustand des Versicherten sein. Umstände, die mit dem Gesundheitsstand nicht im Zusammenhang stehen, sind bei Prüfung der Invalidität bzw der geminderten Arbeitsfähigkeit von vornherein nicht zu berücksichtigen. Eine andere Betrachtungsweise würde zu einer systemwidrigen Privilegierung zB einkommens- und vermögensloser oder nicht krankenversicherter Personen führen (10 ObS 46/92, SSV-NF 6/26; 10 ObS 2455/96v, SSV-NF 11/6).

1.4 Die Vorinstanzen sind daher zutreffend davon ausgegangen, dass bei der Prüfung der Invalidität grundsätzlich nicht vom individuellen Wohnsitz des Versicherten auszugehen ist, weil es sich auch dabei um einen für die Beurteilung der Minderung der Arbeitsfähigkeit unbeachtlichen persönlichen Umstand handelt, der mit dem Gesundheitszustand des Versicherten nicht in Zusammenhang steht (RIS-Justiz RS0084871; RS0085017; ebenso für die Verweisung auf Teilzeitarbeitsplätze 10 ObS 56/93, SSV-NF 7/126 ua). Der Versicherte ist daher grundsätzlich verpflichtet zu übersiedeln, um einen Arbeitsplatz zu erreichen (RIS-Justiz RS0084939 [T1]; Födermayr/Resch in SV-Komm [139. Lfg] § 255 ASVG Rz 61). Diese Verpflichtung besteht nach dem Gesagten konsequenterweise dann nicht, wenn dem Versicherten eine Verlegung des Wohnorts aus medizinischen Gründen – daher infolge seines körperlichen und geistigen Zustands – nicht möglich ist (RIS-Justiz RS0084939, zuletzt 10 ObS 168/13y, SSV-NF 27/81). Dass im Umkreis des derzeitigen Wohnorts des Versicherten – wie hier des Kl – Arbeitsplätze in den dem Versicherten noch zumutbaren Verweisungstätigkeiten nicht in ausreichender Anzahl zur Verfügung stehen, ist daher nur dann entscheidend, wenn ihm aus medizinischen Gründen eine Wohnsitzverlegung nicht zumutbar ist (10 ObS 347/88, SSV-NF 3/142; 10 ObS 143/03g, SSV-NF 17/67 ua).

2.1 Im Anlassfall ist dem Kl der Wohnsitzwechsel aus medizinischen Gründen nicht mehr möglich. Ein Wohnsitzwechsel ist ihm nur dann möglich, wenn seine Ehegattin mit ihm mitzieht.

2.2 Der OGH hat in einer vergleichbaren Konstellation in der auch von den Vorinstanzen herangezogenen E 10 ObS 324/90 ausgeführt, dass es ohne Bedeutung sei, wenn der Kl seinen Wohnsitz aus medizinischen Gründen nur gemeinsam mit seiner Familie verlegen könne, weil seine Ehegattin gem § 92 Abs 1 ABGB verpflichtet sei, mitzuziehen. An dieser Rechtsansicht kann jedoch vor dem Hintergrund der Entwicklung der späteren Rsp nicht festgehalten werden.59

2.3 In den dieser E folgenden und von den Vorinstanzen zitierten Entscheidungen 10 ObS 213/91, 10 ObS 154/02y und vielen anderen hielt der OGH daran fest, dass es auf die Verhältnisse am Wohnort oder auf die konkrete familiäre Situation des Versicherten bei der Beurteilung der Frage der Invalidität nicht ankommt. Es spielt auch keine Rolle, ob dem Versicherten etwa infolge seines Alters und des gemeinsamen Wohnsitzes mit seiner Ehegattin ein Wohnsitzwechsel nicht zumutbar wäre (10 ObS 210/95, SSV-NF 9/99). Auch Versicherte mit einem Wohnsitz im Ausland müssen sich – sofern dem kein medizinisches Hindernis entgegensteht – auf den österreichischen Arbeitsmarkt verweisen lassen (10 ObS 125/03k, SSVNF 17/57 mwH ua).

2.4 In der E 10 ObS 49/04k, SSV-NF 18/80, war der Kl aus medizinischen Gründen noch Tagespendeln, nicht aber Wochenpendeln oder Übersiedeln möglich. Sie konnte zwar öffentliche Verkehrsmittel benützen. Allerdings war sie nur in der Lage, einen Fußweg von 500 m zurückzulegen, um eine Haltestelle eines öffentlichen Verkehrsmittels zu erreichen. Die nächsten Haltestellen befanden sich jedoch jeweils 4 km vom Wohnsitz der Kl entfernt. Im Haushalt der Kl war zwar ein PKW vorhanden. Für diesen hatte allerdings nur der Ehegatte der Kl eine Lenkerberechtigung.

Der damaligen Kl wäre es nur mithilfe ihres Ehegatten möglich gewesen, die nächste Bushaltestelle und damit einen Arbeitsplatz zu erreichen. Dem hielt der OGH entgegen, dass eine bestimmte familiäre Situation bei der abstrakten Beurteilung der Verweisbarkeit nicht von Bedeutung sei. Dies bedeute, dass eine bestimmte familiäre Situation weder zugunsten noch zu Lasten des Versicherten herangezogen werden darf. Die Aufgabe, der Kl Hilfestellung bei der Erreichbarkeit eines Arbeitsplatzes in einem Verweisungsberuf zu leisten, könne daher nicht mit der Begründung auf nahe Angehörige überwälzt werden, dass diese familiäre Beistandspflichten treffen.

2.5 Die Beistandspflicht zwischen Ehegatten ist – ebenso wie die Verpflichtung zum gemeinsamen Wohnen – in § 90 Abs 1 ABGB geregelt. Die (als solche nicht durchsetzbare, 6 Ob 29/09x) Pflicht zum ehelichen Beistand besteht in der Verpflichtung zur umfassenden Unterstützung des Ehepartners in körperlicher, seelischer und materieller Hinsicht (Höllwerth in

Gitschthaler/Höllwerth
, Ehe- und Partnerschaftsrecht § 90 Rz 32). Einen Teilaspekt der allgemeinen ehelichen Beistandspflicht bildet die in § 90 Abs 2 ABGB geregelte Verpflichtung des Ehegatten, den anderen Ehegatten bei dessen Erwerb – im zumutbaren Ausmaß – zu unterstützen (Höllwerth, aaO § 90 ABGB Rz 36). Alle diese Pflichten sind ebenso Bestandteil der umfassenden ehelichen Lebensgemeinschaft iSd § 90 ABGB wie das gemeinsame Wohnen.

3. Die Aussagen und Wertungen der E 10 ObS 49/04k, SSV-NF 18/80, kommen daher auch im Anlassfall zur Anwendung.

3.1 Dem Kl ist ein Wohnsitzwechsel aus medizinischen Gründen (wegen der Notwendigkeit eines stabilen sozialen Umfeldes für Versicherte mit psychischen Erkrankungen) nicht mehr möglich. Der Umstand, dass ihm ein solcher Wohnsitzwechsel dann möglich ist, wenn seine Gattin mit ihm umzieht, gehört dem individuellen familiären Umfeld des Kl an, sodass er für die Beurteilung der Frage der geminderten Arbeitsfähigkeit grundsätzlich keine Bedeutung hat. Daran ändert nichts, dass eine positive Entscheidung der Gattin, mit dem Kl umzuziehen, im konkreten Fall auch das beim Kl bestehende medizinische Hindernis für einen Umzug „beseitigt“.

3.2 Ebenso wenig, wie das familiäre Umfeld zugunsten des Kl gewertet werden dürfte, darf es auch nicht zu Lasten des Kl ins Treffen geführt werden. Die Berücksichtigung der Ehe des Kl hätte sonst zur Folge, dass der Kl etwa gegenüber einem unverheirateten Versicherten, dem die Übersiedlung aus medizinischen Gründen nicht möglich ist, ungünstiger gestellt wäre. Dasselbe gilt, wenn man die Situation des Kl mit der eines Versicherten vergleicht, der in Lebensgemeinschaft lebt, weil den Lebensgefährten keine Folgepflicht iSd § 92 Abs 1 ABGB trifft. Eine solche ungünstigere Behandlung des Kl aufgrund seiner familiären Umstände ist aber ebenso wenig zulässig wie eine allfällige günstigere Behandlung – zB der Kl in 10 ObS 213/91 aufgrund ihrer familiären Situation (sie lebte seit Jahrzehnten an ihrem Wohnsitz, dort lebten auch ihre acht Kinder) – zulässig gewesen wäre.

3.3 Da der Umstand, dass der Kl verheiratet ist und seine Ehegattin grundsätzlich eine Folgepflicht iSd § 92 Abs 1 ABGB trifft (10 ObS 324/90), seiner – für die Beurteilung der Minderung der Arbeitsfähigkeit grundsätzlich unbeachtlichen – familiären Situation angehört, kommt es nicht darauf an, ob die Ehegattin des Kl nach den Voraussetzungen des § 92 Abs 1 ABGB im konkreten Einzelfall (vgl 9 Ob 207/99b) tatsächlich verpflichtet wäre, ihm bei einem Umzug zu folgen, oder ob sie diesem zumindest gleich wichtige Interessen entgegenhalten könnte (RIS-Justiz RS0047286). Mit den dahingehenden Ausführungen des Revisionswerbers bedarf es daher keiner Auseinandersetzung.

3.4 Ausgehend davon sind die Voraussetzungen für die Zuerkennung einer Invaliditätspension gem § 255 Abs 3 ASVG im Anlassfall grundsätzlich erfüllt, weil dem Kl ein Wohnsitzwechsel aus medizinischen Gründen nicht mehr möglich ist und auf dem für ihn erreichbaren regionalen Arbeitsmarkt keine ausreichende Anzahl an Arbeitsplätzen in den ihm noch zumutbaren Verweisungstätigkeiten besteht. Damit erweist sich das Verfahren aber als ergänzungsbedürftig.

4.1 Stichtag ist im Anlassfall unstrittig der 1.4.2013. Der 1960 geborene Kl hat am 1.1.2014 das 50. Lebensjahr bereits vollendet, sodass für ihn die mit dem SRÄG 2012, BGBl I 2013/3, mit Ablauf des 31.12.2013 aufgehobene Bestimmung des § 253e ASVG idF BGBl I 2010/111 (§ 669 Abs 2 ASVG) gem § 669 Abs 5 ASVG weiterhin anwendbar bleibt.

4.2 Weist der Pensionsversicherungsträger mit einem Bescheid den Antrag auf Zuerkennung einer Invaliditätspension und auf Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation iSd § 253e ASVG aF ab, so tritt dieser Bescheid auch dann zur Gänze außer Kraft,60 wenn die Klage wie hier nur den Ausspruch über die Invaliditätspension bekämpft (10 ObS 107/12a, SSV-NF 27/9).

5.3 Stellt sich im sozialgerichtlichen Verfahren heraus, dass der Kl invalid (§ 255 ASVG) ist, so muss das Sozialgericht von Amts wegen das Vorliegen der negativen Anspruchsvoraussetzung nach § 254 Abs 1 Z 1 ASVG idF der 75. ASVG-Novelle, BGBl I 2010/111, (§ 669 Abs 5 ASVG) prüfen, wenn die übrigen Anspruchsvoraussetzungen für die begehrte Invaliditätspension (§ 254 Abs 1 Z 2 bis 4 ASVG idF der 75. ASVG-Novelle, § 669 Abs 5 ASVG) erfüllt sind. Der Pensionsversicherungsträger muss nicht behaupten, dass der Kl Anspruch auf berufliche Rehabilitation hat und die Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation zweckmäßig und zumutbar sind. Denn diese Umstände vernichten nicht den Anspruch auf die Pension, sondern ihr Vorliegen hindert das Entstehen des Pensionsanspruchs (10 ObS 107/12a, SSV-NF 27/9).

5.4 Hängt die Entscheidung von der Beantwortung der Frage des Vorliegens der Anspruchsvoraussetzungen nach § 254 Abs 1 Z 1 ASVG ab, so hat das Gericht diese Frage mit den Parteien zu erörtern. Daher erweist sich die Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen als unumgänglich. Sollte im fortgesetzten Verfahren strittig sein, ob der Kl rehabilitierbar ist, wird das Erstgericht nach Erörterung der Bekl eine angemessene Frist zur Prüfung der Möglichkeiten der beruflichen Rehabilitation durch den Kl einzuräumen und allenfalls in weiterer Folge vor einer Abweisung des Klagebegehrens dem Kl die Gelegenheit zu einer Klageänderung zu geben haben (zur genauen weiteren Vorgangsweise siehe 10 ObS 107/12a, SSV-NF 27/9 Pkt 7 – 9). [...]

ANMEKRUNG
1.
Ausgangslage: Rechtslage, entscheidungswesentliche Elemente des Sachverhalts und Rechtsfrage

Der Kl ist am Stichtag (1.4.2013) 53 Jahre alt gewesen. Für ihn gilt daher nicht das SRÄG, sondern nach § 669 Abs 5 ASVG weiterhin § 253e idF der 75. ASVG-Novelle (BGBl I 2010/111).

Der Kl war in den letzten Jahren vor dem Stichtag als Hilfsarbeiter tätig. Invalidität nach § 255 Abs 3 ASVG wurde nicht festgestellt, weil der Kl noch leichte Tätigkeiten (Kuvertierer, Adressenverlagsmitarbeiter) ausüben kann, die zwar am österreichischen Arbeitsmarkt, jedoch nicht in Vorarlberg in ausreichender Zahl vorhanden sind. Da der Kl ein psychisches Leiden hat und deswegen ein stabiles soziales Umfeld benötigt, ist ihm aus medizinischen Gründen eine Wohnsitzverlegung nur gemeinsam mit der mit ihm zusammenlebenden Ehefrau zumutbar.

Somit stellt sich die Frage nach der Bedeutung der familiären Situation des Kl für die Zumutbarkeit der Verlegung des Wohnsitzes, um zu Arbeitsmöglichkeiten zu kommen, wenn die Verlegung des Wohnsitzes aus medizinischen Gründen nur gemeinsam mit der Ehefrau möglich ist. Ist die Ehefrau des Kl unabhängig von medizinischen Befunden schon auf Grund ihrer eherechtlichen Beistandspflicht (Folgepflicht) nach § 92 Abs 1 ABGB zur gemeinsamen Wohnsitzverlegung verhalten oder sollen die familiären Verhältnisse bei der Prüfung der Invalidität völlig ausgeblendet werden und die medizinischen Gründe allein entscheidend sein?

2.
Abstrakte und konkrete Verweisung in der PV

Invalidität nach § 255 ASVG liegt vor, wenn ein Versicherter infolge seines körperlichen und geistigen Zustandes nicht mehr imstande ist, Tätigkeiten seines Verweisungsfeldes auszuüben. Der Umfang des Verweisungsfeldes bestimmt sich danach, ob der Versicherte Berufsschutz genießt oder als unqualifizierter DN auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verwiesen werden kann. Das Gesetz geht von einer abstrakten Beurteilung der geminderten Arbeitsfähigkeit aus. Es kommt nicht darauf an, ob der Versicherte tatsächlich einen seinem Residualarbeitsvermögen adäquaten Arbeitsplatz innerhalb seines Verweisungsfeldes erhält. Die Pension fällt demnach nicht etwa an, wenn das Arbeitsmarktservice (AMS) nicht binnen einer bestimmten Frist einen Arbeitsplatz vermitteln kann (wie zB in der deutschen Arbeitsmarktrente). Vielmehr legt der Pensionsversicherungsträger das zumutbare Verweisungsfeld abstrakt fest, während sich das AMS um die Arbeitsvermittlung zu kümmern hat.

Gewisse Elemente eines Verweisungsschutzes finden sich in den allgemeinen Einschränkungen des Arbeitsmarktes (Födermayr in

Mosler/Müller/Pfeil
[Hrsg], Der SV-Komm § 255 ASVG Rz 61b f), so ua in der zumutbaren Zahl an Krankenständen, in den Anmarschwegen oder in der Größe des Arbeitsmarktes (auf dem gesamtösterreichischen Arbeitsmarkt müssen mehr als 100 Arbeitsplätze vorhanden sein, während auf einem regional eingeschränkten Arbeitsmarkt rund 30 Arbeitsplätze reichen). Dabei handelt es sich um von der Rsp entwickelte objektive Verweisungsschranken. Im Einzelfall können sich aus Gründen der Billigkeit auch individuelle Verweisungshindernisse ergeben. Konkrete Verweisung heißt aber auch, dass aus der „persönlichen Sphäre“ des Anspruchswerbers stammende Umstände keine Relevanz für die Beurteilung der Invalidität haben dürfen, und zwar – wie der OGH unter Bezugnahme auf SSV-NF 18/80 (zuletzt auch 10 ObS 154/02y) betont – weder zu Lasten noch zu Gunsten des Versicherten. So sei für das Vorliegen von Invalidität allein maßgebend, ob eine zur Invalidität führende Verschlechterung des Gesundheitszustandes eingetreten ist (siehe auch Wachter, ZAS 1989, 17 ff). Persönliche Verhältnisse wie die Einkommens- und Vermögenslage des Anspruchswerbers, Analphabetismus oder die Unkenntnis der Sprache (OGH 10.3.1992, 10 ObS 46/92), das Vorliegen einer KV oder – wie in der gegenständlichen E – die familiäre Situation (vgl insb OGH 28.5.2002, 10 ObS 154/02y; OGH 14.9.2004, 10 ObS 49/04k) stehen hingegen in keinem Zusammenhang mit dem Gesundheitszustand des Antragstellers.61

3.
Ausschluss subjektiver Umstände bei der Beurteilung der Invalidität

Nicht mit dem Gesundheitszustand im Zusammenhang stehende Ursachen einer Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit müssen daher im Vorhinein außer Betracht bleiben. Andernfalls könnte es etwa bezogen auf die persönlichen Einkommens- oder Vermögensverhältnisse zu einer „systemwidrigen Privilegierung“ von Personen aus unterschiedlichen Einkommensschichten kommen.

Ähnliche Wertungen sind auch bei Vorliegen unterschiedlicher familiärer Umstände sachlich geboten. Im Ergebnis muss gewährleistet sein, dass Leistungswerber unabhängig davon, ob sie verheiratet sind oder nicht, und ohne Rücksicht darauf, ob der Ehegatte mit übersiedeln möchte oder nicht, bei einem gleichen Leistungskalkül nicht unterschiedlich behandelt werden. Zu Recht weist der OGH im Zusammenhang mit der eherechtlichen Folgepflicht nach § 92 Abs 1 ABGB auf die Nachteile hin, die verheiratete Versicherte im Vergleich zu unverheirateten Versicherten hätten. Würde man nur die Ehe berücksichtigen, wären Personen in Lebensgemeinschaften ungerechtfertigt begünstigt, zumal Lebensgefährten bekanntlich keine Folgepflicht trifft.

Dem könnte man entgegenhalten, der Kl könnte mit Hilfe seiner Ehegattin uU auch anderswo ein stabiles Umfeld finden. Das würde jedoch voraussetzen, dass die Ehegattin, die in der Vergangenheit für die notwendige psychische Stabilität gesorgt hat, dazu auch weiterhin bereit ist. Würden bei der Beurteilung der Invalidität solche Umstände Beachtung finden, müsste der Anspruch auf Invaliditätspension von der Qualität (künftiger) partnerschaftlicher Beziehungen und damit von kaum feststellbaren persönlichen Verhältnissen abhängig gemacht werden, was in hohem Maße spekulativ wäre, aleatorische Züge annehmen würde und deshalb zu Recht abzulehnen ist.

Der OGH hält die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Invaliditätspension für erfüllt, wenn eine Wohnsitzverlegung für den Kl aus psychischen Gründen (Beeinträchtigung des stabilen Umfeldes) unzumutbar ist. Er geht prinzipiell davon aus, dass von Versicherten, die auf den allgemeinen österreichischen Arbeitsmarkt als Verweisungsfeld verwiesen werden, grundsätzlich eine Verlegung des Wohnsitzes verlangt werden kann, sofern nicht medizinische Gründe dagegen sprechen. Die Folgepflicht muss daher bei der Beurteilung der Invalidität außer Betracht bleiben, weil sie zu den in diesem Zusammenhang unbeachtlichen familiären Umständen gehört und nichts mit dem Gesundheitszustand zu tun hat. Ob die Ehefrau nach eherechtlichen Bestimmungen eine Folgepflicht trifft, ist damit für die Frage der Invalidität unerheblich. Eine konsequente Außerachtlassung familiärer Verhältnisse bedingt, dass die Begründung für die Unzumutbarkeit der Wohnsitzverlegung auf einem objektiven, von der Person der Ehegattin unabhängigen medizinischen Befund beruht. Dh, dass für den Kl ein Wohnsitzwechsel mit oder ohne Ehefrau medizinisch kontraindiziert sein muss, um zur Invaliditätspension zu kommen.

4.
Grundaussagen der vorliegenden Entscheidung

Mit dieser Begründung distanziert sich der OGH ausdrücklich von 10 ObS 324/90 vom 23.10.1990, auf die sich auch die Vorinstanzen gestützt haben. Dieser Schritt kam insofern nicht unerwartet, als sich der OGH in mehreren später ergangenen Entscheidungen in zunehmendem Maße am Grundsatz einer konsequenten Nichtbeachtung persönlicher Umstände zu orientieren begann. Folgerichtig betont der Gerichtshof in der vorliegenden E, dass er vor allem im Hinblick auf die zwischenzeitlich ergangene OGH-E vom 28.5.2002, 10 ObS 154/02y, an seiner bisherigen Rechtsansicht nicht festhalten kann.

In der OGH10 ObS 324/90 hat er noch zu folgender Aussage gestanden: „Es ist ohne Bedeutung, dass der Kläger seinen Wohnsitz aus medizinischen Gründen nur gemeinsam mit seiner Familie verlegen kann, zumal seine Ehefrau gem § 92 ABGB verpflichtet ist, mitzuziehen.“ Der Gerichtshof hat in dieser E nicht meritorisch entschieden, sondern nach § 48 ASGG die Richtigkeit der in der Berufung enthaltenen Begründungen bestätigt. Der Gerichtshof geht davon aus, dass ohnehin die Folgepflicht des Ehegatten schlagend wird und letztlich die gemeinsame Wohnsitzverlegung nicht von medizinischen Gründen, sondern von der Folgepflicht abhängig ist, wobei noch zu prüfen ist, ob sie im Einzelfall auch tatsächlich vorliegt.

5.
Rechtspolitische Beurteilung der Entscheidung

5.1. Im Unterschied zur früheren strengeren Judikatur schließt die gegenständliche E konsequent familiäre Umstände aus der Invaliditätsprüfung aus; sie geht von der prinzipiellen Zumutbarkeit der Wohnsitzverlegung für den Kl aus, die nur aus medizinischen Gründen außer Kraft gesetzt werden kann.

5.2. Die vom OGH vorgenommene Klarstellung überzeugt sowohl in juristischer als auch in rechtspolitischer Hinsicht und schafft Rechtssicherheit für einschlägige Rechtsfälle. Es wäre übertrieben, darin einen paradigmatischen Wandel der bisherigen Judikaturlinie zu sehen; besser wäre von einer Bereinigung zu sprechen, die wegen einer sachlich nicht mehr haltbaren Vorjudikatur unvermeidlich geworden ist.

5.3. Aus rechtspolitischer Sicht ist keine grundlegende Verschlechterung des Verweisungsschutzes erkennbar: Der Schutz wird eingeräumt, wenn die Wohnsitzverlegung aus medizinischen Gründen unzumutbar ist, eine von individuellen Umständen abhängige Folgepflicht darf künftig keine Rolle spielen. Daraus ergibt sich eine höhere Fairness im Zugang zu Pensionsleistungen. Bei sozialer und wirtschaftlicher Unzumutbarkeit ist ohnehin die Billigkeitsklausel anzuwenden.

5.4. Welche Konsequenzen könnte die vorliegende E für verwandte Sachverhalte haben? Der OGH hat sich für den Ausschluss aller Spielarten von persönlichen Verhältnissen – gleichgültig, ob sie62 sich für die Rechtsposition des Leistungswebers positiv oder negativ auswirken – ausgesprochen. Vor diesem Hintergrund erhebt sich die Frage, welchen Einfluss diese Haltung auf die bisherige Wohnortjudikatur des OGH haben könnte (eingehend Födermayr, aaO Rz 62; zuletzt Weißensteiner, DRdA-infas 5/2016, 295). Obwohl die hierzu entwickelten Grundsätze (die Rsp stellt beim Wohnort zT auf die tatsächlichen Verhältnisse ab) durch die vorliegende E nicht unmittelbar berührt werden (Ausnahme: Wohnsitzverlegung in Zusammenhang mit familiären Umständen), ist nicht auszuschließen, dass die Rsp in Anlehnung an die Grundüberlegungen der neuen E den Wohnort als einen persönlichen Umstand bewertet und die Spruchpraxis daran ausrichten könnte.

6.
Exkurs: Die familienhafte Beistandspflicht als Kriterium der Invaliditätsprüfung

Nach § 90 ABGB sind „die Ehegatten einander zur umfassenden ehelichen Lebensgemeinschaft, besonders zum gemeinsamen Wohnen ... verpflichtet“. Nach § 92 Abs 1 ABGB trifft den einen Ehegatten eine eherechtliche „Folgepflicht“, wenn der andere Ehegatte aus gerechtfertigten Gründen die Verlegung der gemeinsamen Wohnung verlangt. In diesem Fall hat der eine Ehegatte diesem Verlangen zu entsprechen, es sei denn, er hat selbst gerechtfertigte Gründe, nicht mitziehen zu müssen. § 92 Abs 3 ABGB bestimmt, dass das zuständige Gericht im Verfahren außer Streitsachen auf Antrag darüber zu entscheiden hat. Es handelt sich allerdings um eine nicht durchsetzbare Pflicht (OGH 7.2.2009, 6 ObS 29/09x). Zu den „gerechtfertigten Gründen“ zählt ua auch der Gesundheitszustand. Wenn diesen Gründen „gerechtfertigte Gründe von zumindest gleichem Gewicht“ gegenüberstehen, darf das Gericht nach einer umfassenden Interessenabwägung dem Verlangen nach einer Wohnsitzverlegung nicht Folge geben.

In der vorliegenden E hat der Kl von seiner Ehefrau keine Wohnsitzverlegung verlangt. Davon abgesehen, kann es zu Zufallsergebnissen kommen, wenn die Zuerkennung einer Pension vom Verlangen eines Ehegatten nach einer Verlegung des Wohnsitzes abhängig gemacht wird. Ähnliche Bedenken bestehen auch hinsichtlich der „gerechtfertigten Gründe“, die – gleichgültig, wem sie nützen – mit dem Gesundheitszustand überhaupt nichts zu tun haben. Es ist daher nur zu konsequent, dass der Gerichtshof von den Pensionsanspruch bestimmenden Zufälligkeiten abstrahiert hat.

7.
Billigkeitsprüfung nach § 255 Abs 3 ASVG

Die in Betracht kommenden Verweisungstätigkeiten müssen dem Versicherten „unter billiger Berücksichtigung der von ihm ausgeübten Tätigkeiten“ zugemutet werden können (Billigkeitsklausel). Diese Bestimmung wird in der Lehre als Ausgleich für den fehlenden Berufsschutz unqualifizierter Arbeiter angesehen (Tomandl, Verweisung im Sozialrecht [2002] 5 f). Folgt man der Rsp (zuletzt OGH 27.4.2004, 10 ObS 60/04b), handelt es sich hierbei um eine Ausnahmeregelung, die jedenfalls nicht dazu benützt werden darf, das gesetzliche Verweisungsregime zu verändern, die aber unter bestimmten Voraussetzungen in Einzelfällen (RIS-Justiz RS0085027) ein soziales und wirtschaftliches Korrektiv („soziale und wirtschaftliche Unzumutbarkeit“) einer bloß am Gesundheitszustand ausgerichteten Verweisung darstellt (so auch Födermayr, Geminderte Arbeitsfähigkeit [2009] 47, wo dahingehend argumentiert wird, dass ein kranker Versicherter nicht durch eine rigide Verweisung in den finanziellen Ruin getrieben werden soll).

In OGH vom 14.9.2004, 10 ObS 49/04k, zuletzt auch in 10 ObS 29/08zSSV-NF 22/38 stellt der Gerichtshof klar, dass es bei der Prüfung der Invalidität nicht auf den Wohnort ankommt – das sei ohne Zweifel ein unbeachtliches persönliches Moment –, im Einzelfall könne es sich aber sehr wohl ergeben, dass sich für einen Versicherten eine Wohnsitzverlegung als unbillig herausstellt. In OGH vom 1.6.2010, 10 ObS 72/10a (mit Kommentaren von Windisch-Graetz,

, und Pfeil, ZAS 1995/199) macht eine Teilzeitbeschäftigung mit einem Lohn erheblich unterhalb des Ausgleichszulagenrichtsatzes eine Wohnsitzverlegung wirtschaftlich unzumutbar, in OGH vom 11.7.2000, 10 ObS 332/99t, wurde das auch für die Verweisung auf Heimarbeit festgestellt.

Im vorliegenden Fall ist die Wohnsitzverlegung aus medizinischen Gründen unzumutbar. Die „billige Berücksichtigung der ausgeübten Tätigkeiten“ könnte aber bei einer festgestellten medizinischen Zumutbarkeit der Verweisung in Fällen zur Anwendung kommen, in denen die zulässige Wohnsitzverlegung zu einem für Versicherte unzumutbaren Einkommensverlust führt.

8.
Fazit

In der gegenständlichen E bestätigt der OGH seine bisherige Rsp zum Ausschluss persönlicher Verhältnisse bei der Beurteilung der Invalidität. Über die Vorjudikatur hinaus korrigiert er diese dahingehend, dass die Folgepflicht nach § 92 Abs 1 ABGB in diesem Kontext jegliche Bedeutung zu verlieren hat. In Zukunft ist die Verlegung des Wohnsitzes unabhängig von den familiären Umständen des Versicherten unter der Voraussetzung, dass sie ihm auch medizinisch zumutbar ist, zulässig. Diese rechtspolitisch überzeugende Klarstellung ist insb in Anbetracht einer zuletzt inkonsistent gewordenen Rsp längst fällig gewesen. Sie bewirkt eine punktuelle Revision der bisherigen Judikaturlinie.63