„Unzukömmlichkeiten der dortseits bezeichneten Art ...“ – Notizen zum Sportelverbot
„Unzukömmlichkeiten der dortseits bezeichneten Art ...“ – Notizen zum Sportelverbot
Der Begriff Sporteln leitet sich vom Lateinischen sportula ab, was Geschenk bedeutet. Die „Sporteln“ waren das Entgelt, das Untertanen für obrigkeitliche Verrichtungen direkt an den Amtsträger entrichten. Damit hatten diese einen gebührenhaften Charakter. Sie sind von der eigentlichen Besoldung der Amtsträger nur schwer zu trennen. Gerne wird die Gabe von Geschenken im mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Amtsbetrieb, die in der Grauzone zu Gebühren angesiedelt sind,* als Rückstand einer sich inzwischen modernisierenden Welt angesehen. Es wäre aber ein Anachronismus, der die Betrachtung des Zeitgeschehens völlig aus dem damaligen Zusammenhang löst und sie lediglich einer Gegenwartsbetrachtung gegenüberstellt, würde man bei Sporteln vorschnell von unserem Verständnis von Bestechung sprechen.* Geschenke im Amt bzw außerordentliche Zahlungen waren, auch abgesehen von Zahlungsschwierigkeiten der Staatsgebilde des Heiligen Römischen Reiches und der Habsburgermonarchie, kein unverständliches Element in der Besoldung der Amtsträger.* Sporteln wurden für Dienste gefordert, die wir heute als selbstverständliche öffentliche Leistung in Anspruch nehmen.
Abgesehen davon, dass das Schenken eine Tugend beinhaltet(e), und zwar die Ehre, welche in einer personenbezogenen Zeit besonderes Kapital darstellte, ist das Schenken ein Abgrenzungsmechanismus zwischen Ständen und besteht in dieser Funktion abgekoppelt vom Recht. Geber und Beschenkter erweisen sich gegenseitig Ehre und sehen sich damit als gleichwertig an.* Dass Regulierungen die Annahme von Gaben im Amtsbetrieb nicht gänzlich ausgerottet haben, zeigen auch heute noch Gesetzesentwicklungen wie das Anfütterungsverbot.* Die Diskussion über die Entgegennahme von Geschenken, Geldern oder Taxen durch die im Staatsdienst Beschäftigten ist aber mitnichten eine Neuere, dafür möchten die nachfolgenden Zeilen sensibilisieren. Die Frage nach der Legalität der Annahme von Sporteln zieht sich vom Mittelalter über die Neuzeit in das vorige Jahrhundert bis zur Gegenwart.
Die Höhe der Besoldung der Staatsdiener und Amtsträger stellt seit jeher eine tragende Säule für deren Anfälligkeit im Hinblick auf Bestechung und Missbrauch dar, denn der Anspruch auf lebenslange Besoldung wurde von den Beamten als selbstverständlich betrachtet, um den nötigen Unterhalt für eine standesgemäße Lebensführung aufzubringen.* Die Einkommensoffenheit des Adels als Orientierungsstand, der damit auch die Grenze eines angemessenen Einkommens vorlebte, förderte Ungleichheitsstrukturen durch Statusdiskrepanzen. Damit wurde der Wille der unteren, vornehmlich aus dem Bürgertum kommenden Beamten befördert, auf schnellem Wege zu hohen finanziellen Lebensstandards aufzusteigen.* Erst der Übergang zu einer funktional ausdifferenzierten Gesellschaft mit ihrem immer mehr werdenden Bedarf an ausgebildeten Fachkräften in der Verwaltung markiert die Grenzlinie im Besoldungs-Verständnis der Amtsträger.* Im Gegensatz zum mittelalterlichen Vasallen ist es dem Beamten untersagt, sich an den ihm anvertrauten Gütern zu bereichern.* Die Festlegung der Besoldung seiner Diener oblag also als Entwicklungs- und Steuerungsinstrument dem Landesherren, welcher dahingehend bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts einen monopolistischen Personalmarkt führte.*
Aufgrund der Finanzierungsschwierigkeiten der mittelalterlichen* und frühneuzeitlichen „Staaten“ war es den Fürsten unmöglich, eine regelmäßige, ausreichende und pünktliche Besoldung zu gewähren.* Der Zusammenhang zwischen ungewissen und niederen Besoldungen und der Begehrlichkeit gegenüber Geschenken war den Zeitgenossen64 dabei offenbar.* Nach altem Herkommen hatte der Beamte wegen diesen Finanzierungsschwierigkeiten daher stets Einnahmen aus dem Amt lukriert, die nicht nur für sein privates Interesse, sondern auch für eine so vom Landesfürsten geforderte standesgemäße Lebensführung ausreichend sein sollten.* Die Eigenart der staatlichen Besoldung liegt ja darin, dass der Staat keine wirtschaftliche Institution ist: Dem Beamten wird aus seiner Stellung heraus einerseits nicht nur eine bloße Geldzahlung zuteil, an seine Person werden und wurden andererseits hohe Anforderungen in moralischer, charakterlicher und ausbildungstechnischer* Hinsicht gestellt.* Wenn das verliehene Amt vom Amtsinhaber doch als Betrieb angesehen wurde, dann zog er es auch zur Gewinnmaximierung heran,* um die teuren Ausbildungskosten eines rechtlichen Studiums und die langen Ausbildungszeiten als auf Hilfszahlungen (= Adjutum) angewiesener Praktikant* zu kompensieren. Gewisse Zahlungen, wie die Sporteln, wurden daher lange als Leistungsentgelte gesehen, obwohl sie eigentlich durch eine heute so zu betrachtende Bestechlichkeit erzielt wurden.* Konnten die Gewinne aus der bestechlichen Tätigkeit der Beamten aus unserer heutigen Sichtweise von diesen aber als standesadäquates pretium iustum unbeschadet deren Herkunft angesehen werden, so lag eine systemimmanente Rechtfertigung vor, denn die Einnahmen aus dem Amt wurden im Konsens zwischen Amtsinhaber, Publikum und Obrigkeit getätigt. Dies auch entgegen allfälliger gesetzlicher Verbote.* Der Landesfürst bezahlte den Beamten also für dessen Präsenz, das Publikum ihn aber für dessen tatsächliches Tätigwerden. Der Beamte wurde nicht für das Verwalten der Untertanen entlohnt, sondern für seinen Dienst am Herrn. Der Umgang mit den Bürgern war das unbedeutendere Element des Amtes, denn das Verhältnis zum Herrn war das zentrale existenzsichernde Verhältnis.* Um dieses System zu ändern, galt es daher zuerst eine ausreichende, pünktliche und verlässliche Beamtenbesoldung zu installieren und die Bezahlung aus einem geregelten, konstant durch Steuereinnahmen bedienten Staatshaushalt zu entnehmen. Die langsame Verdrängung des Eigennutzes aus dem Stand der Amtsträger wandelte diese von Fürstendienern zu Dienern des Staates.*
Für Erledigungen fielen in Ämtern seit jeher Gebühren an: Taxen für den Sachaufwand des Amtes und Kanzleijura, also Gebühren für den Schreibaufwand der Erledigungen. Restbeträge verblieben als Trinkgelder, sogenannte bibal. Höhere Beamte erwarteten für ihre Tätigkeit auch eine so bezeichnete Verehrung.* Die gängigen Kanzleitaxen kamen ursprünglich vom Siegelgeld der hochmittelalterlichen kirchlichen Verwaltung und zerfielen in fünf Kategorien: die reguläre Taxe für das Konzept, die Reinschrift, das Siegel, die Registrierung und die Kammerexpeditionen.* Die fixe Taxierung der amtlichen Tätigkeit wurde seitens der Landesfürsten mehrfach mit mehr oder weniger großem Erfolg versucht.* Zwischen den Amtsträgern und dem Staat bestand ein privatrechtlicher Mandatskontrakt.* Eine Staatshaftung im Bereich dessen, was erst im 19. Jahrhundert die Verwaltung wurde, gab es nur vereinzelt. Beamte hafteten wie Privatpersonen. Dies machte vor allem die Situation der von der (Fehl-) Verwaltung Betroffenen als auch die Haftungssituation der Amtsträger riskant.* Kanzlei-Hilfskräfte (sogenannte Diurnisten) wurden vom Amtsinhaber selbst in Dienst genommen und bezahlt. So standen viele der unteren Staatsdiener in keinerlei Vertragsverhältnis zum Staat oder Fürsten.*
In der Habsburgermonarchie wurde im Gegensatz zu den deutschen Staaten zu Beginn des 19. Jahrhunderts kein festes Besoldungs- und Spesensystem festgesetzt.* Erst nach und nach fixierte man Gehälter ohne Bezug von Trinkgeldern, Sporteln und Nebenerwerben. Das Einkommen bestand also vornehmlich aus „... sogenannten Accidenzien ..., welche wieder in Prozenten vom Ertrage oder in Sporteln für bestimmte Verrichtungen bestanden ...
“.*65 Neben dem eigentlichen Gehalt (Konkretalstatus) gab es eine dem Rang entsprechende Diätenklasse. Erst das Zusammenspiel zwischen dem Gehalt aus der Diensthierarchie und dem Diätensystem aus dem Rang machte das Gehalt schlussendlich aus. So ergab sich ein 120-stufiges Diätenklassensystem, das neben all den vielen anderen Zulagen, Geldern* und temporären Bezügen* für Intransparenz und Undurchsichtigkeit sorgte.* Die Wirtschaftskraft der Beamtengehälter in der Habsburgermonarchie kann nur schwer rekonstruiert werden. Aus den von Karl Megner unternommenen Berechnungen lässt sich festhalten, dass eine Beamtenfamilie des niederen Beamtentums bis mittleren Beamtenstandes zur standesgemäßen Lebensführung kein sonderlich ausreichendes Gehalt hatte.* Erst im Gesetz vom 15.4.1873 gab dann der Rang die Bezüge vor und das Diätensystem wurde hintangestellt. Es wurden auch die unteren Rangklassen im Sold angehoben und mit Zulagen versehen. Ebenso wurde die lange geforderte Zeitvorrückung (= Quinquennien) innerhalb der Dienstklasse eingeführt.*
Mit Sporteln wurde also lange Zeit die Verwaltung direkt finanziert. Damit finanzierten sich die meisten Gremien selbst. Die ab zirka 1772 intensivierten Bemühungen zur fixen Besoldung der Beamten brachten wegen des damit einhergehenden Wegfalls der Sporteln eine Verschlechterung der finanziellen Situation der Amtsträger mit sich, welche in dringenden Fällen wieder durch Zuwendungen auszugleichen versucht wurde.* Die Verbote von Sporteln blieben daher immer eher eine politische Willenserklärung* Mit dem Hofdecret vom 25.11.1790 wurde eindeutig ausgesprochen: „Die so genannten, wie immer Nahmen habenden Beamtentaxen haben ein für alle Mahl unter der schon im Gesetze vom 8. July 1788 ... abgestellet zu bleiben
“.* Die Verbote dazu waren auch in anderen Gesetzen und Ordnungen bereits ergangen und wurden bis zur Mitte des Jahrhunderts repetitiv wiederholt.*
Sporteln und Verehrungen unterlagen aber einer Unterscheidung zwischen außerordentlichen, also wohl im heutigen Sinn korruptiv beabsichtigten Zahlungen, und ordentlichen Verehrungen. Geschenke und Verehrungen, die vor Erbringung der Tätigkeit des Beamten gegeben wurden, sah man eher als Bestechlichkeit an, gleich wie das Einfordern von solchen durch den Beamten selbst. Verehrungen bzw Sporteln nach getanem Dienst zu überreichen, galt hingegen als Ausdruck von Dankbarkeit. Bei außerordentlichen Wünschen des Rechtsunterworfenen, beispielsweise Anfragen hinsichtlich nicht routinemäßiger Zahlungen und Ausgleiche, war es fast unumgänglich, die bearbeitenden Beamten zu bedenken.* Die Notwendigkeit, illegale von legalen Zuwendungen, Schenkungen, Ehrungen und Zahlungen für die Dienste der kaiserlichen Beamten zu unterscheiden, zieht sich wie ein roter Faden durch die kaiserlichen Instruktionen und Ordnungen.* Dem Sportelwesen wollte spätestens die Habsburgermonarchie Herr werden. War 1754 und 1767 das Verbot der Einnahme von Sporteln von Kaiserin Maria Theresia noch mit rigorosen Strafen* sanktioniert worden, wurde es 1783 zur Überbrückung von Finanzierungsproblematiken durch Kaiser Josef II., dessen spöttelnd als Hirtenbrief bezeichnetes Rundschreiben vom 13.12.1783 an die Charakterstärke und Moral seiner Beamten in diesem Zusammenhang Bekanntheit genießt, gelockert.* Vierzig Jahre nach Beginn des Verbotes der Sporteln wurde mit dem Hofdecret vom 4.7.1818 wiederum ausgesprochen, dass der Bezug von Gebühren neben der Taxordnung aufzuhören und keine Beteiligungen irgendwelcher Art an den Gebühren stattzufinden hatten.* Das Sportelwesen als Übel wurde ungenügend und nur punktuell bekämpft, denn die „... Taxbestimmungen galten meist nur für bestimmte einzelne Gerichte, waren überdies mangelhaft und zeigten in ihren Ansätzen die grösste Verschiedenheit.
“* Die Problemzone bei der Bekämpfung war also auch die weitläufige Gesetzeslage betreffend die Dienstordnungen. Eine Vereinheitlichung erfolgte erst mit der Dienstpragmatik vom 25.1.1912.*
Die Geschenkannahme durch Amtsträger bzw die Bestechlichkeit wurde seit jeher auch strafrechtlich bekämpft und im 19. Jahrhundert als eigene Deliktsgruppe modern ausgestaltet. Die strafrechtliche Kommentarliteratur zum Gesetzbuch über schwere Verbrechen und Polizei-Uebertretungen 1803 und dem Strafgesetz vom 27. Mai 1852 betonte, dass die66 Annahme von Geschenken, mittelbar oder unmittelbar, weder aus Dank für die Bemühung, weder vor noch nach der Tätigkeit oder aus einem wie immer gearteten vermeintlichen Titel gänzlich untersagt sei.* Damit war das Ende aber noch immer nicht erreicht: Trotz des klaren strafrechtlichen und dienstrechtlichen Verbotes hielt das k.k.-Justizministerium in seiner Stellungnahme zur Strafrechtsreform 1909 noch fest, dass es Fälle gebe, in denen der Beamte seine Pflicht zwar nach dem Gesetz ausübe, sich aber ein Geschenk geben lasse. Die Reaktion war eine Pragmatische: „Eine kriminelle Bestrafung all der Fälle, die heute namentlich im Verkehr ländlicher Gemeindebeamter mit dem Publikum stillschweigend geduldet und zum großen Teil auf die geringe Entlohnung dieser Organe zurückzuführen sind, wäre nach Ansicht des J. M. nicht angebracht.
“* Eine konträre Ansicht vertrat dazu das k.k.-Ministerium des Inneren, das die Bestrafung forderte und das Vorhandensein dieser Geschenks-Praxis eigentlich gerade als Zeichen für die notwendige Ausweitung der strafrechtlichen Verfolgung ansah: „... Auf die Ausführungen der dortigen Zuschrift zu § 173 (Annahme von Geschenken) muß das Ministerium des Inneren erwidern, daß Unzukömmlichkeiten der dortseits bezeichneten Art in der Geschäftsführung ländlicher Gemeinde-Beamter gewiß nur ein weiteres Argument für die Nothwendigkeit der Ausdehnung der Strafbestimmung auf jede Geschenkannahme bilden würde, die sich ein öffentlicher Beamter in Versehung der öffentlichen Verwaltung zu Schulden kommen läßt. ...
“*
Ist das eigenständige Einfordern von Verehrungen, Trinkgeldern oder Gebühren durch Amtsträger aus heutiger Sicht gewiss eine Unzukömmlichkeit, so darf aber iS eines historischen Rechtsbewusstseins nicht vernachlässigt werden, dass der Zustand einer pünktlichen, normalmäßigen und existenzsichernden Besoldung eine Errungenschaft des modernen Rechtsstaates und seiner Vorläufer ist. Über Jahrhunderte war es der finanziellen Not des Staates geschuldet, Amtsträger für ihr Auskommen auf das Amt zu verweisen – eine Privatisierungstendenz, deren aktuelle Tragweite auch mitgedacht werden könnte.*